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Full text of "Goethe-Brevier. Goethes Leben in seinen Gedichten;"

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©oelHc  -  ßrcvier 


Goethes  Leben  in  seinen  Gedichten 


herausgegeben 


von 


Otto  Erich  Hartleben 


ycry-i-^i.^/-     \      /x  .\.   ^,^'^  \*    Xax-\      n^x 


Fünftes   und    sechstes  Tausend 


Mönchen    1906 

Karl  Schiller  Maximilianstrasse  2 


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Vorwort  zur  ersten  Auflage. 

Uie  Philister  —  und  es  gibt  deren  in 
Deutschland  —  verdrehen  je  nach  dem  Grade 
ihrer  Bildung  sanfter  oder  heftiger  die  Augen, 
sobald  die  Rede  auf  Goethesche  Lyrik  kommt, 
und  viele  von  ihnen  können  den  Erlkönig 
auswendig.  Für  einen  lebenden  deutschen 
Dichter  dagegen  —  und  es  gibt  auch  deren 
jetzt  in  Deutschland  —  haben  sie  nur  je 
nach  dem  Grade  ihrer  Begabung  schlechtere 
oder  bessere  Witze. 

Mit  einem  ebenso  wunderlichen  wie  kost- 
baren Selbstbewusstsein  spielen  sie  ihren  Goethe 
wie  einen  Trumpf  aus  —  gegen  den  modernen 
Poeten.  Was  willst  du  armer  Teufel  geben  1 
Goethe!  Ja  Goethe!  Es  klingt  wie  Flöten- 
ton von  ihrem  Munde. 

Ich  bin  seit  meiner  frühen  Jugend  in  dem 
Reichthum  der  Goetheschen  Lyrik  heimisch 
und    wohl    vertraut   mit   allen   Reizen   dieser 


VIII  

Verse-Welt ;  und  so  kam  es,  dass  ich  meistens 
seufzend  still  schwieg,  wenn  mir  in  solcher 
Weise  der  Meister  auf  den  Tisch  gespielt 
wurde.  Denn  ich  dachte  in  meiner  an- 
muthigen  Bescheidenheit:  dieser  ältere  Herr, 
der  dich  also  anlasset,  hat  womöglich  eine 
noch  gründlichere  und  intimere  Kenntnis  von 
Goethes  Lyrik  als  du,  und  da  kannst  du 
es  ihm  nicht  verdenken,  wenn  er  so  leicht 
nichts  anderes  gelten  lassen  mag. 

Da  konnte  es  mir  nun  aber  passiren,  dass 
ich  —  wenn  ich  mir  etwa  doch  ein  Herz  fasste 
und  einem  solchen  Goethereifen  durch  Citate 
zu  belegen  suchte,  wie  realistisch  in  meinem 
Sinne,  das  heisst  wie  wonnig  individuell  dieser 
classische  Lyriker  gewesen  sei  —  dass  ich 
da  fand :  er  kannte  sie  gar  nicht,  diese  Lyrik ; 
er  kannte  von  allem  das  Eine  nicht,  ihre 
wundervollste,  ihre  vornehmste  Eigenschaft  — 
er  wusste  nicht,  wie  nothwendig,  wie  unmittel- 
bar erlebt  diese  Verse  waren. 

Im  besten  Falle  waren  ihm  eine  Anzahl 
von  isolirten  »schönen«  Gedichten  in  der 
Erinnerung,  sei  es,  dass  er  sie  auf  der  Schule 
einst  zu  fest  gelernt  hatte,  sei  es,  dass  seine 
Töchter  sie  unentwegt  zum  Claviere  sangen 
—  aber  von  dem  organischen  Zusammenhange 
dieser  Dichtungen,  von  dem  Leben  in  Versen, 
das  darin  aufgezeichnet  steht,  davon  hatte  er 


IX 


keine  Ahnung,  und  gerade  die  naiv-herrlichsten 
Ergüsse  des  jungen  Dichters,  Verse  wie: 

»Denn  dein  Herz  hat  viel  und  gross  Begehr, 
Was  wohl  in  der  Welt  fttr  Freude  war. 
Allen  Sonnenschein  und  alle  Bäume, 
Alles  Meergestad  und  alle  Träume 
In  dein  Herz  zu  fassen  miteinander  .  .  .< 

die  waren  ihm  einfach  unbekannt.  — 

Und  so  merkte  ich  denn  mit  der  Zeit, 
dass  der  grosse  Ruhm,  dessen  sich  der  Lyriker 
Goethe  bei  den  gemüthvollen  Deutschen  zu 
erfreuen  hat,  nichts  anderes  ist,  als  eine  fable 
convenue. 

Es  klingt  zwar  ungeheuerlich,  wenn  man 
bedenkt,  in  welch  ungezählten  Exemplaren 
»Goethes  sämmtliche  Werke«  seit  nun  bald 
vier  Generationen  von  den  Familien  ange- 
schafft worden  sind  und  noch  immer  ange- 
schafft werden  —  aber  dennoch  ist  es  buch- 
stäblich wahr:  das  deutsche  Publicum  kennt 
Goethes  Lyrik  nicht. 

Woran  liegt  dass? 

Nun,  natürlich,  am  deutschen  Publicum.  Es 
wird  eben  immer  das  »liebe«  bleiben. 

Gewiss.  —  Aber  nur  an  ihm?  Sollte  es 
nicht  vielleicht  auch  ein  wenig  an  —  »Goethes 
sämtlichen  Werken«  liegen?  — 

Mir  fiel  da  ein,  wie  oft  ich  selbst  vor 
Zeiten    den    ersten    oder   zweiten    Band    der 


»     I 


G  OE  THE-  BRE  VIER 


XIV  

schicklichst  weiter  betrieben  und  durch  die 
Ausgabe    letzter    Hand    entgiltig    sanctionirt. 

Es  wird  einem  schon  ganz  kalt,  wenn 
man  nur  die  Titel  der  einzelnen  Abtheilungen 
recht  auf  sich  wirken  lässt:  »Antiker  Form 
sich  nähernd«  —  »Parabolisch«  —  »In- 
schriften, Denk-  und  Sendeblätter«   .  .  . 

Eines  der  frischesten  kleinen  Lieder  an 
Friederike  ist  gewiss  das : 

»Jetzt  fühlt  der  Engel,  was  ich  fühle, 
Ihr  Herz  gewann  ich  mir  beim  Spiele  — 
Und  sie  ist  nun  von  Herzen  meini 
Du  gabst  mir,  Schicksal,  diese  Freude: 
Nun  lass  auch  morgen  sein  wie  heute 
Und  lehr  mich  ihrer  wUrdig  sein  I 

Und  wo  findet  man  das?  —  Im  sechsten 
Bande  der  sämmtlichen  Werke  unter  dem 
fürchterlichen  Rubrum: 

»Alles 

an  Personen   und  zu  festlichen  Gelegenheiten 

Gedichtete  enthaltend.« 

Und  zwar  steht  es  da  mitten  unter  dem  aller- 

ödesten  Wortgeklapper. 

Die  für  unser  modernes  Empfinden  einzig 
mögliche  Anordnung  der  Goetheschen  Lyrik 
ist  die  chronologische.  Die  Herren  Philo- 
logen haben  soviel  aufopfernden  Fleiss  darauf 
verwendet,  die  Daten  der  einzelnen  Gedichte 
zu  eruiren,  dass  eine  solche  Anordnung  heute 


XV 


bereits  wohl  möglich  ist.  Man  könnte  sich 
nun  wundern,  dass  die  Herren  nach  allen  ihren 
sauren  Vorarbeiten  nicht  selber  darauf  ge- 
kommen sind,  eine  solche  chronologisch  ge- 
ordnete Ausgabe  zu  veranstalten:  aber,  du 
lieber  Gott!  — :  worauf  kommen  Philologen 
alles  nichtl  — 

Als  ich  in  diesem  Frühjahr  die  Festtage 
der  Goethe-Gesellschaft  in  Weimar  mitfeierte, 
war  ich  —  in  dem  zarten  Alter  von  dreissig 
Jahren  stehend  —  der  jüngste  unter  den 
Jubelnden  —  die  erdrückende  Majorität  der 
Theilnehmer  bewegte  sich  zierlich  um  die 
Wende  des  sechzigsten  Lebensjahres. 

Diese  Greisenhaftigkeit  in  der  heutigen 
Goethe- Verehrung  ist  ein  recht  bedenkliches 
und  trauriges  Zeichen:  und  da  ich  Johann 
Wolfgang  Goethe  von  ganzem  Herzen  liebe, 
fasste  ich  den  Entschluss,  nach  meinen 
Kräften  etwas  dafür  zu  thun,  dass  er  für 
meine  Generation  lebendig  bliebe. 

Und  ich  kam  zu  der  Ueberzeugung,  dass 
mehr  als  zwanzig  gelehrte  Goethe-Jahrbücher, 
voll  des  spitzigsten  Scharfsinns,  eine  einzige 
Ausgabe  der  Gedichte  leisten  könne,  die  dem 
naiven  GeniesssenwoUen  ohne  Prätensionen  ent- 
gegenkommt. 

Für  solch  ein  Buch  gab  es  nur  eine  Richt- 
schnur: den  eigenen  Geschmack.     Ich  musste 


XVI 

ein  Buch  schaffen  —  ganz  für  mich:  je  will- 
kürlicher und  individueller,  desto  besser  — : 
desto  frischer  wird  es  wirken! 

Ich  möchte  nicht  aus  der  Schule  plaudern, 
aber  ich  weiss  es  nur  zu  gut  — :  auch  unter 
meinen  Freunden,  auch  unter  Euch,  meine 
Lieben,  ist  so  mancher,  für  den  dieses  Buch 
den  Reiz  der  Neuheit  haben  dürfte  —  und 
icfi  hege  die  stille,  süsse  Hoffnung,  dass  ge- 
rade jetzt,  wo  der  Grössenwahn  des  Natura- 
lismus in  so  erfreulichem  Abdampfen  begriffen 
ist,  Euch  dieses  schlichte  Goethe-Brevier  eine 
liebe  und  erfrischende  Gabe  sein  wird. 

Denn  nichts  anderem  als  dem  Genuss  — 
dem  lebendigen  Genuss  ewig  herrlicher  Verse 
—  soll  dieses  Buch  dienen.  Und  das  wird 
es:  denn  es  gibt  klarer  und  plastischer,  als 
ich  selber  es  vorher  ahnte,  ein  tagebuchartiges 
Bild  von  dem  Leben  eines  grossen  Dichters, 
von  dem  Wesen  einer  grossen  Persönlichkeit! 

Zürich^  Auglist  i8g4» 


Vorwort  zur  zweiten  Auflage. 


ochon  im  September  vorigen  Jahres  sollte 
dieses  neue  Goethe-Brevier  erscheinen  — 
nun  ist  es  wieder  Hochsommer  geworden,  bis 
es  endlich  heraus  kommt.  Doch  meine  Freunde 
werden  mir  diese  Verzögerung  verzeihen,  denn 
sie  wissen,  was  für  ein  fürchterlicher  Winter 
hinter  mir  liegt.  Lange  genug  habe  ich  daran 
gezweifelt,  dass  ich  wieder  lebensfähig  werden 
würde,  und  erst  als  der  Frühling  wirklich  und 
wahrhaftig  doch  noch  einmal  ins  Land  ge- 
zogen kam  und  mir  der  Bodensee  zu  treu- 
herziger Bestätigung  lebendige  Blüthenbäume 
widerspiegelte,  dürft  ich  nach  und  nach  daran 
glauben,  dass  ich  noch  weiter  mitmachen  solle. 

Im  Frtthling  ward  die  Welt 
verneut  und  wieder  bracht  — 

Drum  sagst  du  recht,  dass  sie 
im  Frtthling  ist  gemacht. 


XVIII 

Was  kann  ich  nun  wohl  den  Freunden 
Schöneres  als  erstes  Zeichen  vom  neuge- 
schenkten Leben  geben  als  diese  Bearbeitung 
meines  Goethe-Breviers  I 

Die  letzte  Zeit  hat  ja  auch  Goethe  selbst 
seine  schweren  Schicksale  durchmachen  müssen. 
Es  geht  zu  Herzen,  wenn  man  blos  überdenkt, 
was  er  alles  für  Freunde  gewonnen  hat! 
Von  dem  lehrhaft  thätigen  Manne,  der  mitten 
im  lebendigen  Ideenkampfe  der  Zeit  steht, 
bis  zu  den  conditorblütigen  Tändelböckchen 
und  den  feierlich  schlappen  Zierdichtern  haben 
sie  alle  seinen  Namen  auf  ihrer  Fahnen  und 
Fähnlein  geschrieben. 

Aber  das  ist  ganz  lustig  so  und  kann  uns 
recht  sein.  Alles  Possierliche  beim  Menschen 
sollte  man  als  arterhaltend  mit  besondrer 
Liebe  pflegen.  Solcherlei  Weltbegebenheiten 
und  ihre  Betrachtung  würden  mich  jedoch 
kaum  veranlasst  haben,  ein  neues  Goethe- 
Brevier  herauszugeben.  Hierzu  brachte  mich 
einerseits  das  Drängen  meines  Verlegers, 
der  schon  seit  Langem  eine  Neuauflage  des 
vielbegehrten,  vergriffenen  Buches  veranstalten 
wollte,  und  andrerseits  —  und  das  war  die 
Hauptsache,  dass  mir  selber  mein  altes  Brevier 
nicht  mehr  genügte.  Was  fehlte  mir  da  nicht 
Alles,  was  ich  im  Laufe  dieser  letzten  schönen 
Entwicklungsjahre  verstehen  und  lieben  gelernt 
hatte. 


XIX  

Freund,  so  du  etwas  bist, 

so  bleib  doch  ja  nicht  stehn  — 

man  muss  aus  einem  Licht 
fort  in  das  andre  gehn. 

In  unserem  Ringen  nach  einer  einheitlichen 
Weltanschauung,  die  uns  die  alte  von  Jen- 
seits, Tod  und  Teufel  ersetzen  könnte,  ist  uns  der 
alternde  und  alte,  der  Goethe  des  neunzehnten 
Jahrhunderts  ein  mächtiger  Bundesgenosse.  Er 
hat  es  im  Innersten  erlebt,  dass  wir  zu  unsrer 
Not  und  Lust  durch  die  hohle  Gasse  der  exacten 
Naturwissenschaft  hindurchmüssen,  wenn  wir 
zu  jener  uns  im  Herzen  verhiessenen,  uns  erst 
erfüllenden  »Tagesansicht«  gelangen  wollen 
—  es  führt  kein  andrer  Weg  nach  Küssnacht. 
Und  wir  möchten  doch  alle  nach  Küssnacht. 

Jede  Bereicherung  unseres  Wissens  von  der 
Natur  —  ein  tieferes  Eindringen  in  das  Wesen 
Gottes,  jeder  neue  Beleg  des  Psychischen  durch 
eine  physische  Parallele  —  ein  weiterer  Aus- 
blick auf  die  Allbeseeltheit  der  Materie : 
nur  so  konnte  Goethe  »materialistisch«  denken, 
und  dass  es  Menschen  geben  könne,  die 
dieser  Weg  zur  Trostlosigkeit,  zum  Pessimismus 
zu  führen  im  Stande  sei,  hat  er  wohl  lächelnd 
nie  geglaubt. 

Was  kann  der  Mensch  im  Leben  mehr  gewinnen, 

Als  dass  sich  Gott-Natur  ihm  offenbare  — 

< 

Wie  sie  das  Feste  lässt  zu  Geist  verrinnen, 
Wie  sie  das  Geisterzeugte  fest  bewahre. 


XX 


Dieser  Goethe  des  neunzehnten  Jahrhun- 
derts, der  mächtige  Bundesgenosse  unserer 
ernstesten  Stunden  —  fehlte  zwar  auch  im 
alten  Brevier  nicht  ganz,  trat  aber  nicht  so 
hervor,  wie  er  mir  heute  Noth  thut. 

Oder  um  es  Berlinerisch  zu  sagen  — 
es  sind  eben  doch  gute  sieben  Jahre  ber^ 
dass  ich  die  damalige  Auswahl  traf  —  und 
zwar  sieben  nicht  gerade  magere  Jahre.  In 
einer  sehr  netten  Tragödie  von  Oscar  Blumen- 
thal —  den  TiteJ  hab  ich  leider  vergessen  — 
kommt  ein  Cactus  vor,  der  alle  sieben  Jahre 
einmal  blüht  und  derAfricareisende,  der  ihn  mit- 
gebracht hat,  setzt  dem  Publikum  auseinander, 
dass  auch  der  Mensch  alle  sieben  Jahre  —  eigent- 
lich eine  ganz  neue  Pflanze  vorstelle,  schon 
rein  physisch  sei  keine  Zelle  auf  der  anderen 
geblieben.  Ich  erinnere  mich,  dass  ich  diese 
Symbolik  schon  damals  recht  ergreifend  fand 
und  möchte  sie  heute  bescheidentlich  auf 
mich  anwenden.  Mao  ist  eben,  genau  besehn, 
gar  nicht  mehr  der  alte  Cactus.  — 

Ich  hoffe,  dass  meinen  Freunden  in  diesem 
neuen  Buche  nicht  mehr  allzuviel  fehlen  wird. 
Ich  habe  die  verschiedenartigsten  Wünsche, 
soweit  ich  sie  nachfühlen  konnte,  berücksichtigt. 
Fallen  gelassen  ist  keins  der  Gedichte  der 
ersten  Ausgabe,  es  sind  nur  erheblich  viele 
neu  eingereiht.  Und  noch  ein  Wunsch  ordnungs- 
liebender Seelen  ist  erfüllet  worden:  ein  alpha- 


XXI 

betisches     Register     aller    Versanfange     und 
sämmtlicher  Titel  ist  hinzugekommen. 

Aber  nicht  blos  bereichert,  sondern,  wie 
ich  denke,  auch  verbessert  ist  das  neue 
Goethe-Brevier.  Falsche  Daten  sind  berichtigt 
und  die  Lesarten  gründlich  nachgesehen 
worden.  Die  älteren  Fassungen  sind  vielfach 
bevorzugt  —  jedoch  ohne  dass  sie  rigoros 
eingeführt  wären.  Auch  darin  hab  ich  mich 
lediglich  vom  eigenen  Geschmack  leiten 
lassen.  Wohl  aber  habe  ich  dabei  einen 
sehr  werthvoUen  Mitarbeiter  gehabt,  einen 
Mann  der  zünftigsten  Wissenschaft,  den  Zwang* 
losen,  Otto  Pniower  Dr.  phil.,  den  das  Brevier 
bei  seinem  Erst-Erscheinen  noch  jüngst  sein 
Wesen  witzig  sah  verneinen  —  einen  Goethe- 
Gelehrten  von  intangibler  Akribie.  Ihm  sage 
ich  hiermit  für  seine  viele  Mühe  und  grosse 
Liebenswürdigkeit  meinen  herzlichen  Dank. 

Rom  28.  Juli   1901. 


Otto  Erich  Hartleben 


Vorbemerkung  zur  dritten  Auflage. 


Die  vorliegende  Auflage  dieses  Buches 
—  fünftes  und  sechstes  Tausend  —  wurde 
nach  dem  vorzeitigen  Tode  Hartlebens  getreu 
nach  der  von  ihm  noch  redigirten  zweiten 
Auflage  von  1901  im  Auftrage  des  Herrn 
Verlegers  von  dem  Unterzeichneten  besorgt. 

München,  im  Herbst  1905. 


Georg  Muschner. 


Brief  an  Cornelie,  Leipzig,  75.  Mai  i^Cj, 


An  meine  Mutter. 

Ubgleich    kein    Gruss,     obgleich    kein    Brief 

von  mir 
So  lang  dir  kommt,  lass  keinen  Zweifel  doch 
Ins  Herz,  als  war  die  Zärtlichkeit  des  Sohns, 
Die  ich  dir  schuldig  bin,  aus  meiner  Brust 
Entwichen.    —    Nein,    so   wenig  als  der  Fels, 
Der  tief  im  Fluss  vor  ewgem  Anker  liegt. 
Aus  seiner  Stätte  weicht,    obgleich   die  Fluth 
Mit  stürmschen  Wellen  bald,  mit  sanften  bald 
Darüber  fliesst  und  ihn  dem  Aug  entreisst  — 
So  wenig  weicht  die  Zärtlichkeit  fiir  dich 
Aus  meiner  Brust,  obgleich  des  Lebens  Strom, 
Vom    Schmerz     gepeitscht,     bald    stürmend 

drüber  fliesst 
Und,   von  der  Freude   bald  gestreichelt,    still 
Sie  deckt  und  sie  verhindert,  dass  sie  nicht 
Ihr  Haupt  der  Sonne  zeigt  und  ringsumher 
Zurückgeworfne  Strahlen  trägt  und  dir 
Bei  jedem  Blicke  zeigt,   wie    dich  dein  Sohn 

verehrt. 


Hiirtlebeii,  Goethti-Brevier 


Käthchen  Schönkopf.    —  Leipzigs  Frühjahr  1767. 

An  den  Schlaf. 

Uer  du  mit  deinem  Mohne 
Der  Götter  Augen  zwingst 
Und  Bettler  oft  zum  Throne 
Zum  Mädchen  Schäfer  bringst, 
Hör  mich,  kein  Traumgespinste 
Verlang  ich  heut  von  dir, 
Den  grössten  deiner  Dienste, 
Geliebter,  leiste  mir. 

An  meines  Mädchens  Seite 
Sitz  ich,  ihr  Aug  spricht  Lust. 
Und  unter  neidscher  Seide 
Steigt  fühlbar  ihre  Brust; 
Oft  wären  sie  zu  küssen 
Die  giergen  Lippen  nah, 
Doch  ach,  dies  muss  ich  missen, 
Es  sitzt  die  Mutter  da. 

Heut  Abend  bin  ich  wieder 
Bei  ihr,  o  tritt  herein ! 
Sprüh  Mohn  von  dem  Gefieder, 
Da  schlaf  die  Mutter  ein; 
Blass  werd  der  Lichter  Scheinen, 
Von  Lieb  mein  Mädchen  warm. 
Sink  wie  Mama  in  deinen, 
Ganz  still  in  meinen  Arm. 


Leipzig^  17^7 


Das  Schreien. 

Nach  dem  Italienischen. 

ilinst  ging  ich  meinem  Mädchen  nach 
Tief  in  den  Wald  hinein 
Und  fiel  ihr  um  den  Hals,  und   »Ach! 
Droht  sie,   »ich  werde  schrein.« 

Da  rief  ich  trotzig:  »Ha!  Ich  will 
Den  tödten,  der  uns  stört!«   — 
»Still«,  lispelt  sie,  »Geliebter,  still, 
Dass  ja  dich  niemand  hört!« 


Brief  an  Behrisch^  Leipzig^   Oktober  l'jö'j. 

Hochzeitslied. 

An  meinen  Freund. 

Im  Schlafgemach,  entfernt  vom  Feste, 
Sitzt  Amor  dir  getreu  und  bebt, 
Dass  nicht  die  List  muthwillger  Gäste 
Des  Brautbetts  Frieden  untergräbt. 
Es  blinkt  mit  mystisch  heiigem  Schimmer 
Vor  ihm  der  Flammen  blasses  Gold; 
Ein  Weihrauchswirbel  füllt  das  Zimmer, 
Dr.mit  ihr  recht  gemessen  sollt. 

Wie  schlägt  dein  Herz  beim  Schlag  der  Stunde, 
Der  deiner  Gäste  Lärm  verjagt! 
Wie  glühst  du  nach  dem  schönen  Munde, 
Der  bald  verstummt  und  nichts  versagt  1 
Du  eilst,  um  alles  zu  vollenden, 
Mit  ihr  ins  Heiligthum  hinein; 
Das  Feuer  in  des  Wächters  Händen 
Wird  wie  ein  Nachtlicht  still  und  klein. 

Wie  bebt  von  deiner  Küsse  Menge 
Ihr  Busen  und  ihr  voll  Gesicht! 
Zum  Zittern  wird  nun  ihre  Strenge : 
Denn  deine  Kühnheit  wird  zur  Pflicht. 
Schnell  hilft  ihr  Amor  sich  entkleiden 
Und  ist  nicht  halb  so  schnell  als  du  — 
Dann  hält  er  schalkhaft  und  bescheiden 
Sich  fest  die  beiden  Augen  zu. 


Leipzigs  Mai  1^68. 


Die  Nacht. 

Ijern  verlass  ich  diese  Hütte, 
Meiner  Liebsten  Aufenthalt, 
Wandle  mit  verhülltem  Tritte 
Durch  den  ausgestorbnen  Wald: 
Luna  bricht  die  Nacht  der  Eichen, 
Zephyrs  melden  ihren  Lauf, 
Und  die  Birken  streun  mit  Neigen 
Ihr  den  süssten  Weihrauch  auf. 

Schauer,  der  das  Herze  fühlen, 
Der  die  Seele  schmelzen  macht, 
Flüstert  durchs  Gebüsch  im  Kühlen 
Welche  schöne,  süsse  Nacht ! 
Freude!  Wollust  1  Kaum  zu  fassen! 
Und  doch  wollt  ich,  Himmel,  dir 
Tausend  solcher  Nächte  lassen, 
Gab  mein  Mädchen  Eine  mir! 


I^ipzt'gi    Somtner  1768, 


Das  Glück, 

An  Käthchen  Schönkopf. 

JJu  hast  uns  oft  im  Traum  gesehen 

Zusammen  zum  Altare  gehen, 

Und  dich  als  Frau  und  mich  als  Mann. 

Oft  nahm  ich  wachend  deinem  Munde 

In  einer  unbewachten  Stunde, 

So  viel  man  Küsse  nehmen  kann. 

Das  reinste  Glück,  das  wir  empfunden. 
Die  Wollust  mancher  reichen  Stunden 
Floh  wie  die  Zeit  mit  dem  Genuss. 
Was  hilft  es  mir,  dass  ich  geniesse? 
Wie  Träume  fliehn  die  wärmsten  Küsse, 
Und  alle  Freude  wie  ein  Kuss. 


Leipzigs  Spätsommer  iy68. 


Unbeständigkeit 

Im  spielenden  Bache  da  lieg  ich  wie  helle! 

Verbreite  die  Arme  der  kommenden  Welle, 

Und  buhlerisch  drückt  sie  die  sehnende  Brust; 

Dann  trägt  sie  ihr  Leichtsinn  im  Strome  da- 
nieder, 

Schon  naht  sich  die  zweite  und  streichelt  mich 

wieder : 

Da   fühl    ich    die    Freuden    der   wechselnden 

Lust. 

O  Jüngling  sei  weise,  verwein  nicht  vergebens 
Die  fröhlichsten  Stunden  des  traurigen  Lebens, 
Wenn  flatterhaft  je  dich  ein  Mädchen  vergisst! 
Geh,  ruf  sie  zurücke,  die  vorigen  Zeiten! 
Es  küsst  sich  so  süsse  der  Busen  der  zweiten. 
Als  kaum  sich  der  Busen  der  ersten  geküsst. 


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An  Friederike  Oeser 


An  Friederike  Oeser. 

Franltfurt,  am  6.  November  1768. 

Mamsell! 

So   launisch  wie    ein  Kind,    das 
zahnt, 

Bald  schüchtern  wie  ein  Kaufmann,  den  man 

mahnt, 

Bald  still  wie  ein  Hypochondrist 

Und  sittig  wie  ein  Mennonist 

Und  folgsam  wie  ein  gutes  Lamm, 

Bald  lustig  wie  ein  Bräutigam, 

Leb    ich   und   bin   halb    krank  und  halb  ge- 
sund, 

Am    ganzen    Leibe    wohl,  nur    in  dem  Halse 

wund, 

Sehr  missvergnügt,  dass  meine  Lunge 

Nicht  so  viel  Atem  reicht,  als  meine  Zunge 

Zu   manchen    Zeiten    braucht,    wenn   sie   mit 

Stolz  erzählt. 

Was  ich  bei  euch  gehabt,  und  was  mir  jetzt 

hier  fehlt. 

Da  sucht   man    nun    mit  Macht  mir  neues 

Leben 
Und  neuen  Muth  und  neue  Kraft  zu  geben ; 


8 


nach  der  Rückkehr  aus  Leipzig. 


Darum  reichet  mir  mein  Doctor  Medicinae 
Extracle  aus  der  Cortex  Chinae, 
Die  junger  Herrn  erschlaflfte  Nerven 
An  Augen,  Fuss  und  Hand 
Aufs  Neue  stärken,  den  Verstand 
Und  das  Gedächtniss  schärfen. 

Besonders  ist  er  drauf  bedacht, 
Durch  Ordnung  wieder  einzubringen, 
Was  Unordnung  so  schlimm  gemacht, 
Und  heisst  mich  meinen  Willen  zwingen. 

« 
»Bei  Tag  und  sonderlich  bei  Nacht 

Nur  an  nichts  Reizendes  gedacht!« 

Welch  ein  Befehl  für  einen  Zeichnergeist, 

Den  jeder  Reiz  bis  zum  Entzücken  reisst! 

Des  Bouchers  Mädchen  nimmt  er  mir 

Aus  meiner  Stube,  hängt  dafür 

Mir  eine  abgelebte  Frau 

Mit    riefigem    Gesicht,    mit    halbzerbrochnem 

Zahne, 

Vom  fleissig  kalten  Gerhard  Dow 

An  meine  Wand;  langweilige  Tisane 

Setzt  er  mir  statt  des  Weins  dazu. 

O,  sage  du! 
Kann  man  was  Traurigers  erfahren : 
Am  Körper  alt  und  jung  an  Jahren, 
Halb  siech  und  halb  gesund  zu  sein? 


An  Friederike   Oeser 


Das  giebt  so  melancholsche  Laune. 
Und  ihre  Pein 

Würd    ich  nicht  los,    und    hätt   ich  sechs  Al- 
raune. 
Was  nützte  mir  der  ganzen  Erde  Geld? 
Kein  kranker  Mensch  geniesst  die  Welt. 

Und  dennoch  wollt  ich  gar  nicht  klagen, 
(Denn  ich  bin  schon  im  Leiden  sehr  geübt), 
Hätt  ich  nur  das,  was  uns  die  Plagen, 
Die  Last  der  Krankheit  zu  ertragen. 
Mehr  Kraft  als  selbst  die  Tugend  giebt: 
Verkürzung  grauer  Regenstunden, 
Balsamsches  Pflaster  aller  Wunden, 
Gesellschaftsgeister,  die  man  liebt! 

Zwar  hab  ich  hier  an  meiner  Seite 
Beständig  rechte  gute  Leute, 
Die  mit  mir  leiden,  wenn  ich  leide. 
Sie  sorgen  mir  für  manche  Freude, 
Es  fehlt  mir  nur  an  mir,    um   recht  beglückt 

zu  sein ; 
Und  dennoch  kenn  ich  niemand,  der  die  Pein 
Des  Schmerzens  so  behende  stillt,  die  Ruh 
Mit  einem  Blick  der  Seele  schenkt  wie  du. 

Ich  kam  zu  dir,  ein  Todter  aus  dem  Grabe, 
'  Den  bald    ein  zweiter  Tod  zum  zweiten  Mal 

begräbt ; 


10 


nach  der  Rückkehr  aus  Leipzig, 


Und  wem  er  nur  einmal  recht  nah  ums  Haupt 

geschwebt, 
Der  bebt 

Bei  der  Erinnerung  gewiss,  so  lang  er  lebt. 
Ich  weiss,  wie  ich  gezittert  habe! 
Doch  machtest  du  mit  deiner  süssen  Gabe 
Ein  Blumenbeet  mir  aus  dem  Grabe, 
Erzähltest  mir,  wie  schön,  wie  kummerfrei, 
Wie  gut,  wie  süss  dein  selig  Leben  sei. 
Mit  einem  Ton  von  solcher  Schmeichelei, 
Dass  ich,    was  mir  das  Elend  jemals   raubte. 
Weil  du's  besass'st,  selbst  zu  besitzen  glaubte. 
Zufrieden  reist  ich  fort  und,  was  noch    mehr 

ist,  froh. 
Und  ganz  war  meine  Reise  so. 

Ich  kam  hierher  und  fand  das  Frauenzimmer 
Ein  bisschen  —  ja,  man  sagts  nicht  gern  — 

wie  immer; 
G'nug,  bis  hierher  hat  keine  mich  gerührt. 
Zwar  sag  ich  nicht,   was  einst  Herr  Schübler 
Von  Hamburgs  Schönen  prädicirt, 
Doch  bin  auch  ich  ein  starker  Grübler, 
Seitdem  ihr  Mädchen  mich  verführt. 
Die  ich  wohl  schwerlich  je  vergesse. 
Und  da  begreifst  du  wohl,   dass   jede   leicht 

verliert. 
Die  ich  nach  eurem  Massstab  messe. 
Du  lieber  Gottl  An  Munterkeit  ist  hie, 


11 


An  Friederike    Oeser 


An    Einsicht   und    an  Witz    dir  keine   einzge 

gleich, 
Und  deiner  Stimme  Harmonie, 
Wie  käme  die  heraus  ins  Reich! 

So  ein  Gespräch,  wie  unsers  war  im  Garten 
Und  in  der  Loge  noch,    mit    diesem   seltnen 

Zug, 
So  aufgeweckt  und  doch  so  klug, 
Ja,  darauf  kann  ich  warten ! 

Bin  ich  bei  Mädchen  launisch  froh, 
So  sehn  sie  sittenricht'risch  sträflich ; 
Da  heissts:  der  Herr  ist  wohl  aus  Bergamo? 
Sie  sagens  nicht  einmal  so  höflich. 
Zeigt   man  Verstand,   so   ist   auch   das    nicht 

recht ; 
Denn  will  sich  einer  nicht  bequemen. 
Des  Grandisons  ergebner  Knecht 
Zu  sein  und  alles  blindlings  anzunehmen. 
Was  der  Diktator  spricht. 
Den  lacht  man  aus,  den  hört  man  nicht, 

Wie   seid    ihr   nicht    so    gut,    so    euch    zu 

bessern  willig, 
Auf  eigne    Fehler  streng    und  gegen    fremde 

billig. 
Und  zum  Gefallen  ohnbemüht  — 
Ist  niemand,  den  ihr  nicht  gewönnet! 


12 


nach  der  Rückkehr  aus  Leipzig, 


Ah,  man  ist  euer  Freund,  so  wenig  man  euch 

kennet, 
Man  liebt  euch,  eh  man  sichs  versieht. 
Mit  einem  Mädchen  hier  zu  Lande 
Ists  aber  ein  langweilig  Spiel: 
Zur  Freundschaft  fehlt's  ihr  am  Verstände, 
Zur  Liebe  fehlt's  ihr  am  Gefühl.   — 

Drauf  ging  ich  ganz  gewiss,  hätt  ich  nicht 

so  viel  Laune, 
Brach    ich  mir   nicht    gar  manche  Lust    vom 

Zaune, 
Lacht  ich  nicht  da,  wo  keine  Seele  lacht, 
Und  dächt  ich  nicht,    dass  ihr   schon  oft  an 

mich  gedacht. 

Ja,  denken  müsst  ihr  oft  an  mich,  das  sage 
Ich  euch:  besonders  an  dem  Tage, 
Wenn  ihr  auf  eurem  Landgut  seid. 
Dem  Ort,  der  mir  so  manche  Plage 
Gemacht,  dem  Ort,  der  mich  so  sehr  erfreut. 

Doch  du  verstehst  mich  nicht;  ich  will  es 

dir  erklären, 
Ich  weiss  doch,  du  verzeihst  es  mir: 
Die  Lieder,  die  ich  dir  gegeben,  die  gehören 
Als  wahres  Eigenthum  dem  schönen  Ort  und 

dir. 


13 


An  Friederike  Oeser 


Wenn  mich  mein  böses  Mädchen  plagte, 
Wenn  der  Verdruss  mich  aus  den  Mauern  jagte, 
War  ich  verwegen  g*nug  und  wagte, 
Dich  aufzusuchen,  eh  es  tagte. 
Auf  deinen  Feldern,  die  du  liebst. 
Die  du  mir  oft  so  schön  beschriebst. 

Da  ging  ich  nun  in  deinem  Paradiese, 
In  jedem  Holz,  auf  jeder  Wiese, 
Am  Fluss,  am  Bach,  das  hoffende  Gesicht 
Vom  Morgenstrahl  geschminkt,  und  sucht  und 

fand  dich  nicht. 

Dann  schlug  ich,  angereizt  von  launischem 

Verdrusse, 
Den  armen  Frosch  am  sonnbestrahlten  Flusse ; 
Dann  jagt  ich  rings  umher  und  fing 
Bald  einen  Reim,  bald  einen  Schmetterling, 

Und  mancher  Reim  und  mancher  Schmetter- 
ling 
Entging 

Der  ausgestreckten  Hand,  die  mitten 
In  ihrem  Haschen  stille  stand. 
Wenn  aus  dem  Wald  von  Stimmen  oder  Tritten 
Den  Schall  mein  lauschend  Ohr  empfand. 

Am  Tage  sang  ich  diese  Lieder, 
Am  Abend  ging  ich  wieder  heim, 


14 


nach  der  Rückkehr  aus  Leipzig, 


Nahm  meine  Beder,  schrieb  sie  nieder, 
Den  guten  und  den  schlechten  Reim. 

O  ft  kehrt  ich  noch  mit  immer  schlechterm 

Glücke 
Auf  die  fatale  Flur  zurücke, 
Bis  mir  zuletzt  das  günstige  Geschicke 
Noch  einen  Tag,  den  ich  nicht  hoffte,  gab. 
Doch  ich  genoss  sie  kaum,  die  süssen  letzten 

Stunden, 
Sie  waren  gar  zu  nah  am  Grab ! 
Ich  sage  nicht,  was  ich  empfunden; 
Denn  mein  prosaisches  Gedicht 
Stimmt    dieses    Mal     sehr    zur     Empfindung 

nicht.  —  — 

Du  hast  die  Lieder  nun  und  zur  Belohnung 
Für  alles,  was  ich  für  dich  litt: 
Besuchst  du  deine  selge  Wohnung, 
So  nimm  sie  mit ! 

Und  sing  sie  manchmal  an  den  Orten 
Mit  Lust,  wo  ich  aus  Schmerz  sie  sang  ; 
Dann  denk  an  mich  und  sage:  dorten 
Am  Flusse  wartete  er  lang, 
Der  Arme,  der  so  oft  mit  ungewognem  Glücke 
Die  schönen  Felder  fühllos  sah ! 
Kam  er  in  diesem  Augenblicke  — 
Eh  nun:  jetzt  war  ich  da! 


15 


An  Friederike  Oeser. 


Jetzt,   dächt   ich  nun,  wärs  hohe  Zeit  zum 

Schliessen ; 
Denn  wenn  man  so  zwei  Bogen  Reime  schreibt, 
Da  wollen  sie  zuletzt  nicht  fliessen. 
Doch  warte  nur,  wenn  mich  die  Laune  treibt, 
Und  deine  Gunst  mir  sonst  versichert  bleibt, 
So  schreib  ich   dir   noch  manchen   Brief  wie 

diesen. 

Willst  du  mir  die  Geschwister  grüssen, 
So  schliesse  Richtern  auch  mit  ein ! 
Leb  wohl  1  Und  wird  das  Glück  dein  Freund 

beständig  sein 
Wie    ich,    so    wirst    du    stets    des   schönsten 

Glücks  sreniessen. 


ö' 


Goethe, 


4k 


16 


Frankfurt^  Frühjahr  176g, 


liin  zärtlich  jugendlicher  Kummer 

Führt  mich  ins  öde  Feld;  es  liegt 

In  einem  stillen  Morgenschlummer 

Die  Mutter  Erde.     Rauschend  wiegt 

Ein  kalter  Wind  die  starren  Aeste.    Schauernd 

Tönt   er    die  Melodie    zu    meinem    Lied   voll 

Schmerz, 
Und  die  Natur  ist  still  und  trauernd   — 
Doch  hoffnungsvoller  als  mein  Herz. 

Denn  sieh:  bald  gaukelt  dir,  mit  Rosen- 
kränzen 

In  runder  Hand,  du  Sonnengott,  das  Zwillings- 
paar 

Mit  offnem  blauen  Aug,  mit  krausem  goldnen 

Haar 

In   deiner  Laufbahn   dir   entgegen.     Und   zu 

Tänzen 

Auf  neuen  Wiesen  schickt 

Der  Jüngling  sich  und  schmückt 

Den   Hut    mit   Bändern,    und    das    Mädchen 

püückt 

Hartleben,  Goethe-Brevier 

17  2 


Frankfurt,  Frühjahr  176g. 


Die    Veilchen    aus    dem    jungen    Gras,    und 

bückend  sieht 

Sie    heimlich    nach    dem    Busen,     sieht    mit 

Seelenfreude 

Entfalteter  und  reizender  ihn  heute, 

Als  er  vorm  Jahr  am  Maienfest  geblüht    — 

Und  fühlt  und  hofft. 

Gott  segne  mir  den  Mann 
In  seinem  Garten  dort  I  Wie  zeitig  fängt  er  an 
Ein  lockres  Bett  dem  Samen  zu  bereiten! 
Kaum  riss  der  März  das  Schneegewand 
Dem  Wintef  von  den  hagern  Seiten, 
Der  stürmend  floh  und  hinter  sich  aufs  Land 
Den  Nebelschleier  warf,  der  Fluss  und  Au 
Und  Berg  in  kaltes  Grau 
Versteckt:  da  geht  er  ohne  Säumen, 
Die  Seele  voll  von  Emteträumen  — 
Und  sät  und  hofft. 


18 


Friederike,  —  Strassburg,  Herbst  1770, 

r 


Jetzt  fühlt  der  Engel,  was  ich  fühle I  | 

Ihr  Herz  gewann  ich  mir  beim  Spiele,  j 

Und  sie  ist  nun  von  Herzen  mein.  \ 

i 

! 

Du    gabst    mir,    Schicksal,    diese    Freude: 
Nun  lass  auch  Morgen  sein  wie  Heute 
Und  lehr  mich  ihrer  würdig  sein ! 


19 


Aus  Friederike  Brion's  Liederheft.     1770, 


i 


Als  ich  in  Saarbrück. 

W  o  bist  du  itzt,  mein  unvergesslich  Mädchen  ? 

Wo  singst  du  itzt? 
Wo  lacht  die  Flur,  wo  triumphirt  das  Städtchen, 

Das  dich  besitzt? 

Seit  du  entfernt,  will  keine  Sonne  scheinen. 
Und  es  vereint 
Der  Himmel  sich,   dir  zärtlich  nachzuweinen. 
Mit  deinem  Freund. 

All  unsre  Lust  ist  fort  mit  dir  gezogen: 
Still  überall 
In  Stadt  und  Feld :  dir  nach  ist  sie  geflogen, 
Die  Nachtigall. 

O,  komm  zurück!     Schon  rufen  Hirt  imd 

«   Heerden 
Dich  bang  herbei. 
Komm  bald  zurück,  sonst  wird  es  Winter  werden 
Im  Monat  Mai! 


20 


Friederike.   —  Strassburg  ijyo 


Üb  ich  dich  liebe,  weiss  ich  nicht.  — 

Seh  ich  nur  einmal  dein  Gesicht, 

Seh  dir  ins  Auge  nur  einmal. 

Frei  wird  mein  Herz  von  aller  Qual: 

Gott  weiss,    wie   mir   so   wohl  geschieht ! 

Ob  ich  dich  liebe,  weiss  ich  nicht. 


21 


Friederike.  —   Strassburgy  1770. 


Ach,  wie  sehn  ich  mich  nach  dir, 
Kleiner  Engel!  —  Nur  im  Traum, 
Nur  im  Traum  erscheine  mir!  ; 

Ob  ich  da  gleich  viel  erleide, 
Bang  um  dich  mit  Geistern  streite      1 
Und  erwachend  atme  kaum  —  i 

r 

Ach,  wie  sehn  ich  mich  nach  dir, 
Ach,  wie  teuer  bist  du  mir 
Selbst  in  einem  schweren  Traum! 


22 


Friederike.  —  Strasshtirg^  Dezember  1770, 


Nach  Sesenheim. 

Ich  komme  bald,  ihr  goldnen  Kinder I 
Vergebens  sperret  uns  der  Winter 
In  unsre  warmen  Stuben  ein. 

Wir  wollen  uns  zum  Feuer  setzen 
Und  tausendfältig  uns  ergetzen, 
Uns  lieben  wie  die  Engelein. 

Wir  wollen  kleine  Kränzchen  winden, 
Wir  wollen  kleine  Sträusschen  binden  - 
Und  wie  die  kleinen  Kinder  sein! 


^ 


Friederike.   —   Strassburg,  Anfang  ITJI. 


An  die  Schwestern  Marie  und 
Friederike. 

JNun  sitzt  der  Ritter  an  dem  Ort, 
Den  ihr  ihm  nanntet,  liebe  Kinder. 
Sein  Pferd  ging  ziemlich  langsam  fort 
Und  seine  Seele  nicht  geschwinder. 

Da  sitz  ich  nun  vergnügt  bei  Tisch 
Und  endige  mein  Abenteuer 
Mit  einem  Paar  gesottner  Eier 
Und  einem  Stück  gebacknen  Fisch. 

Die  Nacht  war  wahrlich  ziemlich  düster, 
Mein  Falber  stolperte  wie  blind  — 
Und  doch  fand  ich  den  Weg  so  gut,  als  ihn 

der  Küster 
Des  Sonntags  früh  zur  Kirche  findt. 


24 


Willkomm  und  Abschied. 


Willkomm  und  Abschied. 

ts  schlug  mein  Herz,  geschwind  zu  Pferde  1 
Und  fort,  wild,  wie  ein  Held  zur  Schlacht! 
Der  Abend  wiegte  schon  die  Erde, 
Und  an  den  Bergen  hing  die  Nacht. 
Schon  stand  im  Nebelkleid  die  Eiche, 
Ein  aufgethürniter  Riese,  da. 
Wo  Finsterniss  aus  dem  Gesträuche 
Mit  hundert  schwarzen  Augen  sah. 

Der  Mond  von  einem  Wolken hügel 
Schien  schläfrig  aus  dem  Duft  hervor. 
Die  W^inde  schwangen  leise  Flügel, 
Umsausten  schauerlich  mein  Ohr. 
Die  Nacht  schuf  tausend  Ungeheuer, 
Doch  tausendfacher  war  mein  Muth: 
Mein  Geist  war  ein  verzehrend  Feuer! 
Mein  ganzes  Herz  zerfloss  in  Gluth! 

Ich  sah  dich,  und  die  milde  Freude 
Floss  aus  dem  süssen  Blick  auf  mich: 
Ganz  war  mein  Herz  an  deiner  Seite 
Und  jeder  Athemzug  für  dich ! 


25 


Friederike,  —  Strassburg,  Anfang-  1771. 

Ein  rosenfarbnes  Frühlingswetter 

Lag  auf  dem  lieblichen  Gesicht, 

Und  Zärtlichkeit  für  mich  —  ihr  Götter! 

Ich  hofft  es  —  ich  verdient  es  nicht. 

Der  Abschied,  wie  bedrängt,  wie  trübe! 
Aus  deinen  Blicken  sprach  dein  Herz: 
In  deinen  Küssen  —  welche  Wonne  1 
In  deinem  Auge  —  welcher  Schmerz! 
Du  gingst,  ich  stand  und  sah  zur  Erden 
Und  sah  dir  nach  mit  nassem  Blick  — 
Und  doch  —  welch  Glück,  geliebt  zu  werden ! 
Und  lieben  —    Götter!  welch  ein  Glück! 


26 


Maifest, 


Maifest. 

Wie  herrlich  leuchtet 
Mir  die  Natur! 
Wie  glänzt  die  Sonne! 
Wie  lacht  die  Flur! 

Es  dringen  Blüthen 
Aus  jedem  Zweig 
Und  tausend  Stimmen 
Aus  dem  Gesträuch, 

Und  Freud  und  Wonne 
Aus  jeder  Brust  — 
O  Erd,  o  Sonne! 
O  Glück,  o  Lust! 

O  Lieb,  o  Liebe ! 
So  golden  schön, 
Wie  Morgen  wölken 
Auf  jenen  Höhn! 

Du  segnest  herrlich 
Das  frische  Feld, 
Im  Blüthendampfe 
Die  volle  Welt!  — 


27 


Friederike,  —  Strassburg^  Mai  1771. 

O  Mädchen,  Mädchen, 
Wie  lieb  ich  dich! 
Wie  blinkt  dein  Auge ! 
Wie  liebst  du  mich! 

So  liebt  die  Lerche 
Gesang  und  Luft, 
Und  Morgenblumen 
Den  Himmelsduft, 

Wie  ich  dich  liebe 
Mit  warmem  Blut, 
Die  du  mir  Jugend 
Und  Freud  und  Muth 

Zu  neuen  Liedern 
Und  Tänzen  giebst  — 
Sei  ewig  glücklich, 
Wie  du  mich  liebst! 


28 


Friederike,  —  Strassburg^  Frühling  lyyi. 


Mit  einem  gemalten  Band. 

Kleine  Blumen,  kleine  Blätter 
Streuen  mir  mit  leichter  Hand 
Gute  junge  Frühlingsgötter 
Tändelnd  auf  ein  luftig  Band. 

Zephyr,  nimms  auf  deine  Flügel, 
Schlings  um  meiner  Liebsten  Kleid 
Und  so  tritt  sie  vor  den  Spiegel 
All  in  ihrer  Munterkeit! 

Sieht  mit  Rosen  sich  umgeben, 
Selbst  wie  eine  Rose  jung  — 
Einen  Kuss,  geliebtes  Leben, 
Und  ich  bin  belohnt  genungl  — 

Schicksal  segne  diese  Triebe, 
Lass  mich  ihr  und  lass  sie  mein: 
Lass  das  Leben  unsrer  Liebe 
Doch  kein  Rosenleben  sein. 

Mädchen,  das  wie  ich  empfindet, 
Reich  mir  deine  liebe  Handl 
Und  das  Band^  das  uns  verbindet, 
Sei  kein  schwaches  Rosenband  ! 


29 


Friederike,  —  777/  an  Herder  gesandt. 


Heidenröslein. 

oah  ein  Knab  ein  Röslein  stehn, 
Röslein  auf  der  Heiden, 
War  so  jung  und  morgenschön, 
Lief  er  schnell,  es  nah  zu  sehn, 
Sahs  mit  vielen  Freuden. 

Röslein,  Röslein,  Röslein  roth, 
Röslein  auf  der  Heiden. 

Knabe  sprach:   tich  breche  dich 
Röslein  auf  der  Heiden  Ic 
Röslein  sprach:   »ich  steche  dich, 
Dass  du  ewig  denkst  an  mich, 
Und  ich  wills  nicht  leiden.« 

Röslein,  Röslein,  Röslein  roth, 
Röslein  auf  der  Heiden. 

Und  der  wilde  Knabe  brach 
's  Röslein  auf  der  Heiden; 
Röslein  wehrte  sich  und  stach, 
Half  ihr  doch  kein  Weh  und  Ach, 
Musst  es  eben  leiden. 

Röslein,  Röslein,  Röslein  roth, 
Röslein  auf  der  Heiden. 


80 


Der   Wandrer. 


Der  Wandrer. 

Wandrer. 

(jott  segne  dich,  junge  Frau, 

Und  den  säugenden  Knaben 

An  deiner  Brust  1 

Lass  mich  an  der  Felsenwand  hier 

In  des  Ubnbaums  Schatten 

Meine  Bürde  werfen, 

Neben  dir  ausruhn, 

Frau. 

Welch  Gewerbe  treibt  dich 
Durch  des  Tages  Hitze 
Den  staubigen  Pfad  her? 
Bringst  du  Waaren  aus  der  Stadt 
Im  Land  herum?  — 
Lächelst,  Fremdling, 
Ueber  meine  Frage? 

Wandrer. 

Keine  Waaren  bring  ich  aus  der  Stadt. 
Schwül  ist,  schwül  der  Abend : 
Zeig  mir  den  Brunnen, 
Draus  du  trinkest, 
Liebes  junges  Weib! 


81 


der  Rdmerzeit^  in  Resten  von  Basreliefs 

Wandrer. 
Glühend  webst  du 
lieber  deinem  Grabe, 
Genius  1  Ueber  dir 
Ist  zusammengestürzt 
Dein  Meisterstück, 
O  du  Unsterblicher! 

Frau. 
Wart,  ich  hole  das  Gefäss 
Dir  zum  Trinken. 

Wandrer. 
Epheu  hat  deine  schlanke 
Götterbildung  umkleidet. 
Wie  du  emporstrebst 
Aus  dem  Schutte, 
Säulenpaar  1 

Und  du  einsame  Schwester  dort,    . 
Wie  ihr, 

Düstres  Moos  auf  dem  heiligen  Haupt, 
Majestätisch  trauernd  herabschaut 
Auf  die  zertrümmerten 
Zu  euren  Füssen, 
Eure '  Geschwister ! 

In  des  Brombeergesträuches  Schatten 
Deckt  sie  Schutt  und  Erde, 
Und  hohes  Gras  wankt  drüber  hin. 
Schätzest  du  so,  Natur, 
Deines  Meisterstückes  Meisterstück? 


34 


und  Inschriften^  Säulenknäufen  und  Schaf tent^ 

Unempfindlich  zertrümmerst  du 
Dein  Heiligthum? 
Säest  Disteln  drein?  — 

Frau. 

Wie  der  Knabe  schläft !  — 
Willst  du  in  der  Hütte  ruhn, 
Fremdling?     Willst  du  hier 
Lieber  in  dem  Freien  bleiben? 
Es  ist  kühl!  —  Nimm  den  Knaben, 
Dass  ich  Wasser  schöpfen  gehe,  — 
Schlafe,  Lieber  I  schlaf  1 

Wandrer. 

Süss  ist  deine  Ruh!  — 
Wie's,  in  himmlischer  Gesundheit 
Schwimmend,  ruhig  athmet! 
Du,  geboren  über  Resten 
Heiliger  Vergangenheit  — 
Ruh  ihr  Geist  auf  dir! 
Welchen  der  umschwebt, 
Wird  in  Götterselbstgefühl 
Jedes  Tags  geniessen. 
Voller  Keim,  blüh  auf, 
Lieblich  dämmernden  Frühlingstages 
Herrlicher  Schmuck, 
Und  leuchte  vor  deinen  Gesellen! 
Und  welkt  die  BlüthenhüUe  weg, 
Dann  steige  aus  (feinem  Busen 

35  3* 


die  Goethe  auf  der  Rückkehr  von  Saarbrücken, 

Die  volle  Frucht 

Und  reife  der  Sonn  entgegen!  —  — 

Frau. 

Gesegnes  Gottl  —  Und  schläft  er  noch? 
Ich  habe  nichts  zum  frischen  Trunk 
Als  ein  Stück  Brod,  das  ich  dir  bieten  kann. 

Wandrer. 

Ich  danke  dir.  — 
Wie  herrlich  alles  blüht  umher 
Und  grünt! 

Frau. 

Mein  Mann  wird  bald 
Nach  Hause  sein 

Vom  Feld.  —  O  bleibe,  bleibe,  Mann! 
Und  iss  mit  ihm  das  Abendbrot ! 

Wandrer. 
Ihr  wohnet  hier! 

Frau. 

Da,  zwischen  dem  Gemäuer  her. 
Die  Hütte  baute  noch  mein  Vater 
Aus  Ziegeln  und  des  Schuttes  Steinen. 
Hier  wohnen  wir. 
Er  gab  mich  einem  Ackersmann 
Und  starb  in  unsern  Armen.  — 


36 


Ende  Juni  1770^  aus  den  Bauernhöfen 

Hast  du  geschlafen,  liebes  Herz? 
Wie  er  munter  ist  und  spielen  will! 
Du  Schelm ! 

Wandrer. 
Natur!  du  ewig  keimende, 
Schaffst  jeden   zum  Genuss  des  Lebens! 
Hast  deine  Kinder  alle  mütterlich 
Mit  Erbteil  ausgestattet  —  einer  Hütte. 
Hoch  baut  die  Schwalb  an  das  Gesims, 
Unfühlend,  welchen  Zierrath 
Sie  verklebt; 

Die  Raup  umspinnt  den  goldnen  Zweig 
Zum  Winterhaus  für  ihre  Brut; 
Und  du  flickst  zwischen  der  Vergangenheit 
Erhabne  Trümmer 
Für  deine  Bedürfnisse 
Eine  Hütte,  o  Mensch: 
Geniessest   über  Gräbern!  — 
Leb  wohl,  du  glücklich  Weib! 

Frau. 
Du  willst  nicht  bleiben? 

Wandrer. 
Gott  erhalt  euch, 
Segne  euern  Knaben! 

Frau. 
Glück  auf  den  Weg! 


37 


in  Niederbronn  ygar  wundersam  entgegenleuchtetent , 

Wandrer. 
Wohin  führt  mich  der  Pfad 
Dort  übern  Berg? 

Frau. 
Nach  Cuma. 

Wandrer. 
Wie  weit  ists  hin? 

Frau. 
Drei  Meilen  gut. 

Wandrer. 
Leb  wohl!  — 
O  leite  meinen  Gang,  Natur! 
Den  Fremdlings-Reisetritt, 
Den  über  Gräber 
Heiliger  Vergangenheit 
Ich  wandle. 

Leit  ihn  zum  Schutzort, 
Vorm  Nord  gedeckt, 
Und  wo  dem  Mittagsstrahl 
Ein  Pappelwäldchen  wehrt. 
Und  kehr  ich  dann 
Am  Abend  heim 
Zur  Hütte, 

Vergoldet  vom  letzten  Sonnenstrahl, 
Lass  mich  empfangen  solch  ein  Weib, 
Den  Knaben  auf  dem  Arm! 


38 


Wanderers  Sturmlied, 


Wanderers  Sturmlied. 

Wen  du  nicht  verlassest,  Genius, 
Nicht  der  Regen,  nicht  der  Sturm 
Haucht  ihm  Schauer  übers  Herz.    , 
Wen  du  nicht  verlassest,  Genius, 
Wird  dem  Regengewölk, 
Wird  dem  Schlossensturm 
Entgegensingen 
Wie  die  Lerche, 
Du  da  droben! 

Wen  du  nicht  verlassest,  Genius, 
Wirst  ihn  heben  übern  Schlammpfad 
Mit  den  Feuerflügeln! 
Wandeln  wird  er 
Wie  mit  Blumenfüssen 
Ueber  Deukalions  Fluthschlamm, 
Python  tödtend,  leicht,  gross, 
Pythius  Apollo. 

Wen  du  nicht  verlassest,  Genius, 
Wirst  die  woUnen  Flügel  unterspreiten. 
Wenn  erlauf  dem  Felsen  schläft, 
Wirst  mit  Hüterfittichen  ihn  decken 
In  des  Haines  Mitternacht. 


d9 


April  iyy2 .   —   Auf  einer   Wanderung 

Wen  du  nicht  verlassest,  Genius, 
Wirst  im  Schneegestöber 
Wärmumhüllen : 

Nach  der  Wärme  ziehn  sich  Musen, 
Nach  der  Wärme  Charitinnen. 

Umschwebet  mich,  ihr  Musen 
Ihr  Charitinnen  I 
Das  ist  Wasser,  das  ist  Erde 
Und  der  Sohn  des  Wassers  und  der  Erde 
Ueber  den  ich  wandle 
Göttergleich. 

Ihr  seid  rein  wie  das  Herz  der  Wasser, 
Ihr  seid  rein  wie  das  Mark  der  Erde, 
Ihr  umschwebt  mich,  und  ich  schwebe 
Ueber  Wasser,  über  Erde, 
Göttergleich.  —  — 


Soll  der  zurückkehren. 
Der  kleine,  schwarze,  feurige  Bauer? 
Soll  der  zurückkehren,  erwartend 
Nur  deine  Gaben,  Vater  Bromius, 
Und  hellleuchtend,  umwärmend  Feuer? 
Der  kehren  muthig? 
Und  ich,  den  ihr  begleitet, 
Musen  und  Charitinnen  alle, 
Den  alles  erwartet,  was  ihr, 


40 


von  Darmstadt  nach  Frankfurt. 


Musen  und  Charitinnen, 
Umkränzende  Seligkeit 
Rings  ums  Leben  verherrlicht  habt, 
Soll  muthlos  kehren? 

Vater  Bromius ! 
Du  bist  Genius, 
Jahrhunderts  Genius, 
Bist,  was  innre  Gluth 
Pindarn  war, 
Was  der  Welt 
Phöbus  Apoll  ist. 

Weh!  Weh!  Innre  Wärme, 
Seelenwärme, 
Mittelpunkt! 
Glüh  entgegen 
Phöb'-ApoUen ! 
Kalt  wird  sonst 
Sein  Fürstenblick 
Ueber  dich  vorübergleiten. 
Neidgetroffen 

Auf  der  Ceder  Kraft  verweilen, 
Die  zu  grünen 
Sein  nicht  harrt.  —  — 


Warum  nennt  mein  Lied  dich  zuletzt? 
Dich,  von  dem  es  begann, 
Dich,  in  dem  es  endet, 

41 


Im  Sturmweiter  -%  leidenschaftlich 


Dich,  aus  dem  es  quillt, 

Jupiter  Pluvius  1 

Dich,  dich  strömt  mein  Lied, 

Und  kastalischer  Quell 

Rinnt,  ein  Nebenbach, 

Rinnet  Müssigen, 

Sterblich  Glücklichen 

Abseits  von  dir, 

Der  du  mich  fassend  deckst, 

Jupiter  Pluvius! 

Nicht  am  Ulmenbaum 
Hast  du  ihn  besucht. 
Mit  dem  Taubenpaar 
In  dem  zärtlichen  Arm, 
Mit  der  freundlichen  Ros'  umkränzt 
Tändelnden  ihn,  blumenglücklichen 
Anakreon, 
Sturmathmende  Gottheit ! 

Nicht  im  Pappelwald 
An  des  Sybaris  Strand, 
An  des  Gebirgs 
Sonnebeglänzter  Stirn  nicht 
Fasstest  du  ihn 
Den  bienensingenden, 
Honig  lallenden. 
Freundlich  winkenden 
Theokrit, 


42 


vor  sich  hingesungener  Halbunsinn  € . 

Wenn  die  Räder  rasselten, 
Rad  an  Rad  rasch  ums  Ziel  weg, 
Hoch  flog 
Siegdurchglühter 
Jünglinge  Peitschenknall, 
Und  sich  Staub  wälzt*, 
Wie  vom  Gebirg  herab 
Kieselwetter  ins  Thal, 
Glühte  deine  Seel  Gefahren,  Pindar 
Mut!    ~ 

Glühte!   — 
Armes  Herz! 
Dort  auf  dem  Hügel  — 
Himmlische  Macht, 
Nur  so  viel  Gluth  — 
Dort  meine  Hütte, 
Dorthin  zu  waten! 


43 


Mahotnets  Gesang. 


Mahomets  Gesang. 

Oeht  den  Felsenquell, 

Freude  hell 

Wie  ein  Steraenblick ! 

Ueber  Wolken 

Nährten  seine  Jugend 

Gute  Geister 

Zwischen  Klippen  im  Gebüsch. 

Jünglingfrisch 
Tanzt  er  aus  der  Wolke 
Auf  die  Marmorfelsen  nieder, 
Jauchzet  wieder 
Nach  dem  Himmel. 

Durch  die  Gipfelgänge 
Jagt  er  bunten  Kieseln  nach, 
Und  mit  festem  Führertritt 
Reisst  er  seine  Brüderquellen 
Mit  sich  fort. 

Drunten  werden  in  dem  Thal 
Unter  seinem  Fusstritt  Blumen, 
Und  die  Wiese 
Lebt  von  seinem  Hauch. 


44 


Frankfurt^  Spätherbst  1772, 


Doch  ihn  hält  kein  Schattenthal, 

Keine  Blumen, 

Die  ihm  seine  Knie  umschlingen, 

Ihm  mit  Liebesaugen  schmeicheln  — '- 

Nach  der  Ebene  dringt  sein  Lauf 

Schlangenwandelnd. 

Bäche  schmiegen 
Sich  gesellig  an.     Nun  tritt  er 
In  die  Ebne  silberprangend, 
Und  die  Ebne  prangt  mit  ihm, 
Und  die  Flüsse  von  der  Ebne, 
Und  die  Bäche  von  den  Bergen 
Jauchzen  ihm  und  rufen:  »Bruder I 
Bruder,  nimm  die  Brüder  mit. 
Mit  zu  deinem  alten  Vater, 
Zu  dem  ewgen  Ocean, 
Der  mit  ausgespannten  Armen 
Unser  wartet, 

Die  sich,  ach!  vergebens  öffnen, 
Seine  Sehnenden  zu  fassen: 
Denn  uns  frisst  in  öder  Wüste 
Gierger  Sand:  die  Sonne  droben 
Saugt  an  unserm  Blut:  ein  Hügel 
Hemmet  uns  zum  Teiche  I  —  Bruder  1 
Nimm  die  Brüder  von  der  Ebne, 
Nimm  die  Brüder  von  den  Bergen 
Mit,  zu  deinem  Vater  mit!« 


45 


Ursprünglich  ein  dithyrambischer  Zwiegesang. 

»Kommt  ihr  allel«  — 
Und  nun  schwillt  er 
Herrlicher:  ein  ganz  Geschlechte 
Trägt  den  Fürsten  hoch  empor! 
Und  im  rollenden  Triumphe 
Giebt  er  Ländern  Namen:  Städte 
Werden  unter  seinem  Fuss. 

Unaufhaltsam  rauscht  er  weiter, 
Lässt  der  Thürme  Flammengipfel, 
Marmorhäuser,  eine  Schöpfung 
Seiner  Fülle,  hinter  sich. 

Cedernhäuser  trägt  der  Atlas 
Auf  den  Riesenschultem :  sausend 
Wehen  über  seinem  Haupte 
Tausend  Segel  auf  zum  Himmel, 
Zeugen  seiner  Herrlichkeit. 

Und  so  trägt  er  seine  Brüder, 
Seine  Schätze,  seine  Kinder 
Dem  erwartenden  Erzeuger 
Freudebrausend  an  das  Herz! 


46 


Künstlers  Morgenlied, 


m 

Künstlers  Morgenlied. 

Ich  hab  euch  einen  Tempel  baut, 
Ihr  hohen  Musen  all, 
Und  hier  in  meinem  Herzen  ist 
Das  Allerheiligste. 

Wenn  morgens  mich  die  Sonne  weckt, 
Warm,  froh  ich  schau  umher, 
Steht  rings  ihr  Ewiglebenden 
Im  heiigen  Morgenglanz. 

« 

Ich  bet  hinan,  und  Lobgesang 
Ist  lauter  mein  Gebet, 
Und  freudeklingend  Saitenspiel 
Begleitet  mein  Gebet. 

Ich  trete  vor  den  Altar  hier 
Und  lese,  wie  sichs  ziemt, 
Andacht  liturgischer  Lection 
Im  heiligen  Homer. 


47 


Frankfurty  Anfang  1773,  — 


Und  wenn  der  ins  Getümmel  mich 
Von  Löwenkriegern  reisst, 
Und  Göttersöhn  auf  Wagen  hoch 
Rachglühend  stürmen  an, 

Und  Ross  dann  vor  dem  Wagen  stürzt, 
Und  drunter  und  drüber  sich 
Freund,  Feind  sich  wälzt  in  Todesblut  — 
Er  sengte  sie  dahin 

Mit  Flammensch  wert,  der  Heldensohn, 
Zehntausend  auf  einmal, 
Bis  dann  auch  er,  gebändiget 
Von  einer  Götterhand, 

'Rab  auf  den  Leichen-Rogus  stürzt, 
Den  er  sich  selbst  gehäuft. 
Und  Feinde  nun  den  schönen  Leib 
Verschändend  tasten  an : 

Da  greif  ich  muthig  auf  und  fass  — 
Die  Kohle  wird  Gewehr, 
Und  jene  meine  hohe  Wand 
In  Schlachtfeld- Wogen  braust. 

Hinan!  Hinan!  Es  heulet  laut 
Gebrüll  der  Feindeswuth, 
Und  Schild  an  Schild  und  Schwert  auf  Helm, 
Und  um  den  Todten  Tod. 


48 


Goethes  Stube  glich  damals  einem  Pantheon^ 

Ich  dränge  mich  hinan,  hinan, 
Da  kämpfen  sie  um  ihn, 
Die  tapfern  Freunde,  tapferer 
In  ihrer  Thränenwuth: 

Ach,  rettet!   Kämpfet!    Rettet  ihn! 
Ins  Lager  bringt  ihn  rück! 
Und  Balsam  giesst  dem  Todten  auf 
Und  Thränen,  Todten-Ehr ! 

Und  find  ich  mich  zurück  hierher, 
Empfängst  du,  Liebe,  mich, 
Mein  Mädchen,  ach,  im  Bilde  nur, 
Und  so  im  Bilde  warm ! 

Ach  wie  du  ruhtest  neben  mir. 
Mich  schmachtetst  liebend  an. 
Und  mirs  vom  Aug  durchs  Herz  hindurch 
Zum  Griffel  schmachtete! 

Wie  ich  an  Aug  und  Wange  mich 
Und  Mund  mich  weidete. 
Und  mirs  im  Busen  jung  und  frisch 
Wie  einer  Gottheit  war! 

O,  kehre  doch  und  bleibe  dann 
In  meinen  Armen  fest, 
Und  keine,  keine  Schlachten  mehr  — 
Nur  dich  in  meinem  Arm  1 


Hartleben,  Goethe-Brevier. 

49 


1 


voller  schöner  Abdrücke  der  besten  Antiken, 

Und  sollst  mir,  meine  Liebe,  sein 
Alldeutend  Ideal : 
Madonna  sein,  ein  Erstlingskind, 
Ein  heiligs,  an  der  Brust; 

Und  haschen  will  ich,  Nymphe,  dich 
Im  tiefen  Waldgebüsch, 
Ein  geiles  Schwänzchen  hinten  vor. 
Die  Ohren  aufgereckt; 

Und  liegen  will  ich  Mars  zu  dir, 
Du  Liebesgöttin  stark, 
Und  ziehen  ein  Netz  um  uns  herum 
Und  rufen  dem  Olymp: 

Wer  von  den  Göttern  kommen  will. 
Beneiden  unser  Glück  — 
Und  Solls  die  Fratze  Eifersucht, 
Am  Bettfuss  angebannt  1 


SO 


Frankfurt,  —    Vor  de7n   Werther. 


Aus  einem  Briefe  an  Kestner. 

Januar  1773. 

Wenn  dem  Papa  sein  Pfeifchen  schmeckt, 
Der  Doktor  Hofrath  Grillen  heckt 
Und  sie  Karlinchen  für  Liebe  verkauft, 
Die  Lotte  herüber,  hinüber  lauft, 
Lenchen  treuherzig  und  wohlgemuth 
In  die  Welt  hineinlugen  thut. 
Mit  dreckigen  Händen  und  Honigschnitten, 
Mit  Löcher  im  Kopf  nach  deutschen  Sitten 
Die  Buben  jauchzen  mit  hellem  Häuf 
Thür  ein,  Thür  aus,  Hof  ab,  Hof  auf, 
Und  Ihr  mit  den  blauen  Aeugelein 
Gucket  so  ganz  gelassen  drein, 
Als  wärt  Ihr  ein  Männlein  von  Porzellan, 
(Seid  innerlich  doch  ein  wackrer  Mann, 
Treuer  Liebhaber  und  warmer  Freund)  — 
So  lasst  des  Reichs  und  Christen  Feind, 
Und  Russ  und  Preuss  und  Belial 
Sich  theilen  in  den  Erdenball, 
Und  nur  das  liebe  teutsche  Haus 
Nehmt  von  der  grossen  Theilung  ausl 

51  4» 


Atts  einem  Briefe  an  Kestner, 


Und  dass  der  Weg  von  hier  zu  euch 
Wie  Jakobs  Leiter  sei  sicher  und  gleich, 
Und  unser  Magen  verdau  i  gesund  — 
So  segnen  wir  euch  mit  Herz  und  Mund. 

Gott  allein  die  Ehr, 

Mir  mein  Weib  allein ! 

So  kann  ich  und  er 

Wohl  zufrieden  sein. 


i 


52 


Frankfurt^  Juni  1773. 


An  Gotten 

Bei  Uebersendang  des  Götz  von  Berlichingen. 

ochicke  dir  hier  den  alten  Götzen! 
Magst  ihn  nun  zu  deinen  Heiligen  setzen, 
Oder  magst  ihn  in  die  Zahl 
Der  Ungeblätterten  stellen  allzumal. 
Habs  geschrieben  in  guter  Zeit, 
Tags,  Abends  und  Nachtsherrlichkeit, 
Und  find  nicht  halb  die  Freude  mehr, 
Da  nun  gedruckt  ist  ein  ganzes  Heer. 
Find,  dass  es  wie  mit  den  Kindern  ist, 
Bei  denen  doch  immer  die  schönste  Frist 
Bleibt,  wenn  man  in  der  schönen  Nacht 
Sie  hat  der  lieben  Frau  gemacht. 
Das  andre  geht  dann  seinen  Gang 
Mit  Rechnen,  Wehen,  Tauf  und  Sang. 
Mögt  euch  nun  auch  ergetzen  dran, 
So  habt  ihr  doppelt  wohlgethan.  — 

Lassest,  wie  ich  höre,  auch  allda 
Agiren,  tragiren  Comödia 
Vor  Stadt  und  Land,  vor  Hof  und  Herrn: 
Die  sahn  das  Trauerstück  wohl  gern. 


53 


An  Gotter, 


So  such  dir  denn  in  deinem  Haus 
Einen  recht  tüchtigen  Bengel  aus, 
Dem  gieb  die  Roll  von  meinem  Götz, 
In  Panzer,  Blechhaub  und  Geschwätz! 
Dann  nimm  den  Weisung  vor  dich  hin, 
Mit  breitem  Kragen,  stolzem  Kinn, 
Mit  Spada  wohl  nach  Spanier  Art, 
Mit  Weitnaslöchem,  Stützleinbart, 
Und  sei  ein  Falscher  an  den  Frauen, 
Lässt  sich  zuletzt  vergiftet  schauen  1 

Und  bring,  da  hast  du  meinen  Dank, 
Mich  vor  die  Weiblein  ohn  Gestank. 
Musst  all  die  garstigen  Wörter  lindern, 
Aus    Scheisskerl    Schurk,     aus    Arsch    mach 

Hintern, 
Und  gleich  das  alles  so  fortan, 
Wie  du  schon  ehmals  wohl  gethan. 


54 


Gotha,  Sommer  1773» 


Antwort  Gotters  an  Goethe. 

Ich  schon  bis  an  den  neunten  Tag 
Am  Röthlein  krank  damiederlag, 
Wobei  von  Weiblein,  jung  und  zart, 
Wie  Weisungen  gewartet  ward  — 
Als  mir  dein  Götz  zu  Händen  kam; 
Den  alsobald  ein  Mägdlein  nahm, 
Und  mirs,  weil  selbst  nicht  lesen  sollt, 
Mit  süsser  Stimm  vorlesen  wollt. 

Als  aber  kaum  das  Werk  begann, 
Sie  wider  ein  Scheisskerl  rann 
Und  wurde  flugs  wie  Scharlach  roth, 
Drob  ich  mich  lachen  thät  halbtodt. 
Sie  liess  sich  drum  nicht  schrecken  ab, 
Marien  ein  gutes  Zeugnis  gab. 
Auch  Götzens  Hausfrau  liebgewann, 
Die  ihrem  rauhen  Panzermann 
Stets  unbedingt  Gehorsam  weist, 
Was  man  an  Luthers  Käth  nicht  preist; 
Die  Adelheid  nicht  könnt  ausstehn, 
Doch  Georgen  gern  hätt  leben  sehn; 


55 


Antwort  Gotters  an  Goethe. 


Auch  Weisungen  ein  besser  End 
Aus  Christenliebe  bätt  gegönnt; 
Den  Götzen  nicht  genug  verstand, 
Ihn  etwas  Donquixotisch  fand: 
Dafür  soll  sie  verurteilt  sein, 
Des  Herrn  Jacobis  Liedelein 
Und  Köhlers  frommes  Judenkind 
Stracks  herzubeten  für  ihre  Sund. 

Ob  aber  nun  gleich  gesonnen  war, 
Den  Götz  zu  spielen  zu  deiner  Ehr, 
Auch  einen  Bub,  der  rüstig  ist, 
Von  Schweizerblut,  für  Götzen  wüsst, 
So  thut  mirs  doch  im  Kopf  rumgehn, 
Wie  ich  die  Thäler  und  die  Höhn, 
Die  Wälder,  Wiesen  und  Morast, 
Die  Warten  und  die  Schlösser  fest, 
Und  Bambergs  Bischofs  Zimmer  fein, 
Und  des  Thurmwärters  Gärtlein  klein  — 
Soll  nehmen  her  und  so  staffiren, 
Das  Hokuspokus  all  changiren. 
Auch  möchte  wohl  wem  graun,  dass  nicht 
Der  Reiter  seine  Not  verriebt, 
Und  Götz,  dem  Feind  zur  Schur  und  Graus, 
Streck  seinen  Arsch  zum  Fenster  naus. 

Das  Weibsvolk  hier  ganz  störrisch  ist, 
Weils  Tag  und  Nacht  Französisch  liest; 
Das  Manns  Volk,  in  Paris  gewest. 
Nur  das  Theatrum  hält  fürs  best. 


56 


Gotha,  Sommer  jy73. 


Wo  alles  züchtiglich  geschieht 
Und  alles  in  Sentenzen  spricht. 
Drum  lass  dir  nur  die  Lust  vergehn, 
Bei  ihnen  in  der  Gnad  zu  stehn! 
Nimm  dann  mit  meinem  Dank  vorlieb. 
Was  dich  den  Götz  zu  schreiben  trieb, 
Das  zwickt'  auch  mich  so  lange,  bis 
Ich  mich  vom  Bösen  blenden  Hess. 

Da  hast  du  die  Epistel  mein: 
Sollts  was  für  deine  Mädel  sein, 
So  freute  doppelt  mich  der  Spass. 
Ich  liebe  dich  ohn  Unterlass. 
Du  nächstens  im  Merkurius 
Wirst  finden  was  von  meinem  Mus, 
Und  freut  mich  recht  von  Herzens  Grund, 
Wenn  dir  der  Dreck  gefallen  kunnt. 
Schick  mir  dafür  den  Doktor  Faust, 
Sobald  dein  Kopf  ihn  ausgebraust! 


57 


Frankfurt  1773.     Auf  die  Kritiker  des  Götz. 


Der  unverschämte  Gast. 

Ua  hatt  ich  einen  Kerl  zu  Gast, 
Er  war  mir  eben  nicht  zur  Last: 
Ich  hatt  just  mein  gewöhnlich  Essen. 
Hatt  sich  der  Kerl  pumpsatt  gefressen, 
Zum  Nachtisch,  was  ich  gespeichert  hatt: 
Und  kaum  ist  mir  der  Kerl  so  satt, 
Thut  ihn  der  Teufel  zum  Nachbar  führen, 
Ueber  mein  Essen  zu  räsonieren: 
»Die  Supp  hätt  können  gewürzter  sein, 
Der  Braten  feiner,  fimer  der  Wein.« 
Der  Tausendsakerment ! 

Schlagt    ihn    todt,    den    Hund!     Es   ist    ein 

Recensent. 


58 


Frankfurt^  lyys. 


Ganymed. 

Wie  im  Morgenglanze 
Du   rings  mich  anglühst, 
Frühling,  Geliebter! 
Mit  tausendfacher  Liebeswonne 
Sich  an  mein  Herz  drängt 
Deiner  ewigen  Wärme 
Heilig  Gefühl, 
Unendliche  Schöne  — 

Dass  ich  dich  fassen  möcht 
In  diesen  Arm! 

Ach,  an  deinem  Busen 
Lieg  ich,  schmachte, 
Und  deine  Blumen,  dein  Gras 
Drängen  sich  an  mein  Herz. 
Du  kühlst  den  brennenden 
Durst  meines  Busens, 
Lieblicher  Morgenwind ! 
Ruft  drein  die  Nachtigall 
Liebend  nach  mir  aus  dem  Nebelthal 
Ich  komm !  Ich  komme ! 
Wohin?  Ach,  wohin? 


59 


Ganytned, 

Hinauf!  Hinauf  strebts  — 
Es  schweben  die  Wolken 
Abwärts  —  die  Wolken 
Neigen  sich  der  sehnenden  Liebe. 
Mir!  Mir! 
In  euerm  Schosse 
Aufwärts ! 

Umfangend,  umfangen ! 
Aufwärts  an  deinen  Busen, 
Allliebender  Vater! 


60 


Brief  an  Kestner^  Frankfurt^  15.  September  1773. 


An  Charlotte  Kestner. 

Wenn  einen  seligen  Biedermann, 

Pastom  oder  Ratsherrn  lobesan 

Die  Wittib  lässt  in  Kupfer  stechen 

Und  drunter  ein  Verslein  radebrechen, 

Da  heissts: 

Seht  hier  mit  Kopf  und  Ohren 

Den  Herrn,  Ehrwürdig,  Wohlgeboren! 

Seht  seine  Augen  und  seine  Stirn  I 

Aber  sein  verständig  Gehirn, 

So  manch  Verdienst  ums  gemeine  Wesen 

Könnt  ihr  ihm  nicht  an  der  Nase  lesen. 

So,  liebe  Lotte,  heissts  auch  hier: 
Ich  schicke  da  mein  Bildniss  dir. 
Magst  wohl  die  ernste  Stime  sehen, 
Der  Augen  Gluth,  der  Locken  Wehen: 
'S  ist  ungefähr  das  garstge  Gesicht  — 
Aber  meine  Liebe  siehst  du  nicht. 


61 


Frankfurt  1773,     Später  in  Erwin  und  Elmira. 


Das  Veilchen. 

liin  Veilchen  auf  der  Wiese  stand, 

Gebückt  in  sich  und  unbekannt; 

Es  war  ein  herzigs  Veilchen. 

Da  kam  eine  junge  Schäferin 

Mit  leichtem  Schritt  und  muntrem  Sinn 

Daher,  daher, 

Die  Wiese  her  und  sang. 

»Ach«,  denkt  das  Veilchen,  »war  ich  nur 
Die  schönste  Blume  der  Natur, 
Ach,  nur  ein  kleines  Weilchen, 
Bis  mich  das  Liebchen  abgepflückt 
Und  an  den  Busen  matt  gedrückt! 
Ach  nur,  ach  nur 
Ein  Viertelstündchen  lang!« 

Ach,  aber  ach!  das  Mädchen  kam 
Und  nicht  in  Acht  das  Veilchen  nahm, 
Ertrat  das  arme  Veilchen. 
Es  sank  und  starb  und  freut  sich  noch: 
»Und  sterb  ich  denn,  so  sterb  ich  doch 
Durch  sie,  durch  sie, 
Zu  ihren  Füssen  doch.« 


62 


Lied  desRitter sLiehetr out  ausGötz  vonBerlichingen.  1773. 


Mit  Pfeilen  und  Bogen 
Cupido  geflogen, 
Die  Fackel  im  Brand: 
Wollt  muthilich  kriegen 
Und  männilich  siegen 
Mit  stürmender  Hand. 

Auf!  Aufl 

Anl  An! 
Die  Waßen  erklirrten, 
Die  Flügelein  schwirrten, 
Die  Augen  entbrannt. 

Da  fand  er  die  Busen 
Ach  leider!  so  bloss; 
Sie  nahmen  so  willig 
Ihn  all  auf  den  Schoss. 
Er  schüttet  die  Pfeile 
Zum  Feuer  hinein, 
Sie  herzten  und  drückten 
Und  wiegten  ihn  ein. 

Hei,  ei,  o!  Popeiol 


63 


1773-     An  Claudius  und  Bote  gesandt. 


Ein  Gleichnis. 

Ueber  die  Wiese,  den  Bach  herab, 
Durch  seinen  Garten, 
Bricht  er  die  jüngsten  Blumen  ab ; 
Ihm  schlägt  das  Herz  vor  Erwarten  : 
Sein  Mädchen  kommt —  O  Gewinnst!  O  Glück! 
Jüngling,    tauschest   deine  Blüthen    um    einen 

Blick ! 

Der  Nachbar  Gärtner  sieht  herein 
Ueber  die  Hecke :  »So  ein  Thor  möcht  ich  sein ! 
Hab  Freude,  meine  Blumen  zu  nähren. 
Die  Vögel  von  meinen  Früchten  zu  wehren ; 
Aber  sind  sie  reif:  Geld!  guter  Freund! 
Soll  ich  meine  Mühe  verlieren?« 

Das  sind  Autoren,  wie  es  scheint. 
Der  eine  streut  seine  Freuden  herum 
Seinen  Freunden,  dem  Publikum  — 
Der  andre  lässt  sich  pränumeriren. 


64 


Faust,     ^Aöend.t     Lied  Gretchens,     März  J774, 


Der  König  in  Thule. 

Jis  war  ein  König  in  Thiüe, 
Gar  treu  bis  an  das  Grab, 
Dem  sterbend  seine  Buhle 
£inen  goldnen  Becher  gab. 

Es  ging  ihm  nichts  darüber, 
£r  leert  ihn  jeden  Schmaus; 
Die  Augen  gingen  ihm  über, 
So  oft  er  trank  daraus. 

Und  als  er  kam  zu  sterben, 
Zählt  er  seine  Stadt  im  Reich, 
Gönnt  alles  seinem  £rben, 
Den  Becher  nicht  zugleich.  — 

Er  sass  beim  Königsmahle, 
Die  Ritter  um  ihn  her, 
Auf  hohem  Vätersaale, 
Dort  auf  dem  Schloss  am  Meer. 

Dort  stand  der  alte  Zecher, 
Trank  letzte  Lebensglut 
Und  warf  den  heiigen  Becher 
Hinunter  in  die  Fluth. 

Er  sah  ihn  stürzen,  trinken 
Und  sinken  tief  ins  Meer« 
Die  Augen  thäten  ihm  sinken  — 
Trank  nie  einen  Tropfen  mehr. 


Hartleben,  Goethe-Brevier. 

65 


Kenner  und  Künstler, 


Kenner  und  Künstler. 

Kenner. 

(jut!  Brav,  mein  Herr!  —  Allein 

Die  linke  Seite 

Nicht  ganz  gleich  der  rechten; 

Hier  scheint  es  mir  zu  lang 

Und  hier  zu  breit; 

Hier  zuckts  ein  wenig, 

Und  die  Lippe  — 

Nicht  ganz  Natur, 

So  todt  noch  alles! 

Künstler. 

O  rathet,  helft  mir, 
Dass  ich  mich  vollende! 
Wo  ist  der  Urquell  der  Natur, 
Daraus  ich  schöpfend 
Himmel  fühl  und  Leben 
In  die  Fingerspitzen  hervor? 
Dass  ich  mit  Göttersinn 
Und  Menschenhand 
Vermöge  zu  bilden, 


66 


Frankfurt^  Frühling  1774. 


Was  bei  meinem  Weib 

Ich  animalisch  kann  und  muss. 


Kenner. 
Da  sehen  Sie  zu! 

Künstler. 
So! 


67  5* 


Frankfurt^  Frühling  1774. 


Der  ungetreue  Knabe. 

Jbs  war  ein  Buhle  frech  genung, 
War  erst  aus  Frankreich  kommen, 
Der  hatt  ein  armes  Mädel  jung 
Gar  oft  in  Arm  genommen 
Und  liebgekost  und  liebgeherzt, 
Als  Bräutigam  herumgescherzt 
Und  endlich  sie  verlassen. 

Das  braune  Mädel  das  erfuhr, 
Vergingen  ihr  die  Sinnen; 
Sie  lacht  und  weint  und  bet't  und  schwur, 
So  fuhr  die  Seel  von  hinnen.  — 
Die  Stund,  da  sie  verschieden  war. 
Wird  bang  dem  Buben,  graust  sein  Haar, 
Es  treibt  ihn  fort  zu  Pferde. 

Er  gab  die  Sporen  kreuz  und  quer 
Und  ritt  auf  alle  Seiten, 
Herüber,  hinüber,  hin  und  her, 
Kann  keine  Ruh  erreiten; 
Reift  sieben  Tag  und  sieben  Nacht, 
Es  blitzt  und  donnert,  stürmt  und  kracht, 
Die  Fluten  reissen  über. 


68 


später  in  Clutidine  von   Villa  Bella. 

Und  reift  in  Blitz  und  Wetterschein 
Gemäuerwerk  entgegen, 
Bindts  Pferd    hauss    an    und   kriecht   hinein 
Und  duckt  sich  vor  dem  Regen. 
Und  wie  er  tappt,  und  wie  er  fühlt, 
Sich  unter  ihm  die  Erd  erwühlt  — 
Er  stürzt  wohl  hundert  Klafter. 

Und    als    er    sich    ermannt    vom    Schlag, 
Sieht  er  drei  Lichtlein  schleichen. 
Er  rafft  sich  auf  und  krabbelt  nach  — 
Die  Lichtlein  ferne  weichen, 
Irr  führen  ihn  die  Quer  und  Läng, 
Trepp    auf,   Trepp    ab,    durch    enge    Gang, 
Verfallne,  wüste  Keller. 

Auf  einmal  steht  er  hoch  im  Saal, 
Sieht  sitzen  hundert  Gäste, 
Hohläugig  grinsen  allzumal 
Und  winken  ihm  zum  Feste. 
Er  sieht  sein  Schätzlein  untenan. 
Mit  weissen  Tüchern  angethan,  — 
Die  wendt  sich  — 


69 


Der  Gesang  von  der  Ceder. 


Der  Gesang  von  der  Ceder. 

I. 

E/S  stand  eine  herrliche  Ceder  auf  Libanon 
in  ihrer  Kraft  vor  dem  Antlitz  des  Himmels. 
Und  dass  sie  so  strak  dastund,  dess  er- 
grimmten die  Dornsträuche  umher  und  riefen: 
»Wehe  dem  Stolzen !    Er  überhebt  sich  seines 

Wuchses.«  Und  wie  die  Winde  die  Macht 
seiner  Aeste  bewegten  und  Balsamgeruch  das 
Land  erfüllte,  wandten  sich  die  Dömer  und 
schrien:  »Wehe  dem  Uebermüthigen !  Sein 
Stolz  braust  auf  wie  die  Wellen  des  Meeres  \ 
verdirb  ihn,  Heiliger  vom  Himmel!« 

2. 

Eine  Ceder  wuchs  auf  zwischen  Tannen; 
sie  theilten  mit  ihr  Regen  und  Sonnenschein. 
Und  sie  wuchs  über  ihre  Häupter  und  schaute 
weit  ins  Thal  umher.  Da  riefen  die  Tannen : 
»Ist  das  der  Dank,  dass  du  dich  nun  über- 
hebst, dich,  die  du  so  klein  warst,  dich,  die 
wir  genährt  haben I«  Und  die  Ceder  sprach: 
»Rechtet  mit  dem,  der  mich  wachsen  hiess ! « 


70 


Frankfurt^  1774. 


3. 

Und  um  die  Ceder  stunden  Sträucher. 
Da  nun  die  Männer  kamen  vom  Meer  und 
die  Axt  ihr  an  die  Wurzel  legten,  da  erhub 
sich  ein  Frohlocken:  »Also  strafet  der  Herr 
die  Stolzen,  also  demüthigt  er  die  Gewaltigen!« 

Und  sie  stürzte  und  zerschmetterte  die 
Frohlocker,  die  verzettelt  wurden  unter  dem 
Reisig. 

5- 
Und  sie  stürzte  und  rief:  »Ich  habe  ge- 
standen und  ich  werde  stehen!«  Und  die 
Männer  richteten  sie  auf  zum  Mäste  im 
Schifife  des  Königs,  und  die  Segel  wehten 
von  ihm  her  und  brachten  die  Schätze  aus 
Ophir  in  des  Königs  Kammer. 


71 


Der  ewige  Jude.     Fragmentarisch. 


Der  ewige  Jude. 

Fragmentarisch. 
I. 

Des  ewigen  Juden  erster  Fetzen. 

Um  Mitternacht  wohl  fang  ich  an, 

Spring  aus  dem  Bette  wie  ein  Toller: 

Nie  war  mein  Busen  seelevoller, 

Zu  singen  den  gereisten  Mann, 

Der  Wunder  ohne  Zahl  gesehen, 

Die,  trutz  der  Lästrer  Kinderspotte, 

In  unserm  unbegrifFnen  Gotte 

Per  omnia  tempora  in  einem  Punkt  geschehn. 

Und  hab  ich  gleich  die  Gabe  nicht 

Von  wohlgeschlifFnen,  leichten  Reimen, 

So  darf  ich  doch  mich  nicht  versäumen: 

Denn  es  ist  Drang,  und  so  ists  Pflicht. 

Und  wie  ich  dich,  geliebter  Leser,  kenne  — 

Den  ich  von  Herzen  Bruder  nenne  — 

Willst  gern  vom  Fleck  und  bist  so  faul. 

Nimmst  wohl  auch  einen  Ludergaul; 

Und  ich  —  mir  fehlt  zu  Nacht  der  Kiel  — 

Ergreif  wohl  einen  Besenstiel. 

Drum  hör  es  denn,  wenns  dir  beliebt. 

So  kauderwälsch,  wie  mir  der  Geist  es  giebt. 


72 


Frankfurt^  Sommer  1774. 


In  Judäa,  dem  heiligen  Land, 
War  einst  ein  Schuster,  wohlbekannt 
Wegen  seiner  Herzfrömmigkeit 
Zur  gar  verdorbnen  Kirchenzeit; 
War  halb  Essener,  halb  Methodist, 
Hermhuter,  mehr  Separatist; 
Denn  er  hielt  viel  auf  Kreuz  und  Qual ; 
Genug,  er  war  Original, 
Und  aus  Originalität 
Er  andern  Narren  gleichen  thät. 

Die  Priester  vor  so  vielen  Jahren 
Waren,  als  wie  sie  immer  waren, 
Und  wie  ein  jeder  wird  zuletzt. 
Wenn  man  ihn  hat  in  ein  Amt  gesetzt. 
War  er  vorher  wie  ein'  Ameis*  krabblig 
Und  wie  ein  Schlänglein  schnell  und  zabblig, 
Wird  er  hernach  in  Mantel  und  Kragen 
In  seinem  Sessel  sich  Wohlbehagen. 
Und  ich  schwöre  bei  meinem  Leben, 
Hätte  man  Sankt  Paulen  ein  Bistum  geben, 
Poltrer  war  worden  ein  fauler  Bauch 
Wie  ceteri  confratres  auch. 

Der  Schuster  aber  und  seinesgleichen 
Verlangten  täglich  Wunder  und  Zeichen: 
Dass  einer  predgen  sollt  für  Geld, 
Als  hätt  der  Geist  ihn  hingestellt. 
Nickten  die  Köpfe  sehr  bedenklich 
Ueber  die  Tochter  Zion  kränklich: 


73 


Der  ewige  Jude.     Fragmentarisch. 

Dass  achl  auf  Kanzel  und  Altar 
Kein  Moses  und  kein  Aaron  war  — 
Dass  es  dem  Gottesdienste  ging, 
Als  wäre  ein  Ding  wie  ein  ander  Ding, 
Das  einmal,  nach  dem  Lauf  der  Welt, 
Im  Alter  dürr  zusammenfallt. 

»O  weh  der  grossen  Babylon! 
Herr,  tilge  sie  von  deiner  Erden, 
Lass  sie  im  Pfuhl  gebraten  werden. 
Und,  Herr,  dann  gieb  ims  ihren  Thron!« 
So  sang  das  Häuflein,  kroch  zusammen, 
Theilten  so  Geists-  als  Liebesflammen, 
Gafften  und  langeweilten  nun. 
Hätten  das  auch  können  im  Tempel  thun, 
Aber  das  Schöne  war  dabei: 
Es  kam  an  jeden  auch  die  Reih, 
Und  wie  sein  Bruder  wälscht  und  sprach, 
Dürft  er  auch  wälschen  eins  hernach. 
Denn  in  der  Kirche  spricht  erst  imd  letzt 
Der,  den  man  hat  hinaufgesetzt, 
Und  gläubigt  euch  und  thut  so  gross 
Und  schliesst  euch  an  und  macht  euch  los. 
Und  ist  ein  Sünder  wie  andre  Leut, 
Ach,  und  nicht  einmal  so  gescheut!  —  — 


74 


Frankfurt^  Sommer  1774. 


II. 

Uer  grösste  Mensch  bleibt  stets  ein  Menschen- 
kind, 

Die  grössten  Köpfe  sind  das  nur,  was  andre 

sind. 

Allein  das  merkt:  sie  sind  es  umgekehrt, 

Sie  wollen  nicht  mit  andern  Erdentröpfen 

Auf  ihren  Füssen  gehn  —  sie  gehn  auf  ihren 

Köpfen : 

Verachten,  was  ein  jeder  ehrt  — 

Und  was  gemeinen  Sinn  empört, 

Das  ehren  unbefangne  Weisen; 

Doch  brachten  sies  nicht  allzu  weit: 

Ihr  non  plus  ultra  jeder  Zeit 

War :  Gott  zu  lästern  und  den  Dreck  zu  preisen. 


75 


Der  ewige  Jude.     Fragmentarisch. 


i 


m. 

Des  ewigen  Juden  dritter  Fetzen. 

Uer  Vater  sass  auf  seinem  Thron; 

Da  rief  er  seinem  lieben  Sohn, 

Musst  zwei-  bis  dreimal  schreien« 

Da  kam  der  Sohn  ganz  überquer 

Gestolpert  über  Sterne  her 

Und  fragt:  »Was  zu  befehlen!« 

Der  Vater  fragt  ihn,  wo  er  stickt  — 

»Ich  war  im  Stern,  der  dorten  blickt, 

Und  half  dort  einem  Weibe 

Vom  Kind  in  ihrem  Leibe.« 

Der  Vater  war  ganz  aufgebracht 

Und  sprach:  »Das  hast  du  dumm  gemacht; 

Sieh  einmal  auf  die  Erdel 

Es  ist  wohl  schön  und  alles  gut, 

Du  hast  ein  menschenfreundlich  Blut 

Und  hilfst  Bedrängten  gerne  .  .  .«  —   — 


76 


Frankfurt^  Sommer  1774. 


»Du  fühlst  nicht,    wie  es  mir    durch  Mark 

und  Seele  geht, 

Wenn  ein  geängstet  Herz  bei  mir  um  Rettung 

fleht, 

Wenn    ich    den    Sünder    seh    mit    glühenden 

Thränen  .  . .«   — 


Als  er  sich  nun  hernieder  schwung 
Und  näher  die  weite  Erde  sah 
Und  Meer  und  Länder  weit  und  nah. 
Ergriff  ihn  die  Erinnerung, 
Die  er  so  lange  nicht  gefühlt: 
Wie  man  da  drunten  ihm  mitgespielt. 

Er  auf  dem  Berge  stille  hält, 
Auf  den  in  seiner  ersten  Zeit 
Freund  Satanas  ihn  aufgestellt 
Und  ihm  gezeigt  die  volle  Welt 
Mit  aller   ihrer  Herrlichkeit.  — 

Wie  man  zu  einem  Mädchen  fliegt, 
Das  lang  an  unserm  Blute  sog 
Und  endlich  treulos  uns  betrog: 
Er  fühlt  in  vollem  Himmelsflug 
Der  irdischen  Atmosphäre  Zug, 
Fühlt,  wie  das  reinste  Glück  der  Welt 
Schon  eine  Ahnung  von  Weh  enthält. 
Er  denkt  an  jenen  Augenblick, 
Da  er  den  letzten  Todesblick 


77 


Der  ewige  Jude,     Fragmentarisch. 

Vom  Schmerzen- Hügel  herab  gethan,  — 
Fing  vor  sich  hin  zu  reden  an: 

»Sei,  Erde,  tausendmal  gegrüsst! 
Gesegnet  all,  ihr  meine  Brüder  1 
Zum  erstenmal  mein  Herz  ergiesst 
Sich  nach  dreitausend  Jahren  wieder, 
Und  wonnevolle  Zähre  fliesst 
Von  meinem  trüben  Auge  nieder: 
O,  mein  Geschlecht,  wie  sehn  ich  mich  nach 

dirl  — 

Und  du,  mit  Herz-  und  Liebesarmen 
Flehst  du  aus  tiefem  Drang  zu  mir? 
Ich  komm,  ich  will  mich  dein  erbarmen  1 
O  Welt,  voll  wunderbarer  Wirrung, 
Voll  Geist  der  Ordnung,  träger  Irrung, 
Du  Kettenring  von  Wonn  und  Wehe, 
Du  Mutter,   die  mich  selbst  zum  Grab  gebar. 
Die  ich,  obgleich  ich  bei  der  Schöpfung  war. 
Im  Ganzen  doch  nicht  sonderlich  verstehe  — : 
Die    Dumpfheit    deines    Sinns,     in    der    du 

schwebtest. 
Daraus  du  dich  nach  meinem  Tage  drangst. 
Du  schlangenknotige  Begier,  in  der  du  bebtest. 
Von  ihr  dich  zu  befreien  strebtest, 
Und  dann,  befreit,  dich  wieder  neu  umschlangst: 
Das  rief  mich  her  aus  meinem  Stemensaal, 
Das  lässt  mich  nicht  an  Gottes  Busen  ruhn: 


78 


Frankfurt^  Sommer  1774. 


Ich  komme  nun  zu  dir  zum  zweiten  Mal  — 
Ich  säte  dann  —  und  ernten  will  ich  nun!« 

Er  sieht  begierig  rings  sich  um. 
Sein  Auge  scheint  ihn  zu  betrügen: 
Ihm  scheint  die  Welt  noch  um  und  um 
In  jener  Sauce  da  zu  liegen, 
Wie  sie  an  jener  Stunde  lag, 
Da  sie  bei  hellem  lichten  Tag 
Der  Geist  der  Finsterniss,  der  Herr  der  alten 

Welt, 
Im  Sonnenschein  ihm  glänzend  dargestellt 
Und  angemasst  sich  ohne  Scheu: 
Dass  er  hier  Herr  im  Hause  sei.  —  — 

»Wo,«  rief  der  Heiland,   »ist  das  Licht, 
Das  hell  von  meinem  Wort  entbronnen! 
Weh,  und  ich  seh  den  Faden  nicht, 
Den  ich  so  rein  vom  Himmel  Vab  gesponnen. 
Wo  haben  sich  die  Zeugen  hingewandt. 
Die  weiss  aus  meinem  Blut  entsprungen? 
Und  ach,  wohin  der  Geist,  den  ich  gesandt? 
Sein  Wehn,   ich  fühls,   ist  all  verklungen!  — 
Schleicht  nicht  mit  ewgem  Hunger-Sinn, 
Mit  halbgekrümmten  Klauen- Händen, 
Verfluchten,  eingedorrten  Lenden 
Der  Geiz  nach  tückischem  Gewinn, 
Missbraucht  die  sorgenlosen  Freuden 
Des  Nachbars  auf  der  reichen  Flur 


79 


Der  ewige  Jude,     Fragmentarisch, 

Und  hemmt  in  dürren  Eingeweiden 
Das  liebe  Leben  der  Natur? 
Verschliesst  der  Fürst  mit  seinen  Sklaven 
Sich  nicht  in  jenes  Marmorhaus 
Und  brütet  seinen  irren  Schafen 
Die  Wölfe  selbst  im  Busen  aus? 
Ihm  wird  zu  grillenhafter  Stillung 
Der  Menschen  Mark  herbeigerafFt  — 
Er  speist  in  ekelhafter  Ueberfüllung 
Von  Tausenden  die  Nahrungskraft! 
In  meinem  Namen  weiht  dem  Bauche 
Ein  Armer  seiner  Kinder  Brot  — ' 
Mich  schmäht  auf  diesem  faulen  Schlauche 
Das  goldne  Zeichen  meiner  Notl«   —  — 


80 


Frankfurt^  Sommer  i7'/4. 


IV. 

lir  war  nunmehr  der  Länder  satt, 

Wo  man  so  viele  Kreuze  hat 

Und  man  für  lauter  Kreuz  und  Christ 

Ihn  eben  und  sein  Kreuz  vergisst. 

Er  trat  in  ein  benachbart  Land, 

Wo  er  sich  nur  als  Kirchfahn  fand, 

Man  aber  sonst  nicht  merkte  sehr. 

Als  ob  ein  Gott  im  Lande  war. 

Wie  man  ihm  denn  auch  bald  betheuert: 

Aller  Sauerteig  sei  hier  ausgescheuert  — 

Befurcht  er,  dass  das  Brot  so  lieb 

Wie  ein  Matzkuchen  sitzen  blieb. 

Davon  sprach  ihm  ein  geistlich  Schaf, 
Das  er  auf  hohem  Wege  traf, 
Das  eine  mäklige  Frau  im  Bett, 
Viel  Kinder  und  viel  Zehnten  hätt: 
Der  also  Gott  Hess  im  Himmel  ruhn. 
Und  sich  auch  was  zu  gute  thun. 
Unser  Herr  fühlt  ihm  auf  den  Zahn, 
Fing  etlich  Mal  von  Christo  an: 

Hartleben,  Goethe-Brevier. 

81  6 


Der  ewige  Jude,     Fragmentarisch. 

^ -  II  —    m — I 

Da  war  der  ganze  Mensch  Respekt, 
Hätte  fast  nie  das  Haupt  bedeckt; 
Aber  der  Herr  sah  ziemlich  klar, 
Dass  er  drum  nicht  im  Herzen  war, 
Dass  er  dem  Mann  im  Hirne  stand 
Als  wie  ein  Holzschnitt  an  der  Wand. 

Sie  waren  bald  der  Stadt  so  nah, 
Dass  man  die  Thürme  klärlich  sah. 
»Ach,«  sprach  mein  Mann,   »hier  ist  der  Ort, 
ADer  Wünsche  sichrer  Friedensport, 
Hier  ist  des  Landes  Mittelthron: 
Gerechtigkeit  und  Religion 
Spediren  wie  der  Seizerbrunn, 
Petschirt,  ihren  Einfluss  ringsherum.« 

Sie  kamen  immer  näher  an  — 
Sah  immer  der  Herr  nichts  Seinigs  dran. 
Sein  innres  Zutraun  war  gering, 
Als  wie  er  einst  zum  Feigbaum  ging; 
Wollt  aber  doch  eben  weiter  gehn 
Und  ihm  recht  unter  die  Aeste  sehn. 

So  kamen  sie  denn  unters  Thor. 
Christus  kam  ihnen  ein  Fremdling  vor: 
Hätt  ein  edel  Gesicht  und  einfach  Kleid  — 
Sprachen:   »Der  Mann  kommt  wohl  gar  weit.« 
Fragt  ihn  der  Schreiber,  wie  er  hiess?  — 
Er  gar  demüthig  die  Worte  liess: 


82 


Frankfurt^  Sommer  1774, 


»Kinder,  ich  bin  des  Menschen  Sohn  — « 
Und  ganz  gelassen  ging  davon.  — 
Seine  Worte  hatten  von  je  her  Kraft: 
Der  Schreiber  stände  wie  vergafft, 
Der  Wache  war,  sie  wusst  nicht  wie; 
Fragt  keiner:  »Was  bedienen  Sie?« 
Er  ging  grad  durch  und  war  vorbei,  — 
Da  fragten  sie  sich  Überlei, 
Als  in  Rapport  sies  wollten  tragen: 
»Was  thät  der  Mann  Kurioses  sagen? 
Sprach  er  wohl  unsrer  Nase  Hohn? 
Er  sagt,  er  war  des  Menschen  Sohn?« 
Sie  dachten  lang;  doch  auf  einmal 
Sprach  ein  branntweinger  Korporal: 
»Was  mögt  ihr  euch  den  Kopf  zerreissenl 
Sein  Vater  hat  wohl  Mensch  geheissen.« 

Christ  sprach  zu  seinem  Geleiter  dann: 
»So  führet,  mich  zum  Gottesmann, 
Den  ihr  als  einen  solchen  kennt 
Und  ihn  ,Herr  Oberpfarrer*  nennt!« 
Dem  Herren  Pfaff  das  krabbeln  thät. 
War  selber  nicht  so  hoch  am  Brett. 
Hätt  so  viel  Haut  ums  Herze  ring, 
Dass  er  nicht  spürt,  mit  wem  er  ging  — 
Auch  nicht  einmal  einer  Erbse  gross. 
Doch  war  er  gar  nicht  liebelos 
Und  dacht:   »Kommt  alles  rings  herum. 
Verlangt  er  ein  Viaticum.« 


83 


Der  ewige  Jiide.     Fragmentarisch. 

Kamen  ans  Oberpfarrers  Haus, 
Stand  von  uralters  noch  im  Ganzen. 
Reformation  hätt  ihren  Schmaus 
Und  nahm  dem  Pfaffen  Hof  und  Haus  — 
Um  wieder  Pfaffen  nein  zu  pflanzen, 
Die  nur  in  allem  Grund  der  Sachen 
Mehr  schwätzen,   weniger  Grimassen  machen. 

Sie  klopften  an,  sie  schellten  an. 
Weiss  nicht  bestimmt,  was  sie  gethan, 
Genug:  die  Köchin  kam  hervor, 
Aus  der  Schürz  ein  Krauthaupt  verlor. 
Und  sprach :   » Der  Herr  ist  im  Konvent, 
Ihr  heut  nicht  mit  ihm  sprechen  könnt.« 
»Wo  ist  denn  das  Konvent?«    sprach  Christ. 
»Was  hilft  es  euch,  wenn  ihrs  auch  wisst,« 
Versetzt  die  Köchin  porrisch  drauf, 
»Dahin  geht  nicht  eines  jeden  Lauf.« 
»Möchts  doch  gern  wissen  I«  thät  er  fragen. 
Sie  hätt  nicht  Herz,  es  zu  versagen: 
Wie  er  den  Weg  zur  Weiblein  Brust 
Von  alten  Zeiten  wohl  noch  wusst. 
Sie  zeigts  ihm  an,  und  er  thät  gehn. 
Wie  ihrs  bald  weiter  werdet  sehn.  —  — 


84 


/77^  an  Merck  gesandt. 


Guter  Rath 

auf  ein  Reissbrett^  wohl  auch  Schreibtisch  etc. 

O  geschieht  wohl,    dass  man  an  einem  Tag 
Weder  Gott  noch  Menschen  leiden  mag, 
Dringt  nichts  dir  nach  dem  Herzen  ein. 
Sollts  in  der  Kunst  wohl  anders  sein? 
Drum  hetz  dich  nicht  zur  schlappen  Zeit! 
Denn  Füll  und  Kraft  ist  nimmer  weit: 
Hast  in  der  schlappen  Stund  geruht, 
Ist  dir  die  gute  doppelt  gut. 


85 


Frankfurt  1774- 


Auf  Christianen  R. 

rlab  oft  einen  dumpfen,  düstem  Sinn, 
Ein  gar  so  schweres  Blut  — 
Wenn  ich  bei  meiner  Christel  bin, 
Ist  alles  wieder  guti 
Ich  seh  sie  dort,  ich  seh  sie  hier 
Und  weiss  nicht  auf  der  Welt, 
Und  wie  und  wo  und  wann  sie  mir, 
Warum  sie  mir  gefallt. 

Das  schwarze  Schelmenaug  dadrein, 
Die  schwarze  Braue  drauf. 
Seh  ich  ein  einzig  Mal  hinein. 
Die  Seele  geht  mir  auf. 
Ist  eine,  die  so  lieben  Mund, 
I/iebrunde  Wänglein  hat? 
Ach,  und  es  ist  noch  etwas  rund, 
Da  sieht  kein  Aug  sich  satt! 

Und  wenn  ich  sie  denn  fassen  darf. 
Im  luftgen  deutschen  Tanz, 
Das  geht  herum,  das  geht  so  scharf, 
Da  fühl  ich  mich  so  ganzi 


86 


Zuerst  gedruckt  in  Wielands  Merkur^  Aprilheft  1776, 

Und    wenns    ihr    taumlig    wird    und    warm, 
Da  wieg\ich  sie  sogleich 
An  meiner  Brust,  in  meinem  Arm  — 
's  ist  mir  ein  Königreich! 

Und    wenn    sie    liebend    nach    mir    blickt 
Und  alles  rund  vergisst, 
Und  dann  an  meine  Brust  gedrückt 
Und  weidlich  eins  geküsst  — 
Das  läuft  mir  durch  das  Rückenmark 
Bis  in  die  grosse  Zehl 
Ich  bin  so  schwach,  ich  bin  so  stark, 
Mir  ist  so  wohl,  so  wehl 

Da  möcht  ich  mehr  und  immer  mehr. 
Der  Tag  wird  mir  nicht  lang  — 
Wenn    ich    die    Nacht    auch    bei    ihr    war. 
Davor  war  mir  nicht  bang. 
Ich  denk:  ich  halte  sie  einmal 
Und  büsse  meine  Lust  — 
Und  endigt  sich  nicht  meine  Qual, 
Sterb  ich  an  ihrer  Brust! 


87 


Der  Musensohn, 


Der  Musensohn. 

Uurch  Feld  und  Wald  zu  schweifen, 
Mein  Liedchen  wegzupfeifen  — 
So  gehts  von  Ort  zu  Ort! 
Und  nach  dem  Takte  reget 
Und  nach  dem  Mass  beweget 
Sich  aUes  an  mir  fort. 

Ich  kann  sie  kaum  erwarten, 
Die  erste  Blum  im  Garten, 
Die  erste  Blüth  am  Baum; 
Sie  grüssen  meine  Lieder, 
Und  kommt  der  Winter  wieder, 
Sing  ich  noch  jenen  Traum. 

Ich  sing  ihn  in  der  Weite, 
Auf  Eises  Läng  und  Breite  — 
Da  blüht  der  Winter  schön! 
Auch  diese  Blüthe  schwindet. 
Und  neue  Freude  findet 
Sich  auf  bebauten  Höhn. 


88 


Frankfurt^  1774, 


Denn  wie  ich  bei  der  Linde 
Das  junge  Völkchen  finde  — 
Sogleich  erreg  ich  sie! 
Der  stumpfe  Bursche  bläht  sich, 
Das  steife  Mädchen  dreht  sich 
Nach  meiner  Melodie. 

Ihr  gebt  den  Sohlen  Flügel 
Und  treibt  durch  Thal  und  Hügel 
Den  Liebling  weit  von  Haus. 
Ihr  lieben,  holden  Musen, 
Wann  ruh  ich  ihr  am  Busen 
Auch  endlich  wieder  aus? 


89 


Auf  dem  Rhein^  vor  Burg  Lahneck^  i8,  Juli  1774, 


Geistes  Gruss. 

Hoch  auf  dem  alten  Thurrae  steht 
Des  Helden  edler  Geist, 
Der,  wie  das  Schiff  vorübergeht, 
Es  wohl  zu  fahren  heisst: 

»Sieh,  diese  Senne  war  so  stark, 
Dies  Herz  so  fest  und  wild, 
Die  Knochen  voll  von  Ritterraark, 
Der  Becher  angefüllt  — 

Mein    halbes  Leben  stürmt   ich  fort, 
Verdehnt  die  Hälft  in  Ruh  — 
Und  du,  du  Menschen-Schifflein  dort, 
Fahr  immer,  immer  zulc 


90 


Rheinreiset  Sommer  1774, 


Diner  zu  Koblenz 

19.  Juli  1774. 

Zwischen  Lavater  und  Basedow 
Sass  ich  bei  Tisch,  des  Lebens  froh. 
Herr  Helfer,  der  war  gar  nicht  faul, 
Setzt  sich  auf  einen  schwarzen  Gaul, 
Nahm  einen  Pfarrer  hinter  sich 
Und  auf  die  Offenbarung  strich, 
Die  uns  Johannes  der  Prophet 
Mit  Räthseln  wohl  versiegeln  thät: 
Eröffnet  die  Siegel  kurz  und  gut, 
Wie  man  Theriaksbüchsen  öffnen  thut, 
Und  mass  mit  einem  heiligen  Rohr 
Die  Kubusstadt  und  das  Perlenthor 
Dem  hocherstaunten  Jünger  vor.  — 
Ich  war  indess  nicht  weit  gereist, 
Hatte  ein  Stück  Salmen  aufgespeist. 

Vater  Basedow  unter  dieser  Zeit 
Packt  einen  Tanzmeister  an  seine  Seit 
Und  zeigt  ihm,  was  die  Taufe  klar 
Bei  Christ  und  seinen  Jüngern  war. 
Und  dass  sichs  gar  nicht  ziemet  jetzt, 
Dass  man  den  Kindern  die  Köpfe  netzt. 


91 


Rheinreüe^  Sommer  1774. 


Drob  ärgert  sich  der  andre  sehr 
Und  wollte  gar  nichts  hören  mehr 
Und  sagt,  es  wüsste  ein  jedes  Kind, 
Dass  es  in  der  Bibel  anders  stund.  — 
Und  ich  behaglich  unterdessen 
Hätt  einen  Hahnen  aufgefressen. 


Und  wie  nach  Emmaus  weiter  gings 
Mit  Geist-  und  Feuerschritten, 
Prophete  rechts,  Prophete  links, 
Das  Weltkind  in  der  Mitten. 


92 

( 


i 


Rhetnreise^  20.  Juli  1774. 


Lass  regnen,  wenn  es  regnen  will, 
Dem  Wetter  seinen  Lauf: 
Denn    wenn  es  nicht  mehr    regnen  will. 
So  hörts  von  selber  auf. 


93 


Wahrhaftes  Märchen. 


Wahrhaftes  Märchen. 

Ich   führt   ein'n  Freund   zum  Maidel  jung, 

WoUts  ihm  zu  geniessen  geben, 

Was  alles  es  hätt,  gar  Freud  genung, 

Frisch  junges,  warmes  Leben. 

Wir  fanden  sie  sitzen  an  ihrem  Bett, 

Thät  sich  auf  ihr  Händlein  stützen; 

Der  Herr,  der  macht  ihr  ein  Kompliment, 

Thät  gegen  ihr  über  sitzen. 

Er  spitzt  die  Nase,  er  sturt  sie  an, 

Betracht  sie  herüber,  hinüber  — 

Und  um  mich  wars  gar  bald  gethan, 

Die  Sinnen  gingen  mir  überl  — 

Der  liebe  Herr  für  allen  Dank 
Führt  mich  darauf  in  eine  Ecken 
Und  sagt,  sie  war  doch  allzu  schlank 
Und  hätt  auch  Sommerflecken.  —  — 
Da  nahm  ich  von  meinem  Kind  Adieu, 
Und  scheidend  sah  ich  in  die  Höh : 
»Ach  Herre  Gott,  ach  Herre  Gott, 
Erbarm  dich  doch  des  Herren!«    — 


94 


Rheinreise^  Ende  Juli  1774, 


Da  führt  ich  ihn  in  die  Galerie 
Voll  Menschengluth  und  Geistes  — 
Mir  wirds  da  gleich,  ich  weiss  nicht  wie, 
Mein  ganzes  Herz  zerreisst  es. 
O  Maler  I  Maler!  rief  ich  laut, 
Belohn  dir  Gott  dein  Malen  1 
Und  nur  die  allerschönste  Braut 
Kann  dich  für  uns  bezahlen. 

Und  sieh,  da  ging  mein  Herr  herum 
'  Und  stochert  sich  die  Zähne, 
Registrirt  im  Catalogum 
Mir  meine  Göttersöhne. 
Mein  Busen  war  so  voll  und  bang 
Von  hundert  Wellen  trächtig  — 
Ihm  war  bald  was  zu  kurz  zu  lang. 
Wägt  alles  gar  bedächtig. 

Da  warf  ich  in  ein  Eckchen  mich. 
Die  Eingeweide  brannten  — 
Um  ihn  versammelten  Männer  sich 
Die  ihn  einen  Kenner  nannten. 


95 


Düsseldorfs  Ende  Jtili  17^4. 


Was  frommt  die  glühende  Natur 
An  deinem  Busen  dir, 
Was  hilft  dir  das  Gebildete 
Der  Kunst  rings  um  dich  her, 
Wenn  liebevolle  Schöpfungskraft 
Nicht  deine  Seele  füllt 
Und  in  den  Fingerspitzen  dir 
Nicht  wieder  bildend  wird! 


96 


Frankfurt,  Herbst  1774, 


Künstlers  Abendlied. 

Äch,  dass  die  innre  Schöpfungskraft 
Durch  meinen  Sinn  erschölle! 
Dass  eine  Bildung  voller  Saft 
Aus  meinen  Fingern  quöllet 

Ich  zittre  nur,  ich  stottre  nur 
Und  kann  es  doch  nicht  lassen: 
Ich  fühl:  ich  kenne  dich,  Natur, 
Und  so  muss  ich  dich  fassen  I  — ^ 

Bedenk  ich  dann,  wie  manches  Jahr 
Sich  schon  mein  Sinn  erschliesset, 
Wie  er,  wo  dürre  Heide  war. 
Nun  Freudenquell  geniesset: 

Da  ahnd   ich  ganz,    Natur,    nach  dir: 
Dich  treu  und  lieb  zu  fühlen! 
Ein  lustiger  Springbrunn,    wirst  du  mir 
Aus  tausend  Röhren  spielen! 

Wirst  alle  meine  Kräfte  mir 
In  meinem  Sinn  erheitern 
Und  dieses  enge  Dasein  hier 
Zur  Ewigkeit  erweitem. 


Hartlebeu,  Goelhe-Brevier. 

97 


tO.    Oktober  1774. 


»irr Mi-if   T 


An  Schwager  Kronos. 

In  der  Postchaise. 

Opute  dich,  Kronos! 

Fort  den  rasselnden  Trott! 

Bergab  gleitet  der  Weg; 

Ekles  Schwindeln  zögert 

Mir  vor  die  Stime  dein  Zaudern. 

Frisch,  holpert  es  gleich, 

lieber  Stock  und  Steine  den  Trott 

Rasch  ins  Leben  hinein ! 

Nun  schon  wieder 
Den  erathmenden  Schritt 
Mühsam,  Berg  hinauf! 
Auf  denn,  nicht  träge  denn: 
Strebend  und  hoffend  hinan! 

Weit,  hoch,  herrlich  der  Blick 
Rings  ins  Leben  hinein  I 
Vom  Gebirg  zum  Gebirg 
Schwebet  der  ewige  Geist, 
Ewigen  Lebens  ahnde  voll. 


98 


Auf  der  Fahrt  von  Mannheim  nach  Darmstadt. 

Seitwärts  des  Ueberdachs  Schatten 
Zieht  dich  an, 

Und  ein  Frischung  verheissender  Blick 
Auf  der  Schwelle  des  Mädchens  da. 
Labe  dichl  —  Mir  auch,  Mädchen, 
Diesen  schäumenden  Trank, 
Diesen  frischen  Gesundheitsblick  I 

Ab  denn,  rascher  hinab  I 
Sieh,  die  Sonne  sinkt! 
Eh  sie  sinkt,  eh  mich  Greisen 
Ergreift  im  Moore  Nebelduft, 
Entzahnte  Kiefer  schnattern 
Und  das  schlotternde  Gebein: 

Trunken  vom  letzten  Strahl 
Reiss  mich,  ein  Feuermeer 
Mir  im  schäumenden  Aug, 
Mich  Geblendeten,  Taumelnden 
In  der  HöUe  nächUiches  Thor! 

Töne,  Schwager,  ins  Hom, 
Rassle  den  schallenden  Trab, 
Dass  der  Orkus  vernehme:  wir  kommen, 
Dass  gleich  an  der  Thüre 
Der  Wirth  uns  freundlich  empfange! 


99  7* 


Frankfurt^  SepUmher  1774. 


Prometheus, 

Dedecke  deinen  Himmel,  Zeus, 

Mit  Wolkendunst 

Und  übe,  dem  Knaben  gleich. 

Der  Disteln  köpft. 

An  Eichen  dich  und  Bergeshöhnl 

Musst  mir  meine  Erde 

Doch  lassen  stehn 

Und  meine  Hütte,  die  du  nicht  gebaut, 

Und  meinen  Herd, 

Um  dessen  Gluth 

Du  mich  beneidest. 

Ich  kenne  nichts  Aermeres 
Unter  der  Sonn  als  euch,  Götter  1 
Ihr  nähret  kümmerlich 
Von  Opfersteuern 
Und  Gebetshauch 
Eure  Majestät 
Und  darbtet,  wären 
Nicht  Kinder  und  Bettler 
Hoffnungsvolle  Thoren. 


100 


Brief  an  Merck ^  Frankfurt ^  4.   Dezember  1774. 

Da  ich  ein  Kind  war, 
Nicht  wusste,  wo  aus  noch  ein, 
Kehrt  ich  mein  verirrtes  Auge 
Zur  Sonne,  als  wenn  drüber  war 
Ein  Ohr,  zu  hören  meine  Klage, 
Ein  Herz  wie  meins, 
Sich  des  Bedrängten  zu  erbarmen. 

Wer  half  mir 
Wider  der  Titanen  Uebermuth? 
Wer  rettete  vom  Tode  mich, 
Von  Sklaverei? 

Hast  du  nicht  alles  selbst  vollendet. 
Heilig  glühend  Herz, 
Und  glühtest,  jung  imd  gut, 
Betrogen,  Rettungsdank 
Dem  Schlafenden  da  droben? 

Ich  dich  ehren?     Wofür? 
Hast  du  die  Schmerzen  gelindert 
Je  des  Beladenen? 
Hast^  du  die  Thränen  gestillet 
Je  des  Geängsteten? 
Hat  nicht  mich  zum  Manne  geschmiedet 
Die  allmächtige  Zeit 
Und  das  ewige  Schicksal  — 
Meine  Herrn  und  deine? 

Wähntest  du  etwa. 
Ich  sollte  das  Leben  hassen, 


101 


Februar  ijys  Jacohi  übergeben. 


In  Wüsten  fliehen, 
Weil  nicht  alle 
Blüthenträume  reiften? 

Hier  sitz  ich,  forme  Menschen 
Nach  meinem  Bilde, 
Ein  Geschlecht,  das  mir  gleich  sei, 
Zu  leiden,  zu  weinen, 
Zu  geniessen  und  zu  freuen  sich  — 
Und  dein  nicht  zu  achten 
Wie  ich! 


102 


Briefe  an  Merck  vom  4.  und  5.   December  IJ'J4. 


Brief. 

Mein  altes  Evangelium 
Bring  ich  dir  hier  schon  wieder; 
Doch  ist  mirs  wohl  um  mich  herum, 
Darum  schreib  ich  dirs  nieder. 

Ich  holte  Gold,  ich  holte  Wein, 
Stellt  alles  da  zusammen; 
Da,  dacht  ich,  da  wird  Wärme  sein, 
Geht  mein  Gemäld  in  Flammen! 

Auch  thät  ich  bei  der  Schätze  Flor 
Viel  Gluth  und  Reichthum  schwärmen 
Doch  Menschenfleisch  geht  allem  vor. 
Um  sich  daran  zu  wärmen  I 


Und  wer  nicht  richtet,  sondern  fleissig  ist, 
Wie  ich  bin  und  wie  du  bist, 
Den  belohnet  auch  die  Arbeit  mit  Genuss: 
Nichts  wird  auf  der  Welt  ihm  Ueberdruss. 
Denn  er  blecket  nicht  mit  stumpfem  Zahn 
Lang  Gesottnes  und  Gebratnes  an, 
Das  er,  wenn  er  noch  so  sittlich  kaut, 
Endlich  doch  nicht  sonderlich  verdaut  — 


103 


Briefe  an  Merck  vom  4.  und  5.  Decemher  1774. 

Sondern  fasst  ein  tüchtig  Schinkenbein, 
Haut  da  gut  taglöhnermässig  drein, 
Füllt  bis  oben  gierig  den  Pokal, 
Trinkt,    und    wischt    das    Maul    wohl    nicht 

einmal.  — 


Sieh:  so  ist  Natur  ein  Buch  lebendig. 
Unverstanden,  doch  nicht  unverständlich ! 
Denn  dein  Herz   hat  viel    und  gross  Begehr, 
Was  wohl  in  der  Welt  für  Freude  war. 
Allen  Sonnenschein  und  alle  Bäume, 
Alles  Meergestad  und  alle  Träume 
In  dein  Herz  zu  sammeln  mit  einander  .  .  . 

Und  wie  muss  dirs  werden,  wenn  du  fühlest, 
Dass  du  aUes  in  dir  selbst  erzielest! 
Freude  hast  an  deiner  Frau  und  Hunden, 
Als  noch  keiner  in  Elysium  gefunden. 
Als  er  da  mit  Schatten  lieblich  schweifte 
Und  an  goldne  Gottgestalten  streifte. 
Nicht  in  Rom,  in  Magna  Graecia  — 
Dir  im  Herzen  ist  die  Wonne  dal 
Wer  mit  seiner  Mutter,  der  Natur,   sich  hält, 
Findt  im  Stengelglas  wohl  eine  Welt. 


J04 


^ 


Frankfurt^  1775. 


Vor  Gericht. 

Von  wem    ich    es    habe,    das   sag    ich   euch 

nicht, 
Das  Kind  in  meinem  Leib. 
»PfuÜf  speit  ihr  aus:   »die  Hure  dal«   — 
Bin  doch  ein  ehrlich  Weib, 

Mit    wem    ich    mich    traute,    das   sag   ich 

euch  nicht. 
Mein  Schatz  ist  lieb  und  gut: 
Trägt  er  eine  goldene  Kett  am  Hals, 
Trägt  er  einen  strohernen  Hut. 

Soll  Spott  und  Hohn  getragen  sein, 
Trag  ich  allein  den  Hohn. 
Ich  kenn  ihn  wohl,  er  kennt  mich  wohl. 
Und  Gott  weiss  auch  davon. 

Herr  Pfarrer  und  Herr  Amtmann  ihr, 
Ich  bitte,  lasst  mich  in  Ruh! 
Es  ist  mein  Kind,  es  bleibt  mein  Kind: 
Ihr  gebt  mir  ja  nichts  dazu. 


105 


Frankfurt^  1775. 


Bauern  unter  der  Linde. 

Tanz  und  Gesang. 

Uer  Schäfer  putzte  sich  zum  Tanz 
Mit  bunter  Jacke,  Band  und  Kranz, 
Schmuck  war  er  angezogen. 
Schon  um  die  Linde  war  es  voll, 
Und  alles  tanzte  schon  wie  toll. 
Juchhe !    Juchhe ! 
Juchheisa  1    Heisa  1    He  1 
So  ging  der  Fiedelbogen. 

Er  drückte  hastig  sich  heran; 
Da  stiess  er  an  ein  Mädchen  an 
Mit  seinem  Ellenbogen. 
Die  frische  Dirne  kehrt  sich  um 
Und  sagte:  »Nun,  das  find  ich  dumm.« 
Juchhe !    Juchhe ! 
Juchheisa !  Heisa  !  He ! 
»Seid  nicht  so  ungezogen  1« 

Doch  hurtig  in  dem  Kreise  gings ; 
Sie  tanzten  rechts,  sie  tanzten  links, 
Und  alle  Röcke  flogen. 


IQd 


Faust.      >  Vor  detn   Thor,  c 


Sie  wurden  roth,  sie  wurden  warm 
Und  ruhten  athmend  Arm  in  Arm, 
Juchhe !    Juchhe  1 
Juchheisa!  Heisa I  He! 
Und  Hüft  an  Ellenbogen. 

»Und  thu  mir  doch  nicht  so  vertraut ! 
Wie  Mancher  hat  nicht  seine  ßraut 
Belogen  und  betrogen!« 
Er  schmeichelte  sie  doch  bei  Seit, 
Und  von  der  Linde  scholl  es  weit: 
Juchhei    Juchhe! 
Juchheisa!    Heisa!    He! 
Geschrei  und  Fiedelbogen. 


107 


Faust.      -> Auerbachs  Keller  in  Leipzig.*     J775' 

Lied  des  Mephistopheles. 

EfS  war  einmal  ein  König, 
Der  hatt  einen  grossen  Floh, 
Den  liebt  er  gar  nicht  wenig 
Als  wie  seinen  eignen  Sohn. 
Da  rief  er  seinem  Schneider, 
Der  Schneider  kam  heran : 
»Da,  miss  dem  Junker  Kleider 
Und  miss  ihm  Hosen  an!« 

In  Sammet  und  in  Seide 
War  er  nun  angethan, . 
Hatte  Bänder  auf  dem  Kleide, 
Hatt  auch  ein  Kreuz  daran, 
Und  war  sogleich  Minister 
Und  hatt  einen  grossen  Stern. 
Da  wurden  seine  Geschwister 
Bei  Hof  auch  grosse  Herrn. 

Und  Herrn  und  Fraun  am  Hofe, 
Die  waren  sehr  geplagt, 
Die  Königin  und  die  Zofe 
Gestochen  und  genagt, 
Und  durften  sie  nicht  knicken 
Und  weg  sie  jucken  nicht.  — 
Wir  knicken  und  ersticken 
Doch  gleich,  wenn  einer  sticht. 


108 


Faust,     y Nacht.  Strasse  vor  Gretchens    Thüre.% 


Mephistopheles 

singt  zur  Zither. 

Was  machst  du  mir 

Vor  Liebchens  Thtir, 

Kathrinchen,  hier 

Bei  frühem  Tagesblicke? 

Lass,  lass  es  sein  I 

Er  lässt  dich  ein, 

Als  Mädchen  ein, 

Als  Mädchen  nicht  zurücke  1 

Nehmt  euch  in  Acht  1 
Ist  es  vollbracht, 
Dann  gute  Nacht, 
Ihr  armen,  armen  Dinger  I 
Habt  ihr  euch  lieb, 
Thut  keinem  Dieb 
Nur  nichts  zu  Lieb 
Als  mit  dem  Ring  am  Finger! 


109 


Frankfurt,  1775. 


Gretchen. 

Meine  Ruh  ist  hin, 
Mein  Herz  ist  schwer; 
Ich  finde  sie  nimmer 
Und  nimmermehr. 

Wo  ich  ihn  nicht  hab, 
Ist  mir  das  Grab, 
Die  ganze  Welt 
Ist  mir  vergällt. 

Mein  armer  Kopf 
Ist  mir  verrückt, 
Mein  armer  Sinn 
Ist  mir  zerstückt. 

Meine  Ruh  ist  hin, 
Mein  Herz  ist  schwer; 
Ich  finde  sie  nimmer 
Und  nimmermehr. 

Nach  ihm  nur  schau  ich 
Zum  Fenster  hinaus. 
Nach  ihm  nur  geh  ich 
Aus  dem  Haus. 


110 


Faust.     ^Gretckens  Stube. € 


Sein  hoher  Gang, 
Sein  edle  Gestalt, 
Seines  Mundes  Lächeln, 
Seiner  Augen  Gewalt 

Und  seiner  Rede 
Zauberfluss, 
Sein  Händedruck 
Und,  ach,  sein  Kuss! 

Meine  Ruh  ist  hin, 
Mein  Herz  ist  schwer; 
Ich  finde  sie  nimmer 
Und  nimmermehr. 

Mein  Schooss,  Gottl   drängt 
Sich  nach  ihm  hin. 
Ach,  dürft  ich  fassen 
Und  halten  ihnl 

Und  küssen  ihn, 
So  wie  ich  wollt  — 
An  seinen  Küssen 
Vergehen  sollt  I 


in 


Frankfurt^  1775- 


Gretchen. 

Ach,  neige, 

Du  Schmerzenreiche, 

Dein  Antlitz  gnädig  meiner  Nothl 

Das  Schwert  im  Herzen, 
Mit  tausend  Schmerzen 
Blickst  auf  zu  deines  Sohnes  Tod. 

Zum  Vater  blickst  du, 
Und  Seufzer  schickst  du 
Hinauf  um  sein  und  deine  Noth. 

Wer  fühlet 
Wie  wühlet 

Der  Schmerz  mir  im  Gebein? 
Was  mein  armes  Herz  hier  banget, 
Was  es  zittert,  was  verlanget, 
Weisst  nur  du,  nur  du  allein! 

Wohin  ich  immer  gehe, 
Wie  weh,  wie  weh,  wie  wehe 
Wird  mir  im  Busen  hierl 


112 


Faust     >  Zwinger . « 


Ich  bin,  ach|  kaum  alleine, 
Ich  wein,  ich  wein,  ich  weine. 
Das  Herz  zerbricht  in  mir. 

Die  Scherben  vor  meinem  Fenster 
Bethaut  ich  mit  Thränen,  ach, 
Als  ich  am  frühen  Morgen 
Dir  diese  Blumen  brach. 

Schien  hell  in  meine  Kammer 
Die  Sonne  früh  herauf, 
Sass  ich  in  allem  Jammer 
In  meinem  Bett  schon  auf. 

Hilfl  Rette  mich  von  Schmach   und  Tod! 
Ach  neige, 
Du  Schmerzenreiche, 
Dein  Antlitz  gnädig  meiner  Noth! 


Hartleben,  Goethe-Brevier. 

113 


Lüi,  —  Prankfurty  Februar  177$. 

Neue  Liebe,  neues  Leben. 

tlerzy  mein  Herz,  was  soll  das  geben, 
Was  bedränget  dich  so  sehr? 
Welch  ein  fremdes,  neues  Leben ! 
Ich  erkenne  dich  nicht  mehr. 
Weg  ist  Alles,  was  du  liebtest, 
Weg,  warum  du  dich  betrübtest. 
Weg  dein  Fleiss  und  deine  Ruh  — 
Ach,  wie  kamst  du  nur  dazul 

Fesselt  dich  die  Jugendblüthe, 
Diese  liebliche  Gestalt, 
Dieser  Blick  voll  Treu  und  Güte 
Mit  unendlicher  Gewalt?  — 
Will  ich  rasch  mich  ihr  entziehen. 
Mich  ermannen,  ihr  entfliehen. 
Führet  mich  im  Augenblick 
Ach,  mein  Weg  zu  ihr  zurück. 

Und  an  diesem  Zauberfädchen, 
Das  sich  nicht  zerreissen  lässt, 
Hält  das  liebe,  lose  Mädchen 
Mich  so  wider  Willen  fest. 
Muss  in  ihrem  Zauberkreise 
Leben  nun  auf  ihre  Weise  — 
Die  Verändrung,  ach,  wie  gross  I 
Liebe !  Liebe !  Lass  mich  los  1 


114 


Lili.  —  Frankfurt^  Fehrtiar  I77S» 


Warum  ziehst  du  mich  unwiderstehlich 
Ach,  in  jene  Pracht? 
War  ich  guter  Junge  nicht  so  selig 
In  der  öden  Nacht? 

Heimlich  in  mein  Zimmerchen  verschlossen, 
Lag  im  Mondenschein, 
Ganz  von  seinem  Schauerlicht  umflossen, 
Und  ich  dämmert  ein  — 

Träumte  da  von  vollen,  goldnen  Stunden 
Ungemischter  Lust, 

Hatte  schon  dein  liebes  Bild  empfunden 
Tief  in  meiner  Brust.  —  — 

Bin  ichs  noch,  den  du  bei  so  viel  Lichtern 
An  dem  Spieltisch  hältst, 
Oft  so  unerträglichen  Gesichtern 
Gegenüberstellst  ? 

Reizender  ist  mir  des  Frühlings  Blüthe 
Nun  nicht  auf  der  Flur  — 
Wo  du,  Engel,  bist,  ist  Lieb  und  Güte, 
Wo  du  bist,  Natur  1 


US  8* 


Lili,  —  Frankfurt^  Frühjahr  1775, 


Nähe. 

Wie  du  mir  oft,  geliebtes  Kind, 

Ich  weiss  nicht  wie,  so  fremde  bist, 

Wenn  wir  im  Schwärm    der  vielen  Menschen 

sind  — 
Das  schlägt  mir  alle  Freuden  nieder. 
Doch  ja,  wenn  alles  still  und  finster  um  uns  ist, 
Erkenn  ich  dich  an  deinen  Küssen  wieder! 


116 


Lili,  —  Auf  dem  Zürcher  See^  1$.  Juni  17J5, 


Auf  dem  See. 

Und  frische  Nahrung,  neues  Blut 
Saug  ich  aus  freier  Welt  — 
Wie  ist  Natur  so  hold  und  gut, 
Die  mich  am  Busen  hältl 
Die  Welle  wieget  unsem  Kahn 
Im  Rudertakt  hinauf, 
Und  Berge,  wolkig  himmelan, 
Begegnen  unserm  Lauf. 


Aug,    mein  Aug,   was  sinkst   du  nieder? 
Goldne  Träume,  kommt  ihr  wieder? 
Weg,  du  Traum,  so  gold  du  bist! 
Hier  auch  Lieb  und  Leben  ist. 

Auf  der  Welle  blinken 
Tausend  schwebende  Sterne, 
Weiche  Nebel  trinken 
Rings  die  thürmende  Feme, 
Morgenwind  umflügelt 
Die  beschattete  Bucht, 
Und  im  See  bespiegelt 
Sich  die  reifende  Frucht. 


117 


Lilu  —  Am  Zürcher  See^  1$.  Juni  1775, 


Vom  Berge. 

Wenn  ich,  liebe  Lili,  dich  nicht  Hebte, 
Welche  Wonne  gab  mir  dieser  Blick  1 
Und  doch,  wenn  ich,  Lili,    dich  nicht  liebte, 
War  —  was  war  mein  Glück! 


118 


Lili.  —  Frankfurt^  September  1775. 


Lilis  Park. 

Ist  doch  keine  Menagerie 

So  bunt  als  meiner  Lili  ihre! 

Sie  hat  darin  die  wunderbarsten  Thiere 

Und  kriegt  sie  rein,  weiss  selbst  nicht  wie. 

O  wie  sie  hüpfen,  laufen,  trappeln, 

Mit  abgestumpften  Flügeln  zappeln, 

Die  armen  Prinzen  allzumal, 

In  nie  gelöschter  Liebesqual  I 

»Wie   hiess   die    Fee?  —   Lili?  —  Fragt 

nicht  nach  ihr: 
Kennt  ihr  sie  nicht,  so  danket  Gott  dafür! 

Welch  ein  Geräusch,   welch    ein  Gegacker, 
Wenn  sie  sich  in  die  Thüre  stellt 
Und    in  der  Hand   das  Futterkörbchen  hält! 
Welch  ein  Gequiek,  welch  ein  Gequacker! 
Alle  Bäume,  alle  Büsche 
Scheinen  lebendig  zu  werden: 
So  stürzen  sich  ganze  Herden 
Zu  ihren  Füssen :  sogar  im  Bassin  die  Fische 
Patschen  ungeduldig  mit  den  Köpfen  heraus. 
Und  sie  streut  dann  das  Futter  aus 


119 


Luis  Park. 


Mit  einem  Blick  —  Götter  zu  entzücken, 
Geschweige  die  Bestien.  —  Da  gehts  an  ein 

Picken, 
An  ein  Schlürfen,  an  ein  Hacken: 
Sie  stürzen  einander  über  die  Nacken, 
Schieben  sich,  drängen  sich,  reissen  sich. 
Jagen  sich,  ängsten  sich,  beissen  sich  — 
Und  das  all  um  ein  Stückchen  Brod, 
Das,     trocken,     aus     den     schönen    Händen 

schmeckt, 
Als  hätt  es  in  Ambrosia  gesteckt! 

Aber  der  Blick  auch!     Der  Ton, 
Wenn  sie  ruft:   »Pipi!  PipÜ«, 
Zöge  den  Adler  Jupiters  vom  Thron : 
Der  Venus  Taubenpaar, 
Ja,  der  eitle  Pfau  sogar, 
Ich  schwöre,  sie  kämen. 
Wenn  sie  den  Ton  von  weitem  nur  vernähmen. 

Denn  so  hat  sie  aus  des  Waldes  Nacht 
Einen  Bären,  ungeleckt  und  ungezogen, 
Unter  ihren  Beschluss  herein  betrogen, 
Unter  die  zahme  Compagnie  gebracht 
Und  mit  den  andern  zahm  gemacht: 
Bis  auf  einen  gewissen  Punkt,    versteht  sich ! 
Wie  schön  und  ach  I  wie  gut 
Schien  sie  zu  sein !     Ich  hätte  mein  Blut 
Gegeben,  um  ihre  Blumen  zu  begiessen. 


120 


IaIu  —  Frankfurt^  September  J775. 

»Ihr  sagtet:  Ich!  Wie?  Wer?« 
Gut  denn,  ihr  Herrn,  grad  aus:    Ich  bin  der 

Bär, 
In  einem  Filetschurz  gefangen, 
An  einem  Seidenfaden  ihr  zu  Füssen! 
Doch  wie  ist  das  alles  zugegangen, 
Erzähl  ich  euch  zur  andern  Zeit  — 
Dazu  bin  ich  zu  wüthig  heut. 

Denn,  ha!  steh  ich  so  an  der  Ecke 
Und  hör  von  weitem  das  Geschnatter, 
Seh  das  Geflitter,  das  Geflatter, 
Kehr  ich  mich  um 
Und  brumm. 

Und  renne  rückwärts  eine  Strecke, 
Und  seh  mich  um 
Und  brumm. 

Und  laufe  wieder  eine  Strecke, 
Und  kehr  doch  endlich  wieder  um. 

Dann  fängts  auf  einmal  an  zu  rasen. 
Ein  mächtger  Geist  schnaubt  aus  der  Nasen, 
Es  wildzt  die  innere  Natur. 
Was!  du  ein  Thor,  ein  Häschen  nur? 
So  ein  Pipi,  Eichhörnchen,  Nuss  zu  knacken? 
Ich  sträube  meinen  borstgen  Nacken, 
Zu  dienen  ungewöhnt. 
Ein  jedes  aufgestutzte  Bäumchen  höhnt 
Mich  an!     Ich  flieh  vom  Boulingreen, 


121 


Litis  Park, 


Vom  niedlich  glatt  gemähten  Grase, 

Der  Buchsbaum  zieht  mir  eine  Nase, 

Ich  flieh  ins  dunkelste  Gebüsche  hin, 

Durchs  Gehäge  zu  dringen, 

Ueber  die  Planken  zu  springen  I 

Mir  versagt  Klettern  und  Sprung, 

Ein  Zauber  bleit  mich  nieder. 

Ein  Zauber  häkelt  mich  wider, 

Ich  arbeite  mich  ab,  und  bin  ich  matt  genung. 

Dann  lieg  ic}i  an  gekünstelten  Cascaden, 

Und  kau  und  wein  und  wälze  halb  mich  todt. 

Und  achl  es  hören  meine  Noth 

Nur  porcellanene  Oreaden.  — 

Auf  einmal!  —  Ach,  es  dringt 
Ein  seliges  Gefühl  durch  alle  meine  Glieder! 
Sie  ists,  die  dort  in  ihrer  Laube  singt! 
Ich  höre  die  liebe,  liebe  Stimme  wieder, 
Die  ganze  Luft  ist  warm,  ist  blüthevoU. 
Ach,  singt  sie  wohl,  dass  ich  sie  hören  soll? 
Ich  dringe  zu,  tret  alle  Sträuche  nieder. 
Die  Büsche  fliehn,  die  Bäume  weichen  mir. 
Und  so  —  zu  ihren  Füssen  liegt  das  Thier. 

Sie    sieht    es    an:    »Ein   Ungeheuer,    doch 

drollig! 
Für  einen  Bären  zu  mild, 
Für  einen  Pudel  zu  wild, 
So  zottig,  tapsig,  knollig!« 


122 


1 


Lili.  —  Frankfurt,  September  i'/75. 

Sie    streicht    ihm    mit   dem   Füsschen    übern 

Rücken  — 

Er  denkt  im  Paradiese  zu  sein. 

Wie  ihn  alle  sieben  Sinne  jucken! 

Und  sie   —  sieht  ganz  gelassen  drein. 

Ich  küss  ihre  Schuhe,  kau  an  den  Sohlen, 

So  sittigy  als  ein  Bär  nur  mag: 

Ganz  sachte  heb  ich  mich  und  schwinge  mich 

verstohlen 

Leis  an  ihr  Knie  —  am  günstgen  Tag 

Lässt  sies  geschehn  und  kraut  mir  um  die  Ohren 

Und    patscht    mich    mit    muthwillig    derbem 

Schlag  — 

Ich  knurr,  in  Wonne  neu  geboren  I 

Dann  fordert   sie   mit  süssem,   eitlem  Spotte: 

»AUons  tout  douxl  eh  la  menotte! 

Eh  faites  Serviteur 

Comme  un  joli  Seigneuric 

So  treibt  sies  fort  mit  Spiel  und  Lachen! 

Es  hofft  der  oft  betrogne  Thor  — 

Doch  will  er  sich  ein  bischen  unnütz  machen, 

Hält  sie  ihn  kurz  als  wie  zuvor. 

Doch  hat  sie  auch  ein  Fläschchen  Balsam- 
Feuers, 

Dem  keiner  Erde  Honig  gleicht. 

Wovon  sie  wohl  einmal,  von  Lieb  und  Treu 

erweicht, 

Um  die  verlechzten  Lippen  ihres  Ungeheuers 


124 


\ 


Luis  Park. 


Ein  Tröpfchen   mit  der  Fingerspitze    streicht, 
Und  wieder  flieht  und  mich  mir  überlässt. 
Und  ich  dann,  losgebunden,  fest 
Gebannt  bin,  immer  nach  ihr  ziehe, 
Sie  suche,  schaudre,  wieder  fliehe  — 
So  lässt  sie  den  zerstörten  Armen  gehn, 
Ist  seiner  Lust,  ist  seinen  Schmerzen  still  — 
Hai   manchmal    lässt  sie  mir   die  Thür   halb 

oflen  stehn. 
Seitblickt    mich    spottend    an,    ob    ich    nicht 

fliehen  will? 

Und  ichl  —  Götter  ists  in  euren  Händen, 
Dieses  dumpfe  Zauberwerk  zu  enden. 
Wie   dank    ich,    wenn  ihr    mir    die    Freiheit 

schafft ! 
Doch  —  sendet  ihr  mir  keine  Hülfe  nieder  — 
Nicht  ganz  umsonst  reck  ich  so  meine  Glieder: 
Ich  fiihls  I  Ich  schwörs  I  Noch  hab  ich  Krafl. 


124 


Lili.  —   September  1775.    *Faust.    Auerbeu:ks  Keller.* 


Lied  des  Brander. 

lls  war  eine  Ratt  im  Kellemest, 
Lebte  nur  von  Fett  und  Butter, 
Hatte  sich  ein  Ränzlein  angemäst't 
Als  wie  der  Doktor  Luther. 
Die  Köchin  hatt  ihr  Gift  gestellt: 
Da  wards  so  eng  ihr  in  der  Welt, 
Als  hätte  sie  Lieb  im  Leibe. 

Sie  fuhr  herum,  sie  fuhr  heraus 
Und  soff  aus  allen  Pfützen, 
Zernagt,  zerkratzt  das  ganze  Haus, 
Wollte  nichts  ihr  Wüthen  nützen; 
Sie  thät  gar  manchen  Aengstesprung, 
Bald  hatte  das  arme  Thier  genung, 
Als  hätt  es  Lieb  im  Leibe. 

Sie  kam  vor  Angst  am  hellen  Tag 
Der  Küche  zugelaufen, 
Fiel  an  den  Herd  und  zuckt  und  lag 
Und  thät  erbärmlich  schnaufen. 
Da  lachte  die  Vergifterin  noch: 
»Ha!    Sie  pfeift  auf  dem  letzten  Loch, 
Als  hätte  sie  Lieb  im  Leibe.« 


125 


Lili.  — -   Offenbach,  September  lyjS- 


Herbstgefühl. 

retter  grüne  du  Laub 
Am  Rebengeländer 
Hier  mein  Fenster  herauf! 
Gedrängter  quellet, 
Zwillingsbeeren,  und  reifet 
Schneller  und  glänzend  voller! 
Euch  brütet  der  Mutter  Sonne 
Scheideblick,  euch  umsäuselt 
Des  holden  Himmels 
Fruchtende  Fülle  — 
Euch  kühlet  des  Mondes 
Freundlicher  Zauberhauch, 
Und  euch  bethauen,  ach. 
Aus  diesen  Augen 
Der  ewig  belebenden  Liebe 
Voll  schwellende  Thränen. 


126 


Uli.  —  Heidelbergs  Ende  October  177s* 


An  ein  goldnes  Herz,  das  er  am 

Halse  trug. 

Angedenken  du  verklungner  Freude, 
Das  ich  immer  noch  am  Halse  trage, 
Hältst  du  länger  als  das  Seelenband  uns  beide  ? 
Verlängerst  du  der  Liebe  kurze  Tage? 

Flieh   ich,    Lili,   vor   dirl     Muss    noch    an 

deinem  Bande 
Durch  fremde  Lande, 
Durch  ferne  Thäler  und  Wälder  wallen! 
Ach,  Lilis  Herz  konnte  so  bald  nicht 
Von  meinem  Herzen  fallen.  — 

Wie  ein  Vogel,  der  den  Faden  bricht 
Und  zum  Walde  kehrt  — 
Er  schleppt  des  Gefängnisses  Schmach, 
Noch  ein  Stückchen  des  Fadens  nach  * — 
Er  ist  der  alte  freigeborne  Vogel  nicht, 
Er  hat  schon  jemand  angehört. 


127 


Lili.  —   Weimar^   Winter  1775» 


Jägers  Abendlied. 

im  Felde  schleich  ich  still  und  wild, 
Gespannt  mein  Feuerrohr  — 
Da  schwebt  so  licht  dein  liebes  Bild, 
Dein  süsses  Bild  mir  vor. 

Du  wandelst  jetzt  wohl  still  und  mild 
Durchs  Feld  und  liebe  Thal, 
Und,  ach,    mein  schnell  verrauschend  Bild 
Stellt  sich  dirs  nicht  einmal? 

Des  Menschen,  der  in  aller  Welt 
Nie  findet  Ruh  noch  Rast, 
Dem  wie  im  Hause,  so  im  Feld 
Sein  Herze  schwillt  zur  Last. 

Mir  ist  es,  denk  ich  nur  an  dich, 
Als  in  den  Mond  zu  sehn  — 
Ein  stiller  Friede  kommt  auf  mich. 
Weiss  nicht,  wie  mir  geschehn. 


130 


Brief  an  den  Herzoge   IValdeck,  23,  December  177$. 


An  Lili. 

ilolde  Liliy  warst  so  lang 
All  mein  Lust  und  all  mein  Sang  — 
Bist,  ach,  nun  all  mein  Schmerz,  und  doch 
All  mein  Sang  bist  du  noch. 


131 


Brief  an  den  Herzoge   Waldeck^  23.  December  1775. 


An  den  Herzog, 

VJehab  dich  wohl   bei   den  hundert  Lichtem, 

Die  dich  umglänzen, 

Und  all  den  Gesichtern, 

Die  dich  umschwänzen 

Und  umkredenzenl 

Findst  doch  nur  wahre  Freud  und  Ruh 

Bei  Seelen,  grad  und  treu  wie  du. 


132 


Weimar^  Januar  ly^ö. 


Eis-Lebens-Lied. 

oorglos  über  die  Fläche  weg, 
Wo  vom  kühnsten  Wager  die  Bahn 
Dir  nicht  vorgegraben  du  siehst  — 
Mache  dir  selber  Bahnl 

Stille,  Liebchen,  mein  Hcrzl 
Krachts  gleich,  brichts  doch  nicht! 
Brichts  gleich,  brichts  nicht  mit  dir! 


133 


Lili.  —  Anfang  Februar  1776. 


An  Lili. 

In  ein  Exemplar  der  >SteIla<,  1776. 

Im  holden  Thal,  auf  schneebedeckten  Höhen 

War  stets  dein  Bild  mir  nah; 

Ich  sahs  um  mich  in  lichten  Wolken  wehen, 

Im  Herzen  war  mirs  da. 

Empfinde  hier,  wie  mit  allmäch tgem  Triebe 

Ein  Herz  das  andre  zieht, 

Und  dass  vergebens  Liebe 

Vor  Liebe  flieht. 


134 


Am  Hang  des  Ettersherg^  12,  Februar  1776, 


Uer  du  von  dem  Himmel  bist, 
Alle  Freud  und  Schmerzen  stillest, 
Den,  der  doppelt  elend  ist, 
Doppelt  mit  Erquickung  füllest. 
Ach,  ich  bin  des  Treibens  müde! 
Was  soll  all  die  Qual  und  Lust? 
Süsser  Friede, 
Komm,  ach  komm  in  meine  Brust! 


135 


Im  Gebirge  hei  Ilmenau,  6.  Mai  tyyö. 


Rastlose  Liebe. 

l/em  Schnee,  dem  Regen, 
Dem  Wind  entgegen, 
Im  Dampf  der  Klüfte, 
Durch  Nebeldüfte  — 
Immer  zu!  Immer  zu! 
Ohne  Rast  und  Ruh! 

Lieber  durch  Leiden 
Möcht  ich  mich  schlagen. 
Als  so  viel  Freuden 
Des  Lebens  ertragen. 
Alle  das  Neigen 
Von  Herzen  zu  Herzen, 
Ach,  wie  so  eigen 
Schaffet  das  Schmerzen! 

Wie?  Soll  ich  fliehen? 
Wälderwärts  ziehen? 
Alles  vergebens! 
Krone  des  Lebens, 
Glück  ohne  Ruh, 
Liebe,  bist  du! 


136 


Brief  an  Charlotte  von  Stein. 


Beim  Zeichnen. 

An  der  Um,  29.  Juni  1776. 

liier  bildend  nach  der  reinen»    stillen 

Natur,  ist,  ach,  mein  Herz  der  alten  Schmerzen 

voll  — 
Leb  ich  doch  stets  um  derentwillen, 
Um  derentwillen  ich  nicht  leben  soll. 


137 


Brief  an  L^vater,   Weimar^  2$,  August  1776. 


Dem  Schicksal. 

Gesang  des  dumpfen  Lebens. 
3.  August  1776. 

Was  weiss  ich,  was  mir  hier  gefällt, 

In  dieser  engen,  kleinen  Welt 

Mit  leisem  Zauberband  mich  hält! 

Mein  Karl  und  ich  vergessen  hier, 

Wie  seltsam  uns  ein  tiefes  Schicksal  leitet; 

Und  ach!  ich  fühls:  im  Stillen  werden  wir 

Zu  neuen  Scenen  vorbereitet. 

Du  hast  uns  lieb,    du  gabst  uns    das  Gefühl, 

Dass  ohne  dich  wir  nur  vergebens  sinnen, 

Durch  Ungeduld  und  glaubenleer  Gewühl 

Voreilig  dir  niemals  was  abgewinnen. 

Du  hast  für   uns   das  rechte  Mass  getroffen, 

In  reine  Dumpfheit  uns  gehüllt, 

Dass  wir,  von  Lebenskraft  erfüllt, 

In  holder  Gegenwart  der  lieben  Zukunft  hoffen. 


138 


Aus  »Lt'la^.  —    Weimar^  1776, 


l^eiger  Gedanken 
Bängliches  Schwanken , 
Weibisches  Zagen, 
Aengstliches  Klagen 
Wendet  kein  Elend. 
Macht  dich  nicht  frei. 

Allen  Gewalten 
Zum  Trutz  sich  erhalten. 
Nimmer  sich  beugen, 
Kräftig  sich  zeigen, 
Rufet  die  Arme 
Der  Götter  herbei. 


139 


I 


Der  Uehergang  von  Frankfurt  nach   Weimar, 


Seefahrt. 

Lange  Tag    und   Nächte    stand   mein   Schiff 

befrachtet. 
Günstiger    Winde    harrend    sass    mit    treuen 

Freunden 
Mir  Geduld  und  guten  Muth  erzechend 
Ich  im  Hafen. 

Und  sie  waren  doppelt  ungeduldig: 
»Gerne  gönnen  wir  die  schnellste  Reise, 
Gern  die  hohe  Fahrt  dir!  Güterfülle 
Wartet  drüben  in  den  Welten  deiner, 
Wird  Rückkehrenden  in  unsem  Armen 
Lieb  und  Preis  dirl« 

Und  am  frühen  Morgen  wards  Getümmel, 
Und  dem  Schlaf  entjauchzt  uns  der  Matrose : 
Alles  wimmelt,  alles  lebet,  webet, 
Mit  dem  ersten  Segenshauch  zu  schiffen. 

Und  die  Segel  blühen  in  dem  Hauche, 
Und  die  Sonne  lockt  mit  Feuerliebe  1 
Ziehn  die  Segel,  ziehn  die  hohen  Wolken 
Jauchzen  an  dem  Ufer  alle  Freunde 
Hoffnungslieder  nach,  im  Freudetaumel 
Reisefreuden  wähnend  wie  des  Einschiffinorgens, 
Wie  der  ersten  hohen  StemennächtQ, 


140 


Brief  an  Lcevater^   Weimar^   il,  September  1^76. 

Aber  gottgesandte  Wechselwinde  treiben 
Seitwärts  ihn   der  vorgesteckten  Fahrt  ab  — 
Und  er  scheint  sich  ihnen  hinzugeben. 
Strebet  leise  sie  zu  überlisten, 
Treu  dem  Zweck  auch  auf  dem  schiefen  Wege. 

Aber  aus  der  dumpfen  grauen  Feme 
Kündet  leisewandelnd  sich  der  Sturm  an, 
Drückt  die  Vögel  nieder  aufs  Gewässer, 

I  Drückt   der  Menschen   schwellend  Herz    dar- 

I 

j  nieder  — 

Und  er  kommt.    Vor  seinem  starren  Wüthen 

j  Streckt  der  Schiffer  klug  die  Segel  nieder; 

Mit  dem  angsterHillten  Balle  spielen 
Wind  und  Wellen. 

I  Und  an  jenem  Ufer  drüben  stehen 

Freund'  und  Lieben,  beben  auf  dem  Festen! 
Ach,  warum  ist  er  nicht  hier  geblieben! 
Ach,  der  Sturm!  Verschlagen  weg  vom  Glücke, 
Soll  der  Gute  so  zu  Grunde  gehen? 
Ach,  er  sollte,  ach,  er  könnte?  —  Götter! 

Doch  er  steht  männlich  an  dem  Steuer. 
Mit  dem  Schiffe  spielen  Wind  und  Wellen, 
Wind  und  Wellen   nicht   mit  seinem  Herzen. 
Herrschend  blickt  er  auf  die  grimme  Tiefe 
Und  vertrauet,  scheiternd  oder  landend. 
Seinen  Göttern. 


141 


Charlotte  von  Stein.  —  Erfurt^  2.  November  1776^ 


An  den  Geist  des  Johannes  Secundus, 

des  Dichters  der  Basia. 

Lieber,  heiliger,  grosser  Küsser, 

Der  du  mir  in  lechzend  athmender 

Glückseligkeit  fast  vorgethan  hastl 

Wem  soll  ichs  klagen?    Klagt  ich  dirs  nicht, 

Dir,  dessen  Lieder  wie  ein  warmes  Kissen 

Heilender  Kräuter  mir  unters  Herz  sich  legten, 

Dass  es  wieder   aus   dem  krampfigen  Starren 

Erdetreibens  klopfend  sich  erholte  ! 

Ach,    wie   klag   ich  Dirs,    dass    meine   Lippe 

blutet, 
Mir  gespalten   ist   und   erbärmlich  schmerzet, 
Meine  Lippe,  die  so  viel  gewohnt  ist. 
Von  der  Liebe  süssem  Glück  zu  schwellen, 
Und  wie  eine  goldne  Himmelspforte 
Lallende  Seligkeit  aus-  und  einzustammeln ! 
Gesprungen  ist  sie  1  Nicht  vom  Biss  der  Holden, 
Die,  in  voller  ringsumfangender  Liebe, 
Mehr    möcht    haben    von    mir,    und    möchte 

mich  Ganzen 
Ganz  erküssen,  und  fressen  und  was  sie  könnte  1 


142 


3.  November  1776  an  Frau  von  Siein  geschickt. 

Nicht  gesprungen,  weil  nach  ihrem  Hauche 
Meine  Lippen  unheilige  Lüfte  entweihten. 
Ach  gesprungen,  weil  mich  Oeden,  Kalten, 
Ueber  beizenden  Reif  der  Herbstwind  anpackt! 

Und  da  ist  Traubensaft   und  der  Saft   der 

Bienen 
An  meines  Herdes  treuem  Feuer  vereinigt: 
Der  soll  mir  helfen!     Wahrlich,  er  hilft  nicht: 
Denn  von  der  Liebe  alles  heilendem 
Giftbalsam  ist  kein  Tröpfchen  drunter. 


143 


Weimar^  1777' 


Legende. 

in  der  Wüsten  ein  heiliger  Mann 
Zu  seinem  Erstaunen  thät  treuen  an 
Einen  ziegenfüssigen  Faun;  der  sprach: 
»Herr,  betet  für  mich  und  mein  Gefslhrt, 
Dass  ich  zum  Himmel  gelassen  werd^ 
Zur  seligen  Freud ;  uns  dürstet  darnach.« 
Der  heilige  Mann  dagegen  sprach: 
»Es  sieht  mit  deiner  Bitte  gar  gefährlich, 
Und  gewährt  wird  sie  dir  schwerlich. 
Du  kommst  nicht  zum  englischen  Gruss, 
Denn  du  hast  einen  Ziegenfuss.« 
Da  sprach  hierauf  der  wilde  Mann: 
»Was  hat  euch  mein  Ziegenfuss  gethan? 
Sah  ich  doch  manche  strack  und  schön 
Mit  Eselsköpfen  gen  Himmel  gehn.« 


144 


Brief  an  die  Gräfin  vom  i'j,  Juli  i'j'jf. 


An  Auguste  Gräfin  zu  Stolberg. 

Nach  dem  Tode  Cornelieni. 

Alles  geben  Götter,  die  Unendlichen, 

Ihren  Lieblingen  ganz: 

Alle  Freuden,  die  unendlichen. 

Alle  Schmerzen,   die  unendlichen,   ganz. 


Hartleben.  Goethe-Bievier. 

145  10 


Brief  an  Chatlotte  Von  Steitty   Weimar ^  August  1777. 


Und  ich  gehe  meinen  alten  Gang 
Meine  liebe  Wiese  lang, 
Tauche  mich  in  die  Sonne  früh, 
Bad  ab  im  Monde  des  Tages  Müh, 
Leb  in  Liebes-Klarheit  und  Kraft. 
Thut  mir  wohl  des  Herren  Nachbarschaft, 
Der  in  Liebes-Dumpfheit  und  Kraft  hinlebt 
Und  sich  durch  seltenes  Wesen  webt. 


146 

I 

« 


Weimar  1777. 


Proserpina. 

Jtlaltel    Halt  einmal,  Unselige  1    Vergebens 
Irrst  du  in  diesen  rauhen  Wüsten  hin  und  her! 
Endlos  liegen  vor  dir  die  Trauergefilde, 
Und  was  du  suchst,  liegt  immer  hinter  dir. 

Nicht  vorwärts, 
Aufwärts  auch  soll  dieser  Blick  nicht  steigen  I 
Die  schwarze  Höhle  des  Tartarus 
Verwölbt  die  lieben  Gegenden  des  Himmels, 
In  die  ich  sonst 

Nach  meines  Ahnherrn  froher  Wohnung 
Mit  Liebesblick  hinaufsah  1 
Achl  Tochter  du  des  Jupiters, 
Wie  tief  bist  du  verloren!  — 

Gespielinnen ! 
Als  jene  blumenreiche  Thäler 
Für  uns  gesammt  noch  blühten, 
Als  an  dem  himmelsklaren  Strom  des  Alpheus 
Wir  plätschernd  noch  im  Abendstrahle  scherzten, 
Einander  Kränze  wanden 
Und  heimlich  an  den  Jüngling  dachten. 
Dessen  Haupt  unser  Herz  sie  widmete; 
Da  war  uns  keine  Nacht  zu  tief  zum  Schwätzen, 


147  10* 


später  als  Einlage 


Keine  Zeit  zu  lang, 

Um  freundliche  Geschichten   zu  wiederholen, 

Und  die  Sonne 

Riss  leichter  nicht  aus  ihrem  Silberbette 

Sich  auf,  als  wir  voll  Lust  zu  leben 

Früh  im  Tau  die  Rosenftisse  badeten.  — 

O  Mädchen I  Mädchen! 
Die  ihr,  einsam  nun, 
Zerstreut  an  jenen  Quellen  schleicht. 
Die  Blumen  auflest, 
Die  ich,  ach  Entführte  1 
Aus  meinem  Schoosse  fallen  Hess, 
Ihr  steht  und  seht  mir  nach,  wohin  ich  verschwand ! 

Weggerissen  haben  sie  mich. 
Die  raschen  Pferde  des  Orkus; 
Mit  festen  Armen 
Hielt  mich  der  unerbittliche  Gott! 
Amor  1  Ach  Amor  floh  lachend  auf  zum  Olymp  — 
Hast  du  nicht,  Muthwilliger, 
Genug  an  Himmel  und  Erde, 
Musst  du  die  Flammen  der  Hölle 
Durch  deine  Flammen  vermehren?  — 

Herunter  gerissen 
In  diese  endlose  Tiefen  1 
Königin  hier! 
Königin  ? 
Vor  der  nur  Schatten  sich  neigen! 


148 


im   Triumph  der  Empfindsamkeit 


Hoffnungslos  ist  ihr  Schmerz! 
Hoffnungslos  der  Abgeschiedenen  Glück, 
Und  ich  wend  es  nicht. 
Den  ernsten  Gerichten 
Hat  das  Schicksal  sie  übergeben  — 
Und  unter  ihnen  wandr  ich  umher, 
Göttini  Königini 
Selbst  Sklavin  des  Schicksals! 

Ach  das  fliehende  Wasser 
Möcht  ich  dem  Tantalus  schöpfen, 
Mit  lieblichen  Früchten  ihn  sättigen! 
Armer  Alter  I 

Für  gereiztes  Verlangen  gestraft!  — 
In  Ixions  Rad  möcht  ich  greifen, 
Einhalten  seinen  Schmerz  I 
Aber  was  vermögen  wir  Götter 
Ueber  die  ewigen  Qualen! 
Trostlos  für  mich  und  für  sie, 
Wohn  ich  unter  ilmen  und  schaue 
Der  armen  Danaiden  Geschäftigkeit! 
Leer  und  immer  leer, 
Nicht  einen  Tropfen  Wassers  zum  Munde, 
Nicht  einen  Tropfen  Wassers  in  ihre  Wannen : 
Leer  und  immer  leer! 
Ach  so  ists  mit  dir  auch,  mein  Herz! 
Woher  willst  du  schöpfen?  —  Und  wohin  ?  — 

Euer  ruhiges  Wandeln,  Selige, 
Streicht  nur  vor  mir  vorüber  — 


149 


Schopenhauer  würdigt 


Mein  Weg  ist  nicht  mit  euch! 

In  euem  leichten  Tänzen, 

In  euera  tiefen  Hainen, 

In  euera  lispelnden  Wohnungen, 

Rauschts  nicht  von  Leben  wie  droben, 

Schwankt  nicht  von  Schmerz  zu  Lust 

Der  Seligkeit  Fülle.  — 

Ists  auf  seinen  düstera  Augenbrauen, 
Im  verschlossenen  Blicke? 
Magst  du  ihn  Gemahl  nennen? 
Und  darfst  du  ihn  anders  nennen? 
Liebe!  Liebe! 

Warum  öffnetest  du  sein  Herz 
Auf  einen  Augenblick? 
Und  warum  nach  mir, 
Da  du  wusstest, 

Es  werde  sich  wieder  auf  ewig  verschliesscn  ? 
Warum  ergriff  er  nicht  meine  Nymphen, 
Und  setzte  sie  neben  sich 
Auf  seinen  kläglichen  Thron? 
Warum  mich,  die  Tochter  der  Ceres? 

O  Mutter!  Mutter! 
Wie  dich  deine  Gottheit  verlässt 
Im  Verlust  deiner  Tochter, 
Die  du  glücklich  glaubtest 
Hinspielend,  hintändelnd  ihre  Jugend! 


150 


die  ^unvergleichliche  Darstellungi^ 


Ach  du  kamst  gewiss 
Und  fragtest  nach  mir, 
Was  ich  bedürfte? 
Etwa  ein  neues  Kleid, 
Oder  goldene  Schuhe? 
Und  du  fandest  die  Mädchen 
An  ihre  Weiden  gefesselt, 
Wo  sie  mich  verloren, 
Nicht  wieder  fanden, 
Ihre  Locken  zerrauften, 
Erbärmlich  klagten, 
Meine  lieben  Mädchen!  — 

Wohin  ist  sie?  Wohin?  rufst  du; 
Welchen  Weg  nahm  der  Verruchte? 
Soll  er  ungestraft  Jupiters  Stamm  entweihen? 
Wohin  geht  der  Pfad  seiner  Rosse? 
Fackeln  herl 

Durch  die  Nacht  will  ich  ihn  verfolgen! 
Will  keine  Stunde  ruhen,  bis  ich  sie  finde, 
Will  keinen  Gang  scheuen, 
Hierhin  und  dorthin.  — 

Dir    blinken   deine  Drachen   mit  klugen 

Augen  zu, 
Aller  Pfade  gewohnt,  folgen  sie  deinem  Lenken: 
In  der  unbewohnten  Wüste  treibt  dich's  irre  — 

Ach  nur  hierher,  hierher  nicht, 
Nicht  in  die  Tiefe  der  Nacht, 


151 


des  Mythos  von  der  Proserptna 


Unbetreten  den  Ewiglebenden. 

Wo  bedeckt  von  beschwerendem  Graus 

Deine  Tochter  ermattet! 

Wende  aufwärts, 
Aufwärts  den  geflügelten  Schlangenpfad, 
Aufwärts  nach  Jupiters  Wohnung! 
Der  weiss  es, 

Der  weiss  es  allein,  der  Erhabene, 
Wo  deine  Tochter  ist!  — 

Vater  der  Götter  und  Menschen! 
Ruhst  du  noch  oben  auf  deinem  goldnen  Stuhle, 
Zu  dem  du  mich  Kleine 
So  oft  mit  Freundlichkeit  aufhobst, 
In  deinen  Händen  mich  scherzend 
Gegen  den  endlosen  Himmel  schwenktest, 
Dass  ich  kindisch  droben  zu  versch weben  bebte? 
Bist  du's  noch,  Vater?  — 

Nicht  zu  deinem  Haupte, 
In  dem  ewigen  Blau 
Des  feuerdurchschwebten  Himmels  — 
Hier!  hier!  —  — 

Leite  sie  her! 
Dass  ich  auf  mit  ihr 
Aus  diesem  Kerker  fahre! 
Dass  mir  Phöbus  wieder 


152 


im  ersten  Band  der   Welt  als   Wille 

Seine  lieben  Strahlen  bringe, 

I^una  wieder 

Aus  den  Silberlocken  lächle. 

O  du  hörst  mich, 
Freundlichlieber  Vater, 
Wirst  mich  wieder, 
Wieder  aufwärts  heben, 
Dass,  befreit  von  langer,  schwerer  Plage, 
Ich  an  deinem  Himmel  wieder  mich  ergötze! 

Letze  dich,  verzagtes  HerzI 
Ach!  Hoffnung! 
Hoffnung  giesse 
In  Sturmnacht  Morgenröthel 

Dieser  Boden 
Ist  nicht  Fels,  nicht  Moos  mehr. 
Diese  Berge 

Nicht  voll  schwarzen  Grauses! 
Ach  hier  find  ich  wieder  eine  Blume! 
Dieses  welke  Blatt, 
Es  lebt  noch, 
Harrt  noch 
Dass  ich  seiner  mich  erfreue! 

Seltsam!  —  Seltsam! 
Find  ich  diese  Frucht  hier? 
Die  mir  in  den  Gärten  droben 
Ach,  so  lieb  war  — 

Sie  bricht  den  Granatapfel  ab. 

153 


und  Vorstellung^  Buch  4.  §  60. 


Lass  dich  geniessen, 
Freundliche  Frucht  I 
Lass  mich  vergessen 
Alle  den  Harml 
Wieder  mich  wähnen 
Droben  in  Jugend, 
In  der  vertaumelten 
Lieblichen  Zeit, 
In  den  umduftenden 
Himmlischen  Blüthen, 
In  den  Gerüchen 
Seliger  Wonne, 
Die  der  Entzückten, 
Der  Schmachtenden  ward!  — 

Sie  isst  einige  Körner. 

Labend!  —  Labend! 

Wie  greifts  auf  einmal 
Durch  diese  Freuden, 
Durch  diese  offene  Wonne, 
Mit  entsetzlichen  Schmerzen, 
Mit  eisernen  Händen 

Der  Hölle  durch! 

Was  hab  ich  verbrochen?  — 
Dass  ich  genoss? 
Ach  warum  schafft 
Die  erste  Freude  hier  mir  Qual? 
Was  ists?     Was  ists?  — 
Ihr  Felsen    scheint   hier   schrecklicher   herab« 

zuwinken, 


154 


Weimar  7777. 


Mich  fester  zu  umfassen! 

Ihr  Wolken,  tiefer  mich  zu  drücken! 

Im  fernen  Schoosse  des  Abgrunds 

Dumpfe  Gewitter  tosend   sich    zu  erzeugen! 

Und  ihr  weiten  Reiche  oder  Parzen, 

Mir  zuzurufen: 

Du  bist  unser! 

Die  Parzen, 

unsichtbar. 

Du  bist  unser! 
Ist  der  Rathschluss  deines  Ahnherrn: 
Nüchtern  solltest  du  wiederkehren; 
Und  der  Biss  des  Apfels    macht  dich  unser! 
Königin  wir  ehren  dich! 

Proserpina. 
Hast  du's  gesprochen,  Vater? 
Warum?  Warum? 

Wasjthat  ich,  dass  du  mich  verstössest? 
Warum  rufst  du  mich  nicht 
Zu  deinem  lichten  Thron  auf! 
Warum  den  Apfel? 
O  verflucht  die  Früchte! 
Warum  sind  Früchte  schön, 
Wenn  sie  verdammen? 

Parzen. 
Bist  nun  unser! 
Warum  trauerst  du? 


155 


Proserpina 

Sieh,  wir  ehren  dich, 
Unsre  Königin! 

Proserpina. 
O  wäre  der  Tartarus  nicht  eure  Wohnung, 
Dass  ich  euch  hin  verwünschen  könnte! 
O  wäre  der  Kocyt  nicht  euer  ewig  Bad, 
Dass  ich  für  euch 
Noch  Flammen  übrig  hätte! 
Ich  Königin, 
Und  kann  euch  nicht  vernichten  1 

In  ewigem  Hass  sei  ich  mit  euch  verbunden  I  — 
So  schöpfet  Danaiden! 
Spinnt,  Parzen!     Wütet,  Furien! 
In  ewig  gleich  elendem  Schicksal! 
Ich  beherrsche  euch, 
Und  bin  darum  elender  als  ihr  alle. 

Parzen. 
Du  bist  unser! 
Wir  neigen  uns  dir! 
Bist  unser!  Unser! 
Hohe  Königin! 

Proserpina. 
Fern!  Weg  von  mir 
Sei  eure  Treu  und  eure  Herrlichkeit! 


156 


Weimar  1777. 


Wie  hass  ich  euch! 

Und  dich,  wie  zehnfach  hass  ich  dich  — 

Weh  mir!  ich  fühle  schon 

Die  verhassten  Umarmungen! 

Parzen. 
Unser!  Unsre  Königin! 

Proserpina. 
Warum  reckst  du  sie  nach  mir? 
Recke  sie  nach  dem  Avemus! 
Rufe  die  Qualen  aus  Stygischen  Nächten  empor ! 
Sie  steigen  deinem  Wink  entgegen. 
Nicht  meine  Liebe 
Wie  hass  ich  dich, 
Abscheu  und  Gemahl, 
O  Pluto!  Pluto! 

Gieb  mir  das  Schicksal  deiner  Verdammten! 
Nenn  es  nicht  Liebe !  — 
Wirf  mich  mit  diesen  Armen 
In  die  zerstörende  Qual! 

Parzen. 
Unser!  Unser!  Hohe  Königin! 


157 


Goethe  trennte  sich  von  der  Jagdgesellschaf t  des  Herzogs 


Auf  dem  Harz  im  December  1777, 

Uem  Geier  gleich, 

Der  auf  Morgenschlossen- Wolken 

Mit  sanftem  Fittich  ruhend 

Nach  Beute  schaut, 

Schwebe  mein  Liedl 

Denn  ein  Gott  hat 
Jedem  seine  Bahn 
Vorgezeichnet, 
Die  der  Glückliche 
Rasch  zum  freudigen 
Ziele  läuft  — 
Aber  wem  Unglück 
Das  Herz  zusammenzog, 
Sträubt  vergebens 
Gegen  die  Schranken 
Des  ehernen  Fadens, 
Den  die  doch  bittre  Schere 
Nur  einmal  löst.  —  — 


153 


und  ritt  im  Sturntwetter  auf  den  Harz  zu  dem 


In  Dickichts-Schauer 
Drängt  sich  das  rauhe  Wild, 
Und  mit  den  Sperlingen 
Haben  längst  die  Reichen 
In  ihre  Sümpfe  sich  gesenkt. 

Leicht  ists,  folgen  dem  Wagen, 
Den  Fortuna  fuhrt, 
Wie  der  gemächliche  Tross 
Auf  gebesserten  Wegen 
Hinter  des  Fürsten  Einzug. 

Aber  abseits,  wer  ists? 
Ins  Gebüsch  verliert  sich  sein  Pfad, 
Hinter  ihm  schlagen 
Die  Sträuche  zusammen  — 
Das  Gras  steht  wieder  auf, 
Die  Oede  verschlingt  ihn. 

Ach,  wer  heilet  die  Schmerzen 
Dess,  dem  Balsam  zu  Gift  ward. 
Der  sich  Menschenhass 
Aus  der  Fülle  der  Liebe  trank? 
Erst  verachtet,  nun  ein  Verächter, 
Zehrt  er  heimlich  auf 
Seinen  eignen  Werth 
In  ungenügender  Selbstsucht. 

Ist  auf  deinem  Psalter 
Vater  der  Liebe,  ein  Ton 
Seinem  Ohre  vernehmlich, 

159 


Werthertschen  Menschenfeindt  Plessing  in  Wernigerode^ 

So  erquicke  dies  Herzl 
Oeffne  den  umwölkten  Blick 
lieber  die  tausend  Quellen 
Neben  dem  Durstenden 
In  der  Wüste!  — 

Der  du  der  Freuden  viel  schaffst, 
Jedem  ein  überfliessend  Mass, 
Segne  die  Brüder  der  Jagd, 
Auf  der  Fährte  des  Schweins 
Mit  jugendlichem  Uebermuth 
Fröhlicher  Mordsucht, 
Späte  Rächer  des  Unbills, 
Dem  schon  Jahre  vergeblich 
Wehrt  mit  Knütteln  der  Bauer. 

Aber  den  Finsamen  hüll 
In  deine  Gold  wölken! 
Umgieb  mit  Wintergrün, 
Bis  die  Kose  wieder  heranreift, 
Die  feuchten  Haare, 
O  Liebe,  deines  Dichters  1 

Mit  der  dämmernden  Fackel 
Leuchtest  du  ihm 
Durch  die  Furten  bei  Nacht, 
Ueber  grundlose  Wege, 
Auf  öden  Gefilden  — 
Mit  dem  tausendfarbigen  Morgen 
Lachst  du  ins  Herz  ihm  —  / 


160 


\ 


1 


um  ihm  unerkannt  Trost  und  Muth  zutusprechen. 

Mit  dem  beizenden  Sturm 
Trägst  du  ihn  hoch  empor  — 
Winterströme  stürzen  vom  Felsen 
In  seine  Psalmen, 
Und  Altar  des  lieblichsten  Danks 
Wird  ihm  des  gefürchteten  Gipfels 
Schneebehangener  Scheitel, 
Den  mit  Geisterreihen 
Kränzten  ahnende  Völker. 

Du  stehst,  unerforscht  die  Geweide, 

Geheimnissvoll  offenbar 

Ueber  der  erstaunten  Welt 

Und  schaust  aus  Wolken 

Auf  ihr  Reiche  und  Herrlichkeit, 

Die  du  aus  den  Adern  deiner  Brüder 

Neben  dir  wässerst. 


Hartlebeil,  CoetUc- Brevier. 

161  11 


Brief  an  Charlotte  von  Stein  vom  ig,  Februar  1778. 


An  den  Mond. 

Füllest  wieder  Busch  und  Thal 
Still  mit  Nebelglanz, 
Lösest  endlich  auch  einmal 
Meine  Seele  ganz. 

Breitest  über  mein  Gefild 
Lindernd  deinen  Blick, 
Wie  des  Freundes  Auge  mild 
lieber  mein;  Geschidu 

Jeden  Nachklang  fühlt  mein  Herz 
Froh-  und  trüber  Zeit, 
Wandle  zwischen  Freud  und  Schmerz 
In  der  Einsamkeit. 

Fliesse,  fliesse,  lieber  Fluss  1 
Nimmer  werd  ich  froh: 
So  verrauschte  Scherz  und  Kuss 
Und  die  Treue  so. 

Ich  besass  es  doch  einmal, 
Was  so  köstlich  ist! 
Dass  man  doch  zu  seiner  Qual 
Nimmer  es  vergissti 


162 


Brief  an  Charlotte  von  Stein  'vom  ig.  Februar  17^8. 

Rausche,  Fluss,  das  Thal  entlang, 
Ohne  Rast  und  Ruh, 
Rausche,  flüstre  meinem  Sang 
Melodien  zu, 

Wenn  du  in  der  Winternacht 
Wüthend  überschwillst, 
Oder  um  die  Frühlingspracht 
Junger  Knospen  quillst.  — 

Selig,  wer  sich  vor  der  Welt 
Ohne  Hass  verschliesst, 
Einen  Freund  am  Busen  hält 
Und  mit  dem  geniesst. 

Was,  von  Menschen  nicht  gewusst 
Oder  nicht  bedacht. 
Durch  das  Labyrinth  der  Brust 
Wandelt  in  der  Nacht. 


163  11 


Brief  an  Auguste  zu  Stolberg  vom  ly.  März  1778. 


Grabschrift: 

Ich  war  ein  Knabe  wann  und  gut, 
Als  Jüngling  hatt  ich  frisches  Blut, 
Versprach  einst  einen  Mann. 
Gelitten  hab  ich  und  geliebt 
Und  liege  nieder  ohnbetrübt 
Da  ich  nicht  weiter  kann. 


164 


Weimar^    Winter  lyyS—  1779. 


Der  Fischer. 

Uas  Wasser  rauscht,  das  Wasser  schwoll, 

Ein  Fischer  sass  daran. 

Sah  nach  dem  Angel  ruhevoll, 

Kühl  bis  ans  Herz  hinan. 

Und  wie  er  sitzt  und  wie  er  lauscht, 

Theilt  sich  die  Fluth  empor: 

Aus  dem  bewegten  Wasser  rauscht 

Ein  feuchtes  Weib  hervor. 

Sie  sang  zu  ihm,  sie  sprach  zu  ihm: 
»Was  lockst  du  meine  Brut 
Mit  Menschenwitz  und  Menschenlist 
Hinauf  in  Todesgluth  ? 
Ach,  wüsstest  du,  wies  Fischlein  ist 
So  wohlig  auf  dem  Grund, 
Du  stiegst  herunter,  wie  du  bist. 
Und  würdest  erst  gesund. 

Labt  sich  die  liebe  Sonne  nicht, 
Der  Mond  sich  nicht  im  Meer? 
Kehrt  wellenathmend  ihr  Gesicht 
Nicht  doppelt  schöner  her? 


165 


In  Herders  Volksliedern :  »Das  Lied  v,  Fischer^  deutschet.. 

Lockt  dich  der  tiefe  Himmel  nicht, 
Das  feuchtverklärte  Blau? 
Lockt  dich  dein  eigen  Angesicht 
Nicht  her  in  ewgen  Thau?€  — 

Das  Wasser  rauscht,  das  Wasser  schwoll, 
Netzt  ihm  den  nackten  Fuss. 
Sein  Herz  wuchs  ihm  so  sehnsuchtsvoll 
Wie  bei  der  Liebsten  Gruss. 
Sie  sprach  zu  ihm,  sie  sang  zu  ihm  — 
Da  wars  um  ihn  geschehn: 
Halb  zog  sie  ihn,  halb  sank  er  hin, 
Und  ward  nicht  mehr  gesehn. 


166 


Staubbach  bei  Lauterbt  unnetty 


Gesang  der  Geister  über  den  Wassern, 

Schweizerreise  1779. 

ües  Menschen  Seele 
Gleicht  dem  Wasser: 
Vom  Himmel  kommt  es, 
Zum  Himmel  steigt  es, 
Und  wieder  nieder 
Zur  Erde  muss  es  — 
Ewig  wechselnd. 

^ömt  von  der  hohen, 
Steilen  Felswand 
Der  reine  Strahl, 
Dann  stäubt  er  lieblich 
In  Wolkenwellen 
Zum  glatten  Fels, 
Und,  leicht  empfangen. 
Wallt  er  verschleiernd, 
Leisrauschend 
Zur  Tiefe  nieder. 

Ragen  Klippen 
Dem  Sturz  entgegen  — 


167 


Abend  des  p,  und  Morgen  des  lo.   October  lyyg. 


Schäumt  er  unmuthig 

Stufenweise 

Zum  Abgrund. 

Im  flachen  Bette 
Schleicht  er  das  Wiesenthal  hin, 
Und  in  dem  glatten  See 
Weiden  ihr  Antlitz 
Alle  Gestirne. 

Wind  ist  der  Welle 
Lieblicher  Buhler  — 
Wind  mischt  vom  Grund  aus 
Schäumende  Wogen. 

Seele  des  Menschen, 
Wie  gleichst  du  dem  Wasser! 
Schicksal  des  Menschen, 
Wie  gleichst  du  dem  Wind  I 


168 


6.  September  1780,  auf  dem  Gickelhahn  bei  Ilmenau, 


Wanderers  Nachtlied. 

Ueber  allen  Gipfeln 

Ist  Ruh, 

In  allen  Wipfeln 

Spürest  du 

Kaum  einen  Hauch; 

Die  Vögel  schweigen  im  Walde. 

Warte  nur,  balde 

Ruhest  du  auch. 


iw 


Ilmenau^  September  lySo, 


An  Frau  von  Stein. 
I. 

Efin  Jeder  hat  sein  Ungemach. 
Stein  zieht  den  alten  Ochsen  nach, 
Der  Herzog  jungen  Hasen. 
Der  Prinz  ist  gutgesinnt  fürs  Bett, 
Und  ach,  wenn  ich  ein  Misel  hätt. 
So  schwätzt  ich  nicht  mit  Basen. 

II. 

Es  fahret  die  poetsche  Wuth 
In  unsrer  Freunde  junges  Blut, 
Es  siedet  über  und  über. 
Apollo,  lass  es  ja  dabei 
Und  mache  sie  dagegen  frei 
Von  jedem  andern  Fieber  1 


170 


JS'  September  i'/8o  zu  Kaltennordheim  in  Thüringen 


Meine  Göttin. 

Welcher  Unsterblichen 
Soll  der  höchste  Preis  sein? 
Mit  keiner  streit  ich; 
Aber  ich  geb  ihn 
Der  ewig  beweglichen, 
Immer  neuen 
Seltsamsten  Tochter  Jovis, 
Seinem  Schooskinde, 
Der  Phantasie. 

Denn  ihr  hat  er 
All  die  Launen, 
Die  er  sonst  nur  allem 
Sich  vorbehält, 
Zugestanden 
Und  hat  seine  Freude 
An  der  Thörin. 

Sie  mag  rosenbekränzt 
Mit  dem  Lilienstengel 

m 


gedichtet  und  an  Charlotte  von  Stein  gesandt, 

Blumenthäler  betreten, 
Sommervögeln  gebieten 
Und  leichtnährenden  Thau 
Mit  Bienenlippen 
Von  Blüthen  saugen  — 

Oder  sie  mag 
Mit  fliegendem  Haar 
Und  düstrem  Blick 
Im  Winde  sausen 
Um  Felsenwand, 
Und  tausendfarbig 
Wie  Morgen  und  Abend, 
Immer  wechselnd 
Wie  Mondesblicke, 
Dem  Sterblichen  scheinen« 

Lasst  uns  alle 
Den  Vater  preisen. 
Den  alten,  hohen. 
Der  solch  eine  schöne, 
Unverwelkliche  Gattin 
Dem  sterblichen  Menschen 
Gesellen  mögen  1 

Denn  uns  allein 
Hat  er  sie  verbunden 
Mit  Himmelsband 
Und  ihr  geboten, 


Ml 


Herbst  lySi  als  -^Odett  im  Tiefurter  Journal . 

In  Freud  und  Elend 
Als  treue  Gattin 
Nicht  zu  entweichen. 

Hingehen  die  armen 
Andren  Geschlechter 
Der  kinderreichen 
Lebendigen  £rde 
In  dunklem  Genuss 
Und  trübem  Leiden 
Des  augenblicklichen 
Beschränkten  Lebens, 
Gebeugt  vom  Joche 
Der  Nothdurft. 

Uns  aber  hat  er 
Seine  gewandteste, 
Verzärtelte  Tochter  — 
Freut  euchl  —  gegönnt. 
Begegnet  ihr  lieblich 
Wie  einer  Geliebten  T 
Lasst  ihr  die  Würde 
Der  Frauen  im  Hausl 

Und  dass  die  alte 
Schwiegermutter  Weisheit 
Das  zarte  Seelchen 
Ja  nicht  beleidgel 


173 


Kaltennordheim,  75.  September  jySo, 

Doch  kenn  ich  ihre  Schwester, 
Die  ältere,  gesetztere, 
Meine  stille  Freundin: 
O,  dass  die  erst 
Mit  dem  Lichte  des  Lebens 
Sich  von  mir  wende, 
Die  edle  Treiberin,. 
Trösterin,  Hoffnung! 


174 


Weimar^  Anfang  August  1781, 


Erlkönig. 

Wer  reitet  so  spät  durch  Nacht  und  Wind? 
Es  ist  der  Vater  mit  seinem  Kind. 
Er  hat  den  Knaben  wohl  in  dem  Arm, 
Er  fasst  ihn  sicher,  er  hält  ihn  warm. 

Mein  Sohn,    was    birgst   du  so  bang   dein 

Gesicht?  — 
Siehst;  Vater,  du  den  Erlkönig  nicht, 
Den  Erlenkönig  mit  Krön  und  Schweif?  — 
Mein  Sohn,  es  ist  ein  Nebelstreif.  — 

Du  liebes  Kind,  komm  geh  mit  mirl 
Gar  schöne  Spiele  spiel  ich  mit  dir, 
Manch  bunte  Blumen  sind  an  dem  Strand, 
Meine  Mutter  hat  manch  gülden  Gewand.  — 

Mein   Vater,   mein    Vater,    und   hörest    du 

nicht. 
Was  Erlenkönig  mir  leise  verspricht? 
Sei  ruhig,  bleibe  ruhig,  mein  Kind! 
In  dürren  Blättern  säuselt  der  Wind.  — 


175 


Anfangsbaliade  des  Singspiels  ^Die  Fischerint, 

Willst,  feiner  Knabe,  du  mit  mir  gehn? 
Meine  Töchter  sollen  dich  warten  schön; 
Meine  Töqhter  führen  den  nächtlichen  Reihn 
Und  wiegen  und  tanzen  und  singen  dich  ein.  — 

Mein   Vater,    mein   Vater,    und    siehst  du 

nicht  dort 
Erlkönigs  Töchter  am  düstem  Ort? 
Mein  Sohn,  mein  Sohn,  ich  seh  es  genau. 
Es  scheinen  die  alten  Weiden  so  grau.  — 

Ich   liebe   dich,    mich   reizt   deine   schöne 

Gestalt  1 
Und    bist    du    nicht    willig,    so    brauch    ich 

Gewalt!  — 
Mein  Vater,  mein  Vater,  jetzt  fasst  er  mich  an ! 
Erlkönig  hat  mir  ein  Leids  gethan!    — 

Dem  Vater  grausets,  er  reitet  geschwind; 
Er  hält  in  Armen  das  ächzende  Kind. 
Erreicht  den  Hof  mit  Mühe  und  Noth; 
In  seinen  Armen  das  Kind  war  todt. 


176 


Weimar,  September  tySi, 


Grenzen  der  Menschheit. 

Wenn  der  uralte 
Heilige  Vater 
Mit  gelassener  Hand 
Aus  rollenden  Wolken 
Segnende  Blitze 
Über  die  Erde  sät, 
Küss  ich  den  letzten 
Saum  seines  Kleides, 
Kindliche  Schauer 
Treu  in  der  Brust. 

Denn  mit  Göttern 
Soll  sich  nicht  messen 
Irgend  ein  Mensch« 
Hebt  er  sich  aufwärts 
Und  berührt 

Mit  dem  Scheitel  die  Sterne, 
Nirgends  haften  dann 
Die  unsichem  Sohlen, 
Und  mit  ihm  spielen 
Wolken  und  Winde. 


Hartleben,  Goethe-Brevier. 

177  12 


Absage  an  den   Tüanismus» 


Steht  er  mit  festen, 
Markigen  Knochen 
Auf  der  wohlgegründeten, 
Dauernden  Erde, 
Reicht  er  nicht  auf, 
Nur  mit  der  Eiche 
Oder  der  Rebe 
Sich  zu  vergleichen. 

Was  unterscheidet 
Götter  von  Menschen? 
Dass  viele  Wellen 
Vor  jenen  wandeln, 
Ein  ewiger  Strom  — 
Uns  hebt  die  Welle, 
Verschlingt  die  Welle, 
Und  wir  versinken. 

Ein  kleiner  Ring 
Begrenzt  unser  Leben, 
Und  viele  Geschlechter 
Reihen  sich  dauernd 
An  ihres  Daseins 
Unendliche  Kette. 


178 


Weimar,  September  1781. 


Das  Göttliche. 

lidel  sei  der  Mensch, 
Hülfreich  und  gut! 
Denn  das  allein 
Unterscheidet  ihn 
Von  allen  Wesen, 
Die  wir  kennen. 

Heil  den  unbekannten 
Höhern  Wesen, 
Die  wir  ahnen! 
Ihnen  gleiche  der  Mensch! 
Sein  Beispiel  lehr  uns 
Jene  glauben. 

Denn  unfühlend 
Ist  die  Natur: 
Es  leuchtet  die  Sonne 
Über  Bös  und  Gute, 
Und  dem  Verbrecher 
Glänzen  wie  dem  Besten 
Der  Mond  und  die  Sterne. 

179  12^ 


Zuerst  gedrtickt  im   Tüfurter  Journal  1783, 

Wind  und  Ströme, 
Donner  und  Hagel 
Rauschen  ihren  Weg 
Und  ergreifen, 
Vorübereilend, 
Einen  um  den  andern. 

Auch  so  das  Glück 
Tappt  unter  die  Menge, 
Fasst  bald  des  Knaben 
Lockige  Unschuld, 
Bald  auch  den  kahlen 
Schuldigen  Scheitel. 

Nach  ewigen,  ehrnen, 
Grossen  Gesetzen 
Müssen  wir  alle 
Unseres  Daseins 
Kreise  vollenden. 

Nur  allein  der  Mensch 
Vermag  das  Unmögliche: 
Er  unterscheidet, 
Wählet  und  richtet  — 
Er  kann  dem  Augenblick 
Dauer  verleihen. 

Er  allein  darf 
Den  Guten  lohnen. 
Den  Bösen  strafen, 

180 


IVeimar,  Stpiemher  lySi. 


Heilen  und  retten 

Alles  Irrende,  Schweifende 

Nützlich  verbinden. 

Und  wir  verehren 
Die  Unsterblichen, 
Als  wären  sie  Menschen, 
Thäten  im  Grossen, 
Was  der  Beste  im  Kleinen 
Thut  oder  möchte. 

Der  edle  Mensch 
Sei  hülfreich  und  gut! 
Unermüdet  schaff  er 
Das  Nützliche,  Rechte, 
Sei  uns  ein  Vorbild 
Jener  geahneten  Wesen  I 


181 


Charlotte  von  Stein.   —  20,  September  lySi. 


0. 


Nachtgedanken. 

iiuch  bedaur  ich,  unglückselge  Sterne, 
Die  ihr  schön  seid  und  so  herrlich  scheinet, 
Dem  bedrängten  Schiffer  gerne  leuchtet, 
Unbelohnt   von  Göttern   und  von  Menschen : 
Denn  ihr  liebt  nicht,  kanntet  nie  die  Liebe. 
Unaufhaltsam  fuhren  ewge  Stunden 
Eure  Reihen  durch  den  weiten  Himmel. 
Welche  Reise  habt  ihr  schon  voUendet, 
Seit  ich,    weilend  in  dem  Arm  der  Liebsten, 
Euer  und  der  Mittemacht  vergessen  1 


182 


Charlotte  von  Stein, 


Der  Becher. 

llinen  wohlgeschnitzten  vollen  Becher 
Hielt  ich  drückend  in  den  beiden  Händen, 
Sog  begierig  süssen  Wein  vom  Rande, 
Gram  und  Sorg  auf  einmal  zu  vertrinken. 

Amor  trat  herein  und  fand  mich  sitzen, 
Und  er  lächelte  bescheiden  weise, 
Als  den  Unverständigen  bedauernd. 

»Freund,   ich  kenn   ein  schöneres  Gefässe, 
Werth,  die  ganze  Seele  drein  zu  senken: 
Was  gelobst  du,  wenn  ich  dir  es  gönne 
Es  mit  anderm  Nektar  dir  erfülle?«   — 

O,  wie  freundlich  hat  er  Wort  gehalten, 
Da  er,  Lotte,  dich  mit  sanfter  Leitung 
Mir,  dem  lange  sehnenden,  geeignet  1 

Wenn  ich  deine  lieben  Hüften  halte 
Und  von  deinen  einzig  treuen  Lippen 
Langbewahrter  Liebe  Balsam  koste, 
Selig  Sprech  ich  dann  zu  meinem  Geiste; 


183 


V 


Auf  dem   Wege  nach  Merseburgs  22.  September  i'/8i. 

Nein,  ein  solch  Gefass  hat  ausser  Amom 
Nie  ein  Gott  gebildet  noch  besessen! 
Solche  Formen  treibet  nie  Vulkanus 
Mit  den  sinnbegabten  feinen  Hämmern! 
Auf  belaubten  Hügeln  mag  Lyäus 
Durch  die  ältsten,  klügsten  seiner  Faunen 
Ausgesuchte  Trauben  keltern  lassen, 
Selbst  geheimnisvoller  Gährung  vorstehn  — 
Solcher  Trank  verschafft   ihm  keine  Sorgfalt! 


W 


GoihOy  Anfang  October  1781. 


An  Lotte. 

Uen    Einzigen,    Lotte,    welchen    du    lieben 

kannst, 
Forderst  du  ganz  für  dich,  und  mit  Recht. 
Auch  ist  er  einzig  dein. 
Denn,  seit  ich  von  dir  bin, 
Scheint  mir  des  schnellsten  Lebens 
Lärmende  Bewegung 
Nur  ein   leichter  Flor,   durch  den   ich  deine 

Gestalt 
Immerfort  wie  in  Wolken  erblicke: 
Sie  leuchtet  mir  freundlich  und  treu, 
Wie  durch  des  Nordlichts  bewegliche  Strahlen 
Ewige  Sterne  schimmern. 


185 


Dem  Herzog  zum  siebenundzwanzigsten  Geburtstage, 


Dem  Herzog  von  Weimar  zum 
Geburtstage. 

Ilmenau,  3.  Sept.  1783. 

Anmuthig  Thal!     Du  immergrüner  Hain! 
Mein  Herz  begrüsst  euch  wieder  auf  das  Beste! 
Entfaltet  mir  die  schwerbehangnen  Aeste, 
Nehmt  freundlich  mich  in  eure  Schatten  ein, 
Erquickt    von  euren  Höhn  am  Tag  der  Lieb 

und  Lust 
Mit  frischer  Luft  und  Balsam  meine  Brust! 

Wie  kehrt  ich  oft  mit  wechselndem  Geschicke, 
Erhabner  Berg,  an  deinen  Fuss  zurücke! 
O  lass  mich  heut  an  deinen  sachten  Höhn 
Ein  jugendlich,  ein  neues  Eden  sehn! 
Ich  hab  es  wohl  auch  mit  um  euch  verdienet: 
Ich  sorge  still,  indess  ihr  ruhig  grünet ! 

Lasst  mich  vergessen,  dass  auch  hier  die  Welt 
So  manch  Geschöpf  in  Erdefesseln  hält, 
Der    Landmann    leichtem    Sand    den    Samen 

anvertraut 
Und  seinen  Kohl  dem  frechen  Wilde  baut, 


ISO 


auf  dem   Thüringer   Walde^ 


Der  Knappe  karges  Brod  in  Klüften  sucht, 
Der  Köhler  zittert,  wenn  der  Jäger  flucht. 
Verjüngt  euch  mir,  wie  ihr  es  oft  gethan. 
Als  fing  ich  heut  ein  neues  Leben  an. 

Ihr   seid    mir    hold,    ihr    gönnt    mir   diese 

Träume: 
Sie  schmeicheln  mir   und  locken  alte  Reime. 
Mir  wieder  selbst,  von  alleft  Menschen  fern. 
Wie  bad  ich  mich  in  euren  Düften  geml 
Melodisch  rauscht  die  hohe  Tanne  wieder. 
Melodisch  eilt  der  Wasserfall  hernieder  — 
Die  Wolke  sinkt,  der  Nebel  drückt  ins  Thal, 
Und  es  ist  Nacht  und  Dämmrung  auf  einmal. 

Im    finstem    Wald,    beim    Liebesblick    der 

Sterne, 
Wo  ist  mein  Pfad,  den  sorglos  ich  verlor? 
Welch  seltne  Stimmen  hör  ich  in  der  Feme? 
Sie  schallen  wechselnd  an  dem  Fels  empor. 
Ich  eile  sacht  zu  sehn,  was  es  bedeutet. 
Wie   von    des   Hirsches   Ruf   der  Jäger    still 

geleitet. 

Wo  bin  ich?  Ists  ein  Zaubermärchen-Land? 
Welch  nächtliches  Gelag  am  Fuss  der  Felsen- 
wand? 


1Ö7 


vom  /.  bis  j.  September  1783. 


Bei  kleinen  Hütten,  dicht  mit  Reis  bedecket, 
Seh  ich  sie  froh  ans  Feuer  hingestrecket : 
Es  dringt  der  Glanz  hoch  durch  den  Fichten-Saal : 
Am  niedem  Herde  kocht  ein  rohes  Mahl: 
Sie  scherzen  laut,  indessen,  bald  geleeret, 
Die  Flasche  frisch  im  Kreise  wiederkehret. 

Sagt,  wem  vergleich  ich  diese  muntre  Schaar  ? 
Von  wannen  kommt  sie?  Um  wohin  zu  ziehen? 
Wie  ist  an  ihr  doch  alles  wunderbar! 
Soll  ich  sie  grüssen?  Soll  ich  vor  ihr  fliehen? 
Ist  es  der  Jäger  wildes  Geisterheer? 
Sinds  Gnomen,  die  hier  Zauberkünste  treiben? 
Ich  seh  im  Busch  der  kleinen  Feuer  mehr: 
Es  schaudert  mich,  ich  wage  kaum  zu  bleiben. 
Ists  der  Aegyptier  verdächtiger  Aufenthalt? 
Ist  es  ein  flüchtiger  Fürst  wie  im  Ardenner-Wald? 
Soll  ich  Verirrter  hier  in  den  verschlungenen 

Gründen 
Die  Geister  Shakespeares  gar  verkörpert  finden  ? 
Ja,  der  Gedanke  führt  mich  eben  recht: 
Sie  sind  es  selbst,  wo  nicht  ein  gleich  Geschlecht, 
Unbändig  schwelgt  ein  Geist  in  ihren  Mitten, 
Und  durch  die  Kohheit  fühl  ich   edle  Sitten. 

Wie  nennt  ihr  ihn?  Wer  ists,  der  dort  gebückt 
Nachlässig  stark  die  breiten  Schultern  drückt? 
Er  sitzt  zunächst,  gelassen  an  der  Flamme, 
Die  markige  Gestalt  aus  altem  Heldenstamme. 


188 


Erst  j8is  in  die   Werke  aufgenotHfnen. 

EJr  saugt  begierig  am  geliebten  Rohr, 

Es  steigt  der  Dampf  an  seiner  Stirn  empor. 

Gutmüthig  trocken  weiss  er  Freud  und  Lachen 

Im  ganzen  Zirkel  laut  zu  machen, 

Wenn  er  mit  ernstlichem  Gesicht 

Barbarisch  bunt  in  fremder  Mundart  spricht. 

Wer  ist  der  andre,  der  sich  nieder 
An  einen  Sturz  des  alten  Baumes  lehnt, 
Und  seine  langen,  feingestalten  Glieder 
Ekstatisch  faul  nach  allen  Seiten  dehnt, 
Und,  ohne  dass  die  Zecher  auf  ihn  hören, 
Mit  Geistesflug  sich  in  die  Höhe  schwingt 
Und  von  dem  Tanz  der  himmelhohen  Sphären 
Ein  monotones  Lied  mit  grosser  Inbrunst  singt  ? 


Doch  scheinet  allen  etwas  zu  gebrechen. 
Ich  höre  sie  auf  einmal  leise  sprechen. 
Des  Jünglings  Ruhe  nicht  zu  unterbrechen, 
Der  dort  am  Ende,  wo  das  Thal  sich  schliesst, 
In  einer  Hütte,  leicht  gezimmert, 
Vor  der  ein  letzter  Blick   des  kleinen  Feuers 

schimmert. 
Vom  Wasserfall  umrauscht,  des  milden  Schlafs 

geniesst 
Mich  treibt   das  Herz,    nach  jener   Kluft   zu 

wandern  — 
Ich  schleiche  still  und  scheide  von  den  andern. 


189 


Der  Goethe  von  1783  spricht  mit  dem  von  1776. 

»Sei  mir  gegrüsst,  der  hier  in  später  Nacht 
Gedankenvoll  an  dieser  Schwelle  wacht  1 
Was  sitzest  du  entfernt  von  jenen  Freuden? 
Du  scheinst  mir  auf  was  Wichtiges  bedacht. 
Was  ists,  dass  du  in  Sinnen  dich  verlierest, 
Und  nicht  einmal  dein  kleines  Feuer  schürest?« 

»  »O,  frage  nicht  I  Denn  ich  bin  nicht  bereit, 
Des  Fremden  Neugier  leicht  zu  stillen. 
Sogar  verbitt  ich  deinen  guten  Willen: 
Hier  ist  zu  schweigen  und  zu  leiden  Zeit. 
Ich  bin  dir  nicht   im  Stande  selbst  zu  sagen 
Woher  ich  sei,  wer  mich  hierher  gesandt. 
Von  fremden  Zonen  bin   ich  her  verschlagen 
Und  durch  die  Freundschaft  festgebannt. 

Wer  kennt  sich  selbst?    Wer  weiss,  was  er 

vermag  ? 
Hat  nie  der  Muthige  Verwegnes  unternommen? 
Und  was  du  thust,    sagt  erst  der  andre  Tag, 
War  es  zum  Schaden  oder  Frommen. 
Liess     nicht    Prometheus     selbst     die     reine 

Himmelsgluth 
Auf  frischen  Thon  vergötternd  niederfliessen  ? 
Und  könnt  er  mehr  als  irdisch  Blut 
Durch  die  belebten  Adern  giessen? 
Ich  brachte  reines  Feuer  vom  Altar  — 
Was  ich  entzündet,  ist  nicht  reine  Flamme. 
Der  Sturm  vermehrt  die  Gluth  und  die  Gefahr : 
Ich  schwanke  nicht,  indem  ich  michverdam  me. 


190 


Die  %Episode*^  des  Gedichts  giebt  eine   Vision 

Und  wenn  ich  unklug  Muth  und  Freiheit  sang 
Und  Redlichkeit  und  Freiheit  sonder  Zwang, 
Stolz  auf  sich  selbst  und  herzliches  Behagen, 
Erwarb  ich  mir  der  Menschen  schöne  Gunst. 
Doch  ach  I  Ein  Gott  versagte  mir  die  Kunst, 
Die  arme  Kunst,  mich  künstlich  zu  betragen. 
Nun  sitz  ich  hier,  zugleich  erhoben  und  gedrückt, 
Unschuldig  und  gestraft,  und  schuldig  und  be- 
glückt. — 

Doch  rede  sacht  ?  Denn  unter  diesem  Dach 
Ruht  all  mein  Wohl  und  all  mein  Ungemach : 
Ein  edles  Herz,  vom  Wege  der  Natur 
Durch  enges  Schicksal  abgeleitet, 
Das,  ahnungsvoll,  nun  auf  der  rechten  Spur 
Bald   mit  sich    selbst   und   bald   mit  Zauber- 
schatten streitet 
Und  was  ihm  das  Geschick  durch  die  Geburt 

geschenkt, 
Mit  Müh  und  Schweiss  erst  zu  erringen  denkt. 
Kein  liebevolles  Wort  kann  seinen  Geist  ent- 
hüllen 
Und  kein  Gesang  die  hohen  Wogen  stillen. 

Wer  kann  der  Raupe,  die  am  Zweige  kriecht. 
Von  ihrem  künftgen  Futter  sprechen? 
Und  wer  der  Puppe,  die  am  Boden  liegt. 
Die  zarte  Schale  helfen  durchzubrechen? 
Es  kommt  die  Zeit,  sie  drängt  sich  selber  los 
Und  eilt  auf  Fittichen  der  Rose  in  den  Schooss. 


191 


aus  der  Sturm-  und  Drangzeit  der  siebziger  Jahre^ 

Gewiss,  ihm  geben  auch  die  Jahre 
Die  rechte  Richtung  seiner  Kraft. 
Noch  ist  bei  tiefer  Neigung  für  das  Wahre 
Ihm  Irrthum  eine  Leidenschaft. 
Der  Vorwitz  lockt  ihn  in  die  Weite, 
Kein  Fels   ist   ihm    zu  schroff,   kein  Steg   zu 

schmal ; 
Der  Unfall  lauert  an  der  Seite 
Und  stürzt  ihn  in  den  Arm  der  Qual. 
Dann  treibt  die  schmerzlich  überspannte  Regung 
Gewaltsam  ihn  bald  da,  bald  dort  hinaus. 
Und  von  unmuthiger  Bewegung 
Ruht  er  unmuthig  wieder  aus. 
Und  düster  wild  an  heitern  Tagen, 
Unbändig,  ohne  froh  zu  sein. 
Schläft  er,   an  Seel  und  Leib  verwundet  und 

zerschlagen, 
Auf  einem  harten  Lager  ein. 
Indessen  ich  hier  still  und  athmend  kaum 
Die  Augen  zu  den  freien  Sternen  kehre. 
Und,    halb   erwacht    und   halb    im  schweren 

Traum, 
Mich  kaum  des  schweren  Traums  erwehre.«« 


Verschwinde  du! 

Und  o   wie  dank  ich  euch, 
Dass  ihr  mich  heut  auf  einen  Pfad  gestellet, 


192 


die  Goethe  mit  dem  Herzog  durchgemacht 

Wo   auf  ein   einzig  Wort   die  ganze  Gegend 

gleich 

Zum  schönsten  Tage  sich  erhellet  1 

Die  Wolke  flieht,  der  Nebel  fällt, 

Die  Schatten  sind  hinweg  —  ihr  Götter,  Preis 

und  Wonne  1 

Es  leuchtet  mir  die  wahre  Sonne, 

Es  lebt  mir  eine  schönre  Weltl 

Das  ängstliche  Gesicht  ist  in  die  Luft  zerronnen. 

Ein  neues  Leben  ists,  es  ist  schon  lang  be- 
gonnen. 

Ich  sehe  hier,  wie  man  nach  langer  Reise 
Im  Vaterland  sich  wieder  kennt, 
Ein  ruhig  Volk  in  stillem  Fleisse 
Benutzen,  was  Natur  an  Gaben  ihm  gegönnt. 
Der  Faden  eilet  von  dem  Rocken 
Des  Webers  raschem  Stuhle  zu. 
Und  Seil  und  Kübel  wird  in  längrer  Ruh 
Nicht  am  verbrochnen  Schachte  stocken. 
Es    wird    der    Trug    entdeckt,    die    Ordnung 

kehrt  zurück. 
Es  folgt  Gedeihn  und  festes  irdsches  Glück. 

So  mög,  o  Fürst,  der  Winkel  deines  Landes 
Ein  Vorbild  deiner  Tage  sein ! 
Du  kennest  lang  die  Pflichten  deines  Standes 
Und    schränkest    nach    und    nach    die    freie 

Seele  ein. 


Hartleben,  Goethe-Brevier. 

193  13 


und  jetzt  utfertounäen  haiii. 


Der  kann  sich  manchen  Wunsch  gewähren. 
Der  kalt  sich  selbst  und  seinem  Willen  lebt : 
Allein  wer  andre  wohl  zu  leiten  strebt, 
Muss  fähig  sein  viel  zu  entbehren.- 

So  wandle  du  —  der  Lohn  ist  nicht  gering  — 
Nicht  schwankend  hin,  wie  jener  Sämann  ging, 
Dass  bald  ein  Korn,  des  Zufalls  leichtes  Spiel, 
Hier  auf  den  Weg,  dort  zwischen  Domen  fiel: 
NeinI     Streue  klug   wie  reich   mit   männlich 

steter  Hand 
Den  Segen  aus  auf  ein  geackert  Land  I 
Dann  lass  es  ruhn :  die  Ernte  wird  erscheinen 
Und  dich  beglücken  und  die  Deinen. 


194 


Wilhelm  Meister.  —    Weimar,  i'/Sj. 


Der  Sänger. 

»Was  hör  ich  draussen  vor  dem  Thor, 

Was  auf  der  Brücke  schallen? 

Lasst  den  Gesang  vor  unserm  Ohr 

Im  Saale  wiederhallen!« 

Der  König  sprachs,  der  Page  lief, 

Der  Page  kam,  der  König  rief: 

»Lasst  mir  herein  den  Alten!« 

»Gegrüsset  seid  mir,  edle  Herrn, 
Gegrüsst  ihr,  schöne  Damen! 
Welch  reicher  Himmel!     Stern  bei  Stern! 
Wer  kennet  ihre  Namen? 
Im  Saal  voll  Pracht  und  Herrlichkeit 
Schliesst,  Augen,   euch!     Hier   ist  nicht  Zeit 
Sich  staunend  zu  ergötzen.« 

Der  Sänger  drückt  die  Augen  ein 
Und  schlug  in  vollen  Tönen. 
Die  Ritter  schauten  muthig  drein 
Und  in  den  Schooss  die  Schönen. 
Der  König,  dem  es  wohlgefiel, 
Liess,  ihn  zu  ehren  für  sein  Spiel 
Eine  goldne  Kette  holen. 

195  13* 


Ballade  des  Harfners,     Ende  des  zweiten  Buchs. 

»Die  goldne  Kette  gieb  mir  nicht, 
Die  Kette  gieb  den  Rittern, 
Vor  deren  kühnem  Angesicht 
Der  Feinde  Lanzen  splittern  1 
Gieb  sie  dem  Kanzler,  denn  du  hast, 
Und  lass  ihn  noch  die  goldne  Last 
Zu  andern  Lasten  tragen  U 

»Ich  singe,  wie  der  Vogel  singt. 
Der  in  den  Zweigen  wohnet: 
Das  Lied,  das  aus  der  Kehle  dringt, 
Ist  Lohn,  der  reichlich  lohnet  1 
Doch  darf  ich  bitten,  bitt  ich  eins: 
Lass  mir  den  besten  Becher  Weins 
In  purem  Golde  reichen!« 

Er  setzt  ihn  an,  er  trank  ihn  aus: 
»O  Trank  voll  süsser  Label 
O,  wohl  dem  hochbeglückten  Haus, 
Wo  das  ist  kleine  Gabe ! 
Ergehts  euch  wohl,  so  denkt  an  mich 
Und  danket  Gott  so  warm,  als  ich 
Für  diesen  Trunk  euch  danke  U 


196 


Wilhelm  Meister,  —    Weimarj  1783. 


Die  Lieder  des  Harfners. 

I. 

Wer  nie  sein  Brod  mit  Thränen  ass, 

Wer  nie  die  kummervollen  Nächte 

Auf  seinem  Bette  weinend  sass, 

Der  kennt  euch  nicht,  ihr  himmlischen  Mächte ! 

Ihr  führt  ins  Leben  uns  hinein, 
Ihr  lasst  den  Armen  schuldig  werden, 
Dann  überlasst  ihr  ihn  der  Pein  — 
Denn  alle  Schuld  rächt  sich  auf  Erden. 


Ihm  färbt  der  Morgensonne  Licht 
Den  reinen  Horizont  mit  Flammen, 
Und  über  seinem  schuldgen  Haupte  bricht 
Das  schöne  Bild  der  ganzen  Welt  zusammen! 


197 


Wilhelm  Meister.  —   Weimar^  1783. 


I 


II. 

Wer  sich  der  Einsamkeit  ergiebt, 
Ach,  der  ist  bald  allein! 
Ein  jeder  lebt,  ein  jeder  liebt 
Und  lässt  ihn  seiner  Pein.  — 

Ja,  lasst  mich  meiner  Qual! 
Und  kann  ich  nur  einmal 
Recht  einsam  sein, 
Dann  bin  ich  nicht  allein. 

Es  schleicht  ein  Liebender  lauschend  sacht, 
Ob  seine  Freundin  allein  — 
So  überschleicht  bei  Tag  und  Nacht 
Mich  Einsamen  die  Pein, 
Mich  Einsamen  die  Qual. 
Ach,  werd  ich  erst  einmal 
Einsam  im  Grabe  sein, 
Da  lässt  sie  mich  allein! 


196 


Wilhelm  Meister.  —   Weimar^  17S4. 

Mignon. 
I. 

Kennst  du  den  Ort,  wo  die  Citronen  blühn, 
Im  grünen  Laub  die  Goldorangen  glühn, 
Ein  sanfter  Wind  vom  blauen  Himmel  weht, 
Die  Myrte  still  und  hoch  der  Lorbeer  steht? 
Kennst  du  ihn  wohl? 

Dahin!  Dahin 
Möcht  ich  mit  dir,  o  mein  Gebieter,  ziehn. 

Kennst  du  das  Haus ;    Auf  Säulen  ruht  sein 

Dach, 
Es  glänzt  der  Saal,  es  schimmert  das  Gemach, 
Und  Marmorbilder  stehn  und  sehn  mich  an: 
»Was  hat  man  dir,  du  armes  Kind,  gethan?« 
Kennst  du  es  wohl? 

Dahin  I  Dahin 
Möcht  ich  mit  dir,  o  mein  Gebieter,  ziehn. 

Kennst  du  den  Berg  und  seinen  Wolkensteg? 
Das  Maulthier  sucht  im  Nebel  seinen  Weg, 
In  Höhlen  wohnt  der  Drachen  alte  Brut  — 
Es  stürzt  der  Fels,  und  über  ihn  die  Fluth, 
Kennst  du  ihn  wohl? 

Dahin!  Dahin 
Geht  unser  Wegl     Gebieter,  lass  uns  ziehn  I 


199 


t 


Wilhelm  Meister.  —    Wevnar^  i'/SS- 


n. 

JNur  wer  die  Sehnsucht  kennt, 

Weiss,  was  ich  leide. 

Allein  und  abgetrennt 

Von  aller  Freude, 

Seh  ich  ans  Firmament 

Nach  jener  Seite, 

Ach,  der  mich  liebt  und  kennt, 

Ist  in  der  Weite. 

Es  schwindelt  mir,  es  brennt 

Mein  Eingeweide  — 

Nur  wer  die  Sehnsucht  kennt. 

Weiss,  was  ich  leide! 


200 


Ipkigente  auf  Tauris.  —   Weimar^  17S5. 


Lied  der  Parzen. 

Es  fürchte  die  Götter 
Das  Menschengeschlecht! 
Sie  halten  die  Henschaft 
In  ewigen  Händen 
Und  können  sie  brauchen, 
Wie's  ihnen  gefallt. 

Der  fürchte  sie  doppelt, 
Den  je  sie  erheben  I 
Auf  Klippen  und  Wolken 
Sind  Stühle  bereitet 
Um  goldene  Tische. 

Erhebet  ein  Zwist  sich  — 
So  stürzen  die  Gäste, 
Geschmäht  und  geschändet, 
In  nächtliche  Tiefen, 
Und  harren  vergebens, 
Im  Finstem  gebunden, 
Gerechten  Geric]btes. 

201 


Erste  Fassung,  März  1779. 


Sie  aber,  sie  bleiben 
In  ewigen  Festen 
An  goldenen  Tischen. 
Sie  schreiten  vom  Berge 
Zu  Bergen  hinüber  — 
Aus  Schlünden  der  Tiefe 
Dampft  ihnen  der  Athem 
Erstickter  Titanen, 
Gleich  Opfergerüchen, 
Ein  leichtes  Gewölke. 

Es  wenden  die  Herrscher 
Ihr  segnendes  Auge 
Von  ganzen  Geschlechtem, 
Und  meiden,  im  Enkel 
Die  ehmals  geliebten 
Still  redenden  Züge 
Des  Ahnherrn  zu  sehn. 


So  sangen  die  Parzen. 
Es  horcht  der  Verbannte 
In  nächtlichen  Höhlen, 
Der  Alte  die  Lieder, 
Denkt  Kinder  und  Enkel 
Und  schüttelt  das  Haupt. 


202 


Cctstel  GandolfOf   October  lySy. 


Amor  als  Landschaftsmaler. 

Oass  ich  früh  auf  einer  Felsenspitze, 
Sah  mit  starren  Augen  in  den  Nebel: 
Wie  ein  grau  grundirtes  Tuch  gespannet, 
Deckt  er  alles  in  die  Breit  und  Höhe. 

Stellt  ein  Knabe  sich  mir  an  die  Seite, 
Sagte:  »Lieber  Freund,  wie  magst  du,  starrend. 
Auf  das  leere  Tuch  gelassen  schauen? 
Hast  du  denn  zum  Malen  und  zum  Bilden 
Alle  Lust  auf  ewig  wohl  verloren?« 

Sah  ich  an  das  Kind  und  dachte  heimlich: 
»Will  das  Bübchen  doch  den  Meister  machen  I« 

»Willst  du  immer  trüb  und  müssig  bleiben,« 
Sprach  der  Knabe,  »kann  nichts  Kluges  werden  1 
Sieh,  ich  will  dir  gleich  ein  Bildchen  malen, 
Dich  ein  hübsches  Bildchen  malen  lehren.« 

Und  er  richtete  den  Zeigefinger, 
Der  so  röthlich  war  wie  eine  Rose, 
Nach  dem  weiten  ausgespannten  Teppich, 
Fing  mit  seinem  Finger  an  zu  zeichnen. 


203 


%Die  schöne  Mailänderin  €. 


Oben  malt  er  eine  schöne  Sonne, 
Die  mir  in  die  Augen  mächtig  glänzte, 
Und  den  Saum  der  Wolken  macht  er  golden, 
Liess  die  Strahlen  durch  die  Wolken  dringen. 
Malte  dann  die  zarten,  leichten  Wipfel 
Frisch  erquickter  Bäume,  zog  die  Hügel, 
Einen  nach  dem  andern,  frei  dahinter. 
Unten  liess  ers  nicht  an  Wasser  fehlen, 
Zeichnete  den  Fluss  so  ganz  natürlich, 
Dass  er  schien  im  Sonnenstrahl  zu  glitzern, 
Dass  er  schien  am  hohen  Rand  zu  rauschen. 

Ach,  da  standen  Blumen  an  dem  Flusse, 
Und  da  waren  Farben  auf  der  Wiese, 
Gold  und  Schmelz  und  Purpur  und  ein  Grünes, 
Alles,  wie  Smaragd  und  wie  Karfunkel! 
Hell  und  rein  lasirt  er  drauf  den  Himmel 
Und  die  blauen  Berge  fem  und  femer, 
Dass  ich,  ganz  entzückt  und  neugeboren. 
Bald  den  Maler,  bald  das  Bild  beschaute. 

»Hab  ich  doch,«  so  sagt  er,  »dir*  bewiesen, 
Dass  ich  dieses  Handwerk  gut  verstehe: 
Doch  es  ist  das  schwerste  noch  zurücke.« 

Zeichnete  damach  mit  spitzem  Finger 
Und  mit  grosser  Sorgfalt  an  dem  Wäldchen, 
Grad  ans  £nde,  wo  die  Sonne  kräftig 
Von  dem  hellen  Boden  widerglänzte  -^: 


204 


Castel  GandolfOf  Octoher  1787, 


Zeichnete  das  allerliebste  Mädchen, 
Wohlgebildet,  zierlich  angekleidet, 
Frische  Wangen  unter  braunen  Haaren  — 
Und  die  Wangen  waren  von  der  Farbe 
Wie  das  Fingerchen,  das  sie  gebildet. 

»Oh  du  Knabe  !<  rief  ich,  »welch  ein  Meister 
Hat  in  seine  Schule  dich  genommen, 
Dass  du  so  geschwind  und  so  natürlich 
Alles  klug  beginnst  und  gut  vollendest?« 

Da  ich  noch  so  rede,  sieh:  da  rühret 
Sich  ein  Windchen  und  bewegt  die  Gipfel, 
Kräuselt  alle  Wellen  auf  dem  Flusse, 
Füllt  den  Schleier  des  voUkommnen  Mädchens, 
Und,  was  mich  Erstaunten  mehr  erstaunte: 
Fängt  das  Mädchen  an  den  Fuss  zu  rühren, 
Geht,  zu  kommen,  nähert  sich  dem  Orte, 
Wo  ich  mit  dem  losen  Lehrer  sitze  1 

Da  nun  alles,  alles  sich  bewegte, 

* 

Bäume,  Fluss  und  Blumen  und  der  Schleier 
Und  der  zarte  Fuss  der  AUerschönsten  — 
Glaubt  ihr  wohl,  ich  sei  auf  meinem  Felsen 
Wie  ein  Felsen  still  und  fest  geblieben? 


205 


%Die  schöne  Mailänderin^,  —  Rom^  November  1787. 


Cupido. 

LupidOy  loser,  eigensinniger  Knabe  I 
Du  l)atst  mich  um  Quartier  auf  einige  Stunden. 
Wie  viele  Tag  und  Nächte  bist  du  geblieben 
Und  bist  nun  herrisch  und  Meister  im  Hause 

geworden  I 

Von  meinem  breiten  Lager  bin  ich  ver- 
trieben — 

Nun  sitz  ich   an  der  Erde,    Nächte  gequälet. 

Dein   Muthwill    schüret   Flamm    auf   Flamme 

des  Herdes, 

Verbrennet    den    Vorrath    des    Winters    und 

senget  mich  Armen. 

Du   hast   mir    mein   Geräth   verstellt    und 

verschoben : 

Ich  such  und  bin  wie  blind  und  irre  geworden. 

Du   lärmst  so  ungeschickt:    ich   fürchte,    das 

Seelchen 

Entflieht,  um  dir  zu  entfliehn,  und  räumet  die 

Hütte. 


206 


Christiane,  —   Weimar^  Hochsommer  iy88. 


Morgenklagen. 

Eroticon. 

U  du  loses,  leidigliebes  Mädchen, 
Sag  mir  an,  womit  hab  ichs  verschuldet, 
Dass  du  mich  auf  diese  Folter  spannest, 
Dass  du  dein  gegeben  Wort  gebrochen? 

Drucktest  doch  so  freundlich  gestern  Abend 
Mir  die  Hände,  lispeltest  so  lieblich: 
»Ja,  ich  komme,  komme  gegen  Morgen 
Ganz  gewiss,  mein  Freund,  auf  deine  Stube.« 

Angelehnet  liess  ich  meine  Thüre: 
Hatte  wohl  die  Angeln  erst  geprüfet 
Und  mich  recht  gefreut,  dass  sie  nicht  knarrten. 

Welche  Nacht  des  Wartens  ist  vergangen  — 
Wacht  ich  doch  und  zählte  jedes  Vierteil 
Schlief  ich  ein  und  wenig  Augenblicke, 
War  mein  Herz  beständig  wach  geblieben, 
Weckte  mich  von  meinem  leisen  Schlummer. 


207 


Aus  der  ersten  Zeit  seiner 


Ja,  da  segnet  ich  die  Finsternisse, 
Die  so  ruhig  alles  überdeckten, 
Freute  mich  der  allgemeinen  Stille, 
Horchte  lauschend  immer  in  die  Stille, 
Ob  sich  nicht  ein  Laut  bewegen  möchte. 

»Hätte  sie  Gedanken,  wie  ich  denke, 
Hätte  sie  Gefühl,  wie  ich  empfinde. 
Würde  sie  den  Morgen  nicht  erwarten, 
Würde  schon  in  dieser  Stunde  kommen.« 

Hüpft  ein  Kätzchen  oben  übern  Boden, 
Knisterte  das  Mäuschen  in  der  Ecke, 
Regte  sich,  ich  weiss  nicht  was  im  Hause, 
Immer  hofft  ich,  deinen  Schritt  zu  hören, 
Immer  glaubt  ich,  deinen  Tritt  zu  hören. 

Und  so  lag  ich  lang  und  immer  länger  — 
Und  es  fing  der  Tag  schon  an  zu  grauen. 
Und  es  rauschte  hier  und  rauschte  dorten. 

»Ist  es  ihre  Thüre?     Wärs  die  meine!« 
Sass  ich  aufgestemmt  in  meinem  Bette, 
Schaute  nach  der  halberhellten  Thüre, 
Ob  sie  sich  nicht  wohl  bewegen  möchte? 
Angelehnet  blieben  beide  Flügel 
Auf  den  leisen  Angeln  ruhig  hangen. 

Und  der  Tag  ward  immer  hell-  und  heller! 
Hört  ich  schon  des  Nachbars  Thüre  gehen, 


203 


Liehschaft  mit  Christiane  Vulpiuti 

—  '•'"  -r      I  I       «■ 

Der  das  Taglohn  zu  gewinnen  eilet, 
Hört  ich  bald  darauf  die  Wagen  rasseln: 
War  das  Thor  der  Stadt  nun  auch  eröffnet, 
Und  es  regte  sich  der  ganze  Plunder 
Des  bewegten  Marktes  durcheinander. 

Ward   nun   in  dem   Haus    ein   Gehn  und 

Kommen 
Auf  und  ab  die  Stiegen,  hin  und  wieder 
Knarrten  Thüren,  klapperten  die  Tritte, 
Und  ich  konnte  wie  vom  schönen  Leben 
Mich    noch    nicht     von    meiner    Hoffnung 

scheiden. 

Endlich,  als  die  ganz  verhasste  Sonne 
Meine  Fenster  traf  und  meine-  Wände, 
Sprang  ich  auf  und  eilte  nach  dem  Garten, 
Meinen  heissen,  sehnsuchtsvollen  Athem 
Mit  der  kühlen  Morgenluft  zu  mischen. 
Dir  vielleicht  im  Garten  zu  begegnen: 
Und  nun  bist  du  weder  in  der  Laube, 
Noch  im  hohen  Lindengang  zu  finden  l 


Hartleben,  Goethe -llr«vi«r' 

200  14 


Christiane.  —   Weimar^  Hochsommer  1788.  — ^ 


Der  Besuch. 

Meine  Liebste  wollt  ich  heut  beschleichen ; 
Aber  ihre  Thüre  war  verschlossen. 
»Hab  ich  doch  den  Schlüssel  in  der  Tasche! 
Oeffn  ich  leise  die  geliebte  Thüre!« 

Auf  dem  Saale  fand  ich  nicht  das  Mädchen, 
Fand  das  Mädchen  nicht  in  ihrer  Stube; 
Endlich,  da  ich  leis  die  Kammer  öffne, 
Find  ich  sie,  gar  zierlich  eingeschlafen. 
Angekleidet  auf  dem  Bette  liegen. 

Bei  der  Arbeit  war  sie  eingeschlafen; 
Das  Gestrickte  mit  den  Nadeln  ruhte 
Zwischen  den  gefaltnen  zarten  Händen. 
Und  ich  setzte  mich  an  ihre  Seite, 
Ging  bei  mir  zu  Rath,  ob  ich  sie  weckte. 

Da  betrachtet  ich  den  schönen  Frieden, 
Der  auf  ihren  Augenlidern  ruhte. 
Auf  den  Lippen  war  die  stille  Treue, 
Auf  den  Wangen  Lieblichkeit  zu  Hause, 
Und  die  Unschuld  eines  guten  Herzens 
Regte  sich  im  Busen  hin  und  wieder. 


210 


Auf  den  dringlichen  Wunsch  von  Karoline  von  Herder 

Jedes  ihrer  Glieder  lag  gefallig, 
Aufgelöst  vom  süssen  Götterbalsam, 

Freudig  sass  ich  da,  und  die  Betrachtung 
Hielte  die  Begierde,  sie  zu  wecken, 
Mit  geheimen  Banden  fest  und  fester. . 

»O    du    Liebe,«     dacht    ich,      »kann    der 

Schlummer, 
Der  Verräther  jedes  falschen  Zuges, 
Kann  er  dir  nicht  schaden,  nichts  entdecken, 
Was  des  Freundes  zarte  Meinung  störte? 

4 

Deine  holden  Augen  sind  geschlossen. 
Die  mich  offen  schon  allein  bezaubern. 
Es  bewegen  deine  süssen  Lippen 
Weder  sich  zur  Rede  noch  zum  Kusse. 
Aufgelöst  sind  diese  Zauberbande 
Deiner  Arme,  die  mich  sonst  umschlingen. 
Und  die  Hand,  die  reizende  Gefährtin 
Süsser  Schmeicheleien,  unbeweglich. 
Wärs  ein  Irrthum,  wie  ich  von  dir  denke, 
War  es  Selbstbetrug,  wie  ich  dich  liebe, 
Müsst  ichs  jetzt  entdecken,  da  sich  Amor 
Ohne  Binde  neben  mich  gestellet.« 

Lange  sass  ich  so  und  freute  herzlich 
Ihres  Werthes  mich  und  meiner  Liebe: 
Schlafend  hatte  sie  mir  so  gefallen, 
Dass  ich  mich  nicht  traute,  sie  zu  wecken. 

211  14* 


in  der  ersten  Sammlung  der  Gedichte  unterdrückte 

Leise  leg  ich  ihr  zwei  Pomeranzen 
Und  zwei  Rosen  auf  das  Tischchen  nieder: 
Sachte,  sachte  schleich  ich  meiner  Wege. 

»Oeffnet  sie  die  Augen,  meine  Gute, 
Gleich  erblickt  sie  diese  bunte  Gabe, 
Staunt:  wie  immer  bei  verschlossnen  Thüren 
Dieses  freundliche  Geschenk  sich  finde. 

Seh  ich  diese  Nacht  den  Engel  wieder, 
O,  wie  freut  sie  sich  —  vergilt  mir  doppelt 
Dieses  Opfer  meiner  zarten  Liebe!« 


iH 


Weimar,  178g.  —  Als  -kKophtische  Liedern 


Zwei  Bass- Arien. 

zam  Grosskophta. 
I. 

L/asset  Gelehrte  sich  zanken  und  streiten, 
Streng  und  bedächtig  die  Lehrer  auch  sein, 
Alle  die  Weisesten  aller  der  Zeiten 
Lächeln  und  winken  und  stimmen  mit  ein: 
Thöricht,  auf  Bessrung  der  Thoren  zu  harren ! 
Kinder  der  Klugheit,  o  habet  die  Narren 
Eben  zum  Narren  auch,  wie  sichs  gehört! 

Merlin  der  Alte,  im  leuchtenden  Grabe, 
Wo  ich  als  Jüngling  gesprochen  ihn  habe, 
Hat  mich  mit  ähnlicher  Antwort  belehrt: 
Thöricht,  auf  Bessrung  der  Thoren  zu  harren  1 
Kinder  der  Klugheit,  o  habet  die  Narren 
Eben  zum  Narren  auch,  wie  sichs  gehört  I 

Und  auf  den  Höhen  der  indischen  Lüfte 
Und  in  den  Tiefen  ägyptischer  Grüfte 
Hab  ich  das  heilige  Wort  nur  gehört: 
Thöricht,  auf  Bessrung  der  Thoren  zu  harren  I 
Kinder  der  Klugheit,  o  habet  die  Narren 
Eben  zum  Narren  auch,  wie  sichs  gehört  I 


213 


in  Schillers  Musenalmanach  auf  17 g6. 


II. 

vJehl     Gehorche  meinen  Winken, 
Nutze  deine  jungen  Tage, 
Lerne  zeitig  klüger  sein: 
Auf  des  Glückes  grosser  Wage 
Steht  die  Zunge  selten  ein ! 
Du  musst  steigen  oder  sinken. 
Du  musst  herrschen  und  gewinnen 
Oder  dienen  und  verlieren, 
Leiden  oder  triumphiren  — 
Amboss  oder  Hammer  sein  1 


214 


-j 


Römische  Elegien, 


Römische  Elegien. 
I. 

oaget,  Steine,    mir  an,    o  sprecht,  ihr  hohen 

Paläste  1 
Strassen,  redet  ein  Wort!  Genius,  regst  du 

dich  nicht? 
Ja !  —  Es  ist  alles  beseelt  von  deinen  heiligen 

Mauern, 
Ewige  Roma,  nur  mir  schweiget  noch  alles 

so  still. 
O,   wer  flüstert    mir   zu,   an  welchem  Fenster 

erblick  ich 
Einst   das   holde  Geschöpf,    das   mich  ver- 
sengt und  erquickt? 
Ahn  ich  die  Wege  noch  nicht,  durch  die  ich 

immer  und  immer, 
Zu   ihr   und   von    ihr  zu   gehn,    opfre   die 

köstliche  Zeit? 
Noch  betracht  ich  Paläst  und  Kirchen,  Ruinen 

und  Säulen, 
Wie   ein  bedächtiger  Mann   schicklich  die 

Reise  benutzt. 


215 


Nicht  in  Rom,  sondern  nach  der  Heimkehr  tms  Italien, 

Doch    bald    ist   es   vorbei!     Dann   wird    ein 

einziger  Tempel, 
Amors  Tempel  nur  sein,  der  den  Geweihten 

empfangt.  — 
Eine  Welt  zwar  bist  du,  o  Rom,   doch  ohne 

die  Liebe 
Wäre  die  Welt  nicht  die  Welt,   wäre  denn 

Rom  auch  nicht  Roml 


IL 

h/hret,    wen   ihr    auch   wollt!     Nun   bin   ich 

endlich  geborgen! 
Schöne  Damen  und  ihr,  Herren  der  feineren 

Welt: 
Fraget   nach  Oheim    und  Vettern    und   alten 

Muhmen  und  Tanten, 
Und   dem  gebundnen  Gespräch   folge   das 

traurige  Spiel. 
Auch  ihr  übrigen  fahret  mir  wohl,  in  grossen 

und  kleinen 
Zirkeln,  die  ihr  mich  oft  nah  der  Verzweif- 
lung gebracht: 
Wiederholet,  politisch  und  zwecklos,   jegliche 

Meinung, 
Die  den  Wandrer   mit  Wuth  über  Europa 

verfolgt. 


216 


vom  Herbst  iy88  bis  Frühjahr  i*jgo  gedichtet. 

So   verfolgte  das    Liedchen    »Malbrough« 

den  reisenden  Briten 
Einst   von   Paris    nach   Livom,    dann   von 

Livorho  nach  Rom, 
Weiter  nach  Neapel  hinunter,  und  war  er  nach 

Smyma  gesegelt, 
»Malbroughl«  empfing  ihn  auch  dort!  »Mal- 

broughic  im  Hafen  das  Lied. 
Und  so  musst  ich  bis  jetzt  auf  allen  Tritten 

und  Schritten 
Schelten  hören  das  Volk,  schelten  der  Könige 

Rath.  — 
Nun  entdeckt  ihr  mich  nicht  so  bald  in  meiiiem 

Asyle, 
Das  mir  Amor  der  Fürst,  königlich  schützend, 

verlieh. 
Hier  bedecket    er   mich   mit  seinem  Fittich  I 

Die  Liebste 
Fürchtet,  römisch  gesinnt,  wüthende  Gallier 

nicht: 
Sie  erkundigt  sich  nie   nach  neuer  Märe,   sie 

spähet 
Sorglich  den  Wünschen   des  Manns,    dem 

sie  sich  eignete,  nach. 
Sie  ergötzt  sich  an  ihm,  dem  freien,  rüstigen 

Fremden, 
Der    von   Bergen    und    Schnee,    hölzernen 

Häusern  erzählt. 


217 


Hervorgerufen  sind  die  Elegien  durch  das 

Theilt  die  Flammen,  die  sie  in  seinem  Busen 

entzündet) 
Freut  sich,  dass  er  das  Gold  nicht  wie  der 

Römer  bedenkt. 
Besser   ist  ihr  Tisch  nun    bestellt;    es   fehlet 

an  Kleidern, 
Fehlet  am  Wagen  ihr  nicht,    der  nach  der 

Oper  sie  bringt. 
Mutter  und  Tochter  erfreun  sich  ihres  nordi- 
schen Gastes, 
Und    der    Barbare     beherrscht    römischen 

Busen  und  Leib. 


III. 

Lass    dich,    Geliebte,    nicht    reun,    dass    du 

mir  so  schnell  dich  ergeben! 
Glaub    es :    ich    denke    nicht  frech,    denke 

nicht  niedrig  von  dir. 
Vielfach  wirken  die  Pfeile  des  Amor:   einige 

ritzen, 
Und   vom  schleichenden   Gift  kranket   auf 

Jahre  das  Herz  — 
Aber,  mächtig  befiedert,  mit  frisch  geschliffener 

Schärfe 
Dringen  die  andern  ins  Mark,    zünden  be- 
hende das  Blutl 


218 


Verhältnis  mit  Christiane^  die  er 


In  der  heroischen  Zeit,  da  Götter  und  Göttinnen 

liebten, 
Folgte  Begierde   dem  Blick,   folgte  Genuss 

der  Begier. 
Glaubst  du,   es   habe   sich  lange   die    Göttin 

der  Liebe  besonnen, 
Als   im  Idäischen  Hain    einst  ihr  Anchises 

gefiel?  — 
Hätte  Luna   gesäumt,    den   schönen   Schläfer 

zu  küssen, 
O,  so  hätt  ihn  geschwind,  neidend,  Aurora 

geweckt.  — 
Hero  erblickte  Leandern  am  lauten  Fest,  und 

behende 
Stürzte    der    Liebende    sich    heiss    in    die 

nächtliche  Fluth.  — 
Rhea  Sylvia  wandelt,    die  fürstliche  Jungfrau, 

der  Tiber 
Wasser  zu  schöpfen,  hinab,  und  sie  ergreifet 

der  Gott. 
So  erzeugte  sich  Mars  zwei  Söhne !  Die  Zwil- 
linge tränket 
Eine  Wölfin  —  und  Rom  nennt  sich   die 

Fürstin  der  Welt! 


219 


bald  nach  der  Rückkehr  aus  Italien^ 


IV. 

rromm  sind  wir  Liebende,  still  verehren  wir 

alle  Dämonen, 
Wünschen  uns  jeglichen  Gott,  jegliche  Göttin 

geneigt. 
Und  so  gleichen  wir  euch,  o  römische  Sieger  I 

Den  Göttern 
Aller  Völker  der  Welt  botet  ihr  Wohnungen 

an: 
Habe  sie  schwarz  und  streng  aus  altem  Basalt 

der  Aegypter, 
Oder  ein   Grieche  sie   weiss,  reizend,   aus 

Marmor  geformt.   — 
Doch  verdriesset  es   nicht  die  Ewigen,  wenn 

wir  besonders 
Weihrauch   köstlicher  Art  Einer   der  Gött- 
lichen streun. 
Ja»  wir  bekennen  euch  gern :  es  bleiben  unsre 

Gebete, 
Unser  täglicher  Dienst  Einer  besonders  ge- 
weiht. 
Schalkhaft,    munter    und    ernst    begehen    wir 

heimliche  Feste, 
Und  das  Schweigen  geziemt  allen  Geweih- 
ten genau. 


220 


im  Juli  1788  in   Weimar  kennen  lernte. 

*         —       -—      ■  _  I     IM      II        _L 

Eher  lockten  wir  selbst  an  die  Fersen  durch 

grässliche  Thaten 
Uns  die  Erinnyen  her,  wagten  es  eher,  des 

Zeus 
Hartes   Gericht   am   rollenden   Rad    und   am 

Felsen  zu  dulden. 
Als   dem   reizenden  Dienst   unser   Gemüth 

zu  entziehn. 
Diese  Göttin,  sie  heisst  Gelegenheit!  Lernet 

sie  kennen! 
Sie  erscheinet   euch  oft,    immer  in  andrer 

Gestalt, 
Tochter   des    Proteus    möchte    sie    sein,    mit 

Thetis  gezeuget. 
Deren   verwandelte  List   manchen   Heroen 

betrog. 
So  betrügt  nun  die  Tochter  den  Unerfahmen, 

den  Blöden: 
Schlummernde  necket  sie  stets,   Wachende 

fliegt  sie  vorbei. 
Gern  ergiebt  sie  sich  nur  dem  raschen,  thäti- 

gen  Manne, 
Dieser  findet  sie  zahm,   spielend  und  zärt- 
lich und  hold.  — 
£inst  erschien   sie  auch  mir,    ein  bräunliches 

Mädchen,  die  Haare 
Fielen  ihr  dunkel  und  reich  über  die  Stime 

herab, 


221 


Am  2.  August  lySg  schreibt  er  aus  Eüenach  an  Herder: 

Kurze    Locken   ringelten    sich    ums   zierliche 

Hälschen, 
Ungeflochtenes  Haar  krauste    vom  Scheitel 

sich  auf. 
Und  ich  verkannte  sie  nicht !  ergriff  die  Eilende  I 

Lieblich 
Gab  sie  Umarmung  und  Kuss  bald  mir  ge- 
lehrig zurück. 
O,  wie  war  ich  beglückt!  —  Doch  stille,  die 

Zeit  ist  vorüber, 
Und  umwunden  bin  ich,  römische  Flechten, 

von  euch. 


V. 

Froh  empfind  ich  mich   nun  auf  klassischem 

Boden  begeistert: 
Lauter  und  reizender  spricht  Vorwelt   und 

Mitwelt  zu  mirl 
Hier  befolg   ich   den  Rath,    durchblättre    die 

Werke  der  Alten 
Mit  geschäftiger  Hand,    täglich  mit  neuem 

Genuss. 
Aber   die  Nächte   hindurch    hält  Amor   mich 

anders  beschäftigt  — 
Werd   ich  auch    halb   nur  gelehrt,   bin  ich 

doch  doppelt  beglückt. 


222 


^  Einige  Erotica  sind  gearbeitet  worden,  t 

Und  belehr   ich    mich  nicht,   indem   ich   des 

lieblichen  Busens 
Formen  spähe,    die  Hand  leite  die  Hüften 

hinab! 
Dann  versteh  ich  den  Marmor  erst  recht:  ich 

denk  und  vergleiche  — 
Sehe  mit  fühlendem  Aug,  fühle  mit  sehen- 
der Hand. 
Raubt    die    Liebste    denn   gleich    mir   einige 

Stunden  des  Tages, 
Giebt  sie  Stunden  der  Nacht  mir  zur  Ent- 
schädigung hin. 
Wird  doch  nicht  immer  geküsst,  es  wird  ver- 
nünftig gesprochen  - 
Ueberfällt  sie  der  Schlaf,  lieg  ich  und  denke 

mir  viel. 
Oftmals  habe  ich  auch  schon  in  ihren  Armen 

gedichtet 
Und  des  Hexameters  Mass  leise  mit  fingern- 
der Hand 
Ihr  auf  den  Rücken  gezählt.     Sie  athmet  in 

lieblichem  Schlummer, 
Und  es  durchglühet  ihr  Hauch  mir  bis  ins 

Tiefste  die  Brust.  — 
Amor  schüret  indess  die  Lampe   und  denket 

der  Zeiten, 
Da  er  den  nämlichen  Dienst  seinen  Trium- 

vim  gethan. 


223 


InGoethes  erster  Reinschrift  tragen  die  Elegien  den  Titel : 


VI. 

*  Kannst  du,   o  Grausamer,   mich  in  solchen 

Worten  betrüben? 
Reden  so  bitter  und  hart  liebende  Männer 

bei  euch? 
Wenn   das  Volk  mich  verklagt,    ich  muss  es 

dulden  —  und  bin  ich 
Etwa  nicht  schuldig?     Doch  ach:  schuldig 

nur  bin  ich  mit  dir! 
Diese  Kleider,  sie  sind  der  neidischen  Nach- 
barin Zeugen, 
Dass   die  Wittwe  nicht   mehr  einsam   den 

Gatten  beweint« 
Bist   du    ohne  Bedacht  nicht   oft   bei  Mond- 
schein gekommen, 
Grau,  im  dunkeln  Sürtout,  hinten  gerundet 

das  Haar? 
Hast  du  dir  scherzend  nicht  selbst  die  geist- 
liche Maske  gewählet? 
Solls  ein  Prälate  denn  sein,  gut:  der  Prälate 

bist  dul 
In  dem  geistlichen  Rom,  kaum  scheint  es  zu 

glauben,  doch  schwör  ich: 
Nie   hat   ein  Geistlicher  sich   meiner  Um- 
armung gefreut. 


224 


yErotica  Romanat, 


Arm  war  ich,  leider,  und  jung  und  wohl  be- 
kannt den  Verführern: 
Falconieri  hat  oft  mir  in  die  Augen  gegafft. 
Und  ein  Kuppler  Albanis  mich  mit  gewichtigen 

Zetteln 
Bald  nach  Ostia,  bald  nach  den  vier  Brunnen 

gelockt» 
Aber  wer  nicht  kam,  war  das  Mädchen  I    So 

hab  ich  von  Herzen 
Rothstrumpf    immer    gehasst    und    Violet- 

strumpf  dazu. 
Denn:    »ihr  Mädchen  bleibt   am  Ende   doch 

die  Betrognenc, 
Sagte   der  Vater,    wenn   auch  leichter    die 

Mutter  es  nahm. 
Und  so  bin  ich  denn  auch  am  Ende  betrogen  I 

Du  zürnest 
Nur  zum  Scheine  mit  mir,  weil  du  zu  fliehen 

gedenkst. 
Gehl    Ihr  seid  der  Frauen  nicht  werthl    Wir 

tragen  die  Kinder 
Unter  dem  Herzen,  und  so  tragen  die  Treue 

wir  auchl 
Aber  ihr  Männer,  ihr  schüttet  mit  eurer  Kraft 

und  Begierde 
Auch  die  Liebe  zugleich  in  den  Umarmungen 

ausic  — 
Also  sprach  die  Geliebte  und  nahm  den  Kleinen 

vom  Stuhle, 


Hardeben,  Goethe*Brevicr. 

225  15 


Die  Elegien  sind  %uerst  gedruckt  in 

Drückt  ihn  küssend  ans  Harz,  Thränen  ent- 
quollen dem  Blick. 
Und  wie  sass  ich  beschämt,  dass  Reden  feind- 
licher Menschen 
Dieses  liebliche  Bild  mir  zu  beflecken  ver- 
mocht. — 
Dunkel  brennt   das  Feuer   nur  augenblicklich 

und  dampfet. 
Wenn  das  Wasser  die  Gluth  stürzend   und 

jählings  verhüllt  — 
Aber    sie    reinigt    sich    schnell,    verjagt    die 

trübenden  Dämpfe! 
Neuer  und  mächtiger  dringt  leuchtend  die 

Flamme  hinauf! 


vn. 

Lr,   wie  Hihi  ich   in  Rom  mich   so  froh,   ge- 
denk ich  der  Zeiten, 
Da   mich    ein    gravdicher  Tag    hinten    im 

Norden  umfing, 

Trübe  der  Himmel  und  schwer  auf  meinen 

Scheitel  sich  neigte. 
Färb-  und  gestaltlos   die  Welt  um  den  Er- 
matteten lag, 

Und   ich  über  mein  Ich,   des  unbefriedigten 

Geistes 


226 


Schülers  fforen,  Juli  1795, 


Düstre  Wege  zu  spähn,  still  in  Betrachtung 

versank. 
Nun  umleuchtet  der  Glanz  des  helleren  Aethers 

die  Stime! 
Phöbus  rufet,  der  Gott,  Formen  und  Farben 

hervor. 
Sternhell  glänzet   die    Nacht,  sie   klingt   von 

weichen  Gesängen, 
Und  mir  leuchtet  der  Mond  heller  als  nor- 
discher Tag.  — 
Welche  Seligkeit  ward  mir  Sterblichemi  Träum 

ich  ?     Empfanget 
Dein  ambrosisches  Haupt,  Jupiter  Vater,  den 

Gast? 
Ach,  hier  lieg   ich   und  strecke   nach  deinen 

Knieen  die  Hände 
Flehend  aus.     O  vernimm,  Jupiter  Xenius, 

michl 
Wie    ich   hereingekommen,    ich    kanns    nicht 

sagen  —  es  fasste 
Hebe  den   Wandrer    und   zog  mich  in  die 

Hallen  heran. 
Hast  du  ihr  einen  Heroen  heraufzuführen  ge- 
boten? 
Irrte  die  Schöne?    Vergieb!    Lass  mir  des 

Irrthums  Gewinn! 
Deine  Tochter  Fortuna,  sie  auch  —  die  herr- 
lichsten Gaben 


227  15* 


Christiane  besuchte  in  jenem  ersten  Sommer 


Theilet  sie   mädchenhaft   aus,    wie   es   die 

Laune  gebeut  I 
Bist  du   der  wirthliche  Gott?     O  dann:    Ver- 
stösse den  Gastfreund 
Nicht   von  deinem  Olymp   wieder   zur  Erde 

hinab!  — 
»Dichter!  Wohin  versteigest  du  dich?«  —  Ver- 

gieb  mir!     Der  hohe 
Capitolinische  Berg  ist  dir  ein  zweiter  Olymp. 
Dulde  mich,  Jupiter,  hier,  und  Hermes  führe 

mich  später 
Cestius'  Mal  vorbei,  leise  zum  Orkus  hinab  1 


vm. 

Wenn   du   mir   sagst,    du   habest   als   Kind, 

Geliebte,  den  Menschen 
Nicht  gefallen,    und  dich  habe   die  Mutter 

verschmäht, 
Bis  du  grösser  geworden   und    still  dich  ent- 
wickelt —  ich  glaub  es: 
Gerne  denk  ich  mir  dich  als  ein  besonderes 

Kind. 
Fehlet   Bildung    und   Farbe    doch    auch    der 

Blüthe  des  Weinstocks, 
Wenn    die  Beere,    gereift,    Menschen    und 

Götter  entzückt. 


228 


Goethe  heimlich  in  seinem  Gartenhause. 


W- 


B 


IX. 

iierbstlich   leuchtet   die  Flamme   vom   länd- 
lich geselligen  Herde, 
Knistert  und   glänzet,    wie  rasch  I    sausend 

vom  Reisig  empor. 
Diesen  Abend    erfreut  sie   mich   mehr,    denn 

eh  noch  zur  Kohle 
Sich  das  Bündel  verzehrt,  unter  die  Asche 

sich  neigt. 
Kommt     mein     liebliches    Mädchen.      Dann 

flammen  Reisig  und  Scheite, 
Und    die   erwärmete   Nacht   wird   uns    ein 

glänzendes  Fest.  — 
Morgen  frühe,  geschäftig,  verlässt  sie  das  Lager 

der  Liebe, 
Weckt  aus  der  Asche  behend  Flamn^en  aufs 

neue  hervor. 
Denn  das  gab    ihr  Amor  vor  vielen  andern: 

die  Freude 
Wieder   zu  wecken,   die  kaum  still  wie   zu 

Asche  versank. 


229 


Dreiviertel  Jahr  langhlieh  das  Verhältnis  unetitdeckt.  — 


X. 

Alexander    und    Cäsar     und    Heinrich    und 

Friedrich,  die  Grossen, 
Gäben  die  Hälfte  mir  gern  ihres  erworbenen 

Ruhms, 
Wenn   ich  ihnen   dies  Lager   auf  eine  Nacht 

nur  vergönnte! 
Aber  die  Armen,  sie  hält  strenge  des  Orkus 

Gewalt. 
Freue  dich  also,  Lebendger,  der  lieberwärmen- 
den Stätte, 
Ehe  den  fliehenden  Fuss  schauerlich  Lethe 

dir  netzt! 


XI. 

buch,    o   Grazien,   legt   die   wenigen   Blätter 

ein  Dichter 
Auf  den  reinen  Altar,   Knospen   der  Rose 

dazu  — 
Und  er  thut  es  getrost.     Der  Künstler  freuet 

sich  seiner 
W^rJ^ßtatt,    wenn    sie    um    ihn    immer    ein 

Pantheon  scheint! 


230 


Schiller  schreibt  an  Goethe  den  20.  Februar  1802 

Jupiter  senket   die   göttliche  Stirn,   und  Junö 

erhebt  sie, 
Phöbus  schreitet  hervor,  schüttelt  das  lockige 

Haupt. 
Trocken  schauet  Minerva  herab,  und  Hermes, 

der  leichte, 
Wendet  zur  Seite  den  BHck,  schalkisch  und 

zärtlich  zugleich. 
Aber    nach    Bacchus,    dem    weichen,    dem 

träumenden,  hebt  Cythere 
Augen,   voll  süsser  Begier,    selbst  in  dem 

Marmor  noch  feucht. 
Sie  gedenket  seiner  Umarmung  und  scheinet 

zu  fragen: 
»Sollte    der    herrliche    Sohn    uns    an    der 

Seite  nicht  stehn?« 


xn. 

llörest  du,   Liebchen,   das   muntre  Geschrei 

den  Flamittischen  Weg  her? 
Schnitter  sind  es:    sie   ziehn   wieder  nach 

Hause  zurück, 
Weit  hinweg.    Sie  haben  dem  Römer  die  Ernte 

vollendet. 
Der  für  Ceres  den  Kranz  selber  zu  flechten 

verschmäht. 


231 


ü6er  die  Elegien:  ylch  weiss  nichts  darüber. 

Keine   Feste  sind  mehr  der  grossen   Göttin 

gewidmet, 
Die  statt  Eicheln  zur  Kost  goldenen  Weizen 

verlieh. 
Lass  uns  beide  das  Fest   im  Stillen   freudig 

begehen ! 
Sind    zwei  Liebende    doch    sich   ein    ver- 
sammeltes Volk.  — 
Hast  du  wohl  je  gehört  von  jener  mystischen 

Feier, 
Die   von  Eleusis   hieher  frühe   dem  Sieger 

gefolgt? 
Griechen  stifteten  sie,   und  immer  riefen  nur 

Griechen 
Selbst  in  den  Mauern  Roms:  »Kommt  zur 

geheiligten  Nacht  Ic 
Fem  entwich  der  Profane   —   da  bebte   der 

wartende  Neuling, 
Den  ein  weisses  Gewand,  Zeichen  der  Rein- 
heit, umgab. 
Wunderlich  irrte  darauf  der  Eingeführte  durch 

Kreise 
Seltner  Gestalten  —  im  Traum  schien  er  zu 

wallen  —  denn  hier 
Wanden    sich   Schlangen    am  Boden    umher, 

verschlossene  Kästchen, 
Reich   mit   Aehren   umkränzt,   trugen   hier 

Mädchen  vorbei. 


232 


selbst  unter  Ihren  eifrnen   Werken,  t  — 


Vielbedeutend    gebärdeten    sich    die    Priester 

und  summten  — 
Ungeduldig  und  bang   harrte   der  Lehrling 

auf  Licht. 
Erst  nach  mancherlei  Proben   und  Prüfungen 

ward  ihm  enthüllet, 
Was  der  geheiligte  Kreis  seltsam  in  Bildern 

verbarg.  — 
Und  was  war  das  Geheimnis,  als  dass  Demeter, 

die  grosse, 
Sich   gefMlig    einmal    auch    einem   Helden 

bequemt. 
Als  sie  dem  Jason  einst,  dem  rüstigen  König 

der  Kreter, 
Ihres  unsterblichen  Leibs  holdes  Verborgne 

gegönnt. 
Da  war  Kreta   beglückt!     Das  Hochzeitbette 

der  Göttin 
Schwoll  von  Aehren,  und  reich  drückte  den 

Acker  die  Saat. 
Aber  die   übrige  Welt  verschmachtete:   denn 

es  versäumte 
Ueber  der  Liebe  Genuss  Ceres  den  schönen 

Beruf,  — 
Voll  Erstaunen  vernahm  der  Eingeweihte  das 

Märchen, 
Winkte  der  Liebsten . . .  Verstehst  du  nun, 

Geliebte,  den  Wink?  — 


233 


Goethe  an  Schiller ^  12.  Mati^gs:  *Mü  den  Eleven  wird 

Jene   buschige  Myrte   beschattet  ein  heiliges 

Plätzchen  I 
Unsre  Zufriedenheit  bringt  keine  Gefährde 

der  Welt. 


xm. 

Amor  bleibet  ein  Schalk,  und  wer  ihm  ver- 
traut, ist  betrogen! 
Heuchelnd  kam  er   zu  mir:    »Diesmal  nur 

traue  mir  noch, 
Redlich  mein  ichs  mit  dir:  du  hast  dein  Leben 

und  Dichten, 
Dankbar  erkenn  ich  es  wohl,  meiner  Ver- 
ehrung geweiht. 
Siehe,  dir  bin  ich  nun  gar  nach  Rom  gefolget! 

Ich  möchte 
Dir  im  fremden  Gebiet  gern  was  GefsUliges 

thun. 
Jeder  Reisende  klagt,  er   finde  schlechte  6e- 

wirthung  — 
Welchen  Amor  empfiehlt,  köstlich  bewirthet 

ist  erl 
Du    betrachtest    mit   Staunen    die    Trümmer 

alter  Gebäude 
Und  durchwandelst  mit  Sinn  diesen  gehei- 
ligten Raum. 


234 


nicht  viel  zu  thun  sein^  als  dass  man  du  zweite  und  die 

Du  verehrest  noch  mehr   die    werten   Reste 

des  Bildens 
Einziger    Künstler,    die    ich    stets    in    der 

Werkstatt  besucht 
Diese  Gestalten  —  ich  formte  sie  selbst !    Ver- 
zeih mir,  ich  prahle 
Diesmal   nicht:   du   gestehst,    was   ich   dir 

sage,  sei  wahr?  — 
Nun    du    mir    lässiger    dienst,    wo   sind    die 

schönen  Gestalten, 
Wo   die  Farben,    der  Glanz  deiner  Erfin- 
dungen hin? 
Denkst  du  nun  wieder  zu  bilden,   o  Freund? 

Die  Schule  der  Griechen 
Blieb  noch   offen,   das  Thor  schlössen  die 

Jahre  nicht  zu. 
Ich,  der  Lehrer,  bin  ewig  jung  und  liebe  die 

Jungen. 
Nicht  so  altklug  gethani    Munter!    Begreife 

mich  wohl! 
Das  Antike  war   neu,    da   jene  Glücklichen 

lebten ! 
Lebe  glücklich,   und  so  lebe   die   Vorzeit 

in  dir! 
Stoff  zum  Liede,    wo    nimmst   du   ihn   her? 

Ich  muss  dir  ihn  geben. 
Und    den    höheren    Stil   lehret   die    Liebe 

dich  nur.« 


235 


sechzehnte  (in  den  Hören)  weglässt^. 

Also  sprach  der  Sophiste.     Wer  widersprach 

ihml     Und  leider 
Bin  ich  zu  folgen  gewöhnt,   wenn  der  Ge- 
bieter befiehlt.  — 
Nun?  Verrätherisch  hält  er  sein  Wort!  Giebt 

Stoff  zu  Gesängen: 
Aber,    er    raubt    mir  die   Zeit,    Kraft   und 

Besinnung  zugleich  I 
Blicke,  Händedruck   und  Küsse,   gemüthliche 

Worte, 
Silben  köstlichen  Sinns  wechselt  ein  lieben- 
des Paar: 
Da   wird   ein   Lispeln    Geschwätze,    da    wird 

ein  Stottern  zur  Rede  — 
Solch  ein  Hymnus  verhallt  ohne  prosodisches 

Massl 
Dich,    Aurora,    wie  kannt   ich  dich  sonst  als 

Freundin  der  Musen! 
Hat,    Aurora,   dich   auch  Amor,   der  lose, 

verführt? 
Du  erscheinest  mir  nun   als   seine  Freundin 

und  weckest 
Mich  an  seinem  Altar  wieder  zum  festlichen 

Tag. 
Find    ich  die  Fülle   der   Locken   an   meinem 

Busen  —  das  Köpfchen 
Ruhet  und  drücket  den  Arm,  der  sich  dem 

Halse  bequemt  — 


236 


Die  beiden  sind  denn  auch  später  nicht  in  die  Werke 

Welch   ein   freudig  Erwachen  1     Erhieltet  ihr, 

ruhige  Stunden 
Mir    das  Denkmal    der  Lust,    die    in    den 

Schlaf  uns  gewiegt  1  — 
Sie  bewegt  sich  im  Schlummer  und  sinkt  auf 

die  Breite  des  Lagers, 
Weggewendet,  und  doch  lässt  sie  mir  Hand 

noch  in  Hand. 
Herzliche  Liebe  verbindet  uns  stets  und  treues 

Verlangen, 
Und  den  Wechsel  behielt  nur  die  Begierde 

sich  vor,  — 
Einen  Druck  der  Hand,  —  ich  sähe  die  himm- 
lischen Augen 
Wieder  offen  1  —  O  nein!     Lasst   auf  der 

Bildung  mich  ruhn! 
Bleibt  geschlossen !    Ihr  macht  mich  verworren 

und  trunken,  ihr  raubet 
Mir  den  stillen  Genuss   reiner  Betrachtung 

zu  früh. 
Diese  Formen,  wie  gross  1    Wie  edel  gewendet 

die  Glieder! 
Schlief  Ariadne  so   schön  —  Theseus,   du 

konntest  entfliehn? 
Einen  Russ  nur  auf  diese  Lippen  I    O  Theseus, 

nun  scheide! 
Blick  ihr  ins  Auge!     Sie  wacht!  —  Ewig 

nun  hält  sie  dich  fest. 


237 


aufgenommen.  —  Siehe  Seite  2S4 — 2Sg.  — 


XIV. 

Zünde   mir  Licht   an,  Knabe!  —   »Noch  ist 

es  hell.     Ihr  verzehret 
Oel   und   Docht   nur   umsonst.      Schliesset 

die  Läden  doch  nicht! 
Hinter  die  Häuser  verbarg  sich  die  Sonne  — 

nicht  hinter  die  Berge! 
Ein  halb  Stündchen   noch   währts  bis  zum 

Geläute  der  Nacht.« 
Unglückseliger!     Geh    und  gehorche!      Mein 

.    Mädchen  erwart  ich  — 
Tröste  mich,  Lämpchen,   indess,    lieblicher 

Bote  der  Nacht! 


XV. 

Läsam  war  ich  wohl  nie  zu  fernen  Britannen 

gefolget  — 
Florus  hätte  mich  leicht  in  die  Popine  ge- 
schleppt I 
Denn  mir  bleiben   weit  mehr   die  Nebel  des 

traurigen  Nordens 
Als  ein   geschäftiges  Volk   südlicher  Flöhe 

verhasst. 


238 


Der  erste,  der  die  Elegien  aus  dem  Manuscript 

Und  von  heut  an  seid  mir  noch  schöner  ge- 

grüsset,  ihr  Schenken: 
Osterien«  .wie   euch  schicklich    der  Römer 

benennt  I 
Denn  ihr  zeigtet  mir  heute  die  Liebste,  vom 

Oheim  begleitet, 
Den   die  Gute   so   oft,    mich   zu   besitzen, 

betrügt. 
Hier  stand  unser  Tisch,    den  Deutsche   ver- 
traulich umgaben, 
Drüben  suchte  das  Kind  neben  der  Mutter 

den  Platz, 
Rückte  vielmals  die  Bank  und  wusst  es  artig 

zu  machen, 
Dass  ich  halb  ihr  Gesicht,  völlig  den  Nacken 

gewann. 
Lauter  sprach  sie,  als  hier  die  Römerin  pfleget, 

kredenzte. 
Blickte  rückwärts  nach  mir,  goss  und  ver- 
fehlte das  Glas. 
Wein  floss   über  den  Tisch  —  und   sie  mit 

zierlichem  Finger 
Zog    auf   dem  hölzernen  Blatt  Kreise    der 

Feuchtigkeit  hin. 
Meinen  Namen  verschlang  sie   mit  ihrem  — 

ich  schaute  begierig 
Immer  dem  Fingerchen  nach,   und  sie  be- 
merkte mich  wohl. 


239 


kennen  lernte^  war   Wieland^ 


Endlich   zog   sie    behende    das   Zeichen    der 

römischen  Fünfe 
Und    ein   Strichlein    davor.      Schnell,    und 

sobald  ichs  gesehn. 
Schlang  sie  Kreise  durch  Kreise,  die  Lettern 

und  Ziffern  zu  löschen  — 
Aber  die  köstliche  —  IV  —  blieb  mir  ins 

Auge  geprägt! 
Stumm  war  ich  sitzen  geblieben  und  biss  die 

glühende  Lippe 
Halb   aus   Schalkheit   und   Lust,    halb   aus 

Begierde  mir  wund. 
Noch  so  lange  bis  Njiphtl    Dann  noch  vier 

Stunden  zu  warten! 
Hohe  Sonne,  du  weilst  und  du  beschauest 

dein  Rom! 
Grösseres  sähest  du   nichts  und   wirst   nichts 

Grösseres  sehen, 
Wie    es   dein   Priester   Horaz   in   der  Ent- 
zückung versprach. 
Aber  heute  verweile  nicht  länger  und  wende 

die  Blicke 
Von  dem  Siebengebirg  früher  und  williger 

ab! 
Einem  Dichter   zu   Liebe   verkürze   die    herr- 
lichen Stunden, 
Die  mit   begierigem  Blick   selig  der  Maler 

geniesst ! 


240 


dem  Goethe  im  Mai  lySg  einige  vorlas 

Glühend  blicke  noch  schnell  zu  diesen  hohen 

Fagaden, 
Kuppeln  und  Säulen  zuletzt  und  Obelisken 

herauf  — 
Stürze  dich  eilig  ins  Meer,  um  morgen  früher 

zu  sehen, 
Was    du    mit    göttlicher    Lu^t    viele    Jahr- 
hunderte sahst: 
Diese  feuchten,  mit  Rohr  so  lange  bewachsnen 

Gestade, 
Diese  von  Bäumen  und  Busch   düster   be- 
schatteten Höhn. 
Wenig  Hütten  zeigten  sie  erst:  dann  sahst  du 

auf  einmal 
Sie    vom    wimmelnden    Volk      glücklicher 

Räuber  belebt. 
Alles    schleppten    sie    drauf  an    diese  Stätte 

zusammen : 
Kaum    war    das    übrige   Rund    deiner  Be- 
trachtung noch  wert. 
Sahst  eine  Welt   hier   entstehn  —  sahst  eine 

Welt  hier  in  Trümmern, 
Aus    den    Trümmern    aufs    neu    fast    eine 

grössere  Weltl 
Dass  ich  diese  noch  lange,  von  dir  beleuchtet^ 

erblicke. 
Spinne  die  Parze  mir  klug  langsam  den 

Faden  herab!  — 


Hartleben,  Goethe-Brevier. 

241  16 


Und  über  »dessen  gute  Art  und  anti'ken  Sinn^ 

Aber  sie  eile  herbei,    die  schön  bezeichnete 

Stunde  I 
Glücklich!     Hör    ich    sie    schon?     NeinI 

Doch  ich  höre  schon  Drei. 
SO|  ihr  lieben  Musen,  betrogt  ihr  wieder  die 

Länge 
Dieser  Weile,   die  mich  von  der  Geliebten 

getrennt. 
Lebet  wohll     Nun  eil   ich   und  furcht  euch 

nicht  zu  beleidgen  — 
Denn    ihr    Stolzen,    ihr    gebt   Amor    doch 

immer  den  Rang. 


XVL 


»Warum   bist  du,  Geliebter,   nicht  heute  zur 

Vigne  gekommen? 
Einsam,  wie  ich  versprach,  wartet  ich  oben 

auf  dich.c  — 
Beste,  schon  war  ich  hinein:  da  sah  ich  zum 

Glücke  den  Oheim, 
Neben  den  Stöcken  bemüht,   hinwärts  und 

herwärts  sich  drehn. 
Schleichend    eilt   ich  hinaus.   —   »O,    welch 

ein  Irrthum  ergriff  dicht 
Nur  eine  Vqgelscheu  wars,  was  dich  vertrieb  I 

Die  Gestalt 


242 


sie  anzusehen  €,  er  hoch  erfreut  war.  — 


Flickten  wir  emsig  zusammen  aus  alten  Kleidern 

und  Rohren: 
Achl     Ich  half  ihm   daran,   selbst   mir   zu 

schaden  bemüht. 
Nun,    sein  Wunsch   ist    erfüllt.     Er   hat    den 

losesten  Vogel 
Heute  verscheuchet,  der  ihm  Gärtchen  und 

Nichte  bestiehlt.  € 


XVII. 

Manche     Töne     sind     mir     zuwider,     doch 

bleibet  am  meisten 
Hundegebell  mir  verhasst:  kläffend  zerreisst 

es  mein  Ohr. 
Einen  Hund  nur  hör  ich  sehr  oft  mit  frohem 

Behagen 
Bellend  kläffen:   den  Hund,    den   sich  der 

Nachbar  erzog. 
Denn  er  bellte  mir  einst  mein  Mädchen  an, 

da  sie  sich  heimlich 
Zu  mir  stahl  und  verrieth  unser  Geheimniss 

beinah. 
Jetzo,   hör  ich  ihn   bellen,    so   denk   ich  nur 

immer:  sie  kommt  wohl? 
Oder  ich  denke  der  Zeit,  da  die  Erwartete 

kam« 


243  16* 


Dagegen  fanden  sie  Herder  und  sogar  der  Herzog 


XVIII. 

llines  ist  ipir  verdriesslich  vor  vielen  Dingen, 

ein  andres 
Bleibt  mir  abscheulich,  empört  jegliche  Faser 

in  mir  — 
Nur  der  blosse  Gedanke  1     Ich   will  es  euch, 

Freunde,  gestehen: 
Gar  verdriesslich  ist  mir  einsam  das  Lager 

zu  Nacht  — 
Aber  ganz   abscheulich   ists,    auf  dem  Wege 

der  Liebe 
Schlangen  zu  fürchten  und  Gift  unter  den 

Rosen  der  Lust: 
Wenn    im    schönsten   Moment    der    hin   sich 

gebenden  Freude 
Deinem  sinkenden  Haupte   lispelnde  Sorge 

sich  naht.  — 
Darum  macht  mich  Faustine  so  glücklich :  sie 

theüet  das  -Lager 
Gerne   mit   mir   und   bewahrt   Treue   dem 

Treuen  genau. 
Reizendes  Hindemiss  wiU  die  rasche  Jugend;: 

ich  liebe. 
Mich  des  versicherten  Guts   lange  bequem 

zu  erfreun« 


244 


anstösstg  und  wid^rrüthen  den  Abdruck  in  den  Hören. 

Welche  Seligkeit  ists!     Wir  wechseln  sichere 

Küsse, 
Athem  und  Leben  getrost  saugen  und  flössen 

wir  ein. 
So  erfreuen  wir  uns  der  langen  Nächte!    Wir 

lauschen, 
Busen    an   Busen    gedrängt,    Stürmen    und 

Regen  und  Guss. 
Und    so    dämmert    der    Morgen    heran.      Es 

bringen  die  Stunden 
Neue  Blumen  herbei,   schmücken   uns  fest- 
lich den  Tag. 
Gönnet  mir,  o  Quirlten,  das  Glück  I  Und  jedem 

gewähre 
Aller  Güter  der  Welt  erstes  und  letztes  der 

Gott! 


XIX. 

Och  wer  erhalten  wir   uns    den  guten  Namen, 

denn  Fama 
Steht   mit    Amor,    ich    weiss,    meinem  Ge- 
bieter, in  Streit. 
Wisst  ihr  auch,  woher  es  entsprang,  dass  beide 

sich  hassen? 
Alte  Geschichten  sind  das,  und  ich  erzähle 

sie  wohl. 


245 


Die  neunzehnte  Elegie  ist  veranlasst 

Immer  war  sie  die  mächtige  Göttin,  doch  für 

die  Gesellschaft 
Unerträglich  y     denn    gern    führt     sie    das 

herrschende  Wort. 
Und    so    war   sie    von   je    bei    allen  Götter- 
gelagen 
Mit    der    Stimme    von    Erz    Grossen    und 

Kleinen  verhasst 
So    berühmte   sie   einst   sich   übermüthig,   sie 

habe 
Jovis  herrlichen  Sohn  ganz  sich  zum  Sklaven 

gemacht. 
»Meinen  Herkules  führ  ich  dereinst,  o  Vater 

der  Götter,  € 
Rief  triumphirend  sie  aus,    »wiedergeboren 

dir  zu. 
Herkules  ist  es  nicht  mehr,  den  dir  Alkmene 

geboren  — 
Seine  Verehrung   für   mich  macht   ihn  auf 

Erden  zum  Gott. 
Schaut  er  nach   dem  Olymp,    so   glaubst  du, 

er  schaue  nach  deinen 
Mächtigen  Knieen?    Vergiebl     Nur  in  den 

Aether  nach  mir 
Blickt  der  würdigste  Mann  I    Nur  mich  zu  ver- 
dienen, durchschreitet 
Leicht    sein    mächtiger    Fuss    Bahnen,    die 

Keiner  betrat! 


246 


durch  die  allmählich  wachsende  Klatscherei 

Doch,  ich  begegn'  ihm  auch  auf  seinen  Wegen  I 

Ich  preise 
Seinen  Namen  voraus,  eh  ^r  die  That  noch 

beginnt  1 
Mich  vermählst  du  ihm  einst:  der  Amazonen 

Besieger 
Werd  auch  meiner,   t|nd  ihn  nenn  ich  mit 

Freuden  Gemahl  Ic  — 
Alles  schwieg.     Sie  mochten   nicht  gern  die 

Prahlerin  reizen: 
Denn  sie   denkt   sich,  erzürnt,    leicht  was 

Gehässiges  aus. 
Amom    bemerkte   sie  nicht     Er  schlich  bei 

Seite:  den  Helden 
Bracht    er   mit    weniger    Kunst    u^ter   der 

Schönsten  Gewalt. 
Nun  vermummt   er  sein  Paar:  ihr  hängt   er 

die  Bürde  des  Löwen 
Ueber  die  Schultern  und  lehnt  mühsam  die 

Keule  dazu. 
Drauf  bespickt   er  mit  Blume^   des   ^elden 

sträubende  Haare, 
Reichet  den  Rocken   der  Faust,  die   sich 

dem  Scherze  bequemt. 
So  vollendet  er  bald  die  neckische  Gruppe. 

Dann  läuft  er. 
Ruft  durch  den  ganzen  Olymp:  »Herrliche 

Thaten  geschehnl 


247 


über  Goethes   Verhältnis  mit  Christiane. 

Nie   hat   Erd  und   Himmel,    die  unermüdete 

Sonne 
Hat  auf  der  ewigen  Bahn  keines  der  Wunder 

erblickt!« 
Alles  eilte.     Sie  glaubten  dem  losen  Knaben, 

denn  ernstlich 
Hatt  er  gesprochen:   und   auch  Fama,   sie 

blieb  nicht  zurück. 
Wer  sich  freute,  den  Mann  so  tief  erniedrigt 

zu  sehen. 
Denkt    ihr?     Juno.     Es    galt    Amom    ein 

freundlich  Gesicht. 
Fama  daneben,  wie  stand  sie  beschämt,  ver- 
legen, verzweifelnd! 
Anfangs  lachte  sie  nur:  »Masken,  ihr  Götter, 

sind  das! 
Meinen   Helden,   ich   kenn   ihn   zu  gut!     Es 

haben  Tragöden 
Uns  zum  besten!«    Doch  bald  sah  sie  mit 

Schmerzen:  er  wars!  — 
Nicht  den  tausendsten  Theil  verdross  es  Vul-. 

kanen,  sein  Weibchen 
Mit  dem  rüstigen  Freund  unter  den  Maschen 

zu  sehn. 
Als  das  verständige  Netz  im  rechten  Moment 

sie  umfasste. 
Rasch   die  Verschlungnen   umschlang,    fest 

die  Geniessenden  hielt. 


248 


Im  März  i^8g  erfuhr  davon  die  Frau  von  Stein^  die  es 

Wie  sich  die  Jünglinge   freuten,   Merkur   und 

Bacchus!     Sie  beide 
Mussten  gestehen,  es  sei,  über  dem  Busen 

zu  ruhn 
Dieses   herrlichen   Weibes,    ein    schöner   Ge- 
danke.    Sie  baten: 
»Löse,  Vulkan,   sie   noch   nicht  I     Lass  sie 

noch  einmal  besehn  I« 
Und  der  Alte  war  so  Hahnrei  und   hielt   sie 

nur  fester.  — 
Aber  Fama,  sie  floh  rasch  und  voll  Grimmes 

davon. 
Seit   der  Zeit   ist   zwischen    den    zweien    der 

Fehde  nicht  Stillstand: 
Wie  sie  sich  Helden  erwählt  —  gleich  ist 

der  Knabe  darnach. 
Wer  s  i  e  am  höchsten  verehrt  —  den  weiss  e  r 

am  besten  zu  fassen 
Und   den  Sittlichsten  greift  er   am   gefähr- 
lichsten an. 
Will  ihm   einer   entgehn,   den   bringt  er  vom 

Schlimmen  ins  Schlimmste. 
Mädchen  bietet  er  an :  wer  sie  ihm  thöricht 

verschmäht, 
Muss  erst  grimmige  Pfeile  von  seinem  Bogen 

erdulden : 
Mann  erhitzt  er   auf  Mann,   treibt  die  Be- 
gierden aufs  Thierl 


249 


Herders  Frau  erzählte:  diese  ihrem  Gatten  u.  s,  w. 

Wer  sich  seiner  schämt,  der  muss  erst  leiden: 

dem  Heuchler 
Streut  er  bittem  Genuss   unter  Verbrechen 

und  Noth.  — 
Aber  auch  sie»,   die  Göttin,    verfolgt   ihn  mit 

Augen  und  Ohren  I 
Sieht  sie  ihn  einmal  bei  dir,  gleich  ist  sie 

feindlich  gesinnt: 
Schreckt  dich  mit  ernstem  Blick,  verachtenden 

Mienen,  und  heftig 
Strenge   verruft   sie   das  Haus,   das  er  ge- 
wöhnlich besucht 
Und  so  geht  es  auch  mir :  schon  leid  ich  ein 

wenig  —  die  Göttin, 
Eifersüchtig,  sie  forscht  meinem  Geheimnisse 

nach. 
Doch  es  ist  ein  altes  Gesetz:  ich  schweig  und 

verehre  — 
Denn  der  Könige  Zwist  büssten  die  Griechen 

wie  ich. 


250 


Das  Goethe^Brevier  gieht  die  Elegien  fast  durchweg 


XX. 

Zieret  Stärke  den  Mann  und  freies,  muthiges 

Wesen, 
O,   so  ziemet  ihm  fast  tiefes   Geheimniss 

noch  mehr. 
Städtebezwingerin  du,  Verschwiegenheit!   Für- 
stin der  Völker  I 
Theure    Göttin,    die    mich    sicher    durchs 

Leben  geführt, 
Welches  Schicksal  erfahr  ich?    Es  löset  scher- 
zend die  Muse, 
Amor  löset,  der  Schalk,  mir  den  verschlos- 
senen Mund.  — 
Ach,  schon  wird   es   so   schwer,   der  Könige 

Schande  verbergen! 
Weder    die    Krone    bedeckt,     weder     ein 

phrygischer  Bund 
Midas   verlängertes  Ohr:    der  nächste  Diener 

entdeckt  es. 
Und   ihm   ängstet   und   drückt   gleich   das 

Geheimniss  die  Brust. 
In  die  Erde  vergrub  er  es  gern,   um  sich  zu 

erleichtem  — 
Doch    die  Erde    verwahrt    soldhe  Geheim- 
nisse nicht. 


251 


in  der  ältesten  Lesart  —  der  Hören  —  wieder, 

Rohre   spriessen    hervor   und    rauschen    und 

lispeln  im  Winde: 
Midas!     Midas    der  Fürst,    trägt    ein   ver- 
längertes Ohr!  — 
Schwerer  wird  es  nun   mir,   ein   schönes  Ge- 
heimnis zu  wahren: 
Ach,  den  Lippen  entquillt  Fülle  des  Herzens 

so  leicht! 
Keiner    Freundin    darf    ichs     vertraun:     sie 

möchte  mich  schelten  — 
Keinem    Freunde:    vielleicht    brächte    der 

Freund  mir  Gefahr. 
Mein  Entzücken  dem  Hain,  dem  schallenden 

Felsen  zu  sagen, 
Bin  ich  endlich  nicht  jung,    bin   ich   nicht 

einsam  genug.  — 
Dir,  Hexameter,   dir,  Pentameter,   sei  es  ver- 
trauet, 
Wie  sie  des  Tags  mich  erfreut,  wie  sie  des 

Nachts  mich  beglückt. 
Sie,  von   vielen  Männern    gesucht,   vermeidet 

die  Schlingen, 
Die  ihr   der  Kühnere    frech,    heimlich   der 

Listige  legt. 
Klug    und    zierlich    schlüpft    sie    vorbei    und 

kennet  die  Wege, 
Wo  sie  der  Liebste  gewiss  lauschend,   be- 
gierig empfängt.  — 


252 


Goethes  spätere  »  Verbesserungetn^  sind  meist  vom  Übel. 

Zaudre,  Lunal     Sie  kommt  —  damit  sie  der 

Nachbar  nicht  sehe! 
Rausche,    Lüftchen,    im    Laubl     Niemand 

vernehme  den  Tritt  1 
Und  ihr,  wachset  und  blüht,  geliebte  Lieder! 

Und  wieget 
Euch  im  leisesten  Hauch  lauer  und  Heben- 
der Luft, 
Und  entdeckt   den  Quinten,  wie  jene  Rohre 

geschwätzig, 
Eines  glücklichen  Paars  schönes  Geheimniss 

zuletzt ! 


252 


Diese  beiden  Elegien  entstanden  gleichzeitig  mit  den 


Römische  Elegien. 

In  den  Ausgaben  unterdrückt. 

I. 

Mehr,  als  ich  ahndete,  schön,  das  Glück,  es 

ist  mir  geworden: 
Amor  führte  mich  klug  allen  Palästen  vorbei. 
Ihm  ist  es  lange   bekannt,   auch  hab    ich  es 

selbst  wohl  erfahren, 
Was  ein   goldnes  Gemach   hinter  Tapeten 

verbirgt. 
Nennet  blind  ihn  und  Knaben  und  ungezogen, 

ich  kenne 
Klugen  Amor,    dich  wohl,   nimmerbestech- 
licher Gottl 
Uns  verführten   sie  nicht,  die   majestätschen 

Fa^aden, 
Weder  das  ernste  Cortil,  noch  der  galante 

Balkon. 
Eilig   ging   es  vorbei,   und   niedere,   zierliche 

Pforte 
Nahm  den  Führer  zugleich,  nahm  den  Ver- 
langenden auf. 


254 


vorigen^  denen  sie  ursprünglich  als  Nr.  II  und  XVI 

Alles   verschafft  er  mir   da,    hilft  Alles   und 

alles  erhalten, 
Streuet  jeglichen  Tag  frischere  Rosen   mir 

auf. 
Hab   ich   den   Himmel  nicht   hier?   —   Was 

giebst  du,  schöne  Borghese, 
Nipotina,  was  giebst   deinem  Geliebten  du 

mehr? 
Tafel,  Gesellschaft  und  Chors  und  Spiel  und 

Oper  und  Bälle, 
Amom  rauben   sie  oft   nur  die   gelegenste 

Zeit. 
Oder  will  »ie  bequem  den  Freund  am  Busen 

verbergen  — 
Wünscht  er  von  alle   dem  Schmuck   nicht 

schon  behend  sie  befreit? 


zugeordnet  waren.  Sie  wurden  aus  Prüderie  unterdrückt 


II. 

Zwei     gefährliche    Schlangen,     vom     Chore 

der  Dichter  gescholten, 
Grausend    kennt    sie    die    Welt  Jahre    die 

tausende  schon: 
Python,  dich  und  dich,   Lemäischer  Drache! 

Doch  seid  ihr 
Durch    die    rüstige  Hand    thätiger    Götter 

gefällt. 
Ihr  zerstöret  nicht  mehr  mit  feurigem  Athem 

und  Geifer 
Heerde,  Wiesen  und  Wald,  goldene  Saaten 

nicht  mehr.  — 
Doch,  welch  ein  feindlicher  Gott  hat.  uns  im 

Zorne  die  neue 
Ungeheure  Geburt  giftigen  Schlammes  ge- 
sandt? 
Ueberall   schleicht    er   sich  ein    tmd   in  den 

lieblichsten  Gärtchen 
Lauert  tückisch  der  Wurm,  packt  den  Ge- 
niessenden an. 


256 


und  sind  erst  jetzt  —  leider  immer  noch  castriert  — 

Sei  mir,  hesperischer  Drache,  gegrüsst,  du,  du 

zeigtest  dich  muthig, 
Du    vertheidigtest    kühn    goldener    Aepfel 

Besitz  I 
Aber  dieser   vertheidiget   nichts    —   und    wo 

er  sich  findet, 
Sind   die  Gärten,    die    Frucht   keiner   Ver- 

theidigung  werth. 
Heimlich  krümmet  er  sich  im  Busche,  besudelt 

die  Quellen, 
Geifert,  wandelt  in  Gift  Amors  belebenden 

Thau.  — 
O,    wie    glücklich    warst    du,    Lukrezl      Du 

konntest  der  Liebe 
Ganz  entsagen  und  doch  jeglichem  Körper 

vertraun, 
Selig  warst  du  Properz!  .  .  . 

Und    wenn    Cynthia    dich    aus    jenen    Um- 
armungen schreckte. 
Untreu    fand    sie    dich    zwar  —   aber    sie 

fand  dich  gesund. 

Jetzt :  wer  hütet  sich  nicht,  langweilige  Treue 

zu  brechen. 
Wen  die  Liebe  nicht  hält,  hält  die  Besorg- 

lichkeit  auf. 

Und  auch  da,  wer  weiss  1    Gewagt  ist  jegliche 

Freude. 


Hartleben,  Goethe-Brevier. 

257  17 


im  philologischen  Apparat 


O    der  goldenen  Zeit,    da  Jupiter  noch    vom 

Olympus 
Sich  zu  Semele  bald,  bald  zu  Callisto  begab. 
Ihm  lag  selber  daran,  die  Schwelle  des  heiligen 

Tempels 
Rein  zu  finden,  den  er  liebend  und  mächtig 

betrat. 
O  wie  hätte  Juno  getobt,  wenn  im  Streite  der 

Liebe 
Gegen  sie   der  Gemahl   giftige  Waffen  ge- 
kehrt. 

Doch  wir  sind  nicht  ganz  —  wie  alte  Heiden  — 

verlassen. 
Immer   noch   schwebet   ein  Gott   über    die 

Erde  dahin. 
Eilig  und  ewig  geschäftig.    Ihr  kennt  ihn  alle : 

verehrt  ihn  I 
Ihn,    den   Boten   des    Zeus,    Hermes,    den 

heilenden  Gottl 
Fielen    des    Vaters    Tempel    zu    Grund,    be- 
zeichnen die  Säulen 
Paarweis   kaum   noch    den  Platz   alter  ver- 
ehrender Pracht, 
Wird    des   Sohnes  Tempel    doch    stehn    und 

ewige  Zeiten 
Wechselt  der  Bittende   stets  dort  mit  dem 

Dankenden  ab. 


258 


der   Weimarafter  Ausgabe  abgedruckt. 

Eins   nur  fleh   ich   im  Stillen.     An  euch,   ihr 

Grazien,  wend  ich 
Dieses   heisse   Gebet    tief  aus   dem  Busen 

herauf: 
Schützet     mir     mein    kleines,     mein     artiges 

Gärtchen,  entfernet 
Jegliches  Uebel  von  mir  1    Reichet  mir  Amor 

die  Hand, 
O  so  gebet  mir  stets,  sobald  ich  dem  Schelmen 

vertraue, 
Ohne  Sorgen    und  Furcht,    ohne  Gefahr   den 

Genuss ! 


259  17* 


Venetianische  Epigramme. 


Venetianische  Epigramme. 

I. 

oarkophagen  und  Urnen  verzierte  der  Heide 

mit  Leben: 
Faunen  tanzen  umher,  mit  der  Bachantinnen 

Chor 
Machen  sie  bunte  Reihe;  der  ziegengefüssete 

Pausback 
Zwingt    den  heiseren   Ton    wild    aus   dem 

schmetternden  Hom. 
Cymbeln,  Trommeln  erklingen :  wir  sehen  und 

hören  den  Marmor. 
Flatternde    Vögel,    wie    schmeckt    herrlich 

dem  Schnabel  die  Frucht! 
Euch  verscheuchet  kein  Lärm,   noch  weniger 

scheucht  er  den  Amor, 
Der   in  dem  bunten  Gewühl   erst  sich  der 

Fackel  erfreut. 
So  überwältiget  Fülle  den  Tod.  Und  die  Asche 

da  drinnen 
Scheint    im   stillen    Bezirk    noch    sich    des 

Lebens  zu  freun. 
Und    so    ziere    denn   auch    den  Sarkophagen 

des  Dichters 
Diese   Rolle,    die   er    reichlich    mit   Leben 

geschmückt  I 


260 


I 


Venedig,  Frühjdhr  lygo. 


'     2. 

Kaum  erblickt  ich  den  blaueren  Himmel,  die 

glänzende  Sonne, 
Reich,  vom  Felsen  herab,  Epheu  zu  Kränzen 

geschmückt, 
Sah  den  emsigen  Winzer  die  Rebe  der  Pappel 

verbinden  — 
Ueber  die  Wiege  Virgils  kam  mir  ein  lau- 
lichter Wind  — 
Da  gesellten  sich  wieder  die  Musen  zum  Freunde: 

wir  pflogen 
Abgerissnes  Gespräch,  wie  es  den  Wanderer 

freut. 

3. 
Immer  halt  ich  die  Liebste  begierig  im  Arme 

geschlossen. 

Immer  drängt  sich  mein  Herz  fest  an  den 

Busen  ihr  an, 

Immer  lehnet   mein  Haupt   an  ihren  Knieen, 

ich  blicke 

Nach  dem  lieblichen  Mund,    ihr  nach  den 

Augen  hinauf. 

»Weichling!«    schölte   mich    einer:     »und    so 

verbringst  du  die  Tage?« 

Ach,    ich    verbringe    sie    schlimm!     Höre 

nur,  wie  mir  geschieht! 

Leider   wend   ich   den    Rücken    der   einzigen^ 

Freude  des  Lebens: 


261 


Die  Epigramme  entstanden  auf  der  zweiten 

Schon  den  zwanzigsten  Tag  schleppt  mich 

der  Wagen  dahin. 
Vetturine  trotzen  mir  nun,  es  schmeichelt  der 

Kämmrer, 
Und    der   Bediente    vom    Platz    sinnet   auf 

Lügen  und  Trug. 
Will   ich    ihnen    entgehn,   so   fasst   mich   der 

Meister  der  Posten, 
[Posüllone   sind  Herrn],  dann   die    Dogane 

dazu !  — 
»Ich  verstehe  dich    nicht.     Du    widersprichst 

dirl     Du  schienest 
Paradiesisch    zu    ruhn,    ganz    wie   Rinaldo 

beglückt.« 
Ach!    ich  vertehe    mich    wohl:    es    ist    mein 

Körper  auf  Reisen, 
Und  es  ruhet  mein  Geist  stets  der  Geliebten 

im  Schooss. 


4. 
Noch  ist  Italien,  wie  ichs  verliess !  Noch  stäuben 

die  Wege, 
Noch  ist  der  Fremde  geprellt,  stell  er  sich, 

wie  er  auch  will. 
Deutsche    Rechtlichkeit    suchst    du    in    allen 

Winkeln  vergebens! 
Leben  und  Weben  ist  hier,  aber  nicht  Ord- 
nung und  Zucht. 


262 


italienischen  Reise  im  April  und  Mai  lygo. 

Jeder  sorgt  nur  für  sich,   ist  eitel,    misstrauet 

dem  andern, 
Und    die   Meister    des   Staats    sorgen    nur 

wieder  für  sich.  — 
Schön   ist   das  Land,    doch    achl     Faustinen 

find  ich  nicht  wieder  — 
Das  ist  Italien   nicht  mehr,    das  ich   mit 

Schmerzen  verliessl 


5- 
Ruhig  gelehnt   in   der  Gondel   durchfuhr   ich 

die  Reihen  der  Schiffe, 
Die  in  dem  grossen  Kanal,  viele  befrachtete 

stehn, 
Mancherlei  Waare  findest  du  da  für  manches 

Bedürfniss, 
Weizen,    Wein    und    Gemüs,    Scheite    wie 

leichtes  Gesträuch.  — 
Pfeilschnell    drangen    wir  durch:   da  traf  ein 

verlorener  Lorbeer 
Derb  mir  die  Wangen.     Ich  rief:  »Daphne, 

verletzest  du  mich? 
Lohn    erwartet     ich    eher.c       Die    Nymphe 

lispelte  lächelnd: 
»Dichter  sündgen  nicht  schwer.     Leicht  ist 

die  Strafe.     Fahr  hinlc 


263 


Sie  geben  hei  vielfacher  Erinnerung 

6. 
Seh  ich  den  Pilgrim,   so  kann  ich    mich   nie 

der  Thränen  enthalten. 
O,  wie  beseliget  uns  Menschen  ein  falscher 

Begriff! 

7. 
Eine  Liebe    hatt  ich:   sie  war   mir   lieber  als 

alles  I 

Aber   ich  hab   sie   nicht  mehr!      »Schweig 

und  ertrag  den  Verlust  !c 

8. 
Diese    Gondel    vergleich    ich    der   sanft    ein- 
schaukelnden Wiege, 
Und  das  Kästchen  darauf  scheint   ein  ge- 
räumiger Sarg. 
Recht  so!  Zwischen  Sarg  und  Wiege  —  wir 

schwanken  und  schweben 
Auf    dem    grossen    Kanal     träumend     ins 

Leben  dahin. 

9. 
Feierlich   sehen  wir  neben    dem   Dogen  den 

Nuntius  gehen: 
Sie   begraben    den  Herrn,    einer   versiegelt 

den  Stein. 
Was  der  Doge  sich  denkt,  ich  weiss  es  nicht, 

aber  der  andre 
Lächelt    über   den  Ernst  dieses  Gepränges 

gewiss. 


264 


H 


an  Christiane  und  sein  häusliches  Liebesglück 

■  I     III  ■     -  — -    »  I         

lO. 

Warum  treibt  sich  das  Volk  so   und  schreit? 

Es  will  sich  ernähren, 
Kinder  zeugen  und  die  nähren,   30  gut  es 

vermag. 
Merke  dir,  Reisender,  das  und  thue  zu  Hause 

desgleichen  1 
Weiter  bringt  es  kein  Mensch,  stell  er  sich, 

wie  er  auch  will. 

II. 
»Wie  sie  klingeln,  die  Pfaffen!    Wie  angelegen 

sies  machen, 
Dass  man  komme,  nur  ja  plappre,  wie  gestern 

so  heuti« 
Scheltet  mir  nicht  die  Pfaffen !    Sie  kennen  des 

Menschen  Bedürfniss: 
Denn  wie  ist  er  beglückt,  plappert  er  morgen 

wie  heutl 

12. 
Mache  der  Schwärmer  sich  Schüler  wie  Sand  am 

Meere  —  der  Sand  ist 
Sand.   Die  Perle  sei  mein,  du,  o  vernünftiger 

Freund ! 

13. 
Süss,   den   sprossenden  Klee    mit  weichlichen 

Füssen  im  Frühling 
Und  die  Wolle  des  Lamms  tasten  mit  zärt- 
licher Hand  — 


265 


ein   Tagebuch  seiner  Eindrucke  in   Venedig. 

Süss,  voll  Blüthen  zu  sehn  die  neulebendigen 

Zweige, 
Dann     das    grünende    Laub     locken     mit 

sehnendem  Blick.  — 
Aber    süsser,    mit    Blumen    dem    Busen    der 

Schäferin  schmeicheln  — 
Ach  I     Den   gewohnten  Genuss   lässt  mich 

entbehren  der  Mail 

14. 

Diesem  Amboss  vergleich  ich  das  Land,  dem 

Hammer  den  Fürsten  — 
Und   dem   Volke    das   Blech,    das   in  der 

Mitte  sich  krümmt. 
Wehe  dem  armen  Blech,  wenn  nur  willkürliche 

Schläge 
Ungewiss  treffen,  und  nie  fertig  der  Kessel 

erscheint ! 

15- 

Schüler  macht  sich  der  Schwärmer  genug  und 

rühret  die  Menge, 
Wenn     der     vernünftige     Mann     einzelne 

Liebende  zählt. 
Wunderthätige  Bilder  sind  meist  nur  schlechte 

Gemälde : 
Werke  des  Geists    und  der  Kunst  sind  für 

den  Pöbel  nicht  dal 


266 


Goethe  schreibt  aus   Venedig  an  den  Herzog: 

i6. 
Mache   zum  Herrscher  sich   der,    der   seinen 

Vortheil  verstehet  — 
Doch  wir   wählten    uns    den,   der   sich   auf 

unsern  versteht. 

17. 
Noth  lehrt  beten.     Man  sagts.     Will  einer  es 

lernen,  er  gehe 

Nach    Italien  I     Noth    findet    der    Fremde 

gewiss. 

18. 
Welch  ein  heftig  Gedränge  nach  diesem  Laden  ! 

Wie  emsig 
Wägt  man,  empfängt  man  das  Geld,  reicht 

man  die  VVaare  dahin  I 
Schnupftabak  wird  hier  verkauft,  —  Das  heisst 

sich  selber  erkennen! 
Niesswurz  holt  sich  das  Volk  ohne  Verord- 
nung und  Arzt. 

19. 
Jeder  Edle  Venedigs  kann  Doge  werden.     Das 

macht  ihn 
Gleich  als  Knaben  so  fein,  eigen,  bedächtig 

und  stolz. 
Darum    sind   die  Oblaten   so   zart   im  katho- 
lischen Wälschland: 
Denn    aus    demselbigen    Teig    weihet    der 

Pfaffe  den  Gott. 


267 


^Uehrigens  muss  ich  im  Ver traun  gesteh n,  dass  meifier' 

20. 

Ruhig   am  Arsenal   stehn   zwei   altgriechische 

Löwen. 
Klein    wird    neben    dem   Paar    Pforte    wie 

Thurm  und  Kanal. 
Käme     die    Mutter     der    Götter    herab,     es 

schmiegten  sich  beide 
Vor  den  Wagen,    und  sie  freute  sich  ihres 

Gespanns. 
Aber    nun   ruhen    sie  traurig:    der   neue    ge- 
flügelte Kater 
Schnurrt  überall,  und  ihn  nennet  Venedig 

Patron. 


21. 

Emsig  wallet   der  Pilger!     Und  wird   er   den 

Heiligen  finden, 
Hören  und  sehen   den  Mann,    welcher  die 

Wunder  gethan? 
Nein,  es  führte  die  Zeit  ihn  hinweg :  du  findest 

nur  Reste, 
Seinen  Schädel,    ein   paar    seiner    Gebeine 

verwahrt.  — 
Wir  sind  allesammt  Pilger,  die  wir  Italien  suchen: 
Nur  ein  zerstreutes  Gebein  ehren  wir  gläubig 

und  froh. 


268 


Liehe  für  Italien  durch  diese  Reise  ein  tötlicher  Stoss 

*<  • 

Jupiter  Pluvius,  heut  erscheinst  du  ein  freund- 
licher Dämon, 
Denn   ein  vielfach  Geschenk   giebst  du   in 

einem  Moment: 
Giebst  Venedig  zu  trinken,  dem  Lande  grünen- 
des Wachsthum  — 
Manches    kleine    Gedicht    giebst    du    dem 

Büchelchen  hier. 

23. 
Giesse  nur,  tränke  nur  fort  die  rothbemäntelten 

Frösche, 
Wässre   das  durstende  Land,    dass    es   uns 

Broccoli  schickt! 
Nur  durchwässre  mir  nicht  dies  Büchlein  I    Es 

sei  mir  ein  Fläschchen 
Reinen  Araks,  und  Punsch  mache  sich  jeder 

nach  Lustl 

24. 
»Sanct  Johannes  im  Koth«  heisst  jene  Kirche. 

Venedig 
Nenn  ich  mit  doppeltem  Recht  heute  Sanct 

Markus  im  Koth. 

25. 
Hast  du  Bajä  gesehn,  so  kennst  du  das  Meer 

imd  die  Fische, 

Hier  ist  Venedig :  du  kennst  nun  auch  den 

Pfuhl  und  den  Frosch. 


269 


versetzt  wird.    Nicht  dass  mirs  in  irgend  einem  Sinne 

26. 

»Schläfst  du  noch  immer?«     Nur  still  und  lass 

mich  ruhen!     Erwach  ich, 
Nun,  was  soll  ich  denn  hier?     Breit  ist  das 

Bette,  doch  leer.  — 
Ist  überall  ja  doch  Sardinien,  wo  man  allein 

schläft, 
Tibur,  Freund,    überall,    wo  dich  die  Lieb- 
liche weckt. 

27. 

Alle   Neun,  sie   winkten  mir   oft,  [ich   meine 

die  Musen,] 

Doch  ich  achtet  es  nicht,  hatte  das  Mädchen 

im  Schooss. 

Nun  verliess  ich  mein  Liebchen:  mich  haben 

die  Musen  verlassen, 

Und   ich    schielte    verwirrt,    seitwärts   nach 

Messer  und  Strick. 

Doch    von  Göttern    ist   voll    der  Olymp:    du 

kamst  mich  zu  retten, 

Langeweile  1     Sei  mir,    Mutter   der  Musen, 

gegrüssti 

28. 
Welch  ein  Mädchen    ich  wünsche    zu  haben? 

Ihr  fragt  mich?    Ich  hab  sie, 
Wie  ich  sie  wünsche!  Du  sagst,  dünkt  mich, 

mit  wenigem  viel. 


270 


Übel  gegangen    wäre  —  wie  wollt  es  auch  f  —  aber 

An    dem    Meere    ging    ich    und    suchte    mir 

Muscheln.     In  einer 
Fand  ich  ein  Perlchen.     Es  bleibt  nun  mir 

am  Herzen  verwahrt. 

29. 

Vieles  hab  ich  versucht,  gezeichnet,  in  Kupfer 

gestochen, 
Oel  gemalt,  in  Thon  hab  ich  auch  manches 

gedruckt, 
Unbeständig  jedoch,  und  nichts   gelernt  noch 

geleistet. 
Nur  ein  einzig  Talent  bracht  ich  der  Meister- 
schaft nah: 
Deutsch   zu  schreiben.     Und  so    verderb    ich 

unglücklicher  Dichter 
In  dem  schlechtesten  Stoff  leider  nun  Leben 

und  Kunst. 

30. 
Schöne  Kinder   tragt  ihr   und   steht   mit  ver- 
deckten Gesichtern, 
Bettelt  —  das  heiss  ich :  mit  Macht  reden 

ans  männliche  Herz! 
Jeder   wünscht   sich    ein    Knäbchen,    wie   ihr 

das  dürftige  zeiget. 
Und   ein   Liebchen,   wie    mans   unter  dem 

Schleier  sich  denkt. 


271 


t 


die  erste  Blüthe  der  Neigung  und  Neugierde 

31. 

Das   ist  dein  eigenes  Kind  nicht,   worauf  du 

bettelst,  und  rührst  mich. 
O,  wie  rührt  mich    erst  die,    die  mir  mein 

eigenes  bringt! 

32. 
Warum  leckst    du   dein  Mäulchen,   indem  du 

mir  eilig  begegnest? 
Wohl,   dein  Züngelchen   sagt  mir,    wie  ge- 
sprächig es  sei. 

33. 
Sämmtliche    Künste    lernt     und    treibet    der 

Deutsche.     Zu  jeder 
Zeigt  er   ein  schönes  Talent,    wenn    er  sie 

ernstlich  ergreift. 
Eine  Kunst   nur  treibt  er    und  will  sie   nicht 

lernen:  die  Dichtkunst. 
Darum  pfuscht  er  auch  so.     Freunde,    wir 

habens  erlebt  t 

34. 
Oft  erklärtet  ihr  euch  als  Freunde  des  Dichters, 

ihr  Götter! 

Gebt  ihm  auch,   was  er  bedarf!     Massiges 

braucht  er,  doch  viel: 

Erstlich   freundh'che  Wohnung,    dann  leidlich 

zu  essen  —  zu  trinken 


272 


ist  abgefallen^  und  ich  hin  doch  auf  und  ab 

Gut:    der  Deutsche   versteht  sich  auf  den 

Nektar  wie  ihr. 
Dann    geziemende    Kleidung    und    Freunde, 

vertraulich  zu  schwatzen, 
Dann  ein  Liebchen  des   Nachts,    das   ihn 

von  Herzen  begehrt. 
Diese  fünf  natürlichen  Dinge  verlang  ich  vor 

allem. 
Gebet  mir  ferner  dazu  Sprachen,  die  alten 

und  neu'n, 
Dass   ich  der  Völker  Gewerb   und   ihre    Ge- 
schichten vernehme. 
Gebt   mir    ein    reines  Gefühl,    was   sie   in 

Künsten  gethani 
Ansehn    gebt    mir    im  Volke,    verschafft    bei 

Mächtigen  Einfluss, 
Oder  was   sonst  noch   bequem   unter  den 

Menschen  erscheint  I 
Gut  —  schon  dank  ich  euch,  Götter  I    Ihr  habt 

den  glücklichsten  Menschen 
Ehstens  fertig,  denn  ihr  gönntet  das  meiste 

mir  schon. 


35. 
Klein  ist  unter  den  Fürsten  Germaniens  freilich 

der  meine, 
Kurz    und    schmal    ist   sein  Land,    massig 

nur,  was  er  vermag. 

Hartleben,  Goethe* Brevier.  18 

273 


ein  wenig  schelmfuHgtscher  geworden» 

Aber  so  wende  nach  innen,   so   wende   nach 

aussen  die  Kräfte 
Jeder  I    Da  war  es  ein  Fest,  Deutscher  mit 

Deutschen  zu  sein. 
Doch  was  priesest   du  ihn,    den  Thaten  und 

Werke  verkünden? 
Und    bestochen    erschien   deine  Verehrung 

vielleicht ; 
Denn  mir  hat  er  gegeben,  was  Grosse  selten 

gewähren, 
Neigung,    Müsse,    Vertraun,    Felder    und 

Garten  und  Haus. 
Niemand    braucht    ich    zu    danken    als    ihm, 

und  manches  bedurft  ich. 
Der  ich  mich  auf  den  Erwerb  schlecht  als 

ein  Dichter  verstand. 
Hat  mich  Europa  gelobt,  was  hat  mir  Europa 

gegeben? 
Nichts!     Ich  habe,  wie  schwer!  meine  Ge- 
dichte bezahlt. 
Deutschland    ahmte   mich    nach,    und  Frank- 
reich mochte  mich  lesen. 
England,   freundlich  empfingst  du  den  zer- 
rütteten Gast! 
Doch  was  fördert  es  mich,    dass  auch   sogar 

der  Chinese 
Malet  mit  ängstlicher  Hand  Werthem  und 

Lotten  auf  Glas? 


274 


Meine  Etegien  haben  ihre  Summe  erreicht. 

Niemals  frug  ein  Kaiser  nach  mir,  es  hat  sich 

kein  König 
Um    mich    bekümmert,    und    Er    war    mir 

August  und  Mäcen. 

36. 
Eines  Menschen  Leben,  was  ists  ?    Doch  Tau- 
sende können 
Reden  über   den  Mann,    was   er  und   wie 

ers  gethan. 
Weniger   ist   ein  Gedicht.     Doch   können   es 

Tausend  geniessen. 
Tausende  tadeln.     Mein  Freund,  lebe  nur, 

dichte  nur  fort! 

37. 
Müde  war  ich  geworden,  nur  immer  Gemälde 

zu  sehen. 
Herrliche  Schätze  der  Kunst,  wie  sie  Venedig 

bewahrt. 
Denn   auch   dieser  Genuss  verlangt  Erholung 

und  Müsse: 
Nach  lebendigem  Reiz  suchte  mein  schmach- 
tender Blick. 
Gauklerin !  Da  ersah  ich  in  dir  zu  den  Bübchen 

das  Urbild, 
Wie  sie  Johannes  Beilin  reizend  mit  Flügeln 

gemalt, 

275  18» 


Dagegen  bringe  ich  ein  libellum  epigratnmatutn 

Wie    sie    Paul    Veronese    mit    Bechern    dem 

Bräutigam  sendet, 
Dessen  Gäste,  getäuscht,  Wasser  gemessen 

für  Wein. 

38. 

Wie  von   der   künstlichsten  Hand    geschnitzt, 

das  liebe  Figürchen, 
Weich  und  ohne  Gebein,  wie  die  Molluska 

nur  schwimmt! 
Alles    ist  Glied   und   alles    Gelenk   und   alles 

gefällig. 
Alles  nach  Massen  gebaut,  alles  nach  Will- 
kür bewegt. 
Menschen    hab   ich    gekannt    und  Thiere,   so 

Vögel  als  Fische, 
Manches    besondre   Gewürm,    Wtmder    der 

grossen  Natur, 
Und  doch  staun  ich    dich   an.    Bettine,    lieb- 
liches Wunder, 
Die  du  alles  zugleich    bist  und   ein  Engel 

dazu. 

39. 
Kehre    nicht,    liebliches   Kind,    die   Beinchen 

hinauf  zu  dem  Himmel  I 
Jupiter  sieht  dich,  der  Schalk,  und  Ganymed 

ist  besorgt. 


276 


zurück j  das  steh  Ihres  Beifalls^ 


40, 

Wende  die  Füsschen  zum  Himmel   nur   ohne 

Sorge !     Wir  strecken 
Arme  betend  empor,   aber  nicht  schuldlos 

wie  du. 

41. 
Seitwärts  neigt  sich    dein  Hälschen.     Ist   das 

ein  Wunder?     Es  trägt  ja 
Oft   dich  Ganze,   du   bist   leicht,   nur  dem 

Hälschen  zu  schwer. 
Mir   ist   sie   gar  nicht    zuwider,    die    schiefe 

Stellung  des  Köpfchens  — 
Unter  schönerer  Last   beugte  kein  Nacken 

sich  je. 

42. 

So  verwirret  mit  dumpf-willkürlich   verwebten 

Gestalten, 
Höllisch  und  trübe   gesinnt,    Bi:eughel   den 

schwankenden  Blick  — 
So  zerrüttet  auch  Dürer   mit   apokalyptischen 

Bildern, 
Menschen  und  Grillen  zugleich,    unser   ge- 
sundes Gehirn  — 
So  erreget  ein  Dichter,  von  Sphinxen,  Sirenen, 

Centauren 
Singend  mit  Macht,    Neugier    in   dem  ver- 
wunderten Ohr  — 


277 


hoffe  i'chi  erfreuen  soll.<  — 


So  beweget  ein  Traum  den  Sorglichen,  wenn 

er  zu  greifen, 
Glaubt  und  vorwärts  zu  gehn  —  alles  ver- 
änderlich schwebt  — 
So  verwirrt  uns  Bettine,  wenn  sie  die  Glieder 

verwechselt  I 
Doch  erfreut  sie  uns   gleich,   wenn  sie  die 

Sohlen  betritt. 

43. 
Gern  tiberschreit  ich  die  Grenze,    mit  breiter 

Kreide  gezogen. 
Wenn  du  Bottegha  dir  machst,  drängst  du 

mich  artig  zurück. 

44. 
»Achl    mit    diesen    Seelen,    was    macht    er? 

Jesus  Maria! 
Bündelchen  Wäsche  sind  das,  wie  man  zum 

Brunnen  sie  trägt. 
Wahrlich,  sie  fällt  1  Ich  halt  es  nicht  aus !  Komm 

gehn  wirl  —  Wie  zierlich, 
Sieh  nur,  wie  steht  sie,    wie  leicht  I     Alles 

mit  Lächeln  und  Lust!«   — 
Altes  Weib,  du  bewunderst  mit  Recht  Bettinen : 

du  scheinst  mir 
Jünger  zu  werden  und  schön,  da  dich  mein 

Liebling  erfreut. 


278 


Am  26.   October  1*^94  machte  Goethe  Schiller 

45. 

Alles  seh  ich  so  gerne  von  dir,  doch  seh  ich 

am  liebsten, 
Wenn  der  Vater  behend   über   dich   selber 

dich  wirft, 
Du  dich  im  Schwung  überschlägst   und  nach 

dem  tödtlichen  Sprunge 
Wieder   stehest    und   läufst,    eben   als  war 

nichts  geschehn. 


46. 

Schon    entrunzeln    sich    alle    Gesichter,    die 

Furchen  der  Mühe, 
Sorgen     und    Armuth    fliehn,     Glückliche 

glaubt  man  zu  sehn. 
Dir  erweicht  sich  der  Schiffer  und  klopft  dir 

die  Wange:  der  Säckel 
Thut  sich  dir  kärglich  zwar,    ab^r   er  thut 

sich  doch  auf, 
Und    der   Bewohner   Venedigs    entfaltet    den 

Mantel  und  reicht  dir. 
Eben  als  flehtest  du  laut  bei  den  Mirakeln 

Antons, 
Bei   des  Herren    fünf  Wunden,    dem    Herzen 

der  seligsten  Jungfrau, 
Bei  der   feurigen  Qual,   welche   die  Seelen 

durchfegt  1 


279 


den    Vorschlags  seinem  damals  geplanten 

Jeder  kleine  Knabe,  der  Schiffer,  der  Höke, 

der  Bettler 
Drängt  sich  und  freut   sich    bei   dir,    dass 

er  ein  Kind  bt  wie  du. 

47. 
Dichten    ist   ein    lustig   Handwerk,    nur   find 

ich  es  theuer: 

Wie   dies  Büchlein   mir   wächst,   gehn   die 

Zechinen  mir  fort. 

48. 
»Welch  ein  Wahnsinn  ergriff  dich  im  Müssig- 
gang  ?     Hältst  du  nicht  inne  ? 
Wird    dies    Mädchen    ein    Buch?     Stimme 

was  Klügeres  anl«  — 
Wartet,  bald  will  ich  die  Könige  singen,   die 

Grossen  der  Erde, 
Wenn    ich    ihr  Handwerk    und   sie    besser 

verstehe  wie  jetzt. 
Unterdessen  sing  ich  Bettinen,   denn  Gaukler 

und  Dichter 
Sind     gar    nahe    verwandt,     suchen     und 

finden  sich  gern. 

49. 
»Böcke,    zur  Linken   mit  euch!«     So   ordnet 

künftig  der  Richter. 
»Und   ihr  Schäfchen,    ihr    sollt  ruhig    zur 

Rechten  mir  stehn!« 


280 


i  Musenalmanach  <  ein  Büchlein  Epigramme 

Wohll    Doch  eines  verschweigen  die  Evange- 
listen.    Dann  sagt  er: 
»Seid,    Vernünftige,    mir    grad    gegenüber- 
gestellt!« 

50. 
Wisst  ihr,  wie  ich  gewiss  euch  Epigramme  in 

Schaaren 

Fertige?     Führet   mich   nur   weit   von    der 

Liebsten  hinweg! 

Alle  Freiheits- Apostel,    sie   waren    mir  immer 

zuwider : 
Willkür    suchte    doch  nur  jeder  am  Ende 

für  sich. 
Willst  du  viele  befrein,  so  wag  es,   vielen  zu 

dienen! 
Wie  gefährlich  das  sei,   willst  du  es  wissen? 

Versuchs ! 

52. 
Was  hat  Joseph  gewollt  und  was  wird  Leopold 

wollen  ? 

Menschen  sind   sie    wie  wir  —  Menschen, 

wir  sind  es  wie  sie. 

Nie  gelingt  es  der  Menge,  für  sich  zu  wollen ; 

wir  Wissens. 

Doch  wer  verstehet  für  uns  alle  zu  wollen, 

er  zeigs! 


281 


ein-  oder  anzurücken,  —  Er  schreibt \  ^Getrennt 

Jeglichen  Schwänner   schlagt   mir  ans   Kreuz 

im  dreissigsten  Jahre! 
Kennt  er  nur   einmal    die  Welt,    wird   der 

Betrogene  der  Schelm. 

54. 
Frankreichs    traurig    Geschick,    die    Grossen 

mögens  bedenken, 
Aber    bedenken    fürwahr    sollen  es  Kleine 

noch  mehr. 
Grosse    gingen    zu    Grunde,    doch    wer    be- 
schützte die  Menge 
Gegen    die    Menge?     Da  war    Menge   der 

Menge  Tyrann. 

SS. 
Tolle  Zeiten   hab   ich    erlebt   und   hab  nicht 

ermangelt, 

Selbst  auch  thöricht   zu   sein,   wie   es   die 

Zeit  mir  gebot. 

56. 
»Sage,    thun    wir   nicht   recht?     Wir   müssen 

den  Pöbel  betrügen! 
Sieh  nur,    wie   ungeschickt,    sieh   nur,  wie 

wild  er  sich  zeigt!« 
Ungeschickt    und    wild    sind   alle   rohen  Be- 
trogenen, 
Seid    nur   redlich    und    so   führt   ihn   zum 

Menschlichen  an! 


282 


bedeuten  sie  nichts;  wir  würden  aber  wohl 

Fürsten  prägen  so  oft   auf  kaum   versilbertes 

Kupfer 
Ihr    bedeutendes  Bild,    lange    betrügt    sich 

das  Volk. 
Schwärmer   prägen   den    Stempel   des  Geistes 

auf  Lügen  und  Unsinn  — 
Wem     der   Probirstein   fehlt,    hält    sie    für 

redliches  Gold. 

S8. 
»Jene  Menschen  sind  toll,«    so    sagt   ihr  von 

heftigen  Sprechern, 
Die    wir    in    Frankreich    laut    hören    auf 

Strassen  und  Markt. 
Auch  mir  scheinen  sie  toll.     Doch  redet  ein 

Toller  in  Freiheit 
Weise    Sprüche,    wenn,    ach,    Weisheit    im 

Sklaven  verstummt. 

59. 
Lange  haben  die  Grossen  der  Franzen  Sprache 

gesprochen. 
Halb  nur  geachtet  den  Mann,  dem  sie  vom 

Munde  nicht  floss. 
Nun  lallt  alles  Volk  entzückt  die  Sprache  der 

Franken. 
Zürnet,  Mächtige,  nicht  I   Was  ihr  verlangtet, 

geschieht. 


283 


aus  einigen  Hunderten,  die  mitunter  nickt 

60. 

»Seid    doch    nicht    so    frech,    Epigramme I« 

Warum  nicht?    Wir  sind  nur 
Ueberschriften :   die  Welt    hat   die    Kapitel 

des  Buchs. 

61. 

Wie  dem  hohen  Apostel  ein  Tuch  voll  Thiere 

gezeigt  ward, 
Rein  und  unrein,  so  zeigt,  Lieber,  das  Büch- 
lein sich  dir. 

62. 

Ob  ein  Epigramm  wohl  gut  sei?    Kannst  dus 

entscheiden?  — 
Weiss  man  doch  eben  nicht   stets,   was  er 

sich  dachte,  der  Schalk. 

63- 

Je  gemeiner  es  ist,  je  näher  dem  Neide,  der 

Missgunst, 
Um  so  eher  begreifst   du  das  Gedichtchen 

gewiss. 

64. 
Chloe  schwöret,    sie  liebt   mich.     Ich   glaubs 

nicht.   »Aber  sie  liebt  dich  I « 
Sagt  mir  ein  Kenner.     Schon  gut.    Glaubt 

ichs,  da  war  es  vorbei. 


284 


producibel  sind,  doch  eine  Anzahl  auswählen  können, 

6s. 
Niemand    liebst    du,    und    mich,    Philarchos, 

liebst  du  so  heftig. 
Ist  denn  kein   anderer  Weg,   mich   zu    be- 
zwingen, als  der? 

66. 

Ist  denn  so  gross  das  Geheimniss,  was  Gott,  die 

Welt  und  der  Mensch  sei? 
NeinI    Doch  Keiner  mags  gern  hören,  da 

bleibt  es  geheim. 

67. 
Vieles  kann   ich   ertragen.     Die   meisten  be- 
schwerlichen Dinge 
Duld    ich    mit   ruhigem   Mut,    wie   es    ein 

Gott  mir  gebeut. 
Wenige  sind  mir  jedoch  wie  Gift  und  Schlange 

zuwider. 
Viere:    Rauch    des   Tabaks,    Wanzen    und 

Knoblauch  und  Kreuz  1 

68. 

Längst  schon   hätt   ich   euch   gern    von  jenen 

Thierchen  gesprochen, 
Die  so   zierlich   und    schnell    fahren   dahin 

und  daher. 

Schlängelchen  scheinen  sie  gleich,   sie  haben 

vier  Füsse,  sie  laufen. 


285 


die  sich  aufeinander  heziehn  und  ein  Ganzes  bilden. 

Kriechen  und  schleichen,  und  leicht  schleppen 

die  Schwänzchen  sie  nach. 
Seht:  hier  sind  sie!  Und  hierl    Nun  sind  sie 

verschwunden!  Wo  sind  sie? 
Welche  Ritze,    welch  Kraut  nahm  die  ent- 
fliehenden auf? 
Wollt  ihr  mirs  künftig  erlauben,   so  nenn  ich 

die  Thierchen  Lacerten, 
Denn  ich  brauche  sie  noch  oft  als  gefälliges 

Bild. 


69. 

Wer  Lacerten  gesehn,  der  kann  sich  die  zier- 
lichen Mädchen 
Denken,  die  über   den  Platz  fahren   dahin 

und  daher. 
Schnell  und  beweglich  sind   sie    und  gleiten, 

stehen  und  schwätzen, 
Und    es    rauscht    das  Gewand    hinter   der 

eilenden  drein. 
Sieh:  hier  ist  sie!  Und  hierl  Verlierst  du  sie 

einmal,  so  suchst  du 
Sie   vergebens,   so   bald  kommt   sie   nicht 

wieder  hervor. 
Wenn  du  aber  die  Winkel  nicht  scheust,  nicht 

Gässchen  und  Treppchen, 
Folg  ihr,  wie  sie  dich  lockt,  in  die  Spelunke 

hinein  1 


286 


Das  nächste  Mal,   das  wir  zusatnmenkommetif    sollen 

70. 

Was  Spelunke  nun  sei,  verlangt  ihr  zu  wissen? 

Da  wird  ja 
Fast    zum    Lexikon    dies    epigrammatische 

Buch. 
Dunkele   Häuser    sinds    in    engen   Gässchen: 

zum  Kaffee 
Führt  dich  die  Schöne,    und  sie  zeigt  sich 

geschäftig,  nicht  du. 

71. 
Zwei  der  feinsten  Lacerten,    sie    hielten   sich 

immer  zusammen: 

Eine  beinahe  zu  gross,  eine  beinahe  zu  klein. 

Siehst  du  beide  zusammen,  so  wird  die  Wahl 

dir  unmöglich: 

Jede  besonders,  sie  schien  einzig  die  schönste 

zu  sein. 

72. 
Heilige  Leute,  sagt  man,  sie  wollten  besonders 

dem  Sünder 
Und  der  Sünderin  wohl.     Gehts   mir  doch 

eben  auch  so. 

»War  ich  ein  häusliches  Weib  und  hätte,  was 

ich  bedürfte. 
Treu  sein  wollt  ich  und  froh,   herzen  und 

küssen  den  Mann.c 


287 


Sie  die  leichtfertige  Brut  im  Neste  zusammen  sehn.^  — 

So  sang  unter  andern   gemeinen  Liedern   ein 

Dimchen 
Mir  in  Venedig,  und  nie  hört  ich  ein  frömmer 

Gebet. 


74. 
Wundem  kann  es  mich  nicht,  dass  Menschen 

die  Hunde  so  lieben, 
Denn  ein   erbärmlicher  Schuft  ist  wie   der 

Mensch  so  der  Hund. 

[Wundem  kann  es  mich  nicht,    dass  manche 

die  Hunde  verläumden. 
Denn    es    beschämet    zu    oft    leider    den 

Menschen  der  Hund. 

Schoptmhauer.\ 

75- 
Frech  wohl    bin   ich   geworden,    es    ist    kein 

Wunder.     Ihr  Götter 
Wisst  und  wisst  nicht  allein,  dass  ich  auch 

fromm  bin  tmd  treu. 

76. 
»Hast  du  nicht  gute  Gesellschaft  gesehn?    Es 

zeigt  uns  dein  Büchlein 
Fast  nur  Gaukler  und  Volk,  ja,  was  noch 

niedriger  ist«  — 


288 


Am  77.  Augtist  tygs  schreibt  Goethe  an  Schilter:  ^ffier 

Gute  Gesellschaft  hab  ich  gesehn :  man  nennt 

sie  die  gute, 
Wenn  sie  zum  kleinsten  Gedicht  keine  Ge- 
legenheit giebt. 

77. 
Was  mit  mir  das  Schicksal  gewollt?   Es  wäre 

verwegen, 
Das  zu  fragen,  denn  meist  will  es  mit  vielen 

nicht  viel. 
Einen  Dichter  zu  bilden?  Die  Absicht  war  ihm 

gelungen, 
Hätte  die  Sprache  sich  nicht  unüberwindlich 

gezeigt. 

78. 
»Mit  Botanik  giebst  du  dich  ab?     Mit  Optik? 

Was  thust  du? 
Ist   es  nicht  schönrer  Gewinn,   rühren   ein 

zärtliches  Herz?«   — 
Ach,    die  zärtlichen    Herzen  1      Ein    Pfuscher 

vermag  sie  zu  rühren. 
Sei  es  mein  einziges  Glück,  dich  zu  berühren, 

Natur  I 

79. 
Weiss  hat  Newton  gemacht  aus  allen  Farben. 

Gar  manches 

Hat  er  euch   weis   gemacht,    das   ihr    ein 

Säculum  glaubt. 

Hartleb«n,  Goethe-Brevier. 

289  19 


schicke  ich  Ihnen  endlich  die  Sammlung  Epigramme .  , 

80. 

»Alles    erklärt    sich  wohl,«    so  sagt   mir    ein 

Schüler,   »aus  jenen 
Theorien, die  uns  weislich derMeister  gelehrt.« 
Habt  ihr  einmal  das  Kreuz  von  Holze  tüchtig 

gezimmert, 
Passt  ein  lebendiger  Leib  freilich  zur  Strafe 

daran. 

81. 

Wenn  auf  beschwerlichen  Reisen  ein  Jüngling 

zur  Liebsten  sich  windet, 
Hab  er  dies  Büchlein  I     Es  ist  reizend  und 

tröstlich  zugleich. 
Und  erwartet  dereinst  ein  Mädchen  den  Liebsten, 

sie  halte 
Dieses   Büchlein,  und  nur,    kommt    er,    so 

werfe  sies  weg! 

82. 

Wie  die  Winke  des  Mädchens,  das  keine  Zeit 

hat,  und  eilig 
Im   Vorbeigehn   nur  freundlich   mir  streifet 

den  Arm, 
So  vergönnt,  ihr  Musen,  dem  Reisenden  kleine 

Gedichte  — 
O,    behaltet    dem   Freund    grössere   Gunst 

noch  bevor  I 


290 


Meinen  Namen    wünsch    ich    aus  mehreren   Ursachen 

83. 

Wenn,    in  Dunst    und    Wolken   verhüllt,    die 

Sonne  nur  trübe 
Stunden  sendet,  wie  still  wandeln  die  Pfade 

wir  fort! 
Dränget  Regen  den  Wandrer,  wie  ist  uns  des 

ländlichen  Daches 
Schirm  willkommen  I     Wie  sanft  ruht  ^ichs 

in  stürmischer  Nacht  f'  — 
Aber    die    Göttin    kehret    zurück.      Schnell! 

Scheuche  die  Nebel 
Von  der  Stirne  hinweg!     Gleiche  der  Mutter 

Natur ! 

84. 
Willst  du  die  Freuden  der  Liebe   mit  reinem 

Gefühle  geniessen, 
O,    lass   Frechheit    und   Ernst    ferne    vom 

Herzen  dir  sein! 
Jene  will  Amor  verjagen,  und  dieser  gedenkt 

ihn  zu  fesseln  — 
Siehe:     da    lächelt    der    Gott    Beiden    das 

Gegenteil  zu. 

85. 
Götüicher  Morpheus,  umsonst  bewegst  du  die 

lieblichen  Mohne  — 
Dieses  Auge  bleibt  wach,    schliesst  es  mir 

Amor  nicht  zu. 

291  19» 


nickt  auf  dem   Titel  .  .  .c 


86. 
Liebe  flössest  du  ein  und  Begier!  Ich  fühl  es 

und  brenne. 
Liebenswürdige,  nun  flösse  Vertrauen  mir  ein! 

87. 
Ha  I  Ich  kenne  dich,  Amor,  so  gut  als  einer ! 

Da  bringst  du 

Deine  Fackel,   und  sie  leuchtet  im  Dunkel 

uns  vor. 

Aber  bald  führest   du  uns  verworrene  Pfade: 

wir  brauchten 

Deine  Fackel   erst  recht  —  ach,    und   die 

falsche  verlischt! 

88. 
Eine    einzige  Nacht    an   deinem   Herzen!  — 

Das  andre 
Giebt   sich.     Es    trennet    uns    noch  Amor 

in  Nebel  und  Nacht, 
Ja,   ich  erlebe   den  Morgen,    an   dem  Aurora 

die  Freunde 
Busen  an  Busen  belauscht  —  Phöbus,  der 

frühe,  sie  weckt! 

89. 
Ist  es  dir  Ernst,    so  zaudre  nicht  länger  und 

mache  mich  glücklich! 
Wolltest  du   scherzen?     Es    sei,   Liebchen, 

des  Scherzes  genug! 


292 


So  imirde  denn  die  Sammlung 


90. 

Dass  ich  schweige,  verdriesst  dich?    Was  soll 

ich  reden?     Du  merkest 
Auf  der  Seufzer,  des  Blicks  leise  Beredsam- 
keit nicht. 
Eine    Göttin   vermag   mir   der   Liebe   Siegel 

zu  lösen: 
Nur  Aurora,  die  uns  traulich  umschlungene 

weckt  I 
Ja,     dann    töne    mein     Hymnus    den    frühen 

Göttern  entgegen, 
Wie    das   Memnonische   Bild    lieblich    Ge- 
heimnisse sang. 

91. 
Welch    ein    lustiges    Spiel  I      Es    windet    am 

Faden  die  Scheibe, 
Die  von  der  Hand  entfloh,  eilig  sich  wieder 

herauf. 
Seht,   so    schein   ich   mein  Herz   bald   dieser 

Schönen,  bald  jener 
Zuzuwerfen,  doch  gleich  kehrt  es  im  Fluge 

zurück. 

92. 

O,  wie  achtet   ich   sonst   auf  alle  Zeiten  des 

Jahres, 
Grüsste  den  kommenden  Lenz,  sehnte  dem 

Herbste  mich  nachl 


293 


in  Schillers  ^Musenalmanach  auf  das  Jahr  lygöt 

Aber  nun  ist  nicht  Sommer  noch  Winter,  seit 

mich  Beglückten 
Amors    Fittich    bedeckt,     ewiger    Frühling 

umschwebt. 

93- 
»Sage,  wie  lebst  du?«    Ich  lebe!    Und  wären 

hundert  und  hundert 

Jahre  dem  Menschen  gegönnt,  wünscht  ich 

mir  morgen  wie  heut. 

94. 
Götter,   wie  soll  ich  euch  danken!     Ihr  habt 

mir  alles  gegeben, 

Was   der   Mensch   sich   erfleht   —   nur   in 

der  Regel  fast  nichts. 

95- 
In  der  Dämmrung  des  Morgens  den  höchsten 

Gipfel  erklimmen. 
Frühe  den  Boten   des  Tags  grüssen,    dich, 

freundlichen  Stern! 
Ungeduldig  die  Blicke  der  Himmelsfürstin  er- 
warten — 
Wonne   des  Jünglings,   wie   oft  locktest  du 

Nachts  mich  heraus! 
Nun  erscheinet  ihr  mir,  Boten  des  Morgens, 

ihr  himmlischen  Augen 
Meiner   Geliebten,    und    stets    kommt    mir 

die  Sonne  zu  früh. 


294 


anonym^  unter  dem  Titel:  Tt Epigramme, 

96,  . 

Du  erstaunest   und   zeigst  mir   das  Meer:    es 

scheinet  zu  brennen! 
Wie  bewegt  sich  die  Fluth    leuchtend  ums 

nächtliche  Schiff  I 
Mich  verwundert  es   nicht.     Das  Meer  gebar 

Aphroditen, 
Und    entsprang    nicht    aus    ihr,    uns    eine 

Flamme,  der  Sohn? 

97. 
Glänzen   sah    ich    das  Meer  und  blinken  die 

liebliche  Welle, 
Frisch  mit  günstigem  Wind  zogen  die  Segel 

dahin. 
Keine  Sehnsucht  fühlte  mein  Herz,  es  wendete 

rückwärts 
Nach  dem  Schnee    des  Gebirgs   bald   sich 

der  schmachtende  Blick. 
Südwärts  liegen  der  Schätze  wie  viel !     Doch 

einer  im  Norden 
Zieht,  ein  grosser  Magnet,    unwiderstehlich 

zurück. 

98. 

Ach,    mein  Mädchen  verreist!     Sie  steigt   zu 

Schiffe!  —  Mein  König, 
Aeolus,  mächtiger  Fürst !    Halte  die  Stürme 

zurück  I 


295 


Venedig  i7go€,  zuerst  abgedruckt. 


»Thörichter!«    ruft  mir  der  Gott,    »befürchte 

nicht  wüthende  Stürme, 
Fürchte    das   Lüftchen,    wenn  sanft   Amor 

die  FJügel  bewegt!« 

99. 
Arm  und  kleiderlos  war  das  Mädchen,  als  ich 

es  geworben, 

Damals  gefiel  sie  mir    nackt,   wie    sie   mir 

jetzt  noch  gefallt 

100. 
Oftmals  hab  ich  geirrt  und  habe  mich  wieder 

gefunden. 
Aber  glücklicher  nie.    Nun  ist  dies  Mädchen 

mein  Glück! 
Ist  auch  dieses  ein  Irrthum,    so  schont  mich, 

ihr  klügeren  Götter! 
Und  benehmt  mir  ihn  erst  drüben  am  kalten 

Gestad ! 

lOI. 

Traurig,  Midas,  war  dein  Geschick :  in  beben- 
den Händen 
Fühltest  du,  hungriger  Greis,    schwere  ver- 
wandelte Kost. 
Mir    im    ähnlichen  Fall    gehts    lustiger:    was 

ich  berühre, 
Wird    mir    unter     der    Hand    gleich    ein 

behendes  Gedicht. 


296 


Das  Goethe-Brevier  stellt  atich  von  den  Epigrammen 

Holde  Musen,   ich  sträube  mich  nicht!     Nur 

dass  ihr  mein  Liebchen, 
Drück  ich  es  fest  an  die  Brust,   nicht  mir 

zum  Märchen  verkehrt! 

102. 

»Ach,  mein  Hals  ist  ein  wenig  geschwollen Ic 

so  sagte  mein  Liebchen 
Aengstlich.    —    Stille,    mein    Kind!     Still, 

und  vernimm  du  das  Wort: 
Dich  hat  die  Hand  der  Venus  berührt.     Sie 

deutet  dir  leise, 
Dass    sie    das  Körperchen   bald,    ach,    un- 
aufhaltsam entstellt. 
Bald   verdirbt   sie   die   schlanke  Gestalt,    die 

zierlichen  Brüstchen, 
Alles  schwillt  nun,    es   passt   nirgends    das 

neuste  Gewand.  — 
Sei  nur  ruhig  I  Es  deutet  die  fallende  Blüthe 

dem  Gärtner, 
Dass    die    liebliche   Frucht    schwellend   im 

Herbste  gedeiht. 

103. 

Wonniglich  ists,    die  Geliebte  verlangend    im 

Arme  zu  halten. 
Wenn    ihr   klopfendes    Herz   Liebe    zuerst 

dir  gesteht. 


297 


vielfach  die  ältere^  deutschere  Lesart  wieder  her. 

Wonniglicher,  das  Pochen  des  Neulebendigen 

fühlen, 
Das  in  dem  lieblichen  Schooss  immer  sich 

nährend  bewegt. 
Schon  versucht  es    die  Sprünge   der   raschen 

Jugend,  es  klopfet 
Ungeduldig  schon  an,  sehnt  sich  nach  himm- 
lischem Licht. 
Harre  noch  wenige  Tage !     Auf  allen  Pfaden 

des  Lebens 
Führen  die  Hören  dich  streng,  wie  es  das 

Schicksal  gebeut. 
Widerfahre  dir,  was  dir  auch  wolle,  du  wachsen- 
der Liebling  — 
Liebe  bildete  dich  —  werde  dir  Liebe  zu 

Theil ! 

104. 

Und  so  tändelt  ich  mir,   von  allen  Freunden 

geschieden, 
In  der  Neptunischen  Stadt  Tage  wie  Stunden 

hinweg. 
Alles,  was  ich  erfuhr,  ich  würzt  es  mit  süsser 

Erinnrung, 
Würzt  es  mit  Hoffnung:  sie  sind  lieblichste 

Würzen  der  Welt! 


296 


wl 


r 


Epigramme  des  Jahres  i'jgo. 


Venetianische  Epigramme. 

Nachlese. 
I. 

Welche  Hoffnung  ich  habe?     Nur  eine,  die 

heut  mich  beschäftigt: 
Morgen    mein  Liebchen    zu   sehn,   das  ich 

acht  Tage  nicht  sah. 

II. 

Weit  und  schön  ist  die  Welt  —  doch,  o  wie 

dank  ich  dem  Himmel, 
Dass    ein    Gärtchen,    beschränkt,    zierlich, 

mir  eigen  gehört. 
Bringt   mich    wieder   nach  Hause!     Was   hat 

ein  Gärtner  zu  reisen? 
Ehre  bringts  ihm  und  Glück,  wenn  er  sein 

Gärtchen  besorgt. 

III. 

Eine  Liebe  wünscht  ich  und  konnte  sie  niemals 

gewinnen  — 
Wünschen  lässt  sich  noch  wohl,   aber  ver- 
dienen nicht  gleich. 


299 


Entstanden  theils  im  Frühjahr  in  Venedigs 


IV. 


Lange  sucht  ich  ein  Weib  mir.     Ich    suchte, 

da  fand  ich  nur  Dirnen. 
Endlich  erhascht  ich  mir  dich,  Dimchen  — 

da  fand  ich  ein  Weib. 


V. 

Alles,  was  ihr  wollt,  ich  bin  euch  wie  immer 

gewärtig. 
Aber   einsam   des  Nachts   schlafen?  —  O! 

Freunde,  verzeiht. 


VI. 

Ach,  sie  neiget  das  Haupt,  die  holde  Knospe! 

Wer  giesset 
Eilig  erquickendes  Nass   neben  die  Wurzel 

ihr  hin, 
Dass  sie  froh  sich  entfalte,  die  schönen  Stun- 
den der  Blüthe 
Nicht  zu  frühe  vergehn,  endlich  auch  reife 

die  Frucht? 
Aber    auch    mir,    —    mir    sinket    das  Haupt 

von  Sorgen  und  Mühe. 
Liebes    Mädchen,    ein    Glas    schäumenden 

Weines  herbeil 


doo 


theils  auf  der  seh  lesischen  Reise  im  Hochsommer  1790. 


VII. 


Fürchte  nicht,  liebliches  Mädchen,  die  Schlange, 

die  dir  begegnet  I 
Eva  kannte   sie   schon,    frage   den  Pfarrer, 

mein  Kind. 


VIII. 

Nackend  willst  du  nicht  neben  mir  liegen,  du 

süsse  Geliebte? 
Schamhaft  hältst  du  dich  noch  mir  im  Ge- 
wände verhüllt?  — 
Sag  mir:  begehr  ich  dein  Kleid!   Begehr  ich 

den  lieblichen  Körper? 
Nein !    Die  Scham  ist  ein  Kleid  I    Zwischen 

Verliebten  hinweg! 


IX. 


Ob  erfüllt  sei,    was  Moses  und  was    die  Pro- 
pheten gesprochen, 
An  dem  heiligen  Christ,  Freunde,  das  weiss 

ich  nicht  recht. 
Aber   das    weiss    ich:    erfüllt    sind  Wünsche, 

Sehnsucht  und  Träume, 
Wenn  das  liebliche  Kind  süss  mir  am  Busen 

entschläft. 


301 


^ 


Goethe  schloss  sie  von  der  Sammlung  i'/gs  aus 

X. 

Alle  sagen  mir,  Kind,  dass  du  mich  lachend 

betrügest  — 
O    betrüge    mich    nur    immer   und    immer 

so  forti 

XI. 

Knaben    liebt    ich  wohl    auch,    doch    lieber 

sind  mir  die  Mädchen  — 
Hab  ich  als  Mädchen    sie   satt,    dient    sie 

als  Knabe  mir  noch. 

XII. 

Wären   der  Welt   die  Augen   zu   öffnen,   was 

könnte  geschehen? 
Besser,    du    siebest    die  Welt    selber    und 

findest  dein  Theil. 

XIII. 

Das  Gemeine  lockt  Jeden.   Siehst  du  in  Kürze 

von   Vielen 
Etwas  geschehen  —  getrost  denke  nur:  das 

ist  gemein! 

XIV. 

Viele    folgten    dir    gläubig    und    haben    des 

irdischen  Lebens 
Rechte  Wege  verfehlt,    wie    es    dir    selber 

erging. 


302 


und  sie  sind  auch  in  den  späteren 

Folgen  mag  ich  dir  nicht.     Ich  möchte   dem 

Ende  der  Tage 
Als    ein    vernünftiger  Mann,    als    ein    ver- 
gnügter mich  nahn, 

XV. 

Offen     stehet    das    Grab!     Welch    herrliches 

Wunder  I     Der  Herr  ist 
Auferstanden!  —  Wers  glaubt  1    Schelmen, 

ihr  trugt  ihn  ja  weg. 

XVI. 

Was  auch  Helden  gethan,  was  Kluge  gelehrt, 

es  verachtets 
Wähnender    christlicher    Stolz    neben    den 

Wundem  des  Herrn. 
Und  doch  schmückt  er  sich  selbst  und  seinen 

nackten  Erlöser 
Mit  dem  Besten  heraus,  was  uns  der  Heide 

verliess.  — 
So  versammelt  der  Pfaflfe  die   edelsten  leuch- 
tenden Kerzen 
Um    das    gestempelte    Brot,    das    er    zum 

Gott  sich  geweiht. 

XVII. 

Thöricht  war   es,    ein  Brot   zu    vergotten  — 

wir  beten  ja  Alle 
Täglich  ums  tägliche  Brot   —    geb  es  der 

Himmel  uns  heuti 


303 


Ausgaben  unterdrückt  geblieben. 


XVIII. 

Zum  Erdulden  ists  gut  ein  Christ  sein  — 

nimmer  zu  wanken: 
Und  so  mat:hte  sich  auch  christliche  Lehre 

zuerst 

XIX. 

Was    vom    Christenthum    gilt,    gilt    von    den 

Stoikern  —  freien 
Menschen   geziemet   es  nicht,   Christ   oder 

Stoiker  seinl 


^ 


304 


Weimar^  Octoher  I7g4. 


Epistel. 

Jetzt,   da  jeglicher  liest  und  viele  Leser  das 

Buch  nur 
Ungeduldig     durchblättern    und,'    selbst    die 

Feder  ergreifend, 
Auf  das  Büchlein  ein  Buch  mit  seltner  Fertig- 
keit pfropfen, 
Soll   auch   ich,   du  willst   es,    mein    Freund, 

dir  über  das  Schreiben 
Schreibend,  die  Menge  Vermehren  und  meine 

Meinung  verkünden, 
Dasis    auch    andere    wieder    darüber    meinen 

und  immer 
So    ins    Unendliche     fort    die    schwankende 

Woge  sich  wälze. 
Doch    so    fähret     der    Fischer    dem    hohen 

Meer  zu,  sobald  ihm 
Günstig  der  Wind  und  der  Morgen  erscheint: 

er  treibt  sein  Gewerbe, 
Wenn   auch  hundert  Gesellen   die  blinkende 

Fläche  durchkreuzen. 


Hartlebea.  Goethe-Brevier. 

305  20 


Am  28.  Octoher  Ijg4 


Edler  Freund,   du  wünschest  das  Wohl   des 

Menschengeschlechtes, 

Unserer  Deutschen  besonders  und  ganz  vor- 
züglich des  nächsten 

Bürgers  und  ftirchtest  die  Folgen  gefährlicher 

Bücher:  wir  haben 

Leider   oft    sie    gesehen.      Was    sollte    man, 

oder  was  könnten 

Biedere    Männer   vereint,    was    könnten    die 

Herrscher  bewirken? 

Ernst  und  wichtig  erscheint  mir  die  Frage, 

doch  trifft  sie  mich  eben 

In     vergnüglicher    Stimmung.      Im    warmen 

heiteren  Wetter 

Glänzet  fruchtbar  die   Gegend,   mir   bringen 

liebliche  Lüfte 

lieber  die  wallende  Flut  süss  duftende  Kühlung 

herüber, 

Und   dem  Heitern   erscheint  die   Welt   auch 

heiter,  und  ferne 

Schwebt  die  Sorge  mir  nur  in  leichten  Wölk- 
chen vorüber. 

Was  mein  leichter  Griffel  entwirft,  ist  \t\c\X 

zu  verlöschen, 

Und  viel  tiefer  präget  sich  nicht  der  Ein- 
druck der  Lettern, 

Die,    so    sagt    man,    der   Ewigkeit   trotzen. 

Freilich  an  viele 


m 


sandte  Goethe  die  Epistel  an  Schüler. 

Spricht  die  gedruckte  Columne,   doch   bald, 

wie  jeder  sein  Antlitz, 

Das  er  im  Spiegel  gesehen,  vergisst,  die  be- 
haglichen Züge, 

So  vergisst  er  das  Wort,  wenn  auch  von  Erze 

gestempelt. 

Reden  schwanken  so  leicht  herüber,  hinüber, 

wenn  viele 
Sprechen    und    jeder    nur    sich    im     eignen 

Worte,  sogar  auch 
Nur  sich  selbst  im  Worte  vernimmt,  das  der 

andere  sagte. 
Mit  den  Büchern  ist  es  nicht  anders.  ^  Liest 

doch  nur  jeder 
Aus  dem  Buch  sich  heraus,   und   ist  er  ge- 
waltig, so  liest  er 
In  das  Buch  sich  hinein :  amalgamirt  sich  das 

Fremde. 
Ganz    vergebens     strebst    du    daher,    durch 

Schriften  des  Menschen 
Schon  entschiedenen  Hang  und  seine  Neigung 

zu  wenden  — 
Aber  bestärken  kannst  du  ihn  wohl  in  seiner 

Gesinnimg, 
Oder,  war  er  noch  neu,  in  dieses  ihn  tauchen 

und  jenes. 


307  20» 


M 


Sie  erschien  anonym  an  der  Spitze 

Sag    ich,    wie    ich    es    denke,    so   scheint 

durchaus  mir:  es  bildet 

Nur  das  Leben  den  Mann,  und  wenig  be- 
deuten die  Worte. 

Denn  zwar  hören  wir  gern,  was  unsre  Meinung 

bestätigt. 

Aber  das  Hören  bestimmt  nicht  die  Meinung. 

Was  uns  zuwider 

Wäre,    glaubten    wir   wohl   dem    künstlichen 

Redner,  doch  eilet 

Unser  befreites  Gemüt,  gewohnte  Bahnen  zu 

suchen. 

Sollen  wir  freudig  horchen  und  willig  ge- 
horchen, so  musst  du 

Schmeicheln.      Sprichst    du    zum    Volke,    zu 

Fürsten  und  Königen,  allen 

Magst    du    Geschichten    erzählen,    worin   als 

wirklich  erscheinet. 

Was   sie   wünschen,    und  was    sie    selber   zu 

leben  begehrten. 

Wäre  Homer  von  allen   gehört,  von   allen 

gelesen. 
Schmeichelt'    er   nicht   dem  Geiste   sich   ein, 

es  sei  auch  der  Hörer, 
Wer  er  sei?  Und  klinget  nicht  immer  im  hohen 

Palaste, 
In  des    Königes  Zelt,    die  Ilias  herrlich    dem 

Helden? 


308 


des  ersten  Heftes  der  Hören, 


Hört  nicht  aber  dagegen  Ul3rssens  wandernde 

Klugheit 

Auf  dem  Markte  sich  besser,  da  wo  sich  der 

Bürger  versammelt? 

Dort  sieht  jeglicher  Held  sich   in  Helm   und 

Harnisch  —   es    sieht   hier 

Sich  der  Bettler  sogar  in  seinen  Lumpen  ver- 
edelt.   — 

Also  hört  ich  einmal,  am  wohlgepflasterten 

Ufer 
Jener  neptuntschen  Stadt,  allwo  man  geflügelte 

Löwen 
Göttlich  verehrt,   ein  Märchen   erzählen.     Im 

Kreise  geschlossen 
Drängte    das    horchende  Volk   sich   um   den 

zerlumpten  Rhapsoden. 
Einst,  so  sprach  er,  verschlug  mich  der  Sturm 

ans  Ufer   der  Insel, 
Die  Utopien   heisst.     Ich  weiss  nicht,  ob  sie 

ein  andrer 
Dieser  Gesellschaft  jemals  betrat,  sie  lieget  im 

Meere, 
Links   von   Herkules   Säulen.     Ich  ward   gar 

freundlich  empfangen. 
In  ein  Gasthaus    führte    man  mich,   woselbst 

ich  das  beste 
Essen  und  Trinken   fand   und  weiches  Lager 

und  Pflege. 


309 


Epistel. 

So  verstrich  ein  Monat  geschwind.  Ich  hatte 

des  Kummers 
Völlig  vergessen   und  jeglicher  Not:   da  fing 

sich  im  stillen 
Aber  die  Sorge  nun  an :  wie  wird  die  Zeche 

dir  leider 
Nach  der  Mahlzeit  bekommen?     Denn  nichts 

enthielte  der  Seckel. 
Reiche  mir  weniger !  bat  ich  den  Wirth  —  er 

brachte  nur  immer 
Desto   mehr.     Da  wuchs   mir  die  Angst,  ich 

konnte  nicht  länger 
Essen  und  sorgen  und  sagte  zuletzt:  Ich  bitte, 

die  Zeche 
Billig  zu  machen,  Herr  Wirth  I     Er  aber  mit 

finsterem  Auge 
Sah  von  der  Seite  mich  an,  ergriff  den  Knittel 

und  schwenkte 
Unbarmherzig   ihn    über    mich   her   und   traf 

mir  die  Schultern, 
Traf  den   Kopf  und   hätte   beinah   mich   zu 

Tode  geschlagen. 
Eilend  lief  ich  davon  und  suchte  den  Richter : 

man  holte 
Gleich  den  Wirth,  der  ruhig  erschien  und  be- 
dächtig versetzte: 

Also  müss  es  allen  ergehn,  die  das  heilige 

Gastrecht 


310 


Weimar^   October  1794. 


Unserer  Insel  verletzten  und  unanständfg  und 

gottlos 
Zeche  verlangen  vom    Manne,   der   sie  doch 

höflich  bewirthet. 
Sollt  ich  solche  Beleidigung  dulden  im  eigenen 

Hause ! 
Nein!  Es  hätte  fürwahr  statt  meines  Herzens 

ein  Schwamm  nur 
Mir  im  Busen  gewohnt,  wofern  ich  dergleichen 

gelitten. 

Darauf  sagte  der  Richter  zu  mir:  Vergesset 

die  Schläge, 
Denn  Ihr  habt  die  Strafe  verdient,  ja  schärfere 

Schmerzen. 
Aber  wollt  Ihr  bleiben  und  mitbewohnen  die 

Insel, 
Müsset  Ihr   Euch   erst   würdig   beweisen  und 

tüchtig  zum  Bürger. 
Ach  I  versetzt  ich,  mein  Herr,  ich  habe  leider 

mich  niemals 
Gerne    zur   Arbeit  gefügt.     So  hab  ich  auch 

keine  Talente, 
Die  den  Menschen  bequemer  ernähren:  man 

hat  mich  im  Spott  nur 
Hans  Ohnsorge  genannt  und  mich  von  Hause 

vertrieben.  — 


311 


Epistel  —    Weimary   Octoher  i794* 


O,  sei  uns  gegrüsst !  versetzte  der  Richter : 

Du  sollst  dich 

Oben  setzen  zu  Tisch,  wenn  sich  die  Ge- 
meinde versammelt, 

Sollst  im  Rathe  den  Platz,  den  du  verdienest, 

erhalten. 

,  r 

Aber  hüte  dich  wohl,  dass  nicht  ein  schänd- 
licher Rückfall 

ff 

Dich  zur  Arbeit  verleite,  dass  man  nicht  etwa 

das  Grabscheit 
Oder  das  Ruder  bei  dir  im  Hause  finde,  du 

wärest 
Gleich  auf  immer  verloren  und  ohne  Nahrung 

und  Ehre! 
Aber  auf  dem  Markte   zu  sitzen,   die   Arme 

geschlungen 
Ueber   dem    schwellenden   Bauch,    zu   hören 

lustige  Lieder 
Unserer    Sänger,    zu    sehn    die    Tänze    der 

Mädchen,  der  Knaben 
Spiele,    das    werde    dir    Pflicht,    die    du  ge- 
lobest und  schwörest!  — 

So   erzählte  der  Mann,   und   heiter  waren 

die  Stirnen 
Aller    Hörer   geworden,   und   alle   wünschten 

des  Tages 
Solche  Wirthe  zu  finden,  ja,  solche  Schläge  zu 

dulden. 


312 


Bruckslück  einer  Epistel,    lygs» 


Fragment. 

Denn  der  Körper  verlangt  und  ist  be- 
quem zu  ersättgen: 
Fülle  bringt  ihm  das  Jahr  an  wiederkehrenden 

Früchten, 
Und    die    Erde    gewährt    ihm    tausendfältige 

Nahrung. 
Auch   vergönnt   ihm   der   Gott,   sich   in  dem 

Garten,  der  Liebe 
Reichlich  zu  weiden  und  Freude  vertauschend 

sich  schön  zu  erquicken.  — 
Aber  die  Seele  begehrt,  und  s  i  e  wird  nimmer 

befriedigt  1 
Denn  sie  bildet  sich  ein,  sie  sei  von  höherem 

Ursprung, 
Durch  ein  unwürdiges  Band  an  ihren  Gatten 

gefesselt. 
Da  beträgt  sie  sich  übel  im  Hause :  die  hohen 

Verwandten 
Liegen  ihr  immer  im  Sinn,  und  Sehnen  nach 

jenen  Palästen 
Lässet  ihr  keine  Ruh  und  raubt  ihr  den  zärt- 
lichen Antheil 
An  dem  stilleren  Haushalt  und  an  der  engeren 

Wohnung  — 
Ja,    sie  verachtet   sogar   die   eigenen   Kinder 

des  Gatten  .  .  . 


313 


Jena,  April  1795. 


Nähe  des  Geliebten. 

Ich  denke  deini  wenn  mir  der  Sonne  Schimmer 

Vom  Meere  strahlt  — 
Ich  denke  dein,  wenn  sich  des  Mondes  Flimmer 

In  Quellen  malt. 

Ich  sehe   dich,   wenn   auf  dem  fernen  Wege 

Der  Staub  sich  hebt  — 
In    tiefer    Nacht,    wenn    auf   dem    schmalen 

Stege 

Der  Wandrer  bebt. 

Ich    höre    dich,    wenn    dort    mit    dumpfem 

Rauschen 

Die  Welle  steigt  — 
Im  stillen  Haine  geh  ich  oft  zu  lauschen, 

Wenn  alles  schweigt. 

Ich  bin  bei  dir,  du  seist  auch  noch  so  ferne, 

Du  bist  mir  nah! 
Die  Sonne  sinkt,  bald  leuchten  mir  die  Sterne. 

O,  wärst  du  da! 


314 


^795'  —  J***^  Schillers  Musenalmanach  bestimmt^ 


Die  Spmnerin, 

Als  ich  still  und  rahig  spann^ 
Ohne  nur  zu  stocken, 
Trat  ein  schöner  junger  Mann 
Nahe  mir  zum  Rocken, 

Lobte,  was  zu  loben  war  — 
Solhe  das  was  schaden?  — 
Mein  dem  Flachse  gleiches  Haar 
Und  den  gleichen  Faden. 

Ruhig  war  er  nicht  dabei, 
Liess  es  nichf  beim  Alten  — 
Und  der  Faden  riss  pntzwei, 
Den  ich  lang  erhaltep* 

Und  des  Flachses  Stein-Gewicht 
Gab  noch  viele  Zahlen  — 
Aber,  ach,  ich  konnte  nicht 
Mehr  mit  ihnen  prahlen, 

Als  ich  sie  zum  Weber  trug, 
Fühlt  ich  was  sich  regen. 
Und  mein  armes  Herze  schlug 
Mit  geschwindem  Schlägen.  — 


315 


aber  als  tanstössigt  nicht  aufgenommen. 

Nun  beim  heissen  Sonnenstich 
Bring  ichs  auf  die  Bleiche, 
Und  mit  Mühe  bück  ich  mich 
Nach  dem  nächsten  Teiche. 

Was  ich  in  dem  Kämmerlein 
Still  und  fein  gesponnen, 
Kommt'  —  wie  kann  es  anders  sein  ? 
Endlich  an  die  Sonnen. 


i 


316 


Ursprünglich  als  Duett  zwischen  Pafageno  u.  Papagena 


Wer  kauft  Liebesgötter? 

Von  allen  schönen  Waaren, 
Zum  Markte  hergefahren, 
Wird  keine  mehr  behagen, 
Als  die  wir  euch  getragen 
Aus  fremden  Ländern  bringen, 
O  höret,  was  wir  singen, 
Und  seht  die  schönen  Vögel  I 
Sie  stehen  zum  Verkauf. 

Zuerst  beseht  den  grossen, 
Den  lustigen,  den  losen! 
Er  hüpfet  leicht  und  munter 
Von  Baum  und  Busch  herunter  - 
Gleich  ist  er  wieder  droben  I 
Wir  wollen  ihn  nicht  loben. 
O  seht  den  muntern  Vogel 
Er  steht  hier  zum  Verkauf. 

Betrachtet  nun  den  kleinen  1 
Er  will  bedächtig  scheinen, 
Und  doch  ist  er  der  lose 
So  gut  als  wie  der  grosse. 


317 


für  die  Fortsetzung  der  Zauberflöte  (1795)  bestimmt. 

Er  zeiget  meist  im  Stillen 
Den  allerbesten  Willen. 
Der  lose,  kleine  Vogel, 
Er  steht  hier  zum  Verkauf. 

O  seht  das  kleine  Täubchen» 
Das  liebe  Turtelweibchen  I 
Die  Mädchen  sind  so  zierlich, 
Verständig  und  manierlich  I 
Sie  mag  sich  gerne  putzen 
Und  eure  Liebe  nutzen. 
Der  kleine,  zarte  Vogel, 
Er  steht  hier  zum  Verkauf, 

Wir  wollen  sie  nicht  loben, 
Sie  stehn  zu  allen  Proben. 
Sie  lieben  sich  das  Neue, 
Doch  über  ihre  Treue 
Verlangt  nicht  Brief  und  Siegel  — 
Sie  haben  alle  Flügel. 
Wie  artig  sind  die  Vögel: 
Wie  reizend  ist  der  Kauft 


^ 


318 


Schillers  Musenalmanach  auf  lygÖ 


Meeres  Stäle. 

1  iefe  Stille  herrscht  im  Wasser, 
Ohne  Regung  ruht  das  Meer, 
Und  bekümmert  sieht  der  Schiffer 
Glatte  Fläche  rings  umher. 
Keine  Luft  von  keiner  Seite! 
Todesstille  fürchterlich  l 
In  der  ungeheuren  Weite 
Reget  keine  Welle  sich. 


Glückliche  Fahrt. 

Uie  Nebel  zerreissen, 
Der  Himmel  ist  helle, 
Und  Aeolus  löset 
Das  ängstliche  Band, 
Es  säuseln  die  Winde, 
Es  rührt  sich  der  Schiffer. 
Geschwinde  1     Geschwinde ! 
Es  theilt  sich  die  Welle, 
Es  naht  sich  die  Feme  — 
Schon  seh  ich  das  Landl 


919 


Zwei  Arten  zu  Vulpius* 


Die  Spröde. 

An  dem  reinsten  Frühlingsmorgen 
Ging  die  Schäferin  und  sang, 
Jung  und  schön  und  ohne  Sorgen, 
Dass  es  durch  die  Felder  klang, 
So  la  lal  —  Le  rallal 

Thyrsis  bot  ihr  für  ein  Mäulchen 
Zwei,  drei  Schäfchen  gleich  am  Ort; 
Schalkhaft  blickte  sie  ein  Weilchen, 
Doch  sie  sang  und  lachte  fort, 
So  la  lal  —  Le  ralla! 

Und  ein  andrer  bot  ihr  Bänder, 
Und  der  dritte  bot  sein  Herz  — 
Doch  sie  trieb  mit  Herz  und  Bändern 
So  wie  mit  den  Lämmern  Scherz, 
Nur  la  lal  —  Le  rallal 


320 


»Theatralischen  Abentheuern*,  —  1796, 


Die  Bekehrte. 

Dei  dem  Glanz  der  Abendröthe 
Ging  sie  still  den  Wald  entlang, 
Dämon  sass  und  blies  die  Flöte, 
Dass  es  von  den  Felsen  klangt 
So  la  lal  —  Le  rallal 

Und  er  zog  sie  zu  sich  nieder/ 
Küsste  sie  so  hold,  so  süss. 
Und  sie  sagte:  »Blase  wieder  1« 
Und  der  gute  Junge  blies, 
So  la  la!  — 

»Meine  Kuh  ist  nun  verloren, 
Meine  Freude  floh  davon, 
Und  es  schwebt  vor  meinen  Ohren 
Immer  nur  der  alte  l^on, 
So  la  lal  —  Le  ralla  .  .  .c 


Hartleben,  Goethe*Brevier. 

321  21 


Jena,  —  12,  bis  14.  Mai  i^gö. 


Alexis  und  Dora. 

IdyUe. 

*Achl     Unaufhaltsam  strebet  das  Schiff  mit 

jedem  Momente 
Durch   die   schäumende   Fluth   weiter   und 
weiter  hinaus  1 
Langhin  furcht  sich  die  Gleise  des  Kiels,  worin 

die  Delphine 
Springend  folgen,  als  flöh  ihnen  die  Beute 
davon  — 
Alles  deutet  auf  glückliche  Fahrt:  der  ruhige 

Bootsmann 
Ruckt   am  Segel  gelind,   das  sich    für  alle 
bemüht. 
Alle  Gedanken   sind  vorwärts   gerichtet,   wie 

Flaggen  und  Wimpel, 
Nur  ein  Trauriger  steht  rückwärts  gewendet 
am  Mast, 
Sieht  die  Berge  schon  blau,  die  scheidenden, 

sieht  in  das  Meer  sie 
Niedersinken  —  es  sinkt  jegliche   Freude 
vor  ihm. 


322 


Am  14.  Juni  lygö  sa$tdie  Goethe 


Auch  dir  ist  es  verschwunden,  das  Schiff,  das 

deinen  Alexis, 
Dir,    o    Dora,    den   Freund,   ach,    dir  den 
Bräutigam  raubt. 
Auch  du  blickest  vergebens  nach  mir.    Noch 

schlagen  die  Herzen 
Für  einander,  doch,  ach,  nun  an  einander 
nicht  mehr.  — 
Nur  ein  Augenblick  wars»   in  dem  ich  lebte: 

der  wieget 
Alle  Tage,  die  sonst  kalt  mir  verschwinden- 
den, auf. 
Nur  ein  Augenblick  wars,  der  letzte,  da  stieg 

mir  ein  Leben 
Unvermuthet   in  dir   wie  von  den  Göttern 
herab  I 
Nur  umsonst  verklärst  du  mit  deinem  Lichte 

den  Aether, 
Phöbus,  mir  ist  er  verhasst,  dieser  allleuch- 
tende Tagl 
In  mich  selber  kehr  ich  zurück,   da  will  ich 

im  Stillen 
Wiederholen   die  Zeit,   als  sie   mir  täglich 
erschien,  — 
War  es  möglich,  die  Schönheit   zu  sehn  und 

nicht  zu  empfinden? 
Wirkte  der  himmlische  Reiz  nicht  auf  dein 
stumpfes  Gemüth? 


323  21* 


die  Idylle  an  Schiller  für  den 


Klage  dkhy  Armer,  nicht  aal  —  So  legt  der 

Dichter  ein  Räthsel, 
Künstlich  mit  Worten  verschräidct,   oft  der 
Versammlung  ins  Ohr. 
Jeden  freuet  die  seltne  Verknüpfung  der  zier- 
lichen Bilder^ 
Aber   noch   fehlet   das  Wort,    das  die  Be- 
deutung verwahrt. 
Ist  es  endlich  gefunden^  dann  heitert  sich  jedes 

Gemüth  auf 
Und  erblickt  im  Gesicht  doppelt  erfreulichen 
Sinn.  — 
Ach!     Warum  so  spät,    o  Amor,  nahmst   du 

die  Binde, 
Die  du  ums  Aug  mir  geknüpft,   warum  zu 
spät  mir  hinweg? 
Lange  schon  harrte   das  Schiff  befrachtet  auf 

günstige  Lüfte, 
Endlich   strebte   der  Wind   glücklich    vom 
Ufer  ins  Meer  .  .  . 
Leere  Zeiten  der  Jugend   und  leere   Träume 

der  Zukunft  I 
Ihr  verschwindet,  es  bleibt  einzig  di«  Stunde 
mir  nur. 
Ja:  sie  bleibt  I  Es  bleibt  mir  das  Glück!   Ich 

halte  dich,  Dora! 
Und  die  Hoffnung  zeigt,    Dora,   dein  Bild 
mir  allein.  — 


324 


l_ 


Musenalmanach  auf  I7g7. 


Oefter  sah  ich  zum  Tempel   dich   gehn,    ge- 
schmückt tmd  gesittet, 
Und  das  Mütterchen   ging   feierlich  neben 
dir  her. 
Eilig    warst    du    und    frisch,    zu  Markte    die 

Früchte  zu  tragen, 
Und  vom  Brunnen,   wie  kühn  wiegte  dein 
Haupt  das  Geföss! 
Da    erschien   erst    dein   Hals,    erschien   -dein 

Nacken  vor  allen, 
Und  vor  allen  erschien  deiner  Bewegtmgen 
Mass. 
Oftmals  hab  ich  gesorgt,  es  möchte  der  Krug 

dir  entStürzen, 
Doch  erhielt  er  sich  stet  auf  dem  geringelten 
Tuch.  — 
Schöne  Nachbarin,   ja,    so  war  ich   gewohnt 

dich  zu  sehen. 
Wie   man   die  Sterne   sieht,  wie  man  den 
Mond  sich  beschaut. 
Sich  an  ihnen  erfreut,   und  innen  im  ruhigen 

Busen, 
Nicht  der  entfernteste  Wunsch,  sie  zu  be- 
sitzen, sich  regt.  — 
Jahre,    so    gingt    ihr    dahin!     Nur    zwanzig 

Schritte  getrennet 
Wa^en  die  Häuser,   und   nie   hab   ich   die 
Schwelle  berührt  .  .  . 


325 


Schiller  schreibt:  t,  ,  .  so  voll  Einfalt 

- 

Und  nun  trennt  uns  die  grässliche  Woge !  Du 

lügst  nur  den  Himmel, 
Welle!     Dein   herrliches  Blau    ist   mir    die 
Farbe  der  Nacht!  —  — 
Alles  rührte  sich  schon,   da   kam   ein  Knabe 

gelaufen 
An    mein   väterlich  Haus,    rief   mich    zum 
Strande  hinab: 
»Schon  erhebt   sich  das  Segel,    es  flattert  im 

Winde«,  so  sprach  er, 
»Und,  gelichtet  mit  Kraft,  trennt  sich  der 
Anker  vom  Sand. 
Komm,    Alexis,    o  komm!«     Da  drückte  der 

wackere  Vater 
Würdig    die   segnende  Hand    mir   auf  das 
lockige  Haupt, 
Sorglich  reichte  die  Mutter  ein  nachbereitetes 

Bündel  : 
»Glücklich  kehre  zurück!«  riefen  sie,  »glück- 
lich und  reich!« 
Und  so  sprang    ich  hinweg,    das  Bündelchen 

unter  dem  Arme, 
An  der  Mauer  hinab,    fand    an   der  Thüre 
dich  stehn 
Deines  Gartens.  Du  lächeltest  mir  und  sagtest : 

»Alexis! 
Sind    die    Lärmenden   dort   deine  Gesellen 
der  Fahrt? 


326 


bei  einer  unergründlichen   Tiefe  der  Empfindung. 

Fremde  Küsten  besuchest  du  nun,   und  köst- 
liche Waaren 
Handelst    du    ein    und    Schmuck    reichen 
Matronen  der  Stadt. 
Aber  bringe  mir  auch   ein  leichtes  Kettchen! 

Ich  will  es 
Dankbar  zahlen.    So  oft  hab  ich  die  Zierde 
gewünscht!« 
Stehen   war    ich   geblieben   und   fragte   nach 

Weise  des  Kaufmanns 
Erst   nach  Form   und  Gewicht   deiner   Be- 
stellung genau. 
Gar  bescheiden  erwogst  du  den  Preis  —  da 

blickt  ich  indessen 
Nach    dem   Halse,    des   Schmucks   unserer 
Königin  werth! 
Heftiger  tönte    vom  Schiff  das  Geschrei,   da 

sagtest  du  freundlich: 
»Nimm  aus  dem  Garten  noch  einige  Früchte 
mit  dir! 
Nimm  die  reifsten  Orangen,  die  weissen  Feigen ! 

Das  Meer  bringt 
Keine   Früchte,   sie    bringt  jegliches   Land 
nicht  hervor.« 
Und  so  trat  ich  herein.     Du  brachst  nun  die 

Früchte  geschäftig, 
Und   die  goldene  Last  zog  das  geschürzte 
Gewand, 


327 


Durch  die  Eilfertigkeit^  welche  dps  Tvartenäe 

Oefters  bat  ich,  es  sei  0.1m  genug»    Und  immer 

noch  eixie 
Schönere  Fjrucht  fiel  dir,  leise  berührt,  in 
die  tlstnd. 
Endlich  kamst  du  zur  Laube  hinan,  da  fand 

sich  ein  Körbchen, 
Und  die  Myrthe   bog   blühend   sich   über 
uns  hin.  — 
Schweigend  begi^nnest   du   nun  geschickt  die 

Früchte  zu  ordnen: 
Erst  4i^  Orange«   die  schwer  ruht   al$   ein 
goldener  BaU« 
Dann   die  weichliche  Feige,   die  jed^  Druck 

ftc^on  entstellet  — 
Und  mit  Myrthe  bedeckt  ward  und  geziert 
das  Gpschenk  .  .  . 
Aber  ich  hob  es  nicht  auf.  —  Ich  stand.  — 

Wir  sahen  einander 
In  die  Augen  —  und   mir  ward  vor  dem 
Auge  so  trüb^ 
Deinen   Busen   fiihlt  ich   1^   meinem!     Den 

herrliche^  Nacken, 
Jhii  umschlang  nun  mein  Arm  I    Tausendmal 
küsst  ich  dep  Halsl 
Mir  war  dein  Haupt  auf  die  Scihulter  gesunken, 

nun  knüpften  auch  deine 
Lieblichen   Arme   das   Band  um   den   Be- 
glückten herum. 


328 


^ 


Sch^svolk  in  die  Handlung  bringt^ 

Amors  Hände  fühlt  ich:   er  drückt'  uns  ge- 
waltig zustammen, 
Und  aus  heiterer  Luft  donnert'  es  dreimal  I 
Da  üoss 
Häufig  die  Thräne   vom  Aug  mir  herab:   du 

weintest  —  ich  weinte. 
Und   vor  Jammer  und   Glück   schien  uns 
die  Welt  zu  vergehn.  — 
Immer  heftiger  riefen  die  Schiffer  1   Da  wollten 

die  Füsse 
Mich  nicht  tragen  — <-  ich  rief:  »Dora  1    Und 
bist  du  nicht  mein?« 
»Ewigl«    sagtest  4u  leise.  —  Da   schienen 

unsere  Thränen 
Wie  durch   göttliche  Luft  leise   vom  Auge 
gehaucht. 
Näher  rief  es:  »Alexis!«  —  Da   blickte   der 

suchende  Knabe 
Durch    die    Thüre    herein.     Wie    er    das 
Körbchen  empfing    .  .  . 
Wie  er  mich  trieb  .  .  .  wie  ich  dir  die  Hand 

noch  drückte  ...  zu  Schiffe 
Wie  ich  gekommen?  —  Ich  weiss,  dass  ich 
ein  Trunkener  schien  I 
Und    so    hielten    mich    auch    die    Gesellen: 

sie  schonten  den  Kranken, 
Und  schon  deckte  der  Hauch   trüber  Ent- 
fernung die  Stadt. 


329 


li 


wird  das  Schattspiel  für  die  zwei  Liehenden 

»Ewig!«    sagtest    du    leise   —  o    Dora,    mir 

schallt  es  im  Ohre 
Mit  dem  Donner  des  Zeus  I    Ja !    Sie  stand 
neben  dem  Thron, 
Seine  Tochter,    die   Göttin   det   Liebe  1     Die 

Grazien  standen 
Ihr  zur  Seiten!   Er  ist  götterbekräftigt,  der 
Bund!   -—   — 
O,   so  eile  denn,   Schiff,   mit  allen  günstigen 

Winden ! 
Strebe,   mächtiger  Kiel,    trenne   die  schäu- 
mende Fluthl 
Bringe   dem  fremden  Hafen  mich   zu,   damit 

mir  der  Goldschmied 
Aus  der  Werkstatt  sogleich  reiche  das  himm- 
lische Pfand! 
Wahrlich!     Es   soll  zur   Kette  werden,    das 

Kettchen,  o  Dora! 
Neunmal  umgebe  sie  dir  locker  gewunden 
den  Hals! 
Ferner  schaff  ich  noch  Schmuck,  den  mannig- 
faltigsten, goldne 
Spangen  sollen  dir  auch  reichlich  verzieren 
die  Hand! 
Da   wetteifre  Rubin   und  Smaragd,   der   lieb- 
liche Saphir 
Stelle  dem  Hyacinth   sich  gegenüber,   und 
Gold 


330 


so  enge^  so  drangvoll^  und  so  bedeutend  der  Zustand^ 

Halte  das  Edelgestein  in  schöner  Verbindung 

zusammen ! 
O,    wie    den   Bräutigam    freut:    einzig    zu 
schmücken  die  Braut! 
Seh  ich  Perlen,   so  denk   ich  an   dich!     Bei 

jeglichem  Ringe 
Kommt   mir   der  länglichen  Hand  schönes 
Gebild  in  den  Sinn. 
Tauschen  will  ich  und  kaufen:   du  sollst  das 

Schönste  von  allem 
Wählen,  ich  widmete  gern  alle  die  Ladung 
nur  dir. 
Doch  nicht  Schmuck  und  Juwelen  allein  ver- 
schafft dein  Geliebter  — 
Was  ein  häusliches  Weib  freuet,  das  bringt 
er  dir  auch: 
Feine  wollene  Decken  mit  Purpursäumen,  ein 

Lager 
Zu  bereiten,  das  uns  traulich  und  weichlich 
empfangt. 
Köstlicher   Leinwand  Stücke:    du   sitzest  und 

nähest  und  kleidest 
Mich  und  dich  und  auch  —  wohl  noch  ein 
drittes  darein.  —  — 
Bilder  der  Hoffnung,  o  täuschet  mein  Herz  1  O 

mässiget,  Götter, 
Diesen    gewaltigen    Brand,    der    mir    den 
Busen  durchtobt!  — 


331 


dass  dieser  Moment  wirklich  den  Gehalt 

Aber    auch    sie    verlang     ich    zurück,     die 

schmerzliche  Freude, 
Wenn   die  Sorge   sich  kalt,  grässlich  ge- 
lassen, mir  naht! 
Nicht   der   Erinnyen  Fackel,    das  Bellen    der 

höllischen  Hunde 
Schreckt  den    Verbrecher  so   in   der   Ver- 
zweiflung Gefild, 
Als  das  gelassne  Gespenst  mich  schreckt,  das 

die  Schöne  von  fern  mir 
Zeiget  — :  zum  Garten,  die  Thür  —  wirk- 
lich!    Noch  stehet  sie  auf! 
Und   ein  anderer  kommt!    Für  ihn  auch 

fallen  die  Früchte  I 
Und  die  Feige  gewährt   stärkenden  Honig 
auch  ihm! 
Lockt  sie  auch  ihn  nach  der  Laube?  Und  folgt 

er?  —  —  O,  macht  mich,  ihr 
Götter, 
Blind !  Verwischet  das  Bild  jeder  Erinnrung 
in  mir? 
Ja!    Ein  Mädchen  ist  sie!    Und  die  sich  ge- 
schwinde dem  einen 
Giebt,  sie  kehret  sich  auch  schnell  zu  dem 
andern  herum! 
Lache  nicht  diesmal,   o  Zeus,   der  frech   ge- 
brochenen Schwüre! 
Donnere   schrecklicher!     Triff!    —  —  — 
Halte  die  Blitze  zurück. 


332 


eines  ganzen  Lebens  bekommt.* 


Sende  die  schwankenden  Wolken  m  i  r  nach  1 

Im  nächtlichen  Dunkel 
Treffe    dein    leuchtender   Blitz    diesen   un- 
glücklichen Mastl 
Streue    die    Planken    umher    und    gieb    der 

tobenden  Welle 
Diese  W^aaren,  und  mich  gieb  den  Delphinen 
zum  RaubU 

Nun,    ihr   Musen,    genug  1     Vergebens   strebt 

ihr  zu  schildern, 
Wie   sich  Jammer   und  Glück  wechseln   in 
liebender  Brust. 
Heilen    könnet    ihr    nicht    die  Wunden,    die 

Amor  geschlagen  — 
Aber  Linderung  kommt  einzig,   ihr  Guten, 
von  euch. 


333 


Wilhelm  Meister^  -—  Juni  1796, 


Mignon. 

iieiss  mich  nicht  reden»  heiss  mich  schweigen, 
Denn  mein  Geheimniss  ist  mir  Pflicht. 
Ich  möchte  dir  mein  ganzes  Innre  zeigen, 
Allein  dasr  Schicksal  will  es  nicht. 

Zur  rechten  Zeit  vertreibt  der  Sonne  Lauf 
Die  finstre  Nacht,  und  sie  muss  sich  erhellen. 
Der  harte  Fels  schliesst  seinen  Busen  auf, 
Missgönnt  der  Erde  nicht   die  tiefverborgnen 

Quellen. 

Ein  jeder  sucht  im  Arm  des  Freundes  Ruh, 
Dort  kann  die  Brust  in  Klagen  sich  ergiessen, 
Allein  ein  Schwur  drückt  mir  die  Lippen  zu. 
Und  nur  ein  Gott  vermag  sie  aufzuschliessen. 


334 


Weimar^  September  lygÖ. 


An  Mignon. 

Ueber  Thal  und  Fluss  getragen, 
Ziehet  rein  der  Sonne  Wagen. 
Ach,  sie  regt  in  ihrem  Lauf 
So  wie  deine,  meine  Schmerzen 
Tief  im  Herzen 
Immer  Morgens  wieder  auf. 

Kaum  will   mir  die  Nacht    noch  frommen, 
Denn  die  Träume  selber  kommen 
Nun  in  trauriger  Gestalt, 
Und  ich  fUhle  dieser  Schmerzen 
Still  im  Herzen 
Heimlich  bildende  Gewalt. 

Schon  seit  manchen  schönen  Jahren 
Seh  ich  unten  Schiffe  fahren. 
Jedes  kommt  an  seinen  Ort. 
Aber,  ach,  die  steten  Schmerzen 
Fest  im  Herzen 
Schwimmen  nicht  im  Strome  fort. 


^ 


Schillers  Musenalmanach  auf  1797. 

Schön  in  Kleidern  muss  ich  kommen, 
Aus  dem  Schrank  sind  sie  genommen, 
Weil  es  heute  Festtag  ist. 
Niemand  ahnet,  dass  von  Schmerzen 
Herz  im  Herzen 
Grimmig  mir  zerrissen  ist. 

Heimlich  muss  ich  immer  weinen, 
Aber  freundlich  kann  ich  scheinen 
Und  sogar  gesund  und  roth. 
Wären  tödtlich  diese  Schmerzen 
Meinem  Herzen  — 
Ach,  schon  lange  war  ich  todt. 


336 


Aus  dem  Balladenjahr,  —  Mai  tygy. 


Der  Schatzgräber. 

Arm  am  Beutel,  krank  am  Herzen 
Schleppt  ich  meine  langen  Tage  — 
Armuth  ist  die  grösste  Plage, 
Reichthum  ist  das  höchste  GutI 
Und  zu  enden  meine  Schmerzen, 
Ging  ich  einen  Schatz  zu  graben: 
Meine  Seele  sollst  du  haben  I 
Schrieb  ich  hin  mit  eignem  Blut. 

Und  so  zog  ich  Kreis  um  Kreise, 
Stellte  wunderbare  Flammen, 
Kraut  und  Knochen  werk  zusammen  — 
Die  Beschwörung  war  vollbracht. 
Und  auf  die  gelernte  Weise 
Grub  ich  nach  dem  alten  Schatze 
Auf  dem  angezeigten  Platze  — 
Schwarz  und  stürmisch  war  die  Nacht. 

Und  ich  sah  ein  Licht  von  weitem  - 
Und  es  kam  gleich  einem  Sterne 
Hinten  aus  der  fernsten  Feme, 
Eben  als  es  zwölfe  schlug. 


Hartleben,  Goethe-Brevier. 

337  22 


Schillers  Musenalmanach  auf  lygS. 

Und  da  galt  kein  Vorbereiten  I 
Heller  wards  mit  einem  Male 
Von  dem  Glanz  der  vollen  Schale, 
Die  ein  schöner  Knabe  trug 

Holde  Augen  sah  ich  blinken 
Unter  dichtem  Blumenkranze: 
In  des  Trankes  Himmelsglanze 
Trat  er  in  den  Kreis  herein. 
Und  er  hiess  mich  freundlich  trinken. 
Und  ich  dacht:  es  kann  der  Knabe 
Mit  der  schönen,  lichten  Gabe 
Wahrlich  nicht  der  Böse  sein. 

»Trinke  Mut  des  reinen  Lebens! 
Dann  verstehst  du  die  Belehrung, 
Kommst  mit  ängstlicher  Beschwörung 
Nicht  zurück  an  diesen  Ort. 
Grabe  hier  nicht  mehr  vergebens! 
Tages  Arbeit,  Abends  Gäste! 
Saure  Wochen,  frohe  Feste! 
Sei  dein  künftig  Zauberwort!« 


338 


Aus  dem  Baltadenjahr.  —  Mat  17 gy. 


Legende  vom  Hufeisen. 

Als  noch,  verkannt  und  sehr  gering, 
Unser  Herr  auf  der  Erde  ging 
Und  viele  Jünger  sich  zu  ihm  fanden, 
Die  sehr  selten  sein  Wort  verstanden, 
Liebt  er  sich  gar  über  die  Massen 
Seinen  Hof  zu  halten  auf  der  Strassen, 
Weil  unter  des  Himmels  Angesicht 
Man  immer  besser  und  freier  spricht. 
Er  Hess  sie  die  höchsten  Lehren 
Aus  seinem  heiligen  Munde  hören. 
Besonders  durch  Gleichniss  und  Exempel 
Macht  er  einen  jeden  Markt  zum  Tempel 

So  schlendert  er  in  Geistes  Ruh 
Mit  ihnen  einst  einem  Städtchen  zu. 
Sah  etwas  blinken  auf  der  Strass, 
Das  ein  zerbrochen  Hufeisen  was. 
Er  sagte  zu  Sanct  Peter  drauf: 
Heb  doch  einmal  das  Eisen  auf! 

339  22* 


Schillers  Musenalmanach  auf  1798. 

Sanct  Peter  war  nicht  aufgeräumt, 
Er  hatte  soeben  im  Gehen  geträumt, 
So  was  vom  Regiment  der  Welt, 
Was  einem  jeden  wohlgefällt. 
Denn  im  Kopf  hat  das  keine  Schranken, 
Das  waren  so  seine  liebsten  Gedanken. 
Nun  war  der  Fund  ihm  viel  zu  klein: 
Hätte  müssen  Krön  und  Scepter  sein  I 
Aber  wie  sollt  er  seinen  Rücken 
Nach  einem  halben  Hufeisen  bücken? 
Er  also  sich  zur  Seite  kehrt 
Und  thut,  als  hätt  ers  nicht  gehört. 

Der  Herr,  nach  seiner  Langmuth,  drauf 
Hebt  selber  das  Hufeisen  auf 

« 

Und  thut  auch  weiter  nicht  dergleichen. 
Als  sie  nun  bald  die  Stadt  erreichen. 
Geht  er  vor  eines  Schmiedes  Thür, 
Nimmt  von  dem  Mann  drei  Pfennig  dafür. 
Und  als  sie  über  den  Markt  nun  gehen, 
Sieht  er  daselbst  schöne  Kirschen  stehen. 
Kauft  ihrer  so  wenig  oder  so  viel, 
Als  man  für  einen  Dreier  geben  will. 
Die  er  sodann  nach  seiner  Art 
Ruhig  im  Aermel  aufbewahrt. 

Nun  gings  zum  andern  Thor  hinaus, 
Durch  Wies  und  Felder,  ohne  Haus, 
Auch  war  der  Weg  von  Bäumen  bloss. 


340 


atte^MBS>> 


Alis  dem  Balladenjahr.  —  Mai  lygy. 


Die  Sonne  schien,  die  Hitz  war  grossi 
So  dass  man  viel  an  solcher  Statt 
Für  einen  Trunk  Wasser  gegeben  hätt. 
Der  Herr  geht  immer  voraus  vor  allen, 
Lässt  unversehens  eine  Kirsche  fallen. 
Sanct  Peter  war  gleich  dahinter  her, 
Als  wenn  es  ein  goldner  Apfel  war! 
Das  Beerlein  schmeckte  seinem  Gaurn. 
Der  Herr  nach  einem  kleinen  Raum 
Ein  ander  Kirschlein  zur  Erde  schickt, 
Wonach  Sanct  Peter  schnell  sich  bückt. 

So  lässt  der  Herr  ihn  seinen  Rücken 
Gar  vielmal  nach  den  Kirschen  bücken« 
Das  dauert  eine  ganze  Zeit. 
Dann  sprach  der  Herr  mit  Heiterkeit: 
Thätst  du  zur  rechten  Zeit  dich  regen, 
Hättst  dus  bequemer  haben  mögen. 
Wer  geringe  Dinge  wenig  acht. 
Sich  um  geringere  Mühe  macht. 


341 


Der  Zauberlehrling, 


Der  Zauberlehrling. 

iJat  der  alte  Hexenmeister 
Sich  doch  einmal  wegbegeben  I 
Und  nun  sollen  seine  Geister 
Auch  nach  meinem  Willen  leben  1 
Seine  Wort  und  Werke 
Merkt  ich  und  den  Brauch, 
Und  mit  Geistesstärke 
Thu  ich  Wunder  auch. 

Walle  1  walle 
Manche  Strecke, 
Dass  zum  Zwecke 
Wasser  fliesse 

Und  mit  reichem,  vollem  Schwalle 
Zu  dem  Bade  sich  ergiessel 

Und  nun  komm,  du  alter  Besen, 
Nimm  die  schlechten  Lumpenhüllen  I 
Bist  schon  lange  Knecht  gewesen, 
Nun  erfülle  meinen  Willen! 
Auf  zwei  Beinen  stehe, 
Oben  sei  ein  Kopfl 
Eile  nun  und  gehe 
Mit  dem  Wassertopf! 


342 


Atis  dem  Balladenjahr.   — •  Juttt  lygy. 

Walle!  walle 
Manche  Strecke, 
Dass  zum  Zwecke 
Wasser  fliesse 

Und  mit  reichem,  vollem  Schwalle 
Zu  dem  Bade  sich  ergiesse! 

Seht:  er  läuft  zum  Ufer  nieder, 
Wahrlich,  ist  schon  an  dem  Flusse, 
Und  mit  Blitzesschnelle  wieder 
Ist  er  hier  mit  raschem  Gusse. 
Schon  zum  zweiten  Male? 
Wie  das  Becken  schwillt! 
Wie  sich  jede  Schale 
Voll  mit  Wasser  füllt! 

Stehe!  stehe! 
Denn  wir  haben 
Deiner  Gaben 
Vollgemessen!  — 
Ach,  ich  merk  es!  Wehe!  Wehe! 
Hab  ich  doch  das  Wort  vergessen! 

Ach,  das  Wort,  worauf  am  Ende 
Er  das  wird,  was  er  gewesen! 
Ach,  er  läuft  und  bringt  behende! 
Wärst  du  doch  der  alte  Besen! 
Immer  neue  Güsse 
Bringt  er  schnell  herein. 


343 


Schülers  Musenalmanach  auf  lygS 

Ach,  und  hundert  Flüsse 
Stürzen  auf  mich  einl 

Nein,  nicht  länger 

Kann  ichs  lassen, 

Will  ihn  fassen  — 

Das  ist  Tücke! 

Ach  I  Nun  wird  mir  immer  bänger  — 

Welche  Miene!     Welche  Blicke! 

O,  du  Ausgeburt  der  Hölle: 
Soll  das  ganze  Haus  ersaufen? 
Seh  ich  über  jede  Schwelle 
Doch  schon  Wasserströme  laufen. 
Ein  verruchter  Besen, 
Der  nicht  hören  will ! 
Stock,  der  du  gewesen, 
Steh  doch  wieder  still! 

Willst  am  Ende 

Gar  nicht  lassen? 

Will  dich  fassen. 

Will  dich  halten 

Und  das  alte  Holz  behende 

Mit  dem  scharfen  Beile  spalten. 

Seht,  da  kommt  er  schleppend  wieder! 
Wie  ich  mich  nur  auf  dich  werfe, 
Gleich,  o  Kobold,  liegst  du  nieder!  — 
Krachend  trifft  die  glatte  Schärfe. 


344 


Aus  dem  Balladenjahr,  —  Mai  J797- 


Wahrlich,  brav  getroffen! 
Seht:  er  ist  entzwei! 
Und  nun  kann  ich  hoffen, 
Und  ich  athme  frei: 

Wehe!  Wehe! 

Beide  Theile 

Stehn  in  Eile 

Schon  als  Knechte 

Völlig  fertig  in  die  Höhe! 

Helft  mir,  ach,  ihr  hohen  Mächtet 

Und  sie  laufen!     Nass  und  nässer 

Wirds  im  Saal  und  auf  den  Stufen  — 

Welch  entsetzliches  Gewässer! 

Herr  und  Meister!  Hör  mich  rufen!  — 

Ach,  da  kommt  der  Meister! 

Herr,  die  Noth  ist  gross ! 

Die  ich  rief,  die  Geister, 

Werd  ich  nun  nicht  los.  — 

»In  die  E  cke, 
Besen!  Besen! 
Seids  gewesen! 
Denn  als  Geister 
Ruft  euch  nur,  zu  seinem  Zwecke, 
Erst  hervor  der  alte  Meister.« 


345 


Aus  dem  Balladenjahr.  —   4.  bis  6.  Juni  i797- 


Die  Braut  von  Corinth. 

JNach  Corinthus  von  Athen  gezogen 

Kam  ein  Jüngling,  dort  noch  unbekannt. 

Einen  Bürger  hofft  er  sich  gewogen, 

Beide  Väter  waren  gastverwandt, 

Hatten  frühe  schon 

Töchterchen  und  Sohn 

Braut  und  Bräutigam  voraus  genannt. 

Aber  wird  er  auch  willkommen  scheinen, 
Wenn  er  theuer  nicht  die  Gunst  erkauft? 
Er  ist  noch  ein  Heide  mit  den  Seinen, 
Und  sie  sind  schon  Christen  und  getauft. 
Keimt  ein  Glaube  neu, 
Wird  oft  Lieb  und  Treu 
Wie  ein  böses  Unkraut  ausgerauft. 

Und  schon  lag  das  ganze  Haus  im  Stillen, 
Vater,  Töchter,  nur  die  Mutter  wacht. 
Sie  empfängt  den  Gast  mit  bestem  Willen, 
Gleich  ins  Prunkgemach  wird  er  gebracht. 
Wein  und  Essen  prangt. 
Eh  er  es  verlangt  — 
So  versorgend  wünscht  sie  gute  Nacht. 


346 


Juni  1797, 

Aber  bei  dem  wohlbestellten  Essen 
Wird  die  Lust  der  Speise  nicht  erregt. 
Müdigkeit  lässt  Speis  und  Trank  vergessen, 
Dass  er  angekleidet  sich  aufs  Bette  legt. 
Und  er  schlummert  fast, 
Als  ein  seltner  Gast 
Sich  zur  offnen  Thür  berein  bewegt. 

Denn  er  sieht,  bei  seiner  Lampe  Schimmer 
Tritt,  mit  weissem  Schleier  und  Gewand, 
Sittsam  still  ein  Mädchen  in  das  Zimmer, 
Um  die  Stirn  ein  schwarz-  und  goldnes  Band. 
Wie  sie  ihn  erblickt, 
Hebt  sie,  die  erschrickt, 
Mit  Erstaunen  eine  weisse  Hand. 

Bin  ich,  rief  sie  aus,   so  fremd  im  Hause, 
Dass  ich  von  dem  Gaste  nichts  vernahm? 
Ach,  so  hält  man  mich  in  meiner  Klause ! 
Und  nun  überfallt  mich  hier  die  Scham. 
Ruhe  nur  so  fort 
Auf  dem  Lager  dort, 
Und  ich  gehe  schnell,  so  wie  ich  kam. 

Bleibe,  schönes  Mädchen!  ruft  der  Knabe, 
Rafft  von  seinem  Lager  sich  geschwind: 
Hier  ist  Ceres,  hier  ist  Bacchus  Gabe, 
Und  du  bringst  den  Amor,  liebes  Kind! 
Bist  vor  Schrecken  blass? 
Liebe,  komm  und  lass, 
Lass  uns  sehn,  wie  froh  die  Götter  sind! 


347 


Schillers  Musenalmanach  auf  lygS, 

Ferne  bleib,  o  Jüngling,  bleibe  stehen! 
Ich  gehöre  nicht  den  Freuden  an. 
Schon  der  letzte  Schritt  ist,  ach,  geschehen 
Durch  der  guten  Mutter  kranken  Wahn, 
Die  genesend  schwur, 
Jugend  und  Natur 
Sei  dem  Himmel  künftig  unterthan. 

Und  der  alten  Götter  bunt  Gewimmel 
Hat  sogleich  das  stille  Haus  geleert. 
Unsichtbar  wird  einer  nur  im  Himmel, 
Und  ein  Heiland  wird  am  Kreuz  verehrt, 
Opfer  fallen  hier, 
Weder  Lamm  noch  Stier, 
Aber  Menschenopfer  unerhört.  — 

Und  er  fragt  und  wäget  alle  Worte, 
Deren  keines  seinem  Geist  entgeht.  — 
Ist  es  möglich,  dass  am  stillen  Orte 
Die  geliebte  Braut  hier  vor  mir  steht? 
Sei  die  meine  nur! 
Unsrer  Väter  Schwur 
Hat  vom  Himmel  Segen  uns  erfleht.  — 

Mich  erhältst  du  nicht,  du  gute  Seelei 
Meiner  zweiten  Schwester  gönnt  man  dich. 
Wenn  ich  mich  in  stiller  Klause  quäle, 
Achl  In  ihren  Armen  denk  an  mich. 
Die  an  dich  nur  denkt, 
Die  sich  liebend  kränkt  — 
In  die  Erde  bald  verbirgt  sie  sich.  — 


348 


Juni  1797. 

NeinI  Bei  dieser  Flamme  seis  geschworen, 

Gütig  zeigt  sie  Hymen  uns  voraus, 

Bist  der  Freude  nicht  noch  mir  verloren, 

Kommst  mit  mir  in  meines  Vaters  Haus. 

Liebchen,  bleibe  hierl 

Feire  gleich  mit  mir 

Unerwartet  unsern  Hochzeitsschmaus  I  — 

Und  schon  wechseln  sie  der  Treue  Zeichen 
Golden  reicht  sie  ihm  die  Kette  dar, 
Und  er  will  ihr  eine  Schale  reichen, 
Silbern,  künstlich,  wie  nicht  eine  war.  — 
Die  ist  nicht  für  mich, 
Doch  ich  bitte  dich, 
Eine  Locke  gieb  von  deinem  Haarl  — 

Eben  schlug  die  dumpfe  Geisterstunde, 
Und  nun  schien  es  ihr  erst  wohl  zu  sein. 
Gierig  schlürfte  sie  mit  blassem  Munde 
Nun  den  dunkel  blutgefslrbten  Wein. 
Doch  vom  Weizenbrot, 
Das  er  freundlich  bot. 
Nahm  sie  nicht  den  kleinsten  Bissen  ein. 

Und  dem  Jüngling  reichte  sie  die  Schale, 
Der  wie  sie  nun  hastig  lüstern  trank. 
Liebe  fordert  er  beim  stillen  Mahle  — 
Ach,  sein  armes  Herz  war  liebekrank. 
Doch  sie  widersteht. 
Wie  er  immer  fleht, 
Bis  er  weinend  auf  das  Bette  sank. 


349 


Schillers  Musenalmanach  auf  1798. 

1 ~-  -  -  -  -       — 

Und  sie  kommt  und  wirft  sich  zu  ihm  nieder : 
Ach,  wie  ungern  seh  ich  dich  gequält  1 
Aber,  ach,  berührst  du  meine  Glieder, 
Fühlst  du  schaudernd,  was  ich  dir  verhehlt: 
Wie  der  Schnee  so  weiss, 
Aber  kalt  wie  Eis 
Ist  das  Liebchen,  das  du  dir  erwählt.  — 

Heftig  fasst  er  sie  mit  starken  Armen, 
Von  der  Liebe  Jugendkraft  durchmannt: 
Hoffe  doch  bei  mir  noch  zu  erwarmen. 
Wärst  du  selbst  mir  aus  dem  Grab  gesandt! 
Wechsel  hauch  und  Kuss  ! 
Liebesüberfluss ! 
Brennst  du  nicht  und  fühlest  mich  entbrannt?  — 

Liebe  schliesset  fester  sie  zusammen, 
Thränen  mischen  sich  in  ihre  Lust. 
Gierig  saugt  sie  seines  Mundes  Flammen, 
Eins  ist  nur  im  andern  sich  bewusst. 
Seine  Liebeswuth 
Wärmt  ihr  starres  Blut   — 
Doch  es  schlägt  kein  Herz  in  ihrer  Brust. 

Unterdessen  schleichet  auf  dem  Gange 
Häuslich  spät  die  Mutter  noch  vorbei, 
Horchet  an  der  Thür  und  horchet  lange. 
Welch  ein  sonderbarer  Ton  es  sei. 
Klag-  und  Wonnelaut 
Bräutigams  und  Braut 
Und  des  Liebestammeins  Raserei. 


350 


Juni  jygy. 

Unbeweglich  bleibt  sie  an  der  Thüre, 
Weil  sie  erst  sich  überzeugen  muss, 
Und  sie  hört  die  höchsten  Liebesschwüre, 
Lieb-  und  Schmeichelworte,  mit  Verdruss  —  : 

—  Still!     Der  Hahn  erwacht  1  — 

—  Aber  morgen  Nacht 

Bist  du  wieder  da?  —  Und  Kuss  auf  Kuss. 

Länger  hält  die  Mutter  nicht  das  Zürnen, 
Oeffnet  das  bekannte  Schloss  geschwind: 
Giebt  es  hier  im  Hause  solche  Dirnen, 
Die  dem  Fremden  gleich  zu  Willen  sind?  — 
So  zur  Thür  hinein.  — 
Bei  der  Lampe  Schein 
Sieht  sie  —  Gott!     Sie  sieht  ihr  eigen  Kind! 

Und  der  Jüngling  will  im  ersten  Schrecken 
Mit  des  Mädchens  eignem  Schleierflor, 
Mit  dem  Teppich  die  Geliebte  decken  — 
Doch  sie  windet  gleich  sich  selbst  hervor. 
Wie  mit  Geists  Gewalt 
Hebet  die  Gestalt 
Lang  und  langsam  sich  im  Bett  empor. 

Mutter!  Mutter!  spricht  sie  hohle  Worte: 
So  missgönnt  ihr  mir  die  schöne  Nacht! 
Ihr  vertreibt  mich  von  dem  warmen  Orte! 
Bin  ich  zur  Verzweiflung  nur  erwacht? 
Ists  euch  nicht  genug, 
Dass  ins  Leichentuch, 
Dass  ihr  früh  mich  in  das  Grab  gebracht? 


351 


Schillers  Musenalmanach  auf  I7g8, 

Aber  aus  der  schwerbedeckten  Enge 
Treibet  mich  ein  eigenes  Gericht. 
Eurer  Priester  summende  Gesänge 
Und  ihr  Segen  haben  kein  Gewicht. 
Salz  und  Wasser  kühlt 
Nicht,  wo  Jugend  fühlt  — 
Achl  Die  Erde  kühlt  die  Liebe  nicht. 

Dieser  Jüngling  war  mir  erst  versprochen, 
Als  noch  Venus  heitrer  Tempel  stand. 
Mutter,  habt  ihr  doch  das  Wort  gebrochen, 
Weil  ein  fremd,  ein  falsch  Gelübd  euch  band  1 
Doch  kein  Gott  erhört, 
Wenn  die  Mutter  schwört. 
Zu  versagen  ihrer  Tochter  Hand. 

Aus  dem  Grabe  werd  ich  ausgetrieben. 
Noch  zu  suchen  das  vermisste  Gut, 
Noch  den  schon  verlornen  Mann  zu  lieben 
Und  zu  saugen  seines  Herzens  Blut. 
Ists  um  den  geschehn, 
Muss  nach  andern  gehn, 
Und  das  junge  Volk  erliegt  der  Wuth. 

Schöner  Jüngling!  Kannst  nicht  länger  leben, 
Du  versiechest  nun  an  diesem  Ort. 
Meine  Kette  hab  ich  dir  gegeben, 
Deine  Locke  nehm  ich  mit  mir  fort. 
Sieh  sie  an  genau  I 
Morgen  bist  du  grau  — 
Braun  erscheinest  du  nur  wieder  dort. 


352 


4.  bis  6.  Juni  i'jg'J. 


Höre,  Mutter,  nun  die  letzte  Bitte: 
Einen  Scheiterhaufen  schichte  du! 
Oeffne  meine  bange,  kleine  Hütte, 
Bring  in  Flammen  Liebende  zur  Ruhl 
Wenn  der  Funke  sprüht. 
Wenn  die  Asche  glüht, 
Eilen  wir  den  alten  Göttern  zu.« 


Hsnlebcn,  Goethe- Brevier. 

353  23 


Aus  dem  Balladenjahr. 


Der  Gott  und  die  Bajadere. 

Mahadöh,  der  Herr  der  Erde, 
Kommt  herab  zum  sechsten  Mal, 
Dass  er  unsersgleichen  werde, 
Mitzufühlen  Freud  und  Qual. 
Er  bequemt  sich,  hier  zu  wohnen, 
Lässt  sich  alles  selbst  geschehn  — 
Soll  er  strafen  oder  schonen, 
Muss  er  Menschen  menschlich  sehn. 
Und  hat  er   die  Stadt   sich   als  Wandrer  be- 
trachtet, 
Die  Grossen  belauert,  auf  Kleine  geachtet, 
Verlässt  er  sie  Abends,    um  weiter    zu  gehn. 

Als  er  nun  hinausgegangen, 
Wo  die  letzten  Häuser  sind, 
Sieht  er  mit  gemalten  Wangen 
Ein  verlornes  schönes  Kind. 
Grüss  dich,  Jungfrau!  —  Dank  der  Ehre! 
Wart,  ich  komme  gleich  hinaus!  — 
Und  wer  bist  du?  —  Bajadere, 
Und  dies  ist  der  Liebe  Haus.  — 
Sie  rührt   sich,    die  Cymbeln   zum  Tanze    zu 

schlagen, 


354 


6.  bis  g.  Juni  lygy. 


Sie  weiss  sich  so  lieblich  im  Kreise  zu  tragen, 
Sie  neigt  sich  und  biegt  sich  und  reicht  ihm 

den  Strauss. 

Schmeichelnd  zieht  sie  ihn  zur  Schwelle, 

Lebhaft  ihn  ins  Haus  hinein: 

Schöner  Fremdling,  lampenhelle 

Soll  sogleich  die  Hütte  sein. 

Bist  du  müd,  ich  will  dich  laben, 

Lindem  deiner  Füsse  Schmerz, 

Was  du  willst,  das  sollst  du  haben, 

Ruhe,  Freuden  oder  Scherz. 
Sie  lindert  geschäftig  geheuchelte  Leiden. 
Der  Göttliche  lächelt:  er  siehet  mit  Freuden 
Durch  tiefes  Verderben  ein  menschliches  Herz. 

Und  er  fordert  Sklavendienste, 
Immer  heitrer  wird  sie  nur  — 
Und  des  Mädchens  frühe  Künste 
Werden  nach  und  nach  Natur. 
Und  so  stellet  auf  die  Blüthe 
Bald  und  bald  die  Frucht  sich  ein, 
Ist  Gehorsam  im  Gemüthe, 
Wird  nicht  fem  die  Liebe  sein. 
Aber,  sie  schärfer  und  schärfer  zu  prüfen, 
Wählet  der  Kenner  der  Höhen  und  Tiefen 
Lust  und  Entsetzen  und  grimmige  Pein. 

Und  er  küsst  die  bunten  Wangen, 
Und  sie  fühlt  der  Liebe  Qual, 

355  23* 


Schillers  Musenalmanach  auf  1798. 

Und  das  Mädchen  steht  gefangen, 
Und  sie  weint  zum  ersten  Mal. 
Sinkt  zu  seinen  Füssen  nieder, 
Nicht  um  Wollust  noch  Gewinnst, 
Ach!  und  die  gelenken  Glieder, 
Sie  versagen  allen  Dienst. 
Und  so  zu  des  Lagers  vergnüglicher  Feier 
Bereiten  den  dunklen  behaglichen  Schleier 
Die  nächtlichen  Stunden,  das  schönste  Gespinnst. 

Spät  entschlummert  unter  Scherzen, 
Früh  erwacht  nach  kurzer  Rast, 
Findet  sie  an  ihrem  Herzen 
Todt  den  vielgeliebten  Gast, 
Schreiend  stürzt  sie  auf  ihn  nieder ; 
Aber  nicht  erweckt  sie  ihn, 
Und  man  trägt  die  starren  Glieder 
Bald  zur  Flammengrube  hin. 
Sie  höret  die  Priester,  die  Todtengesänge, 
Sie  raset  und  rennet  und  theilet  die  Menge: 
Wer  bist  du?  Was  drängst  du  zur  Grube  dich  hin  ? 

Bei  der  Bahre  stürzt  sie  nieder, 
Ihr  Geschrei  durchdringt  die  Luft: 
Meinen  Gatten  will  ich  wieder! 
Und  ich  such  ihn  in  der  Gruft. 
Soll  zu  Asche  mir  zerfallen 
Dieser  Glieder  Götterpracht? 
Mein,  er  war  es,  mein  vor  allen  — 
Ach,  nur  Eine  süsse  Nacht!   — 


356 


6.  bis  p.  Juni   I7g7' 


Es  singen  die  Priester:  Wir  tragen  die  Alten, 
Nach  langem  Ermatten  und  spätem  Erkalten, 
Wir  tragen  die  Jugend,  noch  eh  sies  gedacht. 

Höre  deiner  Priester  Lehre  I 

Dieser  war  dein  Gatte  nicht. 

Lebst  du  doch  als  Bajadere, 

Und  so  hast  du  keine  Pflicht. 

Nur  dem  Körper  folgt  der  Schatten 

In  das  stille  Todtenreich  — 

Nur  die  Gattin  folgt  dem  Gatten, 

Das  ist  Pflicht  und  Ruhm  zugleich. 
Ertöne,  Drommete,  zu  heiliger  Klage! 
O  nehmet,   ihr  Götter,   die  Zierde    der  Tage, 
O  nehmet  den  Jüngling  in  Flammen  zu  euch ! 

So  das  Chor,  das  ohn  Erbarmen 

Mehret  ihres  Herzens  Noth  — 

Und  mit  ausgestreckten  Armen 

Springt  sie  in  den  heissen  Todl 

Doch  der  Götterjüngling  hebet 

Aus  der  Flamme  sich  empor. 

Und  in  seinen  Armen  schwebet 

Die  Geliebte  mit  hervor!  — 
Es  freut  sich  die  Gottheit  der  reuigen  Sünder, 
Unsterbliche  heben  verlorene  Kinder 
Mit  feurigen  Armen  zum  Himmel  empor! 


357 


Weimar,  im  Juni  I7g7. 


Zueignung 

zum  Faust. 

Ihr  naht  euch  wieder,  schwankende  Gestalten, 
Die  früh  sich  einst  dem  trüben  Blick  gezeigt. 
Versuch  ich  wohl,  euch  diesmal  festzuhalten? 
Fühl  ich  mein  Herz  noch  jenem  Wahn  geneigt? 
Ihr  drängt  euch  zu!     Nun  gut:  so  mögt  ihr 

walten, 
Wie  ihr  aus  Dunst  und  Nebel  um  mich  steigt  I 
Mein  Busen   fühlt    sich  jugendlich  erschüttert 
Vom  Zauberhauch,  der  euren  Zug  umwittert. 

Ihr  bringt  mit  euch  die  Bilder  froher  Tage 
Und  manche  liebe  Schatten  steigen  auf. 
Gleich  einer  alten,  halbverklungnen  Sage 
Kommt  erste  Lieb  und  Freundschaft  mit  herauf. 
Der  Schmerz  wird  neu,  es  wiederholt  die  Klage 
Des  Lebens  labyrinthisch  irren  Lauf 
Und  nennt  die  Guten,  die,  um  schöne  Stunden 
Vom    Glück    getäuscht,    vor    mir    hinwegge- 
schwunden. 


358 


Zuerst  gedruckt  mit  dem  Faust  von  1808. 

Sie  hören  nich't  die  folgenden  Gesänge, 
Die  Seelen,  denen  ich  die  ersten  sang. 
Zerstoben  ist  das  freundliche  Gedränge, 
Verklungen,  ach,  der  erste  Widerklang. 
Mein  Leid  ertönt  der  unbekannten  Menge, 
Ihr  Beifall  selbst  macht  meinem  Herzen  bang, 
Und  was  sich  sonst  an  meinem  Lied  erfreuet, 
Wenn  es  noch  lebt  —  irrt  in  der  Welt  ver- 
streuet. — 

Und   mich   ergreift   ein    längst  entwöhntes 

Sehnen 

Nach  jenem  stillen,  ernsten  Geisterreich. 

Es  schwebet  nun  in  unbestimmten  Tönen 

Mein  lispelnd  Lied,  der  Aeolsharfe  gleich. 

Ein   Schauer    fasst    mich,    Thräne   folgt   den 

Thränen, 

Das  strenge  Herz,  es  fühlt  sich  mild  und  weich. 

Was  ich  besitze,  seh  ich  wie  im  Weiten  — 

Und  was  verschwand,  wird  mir  zu  Wirklich- 
keiten I 


359 


Christiane.  —  Zürich^  ig,  bis  25.  September  i'jgy. 


Amyntas. 

Elegie. 

iiikias,  trefflicher  Mann,    du  Arzt  des  Leibs 

und  der  Seele! 
Krank  —  ich   bin    es   fürwahr,    aber   dein 

Mittel  ist  hart. 
Ach  1  Schon  schwanden  die  Kräfte  dahin,  dem 

Rathe  zu  folgen  I 
Ja,  und  es  scheinet  der  Freund  schon  mir 

ein  Gegner  zu  sein. 
Widerlegen   kann    ich    dich   nicht.     Ich  sage 

mir  alles, 
Sage     das     härtere    Wort,     das     du    ver- 
schweigest, mir  auch. 
Aber  achl     Das  Wasser   entstürzt   der  Steile 

des  Felsens 
Rasch,  und   die   Welle   des    Bachs    halten 

Gesänge  nicht  auf. 
Raset   nicht   unaufhaltsam   der  Sturm?     Und 

wälzet  die  Sonne 
Sich   von   dem  Gipfel   des    Tags   nicht  in 

die  Wellen  hinab? 


360 


Schülers  Musenalmanach  auf  i7gg. 

Und  so  spricht  mir  rings   die  Natur:    »Auch 

du  bist,  Amyntas, 
Unter  das  strenge  Gesetz  ehrner  Gewalten 

gebeugt.« 

Runzle  die  Stirne  nicht  tiefer,  mein  Freund. 

und  höre  gefällig. 
Was  mich  gestern  ein  Baum  dort   an  dem 

Bache  gelehrt  I 
Wenig  Aepfel  trägt  er  mir  nur,  der  sonst  so 

beladne. 
Siehe;  der  Ep heu  ist  schuld,  der  ihn  ge- 
waltig umgiebt. 
Und    ich    fasste    das    Messer,     das    krumm- 
gebogene, scharfe, 
Trennte  schneidend    und  riss  Ranke    nach 

Ranken  herab! 
Aber   ich    schauderte  gleich,    als    tief  erseuf- 
zend und  kläglich 
Aus   den  Wipfeln   zu    mir  lispelnde  Klage 

sich  goss: 
»O,  verletze  mich  nicht,    den  treuen  Garten- 
genossen, 
Dem   du   als  Knabe    so   früh   manche  Ge- 
nüsse verdankt! 
O,  verletze  mich  nicht!  Du  reissest  mit  diesem 

Geflechte, 
Das    du    gewaltig    zerstörst,     grausam   das 

Leben  mir  aus! 


361 


Schiller  schreibt  d.  Gräfin  Schtmmelmann:  Goethe  sei  zu 

Hab  ich    nicht    selbst    sie  genährt   und  sanft 

sie  herauf  mir  erzogen? 
Ist  wie  mein    eigenes  Laub   nicht   mir  das 

ihre  verwandt? 
Soll  ich  die  Pflanze  nicht  lieben,  die,  meiner 

einzig  bedürftig, 
Still  mit  begieriger  Kraft  mir  um  die  Seite 

sich  schlingt? 
Tausend  Ranken  wurzelten    an,    mit  tausend 

und  tausend 
Fasern  senket   sie   fest   mir   in    das  Leben 

sich  ein. 
Nahrung   nimmt   sie    von   mir:    was   ich    be- 
dürfte, geniesst  sie, 
Und   so  saugt    sie   das    Mark,    sauget    die 

Seele  mir  aus. 
Nur  vergebens  nähr   ich  mich   noch,   die  ge« 

waltige  Wurzel 
Sendet    lebendigen    Safts,    ach!     nur    die 

Hälfte  hinauf! 
Denn   der   gefahrliche  Gast,    der   geliebteste, 

masset  behende 
Unterwegs    die  Kraft   herbstlicher    Früchte 

sich  an. 
Nichts  gelangt  zur  Krone  hinauf,  die  äussersten 

Wipfel 
Dorren,  es  dorret  der  Ast  über  dem  Bache 

schon  hin.  — 


362 


weichherzige  das  Verhältnis  mit  Christiane  abtuschütteln. 

Ja,  die  Verrätherin  istsl     Sie  schmeichelt  mir 

Leben  und  Güter, 
Schmeichelt  die  strebende  Kraft,  schmeichelt 

die  Hoffnung  mir  ab. 
Sie  nur  fühl  ich,  nur  sie,  die  umschlingende! 

Freue  der  Fesseln, 
Freue    des    tödtenden    Schmucks    fremder 

Umlaubung  mich  nur. 
Halte  das  Messer  zurück,  o  Nikiasl     Schone 

den  Armen, 
Der  sich  in  liebender  Lust,  willig  gezwungen, 

verzehrt  1 
Süss  ist  jede  Verschwendung  —  o  lass  mich 

der  schönsten  geniessen! 
Wer  sich   der  Liebe  vertraut,    hält  er  sein 

Leben  zu  Rath?« 


363 


Weimar  —  Frühling  1801. 


Schäfers  Klagelied. 

iJa  droben  auf  jenem  Berge, 
Da  steh  ich  tausendmal, 
An  meinem  Stabe  gebogen, 
Und  schaue  hinab  in  das  Thal. 

Dann  folg  ich  der  weidenden  Herde, 
Mein  Hündchen  bewahret  mir  sie, 
Ich  bin  herunter  gekommen 
Und  weiss  doch  selber  nicht  wie. 

Da  stehet  von  schönen  Blumen 
Die  ganze  Wiese  so  voll, 
Ich  breche  sie,  ohne  zu  wissen. 
Wem  ich  sie  geben  soll. 

Und  Regen,  Sturm  und  Gewitter 
Verpass  ich  unter  dem  Baum.  — 
Die  Thüre  dort  bleibet  verschlossen! 
Doch  alles  ist  leider  ein  Traum. 

Es  stehet  ein  Regenbogen 
Wohl  über  jenem  Haus! 
Sie  aber  ist  weggezogen, 
Und  weit  in  das  Land  hinaus. 

Hinaus  in  das  Land  und  weiter, 
Vielleicht  gar  über  die  See.  — 
Vorüber,  ihr  Schafe,  vorüber! 
Dem  Schäfer  ist  gar  so  weh. 


364 


Weimar  —  Herbst  1801. 


Bergschloss. 

Ua  droben  auf  jenem  Berge, 
Da  steht  ein  altes  Schloss, 
Wo  hinter  Thoren  und  Thüren 
Sonst  lauerten  Ritter  und  Ross. 

Verbrannt  sind  Thüren  und  Thore, 
Und  überall  ist  es  so  still  — 
Das  alte,  verfall ne  Gemäuer 
Durchklettr'  ich,  wie  ich  nur  will. 

Hiemeben  lag  ein  Keller, 
So  voll  von  köstlichem  Wein  — 
Nun  steiget  nicht  mehr  mit  Krügen 
Die  Kellnerin  heiter  hinein. 

Sie  setzt  den  Gästen  im  Saale 
Nicht  mehr  die  Becher  umher, 
Sie  füllt  zum  heiligen  Mahle 
Dem  Pfaffen  das  Fläschchen  nicht  mehr. 

Sie  reicht  dem  lüsternen  Knappen 
Nicht  mehr  auf  dem  Gange  den  Trank, 
Und  nimmt  für  flüchtige  Gabe 
Nicht  mehr  den  flüchtigen  Dank. 


365 


Silvie  von  Ziegesar. 


Denn  alle  Balken  und  Decken, 
Sie  sind  schon  lange  verbrannt, 
Und  Trepp  und  Gang  und  Kapelle 
In  Schutt  und  Trümmer  verwandt.  - 

Doch  als  mit  Zither  und  Flasche 
Nach  diesen  felsigen  Höhn 
Ich  an  dem  heitersten  Tage 
Mein  Liebchen  steigen  gesehn: 

Da  drängte  sich  frohes  Behagen 
Hervor  aus  verödeter  Ruh, 
Da  gings  wie  in  alten  Tagen 
Recht  feierlich  wieder  zu: 

Als  wären  für  stattliche  Gäste 
Die  weitesten  Räume  bereit, 
Als  kam  ein  Pärchen  gegangen 
Aus  jener  tüchtigen  Zeit, 

Als  stund  in  seiner  Kapelle 
Der  würdige  Pfaffe  schon  da 
Und  fragte:  Wollt  ihr  einander? 
Wir  aber  lächelten:  Ja! 

Und  tief  bewegten  Gesänge 
Des  Herzens  innigsten  Grund: 
Es  zeugte  statt  der  Menge 
Der  Echo  schallender  Mund. 


366 


Ruine   Unter lobdeburg  bei  Loheda, 


Und  als  sich  gegen  Abend 
Im  Stillen  alles  verlor, 
Da  blickte  die  glühende  Sonne 
Zum  schroffen  Gipfel  empor. 

Und  Knapp  und  Kellnerin  glänzen 
Als  Herren  weit  und  breit  — 
Sie  nimmt  sich  zum  Kredenzen 
Und  er  zum  Danke  sich  Zeit. 


367 


TVeimar  —  1802. 


Trost  in  Thränen. 

Wie  kommts,  dass  du  so  traurig  bist, 
Da  alles  froh  erscheint? 
Man  sieht  dirs  an  den  Augen  an, 
Gewiss,  du  hast  geweint. 

»Und  hab  ich  einsam  auch  geweint. 
So  ists  mein  eigner  Schmerz, 
Und  Thränen  fliessen  gar  so  süss, 
Erleichtern  mir  das  Herz.« 

Die  frohen  Freunde  laden  dich, 
O,  komm  an  unsre  Brust! 
Und  was  du  auch  verloren  hast, 
Vertraue  den  Verlust! 

»Ihr  lärmt  und  rauscht  und  ahnet  nicht. 
Was  mich,  den  Armen,  quält. 
Ach  nein,  verloren  hab  ichs  nicht, 
So  sehr  es  mir  auch  fehlt.« 

So  raffe  denn  dich  eilig  auf! 
Du  bist  ein  junges  Blut. 
In  deinen  Jahren  hat  man  Kraft 
Und  zum  Erwerben  Muth. 


36S 


t  Taschenbuch  auf  das  Jahr  1804. ^ 

»Ach  nein,  erwerben  kann  ichs  nicht, 
Es  steht  mir  gar  zu  fern. 
Es  weilt  so  hoch,  es  blinkt  so  schön, 
Wie  droben  jener  Stern.« 

Die  Sterne,  die  begehrt  man  nicht, 
Man  freut  sich  ihrer  Pracht, 
Und  mit  Entzücken  blickt  man  auf 
In  jeder  heitern  Nacht. 

»Und  mit  Entzücken  blick  ich  auf 
So  manchen  lieben  Tag! 
Verweinen  lasst  die  Nächte  mich. 
So  lang  ich  weinen  mag.« 


Hartleben,  Goethe-Brevier. 

369  24 


Weimar  —  Juni  1802. 


Sonett. 

IM  atur  und  Kunst,  sie  scheinen  sich  zu  fliehen, 
Und  haben  sich,  eh  man  es  denkt,  gefunden. 
Der  Widerwille  ist  auch  mir  verschwunden 
Und  beide  scheinen  gleich  mich  anzuziehen. 

Es  gilt  wohl  nur  ein  redliches  Bemühen, 
Und  wenn  wir  erst  in  angemessnen  Stunden 
Mit  Geist   und  Fleiss   uns    an  die  Kunst  ge- 
bunden. 
Mag  frei  Natur  im  Herzen  wieder  glühen. 

So  ists  mit  aller  Bildung  auch  beschaffen, 
Vergebens  werden  ungebundne  Geister 
Nach  der  Vollendung  reiner  Höhe  streben. 

Wer  Grosses  will,  muss  sich  zusammenraffen, 
In  der  Beschränkung  zeigt  sich  erst  der  Meister, 
Und  das  Gesetz  nur  kann  uns  Freiheit  geben  1 


370 


Weimar  —  Spätherbst  1802, 


Ritter  Curts  Brautfahrt. 

Mit  des  Bräutigams  Behagen 
Schwingt  sich  Ritter  Curt  aufs  Rossl 
Zu  der  Trauung  soUs  ihn  tragen 
Auf  der  edlen  Liebsten  Schlossl 
Als  am  öden  Felsenorte 
Drohend  sich  ein  Gegner  naht! 
Ohne  Zögern,  ohne  Worte 
Schreiten  sie  zu  rascher  That.  ^ 

Lange  schwankt  des  Kampfes  Welle, 
Bis  sich  Curt  im  Siege  freut! 
Er  entfernt  sich  von  der  Stelle, 
Ueberwinder  und  gebläut. 
Aber  was  er  bald  gewahret 
In  des  Busches  Zitterschein? 
Mit  dem  Säugling  still  gepaaret, 
Schleicht  ein  Liebchen  durch  den  Hain. 

Und  sie  winkt  ihn  auf  das  Plätzchen: 
Lieber  Herr,  nicht  so  geschwind! 
Habt  ihr  nichts  an  euer  Schätzchen? 
Habt  ihr  nichts  für  euer  Kind? 

371  24* 


T^  Taschenbuch  auf  das  Jahr  1804*^. 


Ihn  durchglühet  süsse  Flamme, 
Dass  er  nicht  vorbei  begehrt, 
Und  er  findet  nun  die  Amme 
Wie  die  Jungfrau  Hebens werth.  — 

Doch  er  hört  die  Diener  blasen, 
Denket  nun  der  hohen  Braut, 
Und  nun  wird  auf  seinen  Strassen 
Jahresfest  und  -Markt  so  laut. 
Und  er  wählet  in  den  Buden 
Manches  Pfand  zu  Lieb  und  Huld 
Aber,  ach,  da  kommen  Juden 
Mit  dem  Schein  vertagter  Schuld. 

Und  nun  halten  die  Gerichte 
Den  behenden  Ritter  auf.  — 
O  verteufelte  Geschichte! 
Heldenhafter  Lebenslauf! 
Soll  ich  heute  mich  gedulden? 
Die  Verlegenheit  ist  gross. 
Widersacher,  Weiber,  Schulden, 
Ach,  kein  Ritter  wird  sie  los! 


372 


Weimar,  1803.  —  ^Taschenbuch  auf  das  Jahr  1804*, 


Nachtgesang. 

Nach  dem  Italienischen. 

U^  gieb  vom  weichen  Pfühle, 
Träumend,  ein  halb  Gehör  I 
Bei  meinem  Saitenspiele 

Schlafe!     Was  willst  du  mehr? 

Bei  meinem  Saitenspiele 
Segnet  der  Sterne  Heer 
Die  ewigen  Gefühle  — 

Schlafe!     Was  willst  du  mehr? 

Die  ewigen  Gefühle 
Heben  mich,  hoch  und  hehr, 
Aus  irdischem  Gewühle  — 

Schlafe!     Was  willst  du  mehr? 

Vom  irdischen  Gewühle 
Trennst  du  mich  nur  zu  sehr. 
Bannst  mich  in  diese  Kühle  — 

Schlafe!     Was  willst  du  mehr? 

Bannst  mich  in  diese  Kühle, 
Giebst  nur  im  Traum  Gehör, 
Ach,  auf  dem  weichen  Pfühle 

Schlafe!     Was  willst  du  mehr? 


373 


Weimar^  1803.  —  » Taschenbuch  auf  das  Jahr  i8o4«i. 

Der  Rattenfänger. 

Ich  bin  der  wohlbekannte  Sänger, 
Der  vielgereiste  Rattenfänger, 
Den  diese  altberühmte  Stadt 
Gewiss  besonders  nötig  hat. 
Und  wärens  Ratten  noch  so  viele. 
Und  wären  Wiesel  mit  im  Spiele, 
Von  allen  säubr'  ich  diesen  Ort  — 
Sie  müssen  mit  einander  fort. 

Dann  ist  der  gutgelaunte  Sänger 
Mitunter  auch  ein  Kinderfanger, 
Der  selbst  die  wildesten  bezwingt, 
Wenn  er  die  goldnen  Märchen  singt. 
Und  wären  Knaben  noch  so  trutzig, 
Und  wären  Mädchen  noch  so  stutzig. 
In  meine  Saiten  greif  ich  ein  — 
Sie  müssen  alle  hinterdrein. 

Dann  ist  der  vielgewandte  Sänger 
Gelegentlich  ein  Mädchenfänger. 
In  keinem  Städtchen  langt  er  an, 
Wo  ers  nicht  mancher  angethan. 
Und  wären  Mädchen  noch  so  blöde. 
Und  wären  Weiber  noch  so  spröde. 
Doch  allen  wird  so  liebebang 
Bei  Zaubersaiten  und  Gesang. 


374 


4 


Weimar  —  Sommer  i8oy. 


Parabel. 
I. 

liin  Meister  einer  ländlichen  Schule 
Erhub  sich  einst  von  seinem  Stuhle 
Und  hatte  fest  sich  vorgenommen, 
In  bessere  Gesellschaft  zu  kommen; 
Deswegen  er  im  nahen  Bad 
In  den  sogenannten  Salon  eintrat. 
Verblüfft  war  er  gleich  an  der  Thür, 
Als  wenns  ihm  zu  vornehm  widerführ; 
Macht  daher  dem  ersten  Fremden  rechts 
Einen  tiefen  Bückling,  es  war  nichts  Schlechts 
Aber  hinten  hätt  er  nicht  vorgesehn, 
Dass  da  auch  wieder  Leute  stehn, 
Gab  einem  zur  Linken  in  den  Schoosa 
Mit  seinem  Hintern  einen  derben  Stoss. 
Das  hätt  er  schnell  gern  abgebüsst, 
Doch  wie  er  eilig  den  wieder  begrüsst, 
So  stösst  er  rechts  einen  andern  am: 
Er  hat  wieder  jemand  was  Leids  gethan. 
Und  wie  cbs  diesem  wieder  abbittet, 
Ers  wieder  mit  einem  andern  verschüttet 


^75 


Weimar  —  Sommer  1807. 


Und  complimentirt  sich  zu  seiner  Qual 
Von  hinten  und  vom  so  durch  den  Saal, 
Bis  ihm  endlich  ein  derber  Geist 
Ungeduldig  die  Thüre  weist. 

Möge  doch  mancher  in  seinen  Sünden 
Hie  von  die  Nutzanwendung  finden  1 


II. 

Da  er  nun  seine  Strasse  ging, 
Dacht  er:   ilch  machte  mich  zu  gering, 
Will  mich  aber  nicht  weiter  schmiegen; 
Denn  wer  sich    grün  macht,    den  fressen  die 

Ziegen. « 
So  ging  er  gleich  frisch  querfeldein, 
Und  zwar  nicht  über  Stock  und  Stein, 
Sondern  über  Aecker  und  gute  Wiesen, 
Zertrat  das  alles  mit  latschen  Füssen. 

Ein  Besitzer  begegnet  ihm  so 
Und  fragt  ihn  nicht  weiter  wie  noch  wo, 
Sondern  schlägt  ihn  tüchtig   hinter  die  Ohren. 

»Bin  ich  doch  gleich  wie  neu  geboren!« 
Ruft  unser  Wandrer  hoch  entzückt. 
»Wer  bist  du.  Mann,  der  mich  beglückt? 
Möchte  mich  Gott  doch  immer  segnen, 
Dass  mir  so  fröhliche  Gesellen  begegnen  I« 


376 


Weimar  —  Januar  1808, 


Wirkung  in  die  Ferne. 

IJie  Königin  steht  im  hohen  Saal, 

Da  brennen  der  Kerzen  so  viele, 

Sie  spricht  zum  Pagen:   »Du  läufst  einmal 

Und  holst  mir  den  Beutel  zum  Spiele. 

Er  liegt  zur  Hand 

Auf  meines  Tisches  Rand.« 

Der  Knabe,  der  eilt  so  behende, 

War  bald  an  Schlosses  Ende. 

Und  neben  der  Königin  schlürft  zur  Stund 
Sorbett  die  schönste  der  Frauen. 
Da  brach  ihr  die  Tasse  so  hart  an  dem  Mund, 
Es  war  ein  Gräuel  zu  schauen. 
Verlegenheit !     Scham ! 
Ums  Prachtkleid  ists  gethani 
Sie  eilt  und  fliegt  so  behende 
Entgegen  des  Schlosses  Ende. 

Der  Knabe  zurück  zu  laufen  kam 
Entgegen  der  Schönen  in  Schmerzen  — 
Es  wusst  es  niemand,  doch  beide  zusamm, 
Sie  hegten  einander  im  Herzen. 
Und,  o  des  Glücks, 
Des  günstigen  Geschicks  1 
Sie  warfen  mit  Brust  sich  zu  Brüsten 
Und  herzten  und  küssten  nach  Lüsten. 


377 


Wewiar  —  Januar  iSo8. 


Doch  endlich  beide  sich  reissen  los, 
Sie  eilt  in  ihre  Gemächer, 
Der  Page  drängt  sich  zur  Königin  gross 
Durch  alle  die  Degen  und  Fächer. 
Die  Fürstin  entdeckt 
Das  Westchen  befleckt: 
Für  sie  war  nichts  unerreichbar, 
Der  Königin  von  Saba  vergleichbar. 

Und  sie  die  Hofmeisterin  rufen  lässt: 
»Wir  kamen  doch  neulich  zu  Streite, 
Und  Ihr  behauptetet  steif  und  fest, 
Nicht  reiche  der  Geist  in  die  Weite. 
Die  Gegenwart  nur, 
Die  lasse  wohl  Spur  — 
Doch  niemand  wirk  in  die  Ferne, 
Sogar  nicht  die  himmlischen  Sterne. 

»Nun  seht!     So  eben  ward  mir  zur  Seit 
Der  geistige  Süsstrank  verschüttet. 
Und  gleich  darauf  hat  er  dort  hinten  so  weit 
Dem  Knaben  die  Weste  zerrüttet.  — 
Besorg  dir  sie  neu ! 
Und  weil  ich  mich  freu, 
Dass  sie  mir  zum  Beweise  gegolten, 
Ich  zahl  sie!     Sonst  wirst  du  gescholten.« 


37S 


Weimar  —  März  i8io. 


Ergo  bibamus! 

Hier  sind  wir  versammelt  zu  löblichem  Thun, 

Drum  Brüderchen:  Ergo  bibamus! 
Die  Gläser,  sie  klingen,  Gespräche,  sie  ruhn, 

Beherziget  Ergo  bibamus. 
Das  heisst  noch  ein  altes,  ein  tüchtiges  Wort  1 
Es  passet  zum  ersten  und  passet  so  fort, 
Und  schallet  ein  Echo  vom  festlichen  Ort, 
Ein  herrliches  Ergo  bibamus. 

Ich  hatte  mein  freundliches  Liebchen  gesehn. 
Da  dacht  ich  mir:  Ergo  bibamus! 
Und  nahte  mich  freundlich,  da  Hess  sie  mich 

stehn  — 
Ich  half  mir  und  dachte:  Bibamus. 
Und  wenn  sie  versöhnet  euch  herzet  und  küsst. 
Und  wenn    ihr  das  Herzen   und  Küssen  ver- 

misst. 
So    bleibet   nur,    bis   ihr   was  Besseres    wisst« 
Beim  tröstlichen  Ergo  bibamus. 


379 


Mich  ruft  mein  Geschick  von  den  Freunden 
hinweg, 
Ihr  Redlichen  1     Ergo  bibamus. 
Ich  scheide  von  hinnen  mit  leichtem  Gepäck, 

Drum  doppeltes  Ei^o  bibamus. 
Und  was  auch  der  Filz  von  dem  Leibe  sich 

schmorgt, 
So  bleibt  für  den  Heitern  doch  immer  gesorgt. 
Weil  immer  dem  Frohen  der  Fröhliche  borgt. 
Drum,  Brüderchen  I     Ergo  bibamus. 

Was  sollen  wir  sagen  zum  heutigen  Tag! 
Ich  dächte  nur:  Ergo  bibamus. 
Er  ist  nun  einmal  von  besonderem  Schlag, 

Drum  immer  aufs  neue :  Bibamus. 
Er  führet  die  Freude  durchs  offene  Thor, 
Es  glänzen  die  Wolken,  es  theilt  sich  der  Flor, 
Da  scheint   uns   ein  Bildchen,   ein  götüiches. 

Wir  klingen  und  singen:  Bibamus. 


Weimar  —  Afai  i8lo. 


Mailied. 

iSwischen  Weizen  und  Korn, 
Zwischen  Hecken  und  Dom, 
Zwischen  Bäumen  und  Gras, 
Wo  gehts  Liebchen? 
Sag  mir  das! 

Fand  mein  Holdchen 
Nicht  daheim, 
Muss  das  Goldchen 
Draussen  sein. 
Grünt  und  blühet 
Schön  der  Mai, 
Liebchen  ziehet 
Froh  und  frei. 

An  dem  Felsen  beim  Fluss, 
Wo  sie  reichte  den  Kuss, 
Jenen  ersten  im  Gras, 
Seh  ich  etwas  1 
Ist  sie  das? 


381 


Karlsbad  1810. 


Das  Tagebuch. 

Sat^  aliam  Untü;   i§d  jam  gmtm  gatutia  aäirem, 
AdmoHuit  äomintu  desermtque  Vtmu, 

TibuU  r,  5.  r.  39.  40. 

W  ir  hörens  oft  und  glaubens  wohl  am  Ende : 
Das  Menschenherz  sei  ewig  unergründlich, 
Und  wie  man  auch  sich  hin  und  wieder  wende. 
So  sei  der  Christe  wie  der  Heide  sündlich. 
Das  Beste  bleibt,  wir  geben  uns  die  Hände 
Und  nehmens  mit  der  Lehre  nicht  empfindlich, 
Denn  zeigt   sich  auch   ein  Dämon,    uns   ver- 
suchend, 
So  waltet  Was  —  gerettet  ist  die  Tugend. 

Von  meiner  Trauten  lange  Zeit  entfernet, 
Wies  öfter  geht,  nach  irdischem  Gewinne, 
Und  was  ich  auch  gewonnen  und  gelemet, 
So  hat  ich  doch  nur  immer  sie  im  Sinne. 
Und    wie   zur   Nacht   der   Himmel    erst   sich 

stemet, 
Erinnrung  uns  umleuchtet  femer. Minne: 
So  ward  im  Federzug  des  Tags  Ereigniss 
Mit  süssen  Worten  ihr  ein  freundlich  Gleichniss. 


382 


Das  Tagebuch.  —  Karlsbad  i8io. 


Ich  eilte  nun  zurück.     Zerbrochen,  sollte 
Mein  Wagen  mich  noch  eine  Nacht  verspäten. 
Schon  dacht  ich  mich,  wie  ich  zu  Hause  rollte, 
Allein  da  ward  Geduld  und  Werk  vonnöthen. 
Und  wie  ich  auch  mit  Schmied  und  Wagner 

tollte, 
Sie  hämmerten,    verschmähten  viel   zu  reden. 
Ein  jedes  Handwerk  hat  nun  seine  Schnurren. 
Was  blieb  mir  nun?    Zu  weilen  und  zu  murren. 

Da  stand  ich  nun.    Der  Stern  des  nächsten 

Schildes 

Berief  mich  hin,  die  Wohnung  schien  er- 
träglich. 

Ein  Mädchen   kam,    des   seltensten  Gebildes, 

Das  Licht   erleuchtend.   —    Mir   ward   gleich 

behaglich. 

Hausflur  und  Treppe  sah  ich  als  ein  Mildes, 

Die  Zimmerchen  erfreuten  mich  unsäglich. 

Den     sündigen    Menschen,     der     im    Freien 

schwebet  — 

Die  Schönheit  spinnt,  sie  ists,  die  ihn  um- 
webet. 

Nun  setzt  ich  mich   zu  meiner  Tasch  und 

Briefen 
Und  meines  Tagebuchs  Genauigkeiten, 
Um  so  wie  sonst,  wenn  alle  Menschen  schliefen. 
Mir  und  der  Trauten  Freude  zu  bereiten. 


383 


Das   Tagebuch.  —  Karlsbad  1810. 


f 


Doch  weiss  ich  nicht,   die  Tintenworte  liefen 
Nicht  so  wie  sonst  in  alle  Kleinigkeiten: 
Das  Mädchen  kam,  des  Abendessens  Bürde 
Vertheilte  sie  gewandt  mit  Gruss  und  Würde. 

Sie  geht  und  kommt.  Ich  spreche,  sie  erwidert. 
Mit  jedem  Wort  erscheint  sie  mir  geschmückter. 
Und  wie  sie  leicht   mir   nun    das  Huhn    zer> 

gliedert, 
Bewegend    Hand    und    Arm,    geschickt,     ge- 
schickter — 
Was  auch  das  tolle  Zeug  in  uns  befiedert  — 
Genug,  ich  bin  verwormer,  bin  verrückter, 
Den  Stuhl  umwerfend  spring  ich  auf  und  fasse 
Das  schöne  Kind,  sie  lispelt:  »Lasse,  lasse! 

Die    Muhme    drunten    lauscht,     ein    alter 

Drache, 
Sie  zählt  geschäftig  des  Geschäfts  Minute, 
Sie  denkt  sich  unten,  was  ich  oben  mache. 
Bei  jedem  Zögern  schwenkt  sie  frisch  die  Ruthe. 
Doch  schliesse  deine  Thüre  nicht  und  wache. 
So  kommt  die  Mittemacht  uns  wohl  zu  gute.« 
Rasch  meinem  Arm  entwindet  sie  die  Glieder 
Und  eilet  fort  und  kommt  nur  dienend  wieder. 

Doch  blickend  auch!     So  dass   aus  jedem 

Blicke 
Sich  himmlisches  Versprechen  mir  entfaltet. 


384 


Das  Tageblick.  —  Karlsbad  1810. 


Den  stiDen  Seufzer  drängt  sie  nicht  zurücke, 
Der  ihren  Busen  herrlicher  gestaltet. 
Ich  sehe,  dass  am  Ohr,  um  Hals  und  Gnicke 
Der  flüchtigen  Röthe  Liebesblüthe  waltet, 
Und  da  sie  Nichts  zu  leisten  weiter  findet, 
Geht    sie    und    zögert,    sieht    sich    um,    ver- 
schwindet. 

Der  Mittemacht  gehören  Haus  und  Strassen, 
Mir  ist  ein  weites  Lager  aufgebreitet. 
Wovon  den  kleinsten  Teil  mir  anzumassen 
Die  Liebe  räth,  die  alles  wohl  bereitet. 
Ich  zaudre  noch,  die  Kerzen  auszublasen, 
Nun  hör  ich  sie,  wie  leise  sie  auch   gleitet. 
Mit     gierigem    Blick     die    Hochgestalt    um- 

schweif  ich, 
Sie  senkt  sich  her,  die  Wohlgestalt  ergreif  ich. 

Sie  macht   sich    los:    »Vergönne,    dass  ich 

rede. 

Damit  ich  dir  nicht  völlig  fremd  gehöre. 

Der  Schein  ist  wider  mich.    Sonst  war  ich  blöde, 

Stets  gegen  Männer  setzt  ich  mich  zur  Wehre. 

Mich  nennt  die  Stadt,  mich  nennt  die  Ge- 
gend spröde  — 

Nun  aber  weiss  ich,  wie  das  Herz  sich  kehre. 

Du    bist   mein  Sieger,  lass    dichs    nicht   ver- 

driessen. 

Ich  sah,  ich  liebte,  schwur  dich  zu  geniessen. 


Hartleben,  Goethe-Brevier. 

385  25 


Das   Tagebuch.  —  Karlsbad  i8lo. 


Du  hast  mich  rein,   und   wenn  ichs  besser 

wüsste, 
So  gab  ichs  dir,  ich  thue  was  ich  sage.« 
So  schliesst  sie  mich  an  ihre  süssen  Brüste, 
Als  ob  ihr  nur  an  meiner  Brust  behage. 
Und  wie  ich  Mund  und  Aug  und  Stirne  küsste, 
So  war  ich  doch  in  wunderbarer  Lage: 
Denn  der  so  hitzig  sonst  den  Meister  spielet, 
Weicht  schülerhaft  zurück  und  abgekühlet. 

Ihr   scheint   ein  süsses  Wort,    ein  Kuss    zu 

g'nügen, 
Als  war  es  alles,  was  ihr  Herz  begehrte. 
Wie  keusch  sie  mir,  mit  liebevollem  Fügen. 
Des  süssen  Körpers  Fülleform  gewährte  I 
Entzückt  und  froh  in  allen  ihren  Zügen 
Und  ruhig  dann,  als  wenn  sie  nichts  entbehrte. 
So  ruht  ich  auch,  gefällig  sie  beschauend. 
Noch  auf  den  Meister  hoffend  und  vertrauend. 

Doch    als    ich    länger    mein  Geschick    be- 
dachte, 
Von   tausend  Flüchen  mir    die  Seele   kochte, 
Mich    selbst    verwünschend,     grinsend    mich 

belachte, 
Nichts    besser  ward,    wie    ich    auch    zaudern 

mochte  — 
Da  lag  sie  schlafend,  schöner  als  sie  wachte, 
Die  Lichter  dämmerten  mit  langem  Dochte. 


3S6 


Das   Tagebuch.  —  Karlsbad  /8/0. 


Der  Tagesarbeit  jugendlicher  Mühe 

Gesellt  sich  gern  der  Schaf  und  nie  zu  frühe. 

So  lag    sie  himmlisch    an  bequemer  Stelle, 
Als  wenn  das  Lager  ihr  allein  gehörte, 
Und  an   die  Wand  gedrückt,    gequetscht   zur 

Hölle, 
Ohnmächtig  Jener,  dem  sie  Nichts  verwehrte. 
Vom  Schlangenbisse  fallt,  zunächst  der  Quelle, 
Ein  Wandrer  so,  den  schon  der  Durst  ver- 
zehrte. 
Sie  athmet  lieblich  holdem  Traum  entgegen, 
Er  hält  den  Athem,  sie  nicht  aufzuregen. 

Gefasst   bei    dem,    was  ihm   noch    nie   be- 
gegnet. 
Spricht   er   zu  sich:    »So  musst   du  doch  er- 
fahren, 
Warum  der  Bräutigam  sich  kreuzt  und  segnet, 
Vor  Nestelknüpfen  scheu  sich  zu  bewahren. 
Weit  lieber  da,  wos  Hellebarden  regnet. 
Als  hier  im  Schimpf!    So  war  es  nicht  vor 

Jahren, 
Als  deine  Herrin  dir  zum  ersten  Male 
Vors  Auge  trat  im  prachterhellten  Saale. 

Da    quoll    dein    Herz,    da    schwollen    deine 

Sinnen, 
So  dass  der  ganze  Mensch  entzückt  sich  regte ! 

387  75* 


Das    Tagebuch.  —   Karhhad  1810. 


Zum  raschen  Tanze  trugst  du  sie  von  hinnen, 
Die  kaum  der  Arm  und  schon  der  Busen  hegte, 
Als  wolltest  du  dir  selbst  sie  abgewinnen  I 
Vervielfacht  war,  was  sich  für  sie  bewegte: 
Verstand  und  Witz  und  alle  Lebensgeister  — 
Und  rascher  als  die  andern  jener  Meister! 

So  immerfort  wuchs  Neigung  und  Begierde, 
Brautleute  wurden  wir  im  frühen  Jahre, 
Sie    selbst    des    Maien    schönste    Blum    und 

Zierde. 
Wie    wuchs    die    Kraft    zur    Lust    im  jungen 

Paare  1 
Und  als  ich  endlich  sie  zur  Kirche  führte, 
Gesteh  ichs  nur,  vor  Priester  und  Altare, 
Vor  deinem  Jammerbild  sogar,  o  Christe, 
Verzeih  mirs  Gott,  es  regte  sich  der  Iste! 

Und  ihr,  der  Brautnacht  reiche  Bettgehänge, 
Ihr  Pfühle,  die  ihr  euch  so  breit  erstrecktet, 
Ihr  Teppiche,  die  Lieb  und  Lustgedränge 
Mit  euren  seidnen  Fittigen  bedecktet  1 
Ihr  Käfigvögel,  die  durch  Zwitschersänge 
Zu  neuer  Lust  und  nie  zu  früh  erwecktet! 
Ihr  kanntet  uns,  von  eurem  Schutz  umfriedet, 
Theilnehmend  sie  —  mich  immer  unermüdet! 

Und  wie  wir  oft  sodann  im  Raub  genossen 
Nach  Buhlenart   des  Ehstands  heiige  Rechte, 


388 


Das   Tagebuch.  —  Karhbad  1810. 


Von  reifer  Saat  umwogt,  vom  Rohr  umschlossen, 
An  manchem  Unort,  wo  ichs  mich  erfrechte, 
Wir  waren  augenblicklich,  unverdrossen 
Und  wiederholt  bedient  vom  braven  Knechte! 
Verfluchter  Knecht,  wie  unerwecklich  liegst  du! 
Und  deinen  Herrn  ums  schönste  Glück  be- 
trügst du!«  —  — 

Doch  Meister  Iste  hat  nun  seine  Grillen 
Und  lässt  sich  nicht  befehlen  noch  verachten. 
Auf  einmal  ist  er  da,  und  ganz  im  Stillen 
Erhebt  er  sich  zu  allen  seinen  Frachten! 
So  steht  es  nun  dem  Wandrer  ganz  zu  Willen, 
Nicht  lechzend  mehr  am  Quell  zu  übernachten. 
Er  neigt  sich  hin,  er  will  die  Schläferin  küssen. 
Allein  er  stockt  —  er  fühlt  sich  weggerissen. 

Wer  hat  zur  Kraft  ihn  wieder  aufgestählet, 
Als  jenes  Bild,  das  ihm  auf  ewig  theuer, 
Mit  dem  er  sich  in  Jugendlust  vermählet: 
Dort  leuchtet  her  ein  frisch  erquicklich  Feuer! 
Und  wie  er  erst  in  Ohnmacht  sich  gequälet. 
So  wird  nun  hier  dem  Starken  nicht  geheuer. 
Er  schaudert  weg,  vorsichtig,  leise,  leise 
Entzieht  er  sich  dem  holden  Zauberkreise. 

Sitzt,  schreibt:   »Ich  nahte  mich  der  heimi- 
schen Pforte, 
Entfernen    wollten  mich    die  letzten  Stunden, 


389 


Das  Tagebuch.  —  Karlsbad  1810. 


Da  hab  ich  nun  am  sonderbarsten  Orte 
Mein  treues  Herz  aufs  Neue  dir  verbunden. 
Zum  Schlüsse  findest  du  geheime  Worte: 
Die  Krankheit  erst  bewähret  den  Ge- 
sunden. 
Dies  Büchlein  soll   dir  manches  Gute  zeigen, 
Das  Beste  nur  muss  ich  zuletzt  verschweigen.« 

Da  kräht  der  Hahn.    Das  Mädchen  schnell 

entwindet 
Der  Decke  sich  und  wirft  sich  rasch  ins  Mieder. 
Und  da  sie  sich  so  seltsam  wiederfindet, 
So  stutzt  sie,    blickt   und   schlägt   die  Augen 

nieder  — 
Und  da  sie  ihm  zum  letzten  Mal  verschwindet. 
Im  Auge  bleiben  ihm  die  schönen  Glieder. 
Das  Posthorn  tönt,  er  wirft  sich  in  den  Wagen 
Und  lässt  getrost  sich  zu  der  Liebsten  tragen. 

Und  weil  zuletzt   bei  jeder  Dichtungsweise 
Moralien  uns  ernstlich  fördern  sollen, 
So  will  auch  ich  in  so  beliebtem  Gleise 
Euch  gern  bekennen,   was  die  Verse  wollen : 
Wir  stolpern  wohl  auf  unsrer  Lebensreise, 
Und  doch  vermögen  in  der  Welt,  der  tollen. 
Zwei  Hebel  viel  aufs  irdische  Getriebe  — : 
Sehr   viel  die  Pflicht,    unendlich  mehr  die 

Li  ebe! 


390 


i8io. 


VJedichte  sind  gemalte  Fensterscheiben  1 
Sieht  man  vom  Markt    in  die  Kirche  hinein, 
Da  ist  alles  dunkel  und  düster, 
Und  so  siehts  auch  der  Herr  Philister. 
Der  mag  denn  wohl  verdriesslich  sein 
Und  lebenslang  verdriesslich  bleiben. 

Kommt  aber  nur  einmal  herein! 
Begrüsst  die  heilige  Kapelle  1 
Da  ists  auf  einmal  farbig  helle, 
Geschieht  und  Zierrath  glänzt  in  Schnelle, 
Bedeutend  wirkt  ein  edler  Schein. 
Dies  wird  euch  Kindern  Gottes  taugen, 
Erbaut  euch  und  ergötzt  die  Augen! 


591 


Weimar^  1812, 


Gross  ist  die  Diana  der  Epheser. 

Apostelgeschichte  19,  28  und  34. 

L/u  Ephesus  ein  Goldschmied  sass 

In  seiner  Werkstatt,  pochte, 

So  gut  er  könnt,  ohn  Unterlass, 

So  zierlich  ers  vermochte. 

Als  Knab  und  Jüngling  kniet  er  schon 

Im  Tempel  vor  der  Göttin  Thron 

Und  hatte  den  Gürtel  unter  den  Brüsten, 

Worin  so  manche  Thiere  nisten, 

Zu  Hause  treulich  nachgefeilt. 

Wies  ihm  der  Vater  zugetheilt. 

Und  leitete  sein  kunstreich  Streben 

In  frommer  Wirkung  durch  das  Leben. 

Da  hört  er  denn  auf  einmal  laut 
Eines  Gassenvolkes  Windesbraut, 
Als  gäbs  einen  Gott  so  im  Gehirn, 
Da  hinter  des  Menschen  alberner  Stirn, 
Der  sei  viel  herrlicher  als  das  Wesen, 
An  dem  wir  die  Breite  der  Gotjtheit  lesen. 


392 


Gegen  den  überirdischen  Fritz  Jacohi. 

Der  alte  Künstler  horcht  nur  auf, 
Lässt  seinen  Knaben  auf  den  Markt  den  Lauf, 
Feilt  immer  fort  an  Hirschen  und  Thieren, 
Die  seiner  Gottheit  Kniee  zieren. 
Und  hofft,  es  könnte  das  Glück  ihm  walten, 
Ihr  Angesicht  würdig  zu  gestalten. 

Wills  aber  einer  anders  halten, 
So  mag  er  nach  Belieben  schalten ! 
Nur  soll  er  nicht  das  Handwerk  schänden ; 
Sonst  wird  er  schlecht  und  schmählich  enden. 


393 


l8l2. 


W  as  war  ein  Gott,  der  nur  von  aussen  stiesse. 
Im  Kreis  das  All  am  Finger  laufen  Hesse! 
Ihm  ziemts,  die  Welt  im  Innern  zu  bewegen, 
Natur  in  Sich,  Sich  in  Natur  zu  hegen, 
So  dass,   was  in  Ihm  lebt  und  webt  und  ist. 
Nie  seine  Kraft,  nie  Seinen  Geist  vermisst. 


994 


Weimar,  i6.  Dezember  1812, 


Gegenwart. 

Alles  kündet  dich  an! 
Erscheinet  die  herrliche  Sonne, 
Folgst  du,  so  hoff  ich  es,  bald. 

Trittst  du  im  Gatten  hervor. 
So  bist  du  die  Rose  der  Rosen, 
Lilie  der  Lilien  zugleich. 

« 

Wenn  du  im  Tanze  dich  regst, 
So  regen  sich  alle  Gestirne 
Mit  dir  und  um  dich  umher. 

Nacht,  und  so  war  es  denn  Nacht, 
Nun  überscheinst  du  des  Mondes 
Lieblichen,  ladenden  Glanz. 

Ladend  und  lieblich  bist  du. 
Und  Blumen,  Mond  und  Gestirne 
Huldigen,  Sonne,  nur  dir. 

Sonne,  so  sei  du  auch  mir 
Die  Schöpferin  herrlicher  Tage ! 
Leben  und  Ewigkeit  ists. 


395 


Christiane.     Zur  silbernen  Hochzeit.     i8tj. 


Gefunden. 

Ich  ging  im  Walde 
So  für  mich  hin, 
Und  nichts  zu  suchen, 
Das  war  mein  Sinn. 

Im  Schatten  sah  ich 
Ein  Blümchen  stehn, 
Wie  Sterne  leuchtend, 
Wie  Aeuglein  schön. 

Ich  wollt  es  brechen, 
Da  sagt  es  fein: 
»Soll  ich  zum  Welken 
Gebrochen  sein?c 

Ich  grubs  mit  allen 
Den  Würzlein  aus. 
Zum  Garten  trug  ichs 
Am  hübschen  Haus. 

Und  pflanzt  es  wieder 
Am  stillen  Ort  — 
Nun  zweigt  es  immer 
Und  blüht  so  fort. 


396 


Stammhuchvers  vom  28.  Dezember  1813. 


Eigenthum. 

ich  weisS;    dass  mir  nichts  angehört, 
Als  der  Gedanke,  der  ungestört 
Aus  meiner  Seele  will  fliessen, 
Und  jeder  günstige  Augenblick, 
Den  mich  ein  liebendes  Geschick 
Von  Grund  aus  lässt  geniessen. 


397 


West'Ostlüher  Drüattj  1814. 


Versunken. 

Voll  Locken  kraus  ein  Haupt  so  rund!  — 
Und  darf  ich  dann  in  solchen  reichen  Haaren 
Mit  vollen  Händen  hin  und  wieder  fahren. 
Da  fühl  ich  mich  vom  Herzensgrund  gesund, 
Und  küss  ich  Stime,  Bogen,  Auge,  Mund, 
Dann  bin  ich  frisch  und  immer  wieder  wund. 
Der  funfgezackte  Kamm,  wo  sollt  er  stocken  ? 
Er  kehrt  schon  wieder  zu  den  Locken. 
Das  Ohr  versagt  sich  nicht  dem  Spiel, 
Hier  ist  nicht  Fleisch,  hier  ist  nicht  Haut, 
So  zart  zum  Scherz,  so  liebeviel! 
Doch  wie  man  auf  dem  Köpfchen  kraut  — 
Man  wird  in  solchen  reichen  Haaren 
Für  ewig  auf  und  nieder  fahren. 
So  hast  du,  Hafis,  auch  gethan, 
Wir  fangen  es  von  vomen  an. 


396 


Berka  a.  d.  Ilftty  den  21.  Juni  1814, 


Erschaffen  und  Beleben. 

11  ans  Adam  war  ein  Erdenkloss, 
Den  Gott  zum  Menschen  machte, 
Doch  bracht  er  aus  der  Mutter  Schooss 
Noch  vieles  Ungeschlachte. 

Die  Elohim  zur  Nas  hinein 
Den  besten  Geist  ihm  bliesen. 
Nun  schien  er  schon  was  mehr  zu  seinl 
Denn  er  fing  an  zu  niesen. 

Doch  mit  Gebein  und  Glied  und  Kopf 
Blieb  er  ein  halber  Klumpen, 
Bis  endlich  Noah  für  den  Tropf 
Das  Wahre  fand,  den  Humpen. 

Der  Klumpe  fühlt  sogleich  den  Schwung, 
Sobald  er  sich  benetzet, 
So  wie  der  Teig  durch  Säuerung 
Sich  in  Bewegung  setzet. 

So,  Hafis,  mag  dein  holder  Sang, 
Dein  heiliges  Exempel 
Uns  führen  bei  der  Gläser  Klang 
Zu  unsres  Schöpfers  Tempel  1 


399 


Fulda^  den  26.  Juli  1814, 


Im  Gegenwärtigen  Vergangenes. 

Kos*  und  Lilie  morgenthaulich 
Blüht  im  Garten  meiner  Nähe, 
Hinten  an,  bebuscht  und  traulich, 
Steigt  der  Felsen  in  die  Höhe. 
Und  mit  hohem  Wald  umzogen 
Und  mit  Ritterschloss  gekrönet, 
Lenkt  sich  hin  des  Gipfels  Bogen, 
Bis  er  sich  dem  Thal  versöhnet. 

Und  da  duftets  wie  vor  Alters, 
Da  wir  noch  von  Liebe  litten 
Und  die  Saiten  meines  Psalters 
Mit  dem  Morgenstrahl  sich  stritten, 
Wo  das  Jagdlied  aus  den  Büschen 
Fülle  runden  Tons  enthauchte. 
Anzufeuern,  zu  erfrischen, 
Wies  der  Busen  wollt  und  brauchte. 

Nun  die  Wälder  ewig  sprossen, 
So  ermuthigt  euch  mit  diesen ! 
Was  ihr  sonst  für  euch  genossen, 
Lässt  in  Andern  sich  gemessen. 


400 


West-Östlicher  Divatt, 


Niemand  wird  uns  dann  beschreien, 
Dass  wirs  uns  alleine  gönnen  I 
Nun  in  allen  Lebensreihen 
Müsset  ihr  geniessen  können« 

Und  mit  diesem  Lied  und  Wendung 
Sind  wir  wieder  bei  Hausen  — 
Denn  es  ziemt,  des  Tags  Vollendung 
Mit  Geniessem  zu  geniessen. 


tiartteben,  Goethe-ßrevitfr.  ^. 

401  ib 


Auf  der  Reise ^  am  26.  Juli  1814, 


Derb  und  tüchtig, 

Uichten  ist  ein  Uebermuth, 
Niemand  schelte  mich! 
Habt  getrost  ein  warmes  Blut, 
Froh  und  frei  wie  ichl 

Sollte  jeder  Stunde  Pein 
Bitter  schmecken  mir, 
Würd  ich  auch  bescheiden  sein, 
Und  noch  mehr  als  Ihr. 

Denn  Bescheidenheit  ist  fein, 
Wenn  das  Mädchen  blüht: 
Sie  will  zart  geworben  sein, 
Die  den  Rohen  flieht. 

Auch  ist  gut  Bescheidenheit, 
Spricht  ein  weiser  Mann, 
Der  von  Zeit  und  Ewigkeit 
Mich  belehren  kann. 

Dichten  ist  ein  Uebermuth! 
Treib  es  gern  allein. 
Freund  und  Frauen,  frisch  von  Blut, 
Kommt  nur  auch  herein! 


402 


Wesi'östlicher  Divan. 


Mönchlein  ohne  Kapp  und  Kutt 
Schwatz  nicht  auf  mich  ein! 
Zwar  du  machest  mich  kaput, 
Nicht  bescheiden,  neinl 

Deiner  Phrasen  leeres  Was 
Treibet  mich  davon, 
Abgeschliffen  hab  ich  das 
An  den  Sohlen  schon. 

Wenn  des  Dichters  Mühle  geht. 
Halte  sie  nicht  eini 
Denn  wer  einmal  uns  versteht, 
Wird  uns  auch  verzeihn. 


403  26» 


Noch  auf  der  Reise^  am  2g.  Juli  1814  in  der  Nacht, 


All-Leben. 


btaub  ist  eins  der  Elemente, 
Das  du  gar  geschickt  bezwingest, 
Hafis,  wenn  zu  Liebchens  Ehren 
Du  ein  zierlich  Liedchen  singest. 

Denn  der  Staub  auf  ihrer  Schwelle 
Ist  dem  Teppich  vorzuziehen, 
Dessen  goldgewirkte  Blumen 
Mahmuds  Günstlinge  beknieen. 

Treibt  der  Wind  von  ihrer  Pforte 
Wolken  Staubs  behend  vorüber, 
Mehr  als  Moschus  sind  die  Düfte 
Und  als  Rosenöl  dir  lieber. 

Staub,  den  hab  ich  längst  entbehret 
In  dem  stets  umhüllten  Norden, 
Aber  in  dem  heissen  Süden 
Ist  er  mir  genugsam  worden. 


404 


West-Östlicher  Divan. 


Doch  schon  längst,  dass  liebe  Pforten 
Mir  auf  ihren  Angeln  schwiegen! 
Heile  mich,  Gewitterregen, 
Lass  mich,  dass  es  grunelt,  riechen  1 

Wenn  jetzt  alle  Donner  rollen. 
Und  der  ganze  Himmel  leuchtet. 
Wird  der  wilde  Staub  des  Windes 
Nach  dem  Boden  hingefeuchtet. 

Und  sogleich  entspringt  ein  Leben, 
Schwillt  ein  heilig,  heimlich  Wirken, 
Und  es  grunelt  und  es  grünet 
In  den  irdischen  Bezirken. 


405 


West-Östlicher  Divan.  —    Wiesbaden,  31.  Juli  1814. 


Selige  Sehnsucht 

Oagt  es  niemand,  nur  den  Weisen, 
Weil  die  Menge  gleich  verhöhnet  I 
Das  Lebendge  will  ich  preisen. 
Das  nach  Flammentod  sich  sehnet. 

In  der  Liebesnächte  Kühlung, 
Die  dich  zeugte,  wo  du  zeugtest, 
Ueberfällt  dich  fremde  Fühlung, 
Wenn  die  stille  Kerze  leuchtet. 

Nicht  mehr  bleibest  du  umfangen 
In  der  Finstemiss  Beschattung, 
Und  dich  reisset  neu  Verlangen 
Auf  zu  höherer  Begattung. 

Keine  Ferne  macht  dich  schwierig, 
Kommst  geflogen  und  gebannt, 
Und  zuletzt,  des  Lichts  begierig. 
Bist  du,  Schmetterling,  verbrannt. 

Und  so  lang  du  das  nicht  hast, 
Dieses:  Stirb  und  werde  1 
Bist  du  nur  ein  trüber  Gast 
Auf  der  dunklen  Erde. 


406 


An  demselben  Tage  in    Wiesbaden, 


Thut  ein  Schilf  sich  doch  hervor, 
Welten  zu  versüssen  1 
Möge  meinem  Schreibe-Rohr 
Liebliches  entfliessenl 


407 


In  dieser  Reihenfolge  gehören  i^ Anklaget.,  %Fetwait  und 

Anklage. 

Wisst  Ihr  denn,  auf  wen  die  Teufel  lauem 
In  der  Wüste  zwischen  Fels  und  Mauern? 
Und,  wie  sie  den  Augenblick  erpassen. 
Nach  der  Hölle  sie  entführend  fassen? 
Lügner  sind  es  und  der  Bösewicht. 

Der  Poete,  warum  scheut  er  nicht. 
Sich  mit  solchen  Leuten  einzulassen! 

Weiss  denn  der,  mit  wem  er  geht  und  wandelt. 
Er,  der  immer  nur  im  Wahnsinn  handelt? 
Grenzenlos,  von  eigensinngem  Lieben, 
Wird  er  in  die  Oede  fortgetrieben. 
Seiner  Klagen  Reim,  in  Sand  geschrieben. 
Sind  vom  Winde  gleich  verjagt: 
Er  versteht  nicht,  was  er  sagt, 
Was  er  sagt,  wird  er  nicht  halten. 

Doch  sein  Lied,  man  lässt  es  immer  walten  ? 
Da  es  doch  dem  Koran  widerspricht. 
Lehret  nun  Ihr,  des  Gesetzes  Kenner, 
Weisheit  —  fromme,  hochgelahrte  Männer, 
Treuer  Mosleminen  feste  Pflicht  I 

Hafis  insbesondere  schaffet  Aergernisse, 
Mirza  sprengt  den  Geist  ins  Ungewisse: 
Saget,  was  man  thun  und  lassen  müsse! 


408 


T^Der  Deutsche  dankt*,  wie  ein  Triptychon  zusammen. 


Fetwa. 

rlafis  Dichterzüge,  sie  bezeichnen 
Ausgemachte  Wahrheit  unauslöschlich, 
Aber  hie  und  da  auch  Kleinigkeiten 
Ausserhalb  der  Grenze  des  Gesetzes. 
Willst  du  sicher  gehn,  so  musst  du  wissen, 
Schlangengift  und  Theriak  zu  sondern  — 
Doch  der  reinen  Wollust  edler  Handlung 
Sich  mit  frohem  Muth  zu  überlassen 
Und  vor  solcher,  der  nur  ewge  Pein  folgt, 
Mit  besonnenem  Sinn  sich  zu  bewahren, 
Ist  gewiss  das  Beste,  um  nicht  zu  fehlen.  — 
Dieses  schrieb  der  arme  Ebusuud  Euch. 
Gott  verzeih  ihm  seine  Sünden  alle! 


409 


"i Anklage*.  iSlS^  die  beiden  andern  1814, 


Der  Deutsche  dankt. 

Heilger  Ebusuud,  hasts  getroffen  1 
Solche  Heiige  wünschet  sich  der  Dichter. 
Denn  gerade  jene  Kleinigkeiten 
Ausserhalb  der  Grenzen  des  Gesetzes 
Sind  das  Erbteil,  wo  er  übermüthig. 
Selbst  im  Kummer  lustig,  sich  beweget. 
Schlangengift  und  Theriak  muss 
Ihm  das  eine  wie  das  andre  scheinen. 
Töten  wird  nicht  jenes,  dies  nicht  heilen 
Denn  das  wahre  Leben  ist  des  Handelns 
Ewge  Unschuld,  die  sich  so  erweiset, 
Dass  sie  Niemand  schadet  als  sich  selber. 
Und  so  kann  der  alte  Dichter  hoffen, 
Dass  die  Huris  ihn  im  Paradiese 
Als  verklärten  Jüngling  wohl  empfangen.  • 
Heilger  Ebusuud,  hasts  getroffen! 


410 


West-Östlicher  Divan,  — Schenkenbuch. —  Oc  tober  1814. 


Schenke 

spricht : 

Uu  mit  deinen  braunen  Locken, 
Geh  mir  weg,  verschmitzte  Dirne! 
Schenk  ich  meinen  Herrn  zu  danke. 
Nun  so  küsst  er  mir  die  Stirne. 

Aber  du,  ich  wollte  wetten, 
Bist  mir  nicht  damit  zufrieden, 
Deine  Wangen,  deine  Brüste 
Werden  meinen  Freund  ermüden. 

Glaubst  du  wohl  mich  zu  betrügen, 
Dass  du  jetzt  verschämt  entweichest? 
Auf  der  Schwelle  will  ich  liegen 
Und  erwachen,  wenn  du  schleichest. 


411 


West-Östlicher  Divan.  —  Schenkenbuch.  —  Octoher  1814, 

Schenke: 

Welch  ein  Zustand  1     Herr,  so  späte 
Schleichst  du  heut  aus  deiner  Kammer: 
Perser  nennens  Bidamag  buden, 
Deutsche  sagen  Katzenjammer. 

Dichter: 
Lass  mich  jetzt,  geliebter  Knabe  1 
Mir  will  nicht  die  Welt  gefallen, 
Nicht  der  Schein,  der  Duft  der  Rose, 
Nicht  der  Sang  der  Nachtigallen. 

S  chenke: 
Eben  das  will  ich  behandeln. 
Und  ich  denk,  es  soll  mir  klecken: 
Hier!     Geniess  die  frischen  Mandeln, 
Und  der  Wein  wird  wieder  schmecken. 

Dann  will  ich  auf  der  Terrasse 
Dich  mit  frischen  Lüften  tränken  — 
Wie  ich  dich  ins  Auge  fasse, 
Giebst  du  einen  Kuss  dem  Schenken. 

Schau  I     Die  Welt  ist  keine  Höhle, 
Immer  reich  an  Brut  und  Nestern, 
Rosenduft  und  Rosenöle  I 
Bulbul  auch,  sie  singt  wie  gestern. 


412 


Schenkenhtich.  —  Octoher  1814. 


Schenke: 

JNennen  dich  den  grossen  Dichter, 
Wenn  dich  auf  dem  Markte  zeigest  — 
Gerne  hör  ich,  wenn  du  singest, 
Und  ich  horche,  wenn  du  schweigest. 

Und  ich  liebe  dich  noch  lieber, 
Wenn  du  küssest  zum  Erinnern  — 
Denn  die  Worte  gehn  vorüber, 
Und  der  Kuss,  der  bleibt  im  Innern. 

Reim  auf  Reim  will  was  bedeuten. 
Besser  ist  es,  viel  zu  denken.  — 
Singe  du  den  andern  Leuten 
Und  verstumme  mit  dem  Schenken. 


413 


West-öst Itcher  Divan,  —  ig.  November  1814, 


Wanderers  Gemütsruhe. 

Uebers  Niederträchtige 
Niemand  sich  beklage, 
Denn  es  ist  das  Mächtige, 
Was  man  dir  auch  sage. 

In  dem  Schlechten  waltet  es 
Sich  zu  Hochgewinne, 
Und  mit  Rechtem  schaltet  es 
Ganz  nach  seinem  Sinne. 

Wandrer!  —  Gegen  solche  Not 
Wolltest  du  dich  sträuben? 
Wirbelwind  und  trocknen  Kot, 
Lass  sie  drehn  und  stäuben. 


414 


Btich  der  Parabeln,  —  1814. 


Vom  Himmel  sank  in  wilder  Meere  Schauer 
Ein  Tropfe  bangend,  grässlich  schlug  die  Flut  1 
Doch  lohnte  Gott  bescheidnen  Glaubensmuth 
Und  gab  dem  Tropfen  Kraft  und  Dauer. 
Ihn  schloss  die  stille  Muschel  ein. 
Und  nun,  zu  ewgem  Ruhm  und  Lohne, 
Die  Perle  glänzt  an  unsers  Kaisers  Krone 
Mit  holdem  Blick  und  mildem  Schein. 


415 


Weimar^  den  24,  December  1814, 


Dreistigkeit. 

Worauf  kommt  es  überall  an? 
Dass  der  Mensch  gesunidetl 
Jeder  höret  gern  den  Schall  an, 
Der  zum  Ton  sich  rundet. 

Alles  weg,  was  deinen  Lauf  stört ! 
Nur  kein  düster  Streben  1 
Eh  er  singt  und  eh  er  aufhört, 
Muss  der  Dichter  leben. 

Und  so  mag  des  Lebens  Erzklang 
Durch  die  Seele  dröhnen  1 
Fühlt  der  Dichter  sich  das  Herz  bang, 
Wird  sich  selbst  versöhnen. 


M 


Einleitungsgedicht  des   West-östlichen  Divans. 


Hegire. 

JNord  und  West  und  Süd  zersplittern, 
Throne  bersten,  Reiche  zittern, 
Flüchte  Du,  im  reinen  Osten 
Patriaxchenluft  zu  kosten! 
Unter  Lieben,  Trinken,  Singen 
Soll  Dich  Chisers  Quell  verjüngen. 

Dort  ira  Reinen  und  im  Rechten 
Will  ich  menschlichen  Geschlechten 
In  des  Ursprungs  Tiefe  dringen. 
Wo  sie  noch  von  Gott  empfingen 
Hinimelslehr  in  Erdensprachen 
Und  sich  nicht  den  Kopf  zerbrachen. 

Wo  sie  Väter  hoch  verehrten, 
Jeden  fremden  Dienst  verwehrten  — 
Will  mich  freun  der  Jugendschranke: 
Glaube  weit,  eng  der  Gedanke, 
Wie  das  Wort  so  wichtig  dort  war. 
Weil  es  ein  gesprochen  Wort  war. 

Will  mich  unter  Hirten  mischen, 
An  Oasen  mich  erfrischen. 
Wenn  mit  Karawanen  wandle, 
Shawl,  Kaffee  und  Moschus  handle   — 

Hnrtleben,  Goclhc-Brevier, 

417  27 


^4'  Decemher  1814.  —  Hegire  ist  Hedschra. 

Jeden  Pfad  will  ich  betreten 
Von  der  Wüste  zu  den  Städten. 

Bösen  Felsweg  auf  und  nieder 
Trösten,  Hafis,  Deine  Lieder, 
Wenn  der  Führer  mit  Entzücken 
Von  des  Maulthiers  hohem  Rücken 
Singt,  die  Sterne  zu  erwecken 
Und  die  Räuber  zu  erschrecken. 

Will  in  Bädern  und  in  Schenken, 
Heilger  Ha6s,  Dein  gedenken. 
Wenn  den  Schleier  Liebchen  lüftet, 
Schüttelnd  Ambralocken  duftet, 
Ja,  des  Dichters  Liebeflüstem 
Mache  selbst  die  Huris  lüstern. 

Wolltet  Ihr  ihm  dies  beneiden 
Oder  etwa  gar  verleiden, 
Wisset  nur,  dass  Dichterworte 
Um  des  Paradieses  Pforte 
Immer  leise  klopfend  schweben, 
Sich  erbittend  ewges  Leben. 


418 


West-Östlicher  Divan.  —  1814. 


Freisinn. 

JLasst  mich  nur  auf  meinem  Sattel  gelten  1 
Bleibt  in  Euren  Hütten,  Euren  Zelten  I 
Und  ich  reite  froh  in  alle  Ferne, 
Ueber  meiner  Mütze  nur  die  Sterne. 


419  27« 


West-Östlicher  Divan.  —   Schenhenhtuh.   —  /^/j. 


Ja,  in  der  Schenke  hab  ich  auch  gesessen. 

Mir  ward  wie  andern  zugemessen, 

Sie  schwatzten,  schrieen,  handelten  von  heut. 

So  froh  und  traurig,  wies  der  Tag  gebeut. 

Ich  aber  sass,  im  Innersten  erfreut: 

An  meine  Liebste  dacht  ich.  —  Wie  sie  liebt  ? 

Das  weiss  ich  nicht !  Was  aber  mich  bedrängt : 

Ich  liebe  sie,  wie  es  ein  Busen  gibt, 

Der  treu  sich  einer  gab  und  knechtisch  hängt  1 

Wo  war  das  Pergament,  der  Griffel  wo. 

Die  alles  fassten  ?  —  Doch  so  wars  I  Ja,  so  I 


Sitz  ich  allein. 

Wo  kann  ich  besser  sein? 

Meinen  Wein 

Trink  ich  allein   — 

Niemand  setzt  mir  Schranken, 

Ich  hab  so  meine  eignen  Gedanken. 


420 


Schenkenbuch.  —  181$. 


1  runken  müssen  wir  alle  sein ! 
Jugend  ist  Trunkenheit  ohne  Wein! 
Trinkt  sich  das  Alter  wieder  zu  Jugend, 
So  ist  es  wundervolle  Tugend. 
Für  Sorgen  sorgt  das  liebe  Leben, 
Und  Sorgenbrecher ,  sind  die  Reben. 


421 


Buch  des   Unmutfis,  —    Weimar^  23.  Februar  181S. 


Der  Prophet 
spricht: 

Aergerts  Jemand,  dass  es  Gott  gefallen, 
Mahomet  zu  gönnen  Schutz  und  Glück, 
An  den  stärksten  Balken  seiner  Hallen, 
Da  befestige  er  den  derben  Strick, 
Knüpfe  sich  daran  1  Das  hält  und  trägt. 
Er  wird  fühlen,  dass  sein  Zorn  sich  legt. 


422 


West- östlicher  Divan.  —  Eisenach,  24.  Mai  181$' 


Es  ist  gut. 

rJei  Mondenschein  im  Paradeis 
Fand  Jehovah  im  Schlafe  tief 
Adam  versunken,  legte  leis 
Zur  Seit  ein  Evchen,  das  auch  entschlief. 
Da  lagen  nun  in  Erdeschranken 
Gottes  zwei  lieblichste  Gedanken.  — 
Gut !  1 1  rief  er  sich  zum  Meisterlohn. 
Er  ging  sogar  nicht  gern  davon. 

Kein  Wunder,  dass  es  uns  berückt, 
Wenn  Auge  frisch  in  Auge  blickt, 
Als  hätten  wirs  so  weit  gebracht. 
Bei  dem  zu  sein,  der  uns  gedacht. 
Und  ruft  er  uns,  wohlan  es  seil 
Nur  das  beding  ich,  alle  Zwei! 
Dich  halten  dieser  Arme  Schranken, 
Liebster  von  allen  Gottes-Gedanken  I 


423 


Blich  der  Liehe,  —    Von  demselben   Tage. 


Schlechter  Trost. 

Mitternachts  weint  und  schluchzt  ich, 

Weil  ich  Dein  entbehrte. 

Da  kamen  Nachtgespenster, 

Und  ich  schämte  mich. 

„Nachtgespenster*',  sagt  ich, 

„Schluchzend  und  weinend 

Findet  ihr  mich,  dem  Ihr  sonst 

Schlafendem  vorüberzogt. 

Grosse  Güter  vermiss  ich. 

Denkt  nicht  schlimmer  von  mir: 

Den  Ihr  sonst  weise  nanntet. 

Grosses  Uebel  betrifft  ihnl"  — 

Und  die  Nachtgespenster 

Mit  langen  Gesichtern 

Zogen  vorbei, 

Ob  ich  weise  oder  thörig. 

Völlig  unbekümmert. 


424 


Buch  der  Betrachtungen.  —  Somfncr  1815. 


Gehandelt  die  Frauen  mit  Nachsicht  I 

Aus  krummer  Rippe  ward  sie  erschaffen, 

Gott  konnte  sie  nicht  ganz  grade  machen. 

Willst  du  sie  biegen  —    sie  bricht. 

Lässt  du  sie  ruhig,  sie  wird  noch  krümmer. 

Du  guter  Adam,  was  ist  denn  schlimmer?  — 

Behandelt  die  Frauen  mit  Nachsicht: 

Es  ist  nicht  gut,  dass  euch  eine  Rippe  bricht. 


425 


Marianne  von   WilUmer.   —    WesUSstlicher  Divan. 


H  a  t  e  m : 

JNicht  Gelegenheit  macht  Diebe, 
Sie  ist  selbst  der  grösste  Dieb  — 
Denn  sie  stahl  den  Rest  der  Liebe, 
Die  mir  noch  im  Herzen  blieb. 

Dir  hat  sie  ihn  übergeben. 
Meines  Lebens  Vollgewinn, 
Dass  ich  nun,  verarmt,  mein  Leben 
Nur  von  dir  gewärtig  bin. 

Doch  ich  fühle  schon  Erbarmen 
Im  Karfunkel  deines  Blicks 
Und  erfreu  in  deinen  Armen 
Mich  erneuerten  Geschicks. 


u- 


426 


Frankfurt^  75.  und  16.  September  181$. 


Suleika: 

rlochbeglückt  in  deiner  Liebe, 
Scheit  ich  nicht  Gelegenheit, 
Ward  sie  auch  an  dir  zum  Diebe, 
Wie  mich  solch  ein  Raub  erfreut! 

Und  wozu  denn  auch  berauben? 
Gib  dich  mir  aus  freier  Wahl! 
Gar  zu  gerne  möcht  ich  glauben: 
Ja,  ich  bins,  die  dich  bestahl. 

Was  so  willig  du  gegeben. 
Bringt  dir  herrlichen  Gewinn  — 
Meine  Ruh,  mein  reiches  Leben 
Geb  ich  freudig,  nimm  es  hin! 

Scherze  nicht!  Nichts  von  Verarmen! 
'Macht  uns  nicht  die  Liebe  reich? 
Halt  ich  dich  in  meinen  Armen, 
Jedem  Glück  ist  meines  gleich. 

Von  Marianne  v.  Willemer. 


427 


West  östlicher  Drvan.    ~    Buch  Suleika, 


4 


Uie  schön  geschriebenen, 

Herrlich  umgüldeten, 

Belächeltest  du, 

Die  anmasslichen  Blätter  — 

Verziehst  mein  Prahlen 

Von  deiner  Lieb  und  meinem 

Durch  dich  glücklichen  Gelingen  — 

Verziehst  anmuthigera  Selbstlob? 

Selbstlob  1     Nur  dem  Neide  stinkts, 
Wohlgeruch  Freunden 
Und  eignem  SchmackI 

Freude  des  Daseins  ist  gross  — 
Grösser  die  Freud  am  Dasein, 
Wenn  du,  Suleika, 
Mich  überschwänglich  beglückst, 
Deine  Leidenschaft  mir  zuwirfst, 
Als  wärs  ein  Ball, 
Dass  ich  ihn  fange. 
Dir  zurückwerfe 
Mein  gewidmetes  Ich. 
Das  ist  ein  Augenblick! 
Und  dann  reisst  mich  von  dir 
Bald  der  Franke,  bald  der  Armenier. 


4Z8 


Heidelbergs  21    September  1815. 


Aber  Tage  währts, 
Jahre  dauerts,  dass  ich  neu  erschaffe 
Tausendfältig  deiner  Verschwendungen  Fülle, 
AuftrÖsle  die  bunte  Schnur  meines  Glücks, 
Geklöppelt  tausendfadig 
Von  dir,  o  Suleikal 

Hier  nun  dagegen 
Dichtrische  Perlen, 
Die  mir  deiner  Leidenschaft 
Gewaltge  Brandung 
Warf  an  des  Lebens 
Verödeten  Strand  aus. 
Mit  spitzen  Fingern 
Zierlich  gelesen, 
Durchreiht  mit  juwelenem 
Goldschmuck ! 
Nimm  sie  an  deinen  Hals, 
An  deinen  Busen, 
Die  Regentropfen  Allahs, 
Gereift  in  bescheidener  Muschel  1 


429 


Marianne  von  Willemer,  —  West-östlicher  Divan,  1815» 


An  vollen  Büschelzweigen, 
Geliebte,  sieh  nur  hini 
Lass  dir  die  Früchte  zeigen 
Umschalet  stachlig  grün. 

Sie  hängen  längst  geballet, 
Still,  unbekannt  mit  sich. 
Ein  Ast,  der  schaukelnd  wallet, 
Wiegt  sie  geduldiglich. 

Doch  immer  reift  von  innen 
Und  schwillt  der  braune  Kern: 
Er  möchte  Luft  gewinnen 
Und  sah  die  Sonne  gem. 

Die  Schale  platzt,  und  nieder 
Macht  er  sich  freudig  los  — 
So  fallen  meine  Lieder 
Gehäuft  in  deinen  Schoss. 


430 


Motto  zum  Buch  Suleika, 


Ich  gedachte  in  der  Nacht, 

Dass  ich  den  Mond  sähe  im  Schlaf 

Als  ich  aber  erwachte, 

Ging  unvermutet  die  Sonne  auf. 


431 


West-Östlicher  Divan.  —  Buch  Suleika. 


Wiederfinden. 

Ist  es  möglich !     Stern  der  Sterne, 
Drück  ich  wieder  dich  ans  Herz! 
Ach,  was  ist  die  Nacht  der  Ferne 
Für  ein  Abgrund,  für  ein  Schmerz  I 
Ja,  du  bist  es,  meiner  Freuden 
Süsser,  lieber  Widerpart! 
Eingedenk  vergangner  Leiden, 
Schaudr'  ich  vor  der  Gegenwart. 

Als  die  Welt  im  tiefsten  Grunde 
Lag  an  Gottes  ewger  Brust, 
Ordnet  er  die  erste  Stunde 
Mit  erhabner  Schöpfungslust. 
Und  er  sprach  das  Wort:  „Es  werde!" 
Da  erklang  ein  schmerzlich  Ach, 
Als  das  All  mit  Machtgeberde 
In  die  Wirklichkeiten  brach! 

Auf  that  sich  das  Licht,  sich  trennte 
Scheu  die  Finsterniss  von  ihm, 
Und  sogleich  die  Elemente 
Scheidend  ausein anderfliehn. 
Rasch  in  wilden,  wüsten  Träumen 
Jedes  nach  der  Weite  rang, 
Starr,  in  ungemessnen  Räumen, 
Ohne  Sehnsucht,  ohne  Klang. 


432 


Heidelhergy  24.  Septefnber  1815. 


Stumm  war  Alles,  still  und  öde, 
Einsam  Gott  zum  ersten  Mall  — 
Da  erschuf  er  Morgenröte, 
Die  erbarmte  sich  der  Qual  — 
Sie  entwickelte  dem  Trüben 
Ein  erklingend  Farbenspiel, 
Und  nun  konnte  wieder  lieben. 
Was  erst  auseinander  fiel. 

Und  mit  eiligem  Bestreben 
Sucht  sich,  was  sich  angehört, 
Und  zu  ungemessnem  Leben 
Ist  Gefühl  und  Blick  gekehrt. 
Seis  Ergreifen,  sei  es  Raffen, 
Wenn  es  nur  sich  fasst  und  hältl 
Allah  braucht  nicht  mehr  zu  schaffen, 
Wir  erschaffen  seine  Welt. 

So  mit  morgenroten  Flügeln 
Riss  es  mich  an  deinen  Mund, 
Und  die  Nacht  mit  tausend  Siegeln 
Kräftigt  sternenhell  den  Bund. 
Beide  sind  wir  auf  der  Erde 
Musterhaft  in  Freud  und  Qual, 
Und  ein  zweites  Wort:  ,,Es  werde  1" 
Trennt  uns  nicht  zum  zweiten  Mal. 


Hartleben,  Goethe-Brevier. 

433  28 


Weit-dstlicher  Divan.  —  iSiS- 


bch warzer  Schatten  ist  über  dem  Staub 

Der  Geliebten  Gefährte  — 

Ich  machte  mich  zum  Staube, 

Aber  der  Schatten  ging  über  mich  hin. 


g  434 

4- 


HeideWergy  26.  September  iSiS. 


Volk  und  Knecht  und  Ueberwinder, 
Sie  gestehn  zu  jeder  Zeit: 
Höchstes  Glück  der  Erdenkinder 
Sei  nur  die  Persönlichkeit. 

Jedes  Leben  sei  zu  führen, 
Wenn  man  sich  nicht  selbst  verraisst 
Alles  könne  man  verlieren, 
Wenn  man  bliebe,  was  man  ist. 


4dS  28« 


Marianm  von    Willemer.  —  26.  September  181S' 

Westwind. 

Rückkehr  von  Heidelberg. 

Ach,  um  deine  feuchten  Schwingen, 
West,  wie  sehr  ich  dich  beneide: 
Denn  du  kannst  ihm  Kunde  bringen, 
Was  ich  in  der  Trennung  leide! 

Die  Bewegung  deiner  Flügel 
Weckt  im  Busen  stilles  Sehnen! 
Blumen,  Augen,  Wald  und  Hügel 
Stehn  bei  deinem  Hauch  in  Thränen. 

Doch  dein  mildes,  sanftes  Wehen 
Kühlt  die  wunden  Augenlider  — 
Ach,  für  Leid  müsst  ich  vergehen, 
Hofft  ich  nicht  zu  sehn  ihn  wieder. 

Eile  denn  zu  meinem  Lieben, 
Spreche  sanft  zu  seinem  Herzen, 
Doch  vermeid,  ihn  zu  betrüben, 
Und  verbirg  ihm  meine  Schmerzen. 

Sag  ihm,  aber  sags  bescheiden: 
Seine  Liebe  sei  mein  Leben  — 
Freudiges  Gefühl  von  beiden 
Wird  mir  seine  Nähe  geben. 

Von  Marianne  v.  Willemer. 


M 


436 


West-Östlicher  Dtvan.  —  30,  September  1815. 

L/ocken,  haltet  mich  gefangen 
In  dem  Kreise  des  Gesichts! 
Euch  geliebten  braunen  Schlangen 
Zu  erwidern  hab  ich  nichts. 

Nur  dies  Herz,  es  ist  von  Dauer, 
Schwillt  in  jugendlichstem  Flor  — 
Unter  Schnee  und  Nebelschauer 
Rast  ein  Aetna  dir  hervor! 

Du  beschämst  wie  Morgenröte 
Jener  Gipfel  ernste  Wand. 
Und  noch  einmal  fühlet  Goethe 
Frühlingshauch  und  Sommerbrand! 

Schenke  her!    Noch  eine  Flasche! 
Diesen  Becher  bring  ich  ihr! 
Findet  sie  ein  Häufchen  Asche, 
Sagt  sie:  Der  verbrannte  mir. 

Suleika: 
Nimmer  will  ich  dich  verlieren! 
Liebe  gibt  der  Liebe  Kraft. 
Magst  du  meine  Jugend  zieren 
Mit  gewaltiger  Leidenschaft. 
Ach,  wie  schmeichelts  meinem  Triebe, 
Wenn  man  meinen  Dichter  preist. 
Denn  das  Leben  ist  die  Liebe, 
Und  des  Lebens  Leben  Geist. 

Von  Marianne  v.  Willemer. 


437 


Marianne  von  WilUmer,  —  West-östlicher  Divan^  1815. 


L/asst  mich  weinen!    Umschränkt  von  Nacht 
In  unendlicher  Wüste. 
Kamele  ruhn,  die  Treiber  desgleichen, 
Rechnend  still  wacht  der  Armenier. 
Ich  aber  neben  ihm  berechne  die  Meilen, 
Die  mich  von  Suleika  trennen,  wiederhole 
Die     wegverlängemden ,     ärgerlichen     Krüm- 
mungen. 

Lasst  mich  weinen!  Das  ist  keine  Schande. 
Weinende  Männer  sind  gut. 
Weinte  doch  Achill  um  seine  Briseis  I 
Xerxes  beweinte  das  unerschlagene  Heer, 
Ueber  den  selbstgemordeten  Liebling 
Alexander  weinte.  — 
Lasst   mich    weinen!     Thränen    beleben    den 

Staub. 
Schon  grunelts. 


438 


Weimar y  24.  Decemher  181  $- 


Lust  und  Qual. 

Knabe  sass  ich,  Fischerknabe, 
Auf  dem  schwarzen  Fels  \ta  Meer 
Und,  bereitend  falsche  Gabe, 
Sang  ich,  lauschend  rings  umher. 
Angel  schwebte  lockend  nieder. 
Gleich  ein  Fischlein  streift  und  schnappt  ■ 
Schadenfrohe  Schelmenlieder  — 
Und  das  Fischlein  war  ertappt. 

Ach,  am  Ufer,  durch  die  Fluren, 
Ins  Geklüfte  tief  zum  Hain 
Folgt  ich  einer  Sohle  Spuren, 
Und  die  Hirtin  war  allein. 
Blicke  sinken,  Worte  stocken  I  — 
Wie  ein  Taschenmesser  schnappt, 
Fasste  sie  mich  in  die  Locken, 
Und  das  Bübchen  war  ertappt. 

Weiss  doch  Gott,  mit  welchem  Hirten 
Sie  aufs  neue  sich  ergeht!  — 
Muss  ich  in  das  Meer  mich  gürten. 
Wie  es  sauset,  wie  es  weht! 
Wenn  mich  oft  im  Netze  jammert 
Das  Gewimmel  gross  und  klein. 
Immer  möcht  ich  noch  umklammert 
Noch  von  ihrw  Armen  ^ein! 


43^ 


»  Urworte.     Orphisch.t  —  i8iy. 


Dämon. 

Wie  an   dem  Tag,    der  dich   der  Welt  ver- 
liehen, 
Die  Sonne  stand  zum  Grusse  der  Planeten, 
Bist  alsobald  und  fort  und. fort  gediehen 
Nach  dem  Gesetz,  wonach  du  angetreten. 
So  musst    du  sein,    dir  kannst    du   nicht  ent- 
fliehen, 
So  sagten  schon  Sibyllen,  so  Propheten, 
Und  keine  Zeit  und  keine  Macht  zerstückelt 
Geprägte  Form,  die  lebend  sich  entwickelt. 


^ 


440 


Wetntar,  5.  März  i8iy. 


März. 

JtLs  ist  ein  Schnee  gefallen, 
Denn  es  ist  noch  nicht  Zeit, 
Dass  von  den  Blümlein  allen, 
Dass  von  den  Blümlein  allen, 
Wir  werden  hoch  erfreut. 

Der  Sonnenblick  betrüget 
Mit  mildem  falschem  Schein, 
Die  Schwalbe  selber  lüget, 
Die  Schwalbe  selber  lüget. 
Warum?     Sie  kommt  allein! 

Sollt  ich  mich  einzeln  freuen, 
Wenn  auch  der  Frühling  nah? 
Doch  kommen  wir  zu  zweien. 
Doch  kommen  wir  zu  zweien, 
Gleich  ist  der  Sommer  da. 


441 


Jena^  13.  Februar  1818. 


0 


Um  Mittemacht. 

Um  Mitternacht  ging  ich,  nicht  eben  gerne, 
Klein-kleiner  Knabe,  jenen  Kirchhof  hin 
Zu  Vaters  Haus,  des  Pfarrers.  Stern  am  Sterne, 
Sie  leuchteten  doch  alle  gar  zu  schön  — 
Um  Mittemacht. 

Wenn  ich  dann  ferner  in  des  Lebens  Weite 
Zur  Liebsten  musste,  —  musste,  weil  sie  zog, 
Gestirn  und  Nordschein  über  mir  im  Streite: 
Ich  gehend,  kommend,  Seligkeiten  sog  — 
Um  Mittemacht! 

Bis  dann  zuletzt    des  vollen  Mondes  Helle 
So  klar  und  deutlich  mir  ins  Finstre  drang, 
Auch  der  Gedanke  willig,  sinnig,  schnelle 
Sich     ums     Vergangne     wie     ums     Künftige 

schlang  — 
Um  Mittemacht. 


442 


Marianne  von   Willemer.  —  2/.  Juli  1818, 


Ja!     Die  Augen  warens!    Ja!    Der  Mund, 
Die  mir  blickten,  die  mich  küssten. 
Hüfte  schmal,  der  Leib  so  rund, 
Wie  zu  Paradieses  Lüsten! 
War  sie  da?     Wo  ist  sie  hin? 
Ja!     Sie  wars!     Sie  hats  gegeben. 
Hat  gegeben  sich  im  Fliehn  — 
Und  gefesselt  all  mein  Leben! 


443 


Buch  des  Paradieses. 


Buch  des  Paradieses. 
I. 

Einlass. 
Huri: 

lleute  steh  ich  meine  Wache 
Vor  des  Paradieses  Thor, 
Weiss  nicht  grade,  wie  ichs  mache, 
Kommst  mir  so  verdächtig  vor  I 

Ob  du  unsem  Mosleminen 
Auch  recht  eigentlich  verwandt? 
Ob  dein  Kämpfen,  dein  Verdienen 
Dich  ans  Paradies  gesandt? 

Zählst  du  dich  zu  jenen  Helden? 
Zeige  deine  Wunden  an, 
Die  mir  Rühmliches  vermelden, 
Und  ich  führe  dich  heran. 

Dichter: 
Nicht  so  vieles  Federlesen! 
Lass  mich  immer  nur  herein: 
Denn  ich  bin  ein  Mensch  gewesen 
Und  das  heisst  ein  Kämpfer  sein. 


44} 


n 


Wesi-östlicher  Divan.  —  Hof^  24.  April  1820. 

Schärfe  deine  kräftgen  Blicke! 
Hier  durchschaue  diese  Brust, 
Sieh  der  Lebenswunden  Tücke. 
Sieh  der  Liebeswunden  Lust! 

Und  doch  sang  ich  gläubiger  Weise : 
Dass  mir  die  Geliebte  treu, 
Dass  die  Welt,  wie  sie  auch  kreise. 
Liebevoll  und  dankbar  sei. 

Mit  den  Trefflichsten  zusammen 
Wirkt  ich,  bis  ich  mir  erlangt, 
Dass  mein  Natn  in  Liebesflammen 
Von  den  schönsten  Herzen  prangt. 

Nein!     Du  wählst  nicht  den  Geringern  1 
Gib  die  Hand,  dass  Tag  für  Tag 
Ich  an  deinen  zarten  Fingern 
Ewigkeiten  zählen  mag. 


445 


Buch  des  Paradieses. 


II. 

Anklang. 

Huri: 

Draussen  am  Orte, 
Wo  ich  dich  zuerst  sprach, 
Wacht  ich  oft  an  der  Pforte, 
Dem  Gebote  nach. 

Da  hört  ich  ein  wunderlich  Gesäusel, 
Ein  Ton-  und  Silbengekräusel, 
Das  wollte  herein  I 
Niemand  aber  Hess  sich  sehen, 
Da  verklang  es  klein  zu  klein  — 
Es  klang  aber  fast  wie  deine  Lieder, 
Das  erinnr'  ich  mich  wieder. 

Dichter: 

Ewig  Geliebte  1     Wie  zart 
Erinnerst  du  dich  deines  Trauten! 
Was  auch  in  irdischer  Luft  und  Art 
Für  Töne  lauten, 
Die  wollten  alle  herauf! 


446 


Auf  der  Karlshader  Reise^  Mai  1820. 

—  -    -  - 

Viele  verklingen  da  unten  zu  Häuf, 

Andere  mit  Geistes  Flug  und  Lauf, 

Wie  das  Flügelpferd  des  Propheten, 

Steigen  empor  und  flöten 

Draussen  an  dem  Thor. 

Kommt  deinen  Gespielen  so  etwas  vor, 

So  sollen  sies  freundlich  vermerken. 

Das  Echo  lieblich  verstärken, 

Dass  es  wieder  hinunter  halle. 

Und  sollen  Acht  haben, 

Dass,  in  jedem  Falle, 

Wenn  er  kommt,  seine  Gaben 

Jedem  zu  Gute  kommen  — 

Das  wird  beiden  Welten  frommen. 

Sie  mögens  ihm  freundlich  lohnen, 
Auf  liebliche  Weise  fügsam, 
Sie  lassen  ihn  mit  sich  wohnen: 
Alle  Guten  sind  genügsam. 

Du  aber  bist  mir  beschieden, 
Dich  lass  ich  nicht  aus  dem  ewigen  Frieden. 
Auf  die  Wache  sollst  du  nicht  ziehn, 
Schick  eine  ledige  Schwester  dahin! 


447 


Buch  des  Paradieses. 


III. 

Suleika. 

Dichter: 

Ueine  Liebe,  dein  Kuss  mich  entzückt  I 

Geheimnisse  mag  ich  nicht  erfragen, 

Doch  sag  mir,  ob  du  an  irdischen  Tagen 

Jemals  theilgenommen  ? 

Mir  ist  es  oft  so  vorgekommen, 

Ich  wollt  es  beschwören,  ich  wollt  es  beweisen ; 

Du  hast  einmal  Suleika  geheissen. 

Huri: 

Wir  sind  aus  den  Elementen  geschaffen, 
Aus  Wasser,  Feuer,  Erd  und  Luft, 
Unmittelbar,  und  irdischer  Duft 
Ist  unserm  Wesen  ganz  zuwider. 
Wir  steigen  nie  zu  euch  hernieder, 
Doch  wenn  ihr  kommt,  bei  uns  zu  ruhn, 
Da  haben  wir  genug  zu  thun. 

Denn,  siehst  du,  wie  die  Gläubigen  kamen, 
Von  dem  Propheten  so  wohl  empfohlen. 


448 


Karlsbad,  lo.  Mai  1820. 


Besitz  vom  Paradiese  nahmen, 

Da  waren  wir,  wie  er  befohlen, 

So  liebenswürdig,  so  charmant, 

Wie  uns  die  Engel  selbst  nicht  gekannt. 

Allein  der  erste,  zweite,  dritte, 
Die  hatten  vorher  eine  Favorite. 
Gegen  uns  warens  garstige  Dinger, 
Sie  aber  hielten  uns  doch  geringer. 
Wir  waren  reizend,  geistig,  munter  — 
Die  Moslems  wollten  wieder  hinunter. 

Nun  war  uns  himmlisch  Hochgebomen 
Ein  solch  Betragen  ganz  zuwider, 
Wir  aufgewiegelten  Verschwomen 
Besannen  uns  schon  hin  und  wieder. 
Als  der  Prophet  durch  alle  Himmel  fuhr, 
Da  passten  wir  auf  seine  Spur: 
Rückkehrend  hatt  er  sichs  nicht  versehn, 
Das  Flügelpferd,  es  musste  stehn. 

Da  hatten  wir  ihn  in  der  Mittel   — 
Freundlich  ernst,  nach  Prophetensitte, 
Wurden  wir  kürzlich  von  ihm  beschieden. 
Wir  aber  waren  sehr  unzufrieden. 
Denn  seine  Zwecke  zu  erreichen. 
Sollten  wir  eben  alles  lenken: 
So  wie  ihr  dächtet,  sollten  wir  denken  — 
Wir  sollten  euren  Liebchen  gleichen! 


Hartleben,  Goethe- Brevier. 

449  29 


tVest-dstticher  Divan. 


Unsere  Eigenliebe  ging  verloren! 
Die  Mädchen  krauten  hinter  den  Ohren. 
Doch,  dachten  wir,  im  ewigen  Leben 
Muss  man  sich  eben  in  alles  ergeben. 

Nun  sieht  ein  jeder,  was  er  sah, 
Und  ihm  geschieht,  was  ihm  geschah: 
Wir  sind  die  Blonden,  wir  sind  die  Braunen, 
Wir  haben  Grillen,  wir  haben  Launen, 
Ja,  wohl  auch  manchmal  eine  Flause  — 
Ein  jeder  denkt,  er  sei  zu  Hause. 
Und  wir  darüber  sind  frisch  und  froh, 
Dass  sie  meinen,  es  wäre  so. 

Du  aber  bist  von  freiem  Humor, 
Ich  komme  dir  paradiesisch  vor. 
Du  gibst  dem  Blick,  dem  Kuss  die  Ehre, 
Und  wenn  ich  auch  nicht  Suleika  wäre. 
Doch  da  sie  gar  so  lieblich  war. 
So  glich  sie  mir  wohl  auf  ein  Haar. 

Dichter: 

Da  blendest  mich  mit  Himmelsklarheit, 
Es  sei  nun  Täuschung  oder  Wahrheit. 
Genug,  ich  bewundere  dich  vor  allen. 
Um  ihre  Pflicht  nicht  zu  versäumen. 
Um  einem  Deutschen  zu  gefallen. 
Spricht  eine  Huri  in  Knittelreimen. 


450 


Buch  des  Paradieses, 


Huri: 

Ja,  reim  auch  du  nur  unverdrossen, 
Wie  es  dir  aus  der  Seele  steigt! 
Wir  paradiesische  Genossen 
Sind  Wort  und  Thaten  reinen  Sinns  geneigt. 
Die    Thiere,    weisst    du,    sind    nicht    ausge- 
schlossen, 
Die  sich  gehorsam,  die  sich  treu  erzeigt! 
Ein  derbes  Wort  kann  Huri  nicht  verdriessen, 
Wir  fühlen,  was  vom  Herzen  spricht, 
Und  was  aus  frischer  Quelle  bricht. 
Das  darf  im  Paradiese  fliessen. 


451  29» 


Karlsbad^  Mai  1820. 


IV. 
Ausklang. 

Huri: 

Wieder  einen  Finger  schlägst  du  mir  ein! 
Weisst  du  denn,  wie  viel  Aeonen 
Wir  vertraut  schon  zusammen  wohnen? 

Dichter: 

Nein !  —    Wills    auch    nicht    wissen  1     Nein  I 

Mannichfaltiger  frischer  Genuss, 

Ewig  bräutlich  keuscher  Kussl  — 

Wenn  jeder  Augenblick  mich  durchschauert, 

Was  soll  ich  fragen,  wie  lang  es  gedauert  I 

Huri: 
Abwesend  bist  denn  doch  auch  einmal, 
Ich  merke  es  wohl,  ohne  Mass  und  Zahl. 
Hast  in  dem  Weltall  nicht  verzagt. 
An  Gottes  Tiefen  dich  gewagt. 
Nun  sei  der  Liebsten  auch  gewärtig! 
Hast  du  nicht  schon  das  Liedchen  fertig? 
Wie  klang  es  draussen  an  dem  Thor? 
Wie  klingts?  —  Ich  will  nicht  stärker  in  dich 

dringen, 
Sing  mir  die  Lieder  an  Suleika  vor. 
Denn  weiter  wirst  dus  doch  im  Paradies  nicht 

bringen. 


452 


Wefmary  December  1822. 


Paria. 

Des  Paria  Gebet. 

(jrosser  Brama,  Herr  der  Mächte, 
Alles  ist  von  deinem  Samen, 
Und  so  bist  du  der  Gerechte! 
Hast  du  denn  allein  die  Bramen, 
Nur  die  Rajas  und  die  Reichen, 
Hast  du  sie  allein  geschaffen? 
Oder  bist  auch  dus,  der  Affen 
Werden  Hess  und  unsers  Gleichen? 

Edel  sind  wir  nicht  zu  nennen: 
Denn  das  Schlechte,  das  gehört  uns, 
Und  was  Andre  tödtlich  kennen, 
Das  alleine,  das  vermehrt  uns. 
Mag  dies  für  die  Menschen  gelten. 
Mögen  sie  uns  doch  verachten  — 
Aber  du,  du  sollst  uns  achten, 
Denn  du  könntest  alle  schelten. 

Also,  Herr,  nach  diesem  Flehen, 
Segne  mich  zu  deinem  Kinde  — 
Oder  Eines  lass  entstehen. 
Das  auch  mich  mit  dir  verbinde! 
Denn  du  hast  den  Bajaderen 
Eine  Göttin  selbst  erhoben  — 
Auch  wir  Andern,  dich  zu  loben. 
Wollen  solch  ein  Wunder  hören. 


453 


Gofthe  182.3:  Afir  drückten  sich  gewisse  grosse 


^ 


Legende. 

Wasser  holen  geht  die  reine, 
Schöne  Frau  des  hohen  Bramen, 
Des  verehrten,  fehlerlosen, 
Ernstester  Gerechtigkeit. 
Täglich  von  dem  heiligen  Flusse 
Holt  sie  köstliches  Erquicken  — 
Aber  wo  ist  Krug  und  Eimer? 
Sie  bedarf  derselben  nicht. 
Seligem  Herzen,  frommen  Händen 
Ballt  sich  die  bewegte  Welle 
Herrlich  zu  krystallner  Kugel  I 
Diese  trägt  sie,  frohen  Busens, 
Reiner  Sitte,  holden  Wandeins, 
Vor  den  Gatten  in  das  Haus. 

Heute  kommt  die  morgendliche 
Im  Gebet  zu  Ganges  Fluthen, 
Beugt  sich  zu  der  klaren  Fläche  — 
Plötzlich  überraschend  spiegelt 
Aus  des  höchsten  Himmels  Breiten 
Ueber  ihr  vortibereilend, 
Allerlieblichste  Gestalt 
Hehren  Jünglings,  den  des  Gottes 
Uranfänglich  schönes  Denken 
Aus  dem  ewgen  Busen  schuf. 


454 


Motive^  Legenden,    uralt  geschichtlich    Überliefertes 


Solchen  schauend,  fühlt  ergriffen 
Von  verwirrenden  Gefühlen 
Sie  das  innere  tiefste  Leben, 
Will  verharren  ih  dem  Anschaun, 
Weist  es  weg,  da  kehrt  es  wieder  — 
Und  verworren  strebt  sie  fluthwärts, 
Mit  unsichrer  Hand  zu  schöpfen. 
Aber  ach!     Sie  schöpft  nicht  mehr! 
Denn  des  Wassers  heilige  Welle 
Scheint  zu  fliehn,  sich  zu  entfernen, 
Sie  erblickt  nur  hohler  Wirbel 
Grause  Tiefen  unter  sich. 

Arme  sinken,  Tritte  straucheln, 
Ists  denn  auch  der  Pfad  nach  Hause? 
Soll  sie  zaudern?     Soll  sie  fliehen? 
Will  sie  denken,  wo  Gedanke, 
Rath  und  Hilfe  gleich  versagt? 
Und  so  tritt  sie  vor  den  Gatten. 
Er  erblickt  sie.     Blick  ist  Urtheil. 
Hohen  Sinns  ergreift  das  Schwert  er, 
Schleppt  sie  zu  dem  Todtenhügel, 
Wo  Verbrecher  büssend  bluten. 
Wüsste  sie  zu  widerstreben? 
Wüsste  sie  sich  zu  entschuldgen, 
Schuldig  —  keiner  Schuld  bewusst? 

Und  er  kehrt  mit  blutigem  Schwerte 
Sinnend  zu  der  stillen  Wohnung, 
Da  entgegnet  ihm  der  Sohn: 


455 


so  tief  in  den  Sinn^   dass  ich  sie  vierzig  bis  fünfzig- 

»Wessen  Blut  ists?     Vater!  Vater U  — 

Der  Verbrecherin!  —   »Mit  nichten! 

Denn  es  starret  nicht  am  Schwerte 

Wie  verbrecherische  Tropfen  — 

Fliesst  wie  aus  der  Wunde  frisch. 

Mutter,  Mutter!     Tritt  heraus,  her! 

Ungerecht  war  nie  der  Vater, 

Sage,  was  er  jetzt  verübt.«  — 

»Wessen  ist  es?«  —  Schweige!  Schweige!  — 

»Wäre  meiner  Mutter  Blut!!! 

Was  geschehen?     Was  verschuldet? 

Her  das  Schwert!     Ergriffen  hab  ichs! 

Deine  Gattin  magst  du  tödten, 

Aber  meine  Mutter  nicht! 

In  die  Flammen  folgt  die  Gattin 

Ihrem  einzig  Angetrauten, 

Seiner  einzig  teuren  Mutter 

In  das  Schwert  der  treue  Sohn.« 

Halt,  o  halte!  rief  der  Vater, 
Noch  ist  Raum,  enteil,  enteile! 
Füge  Haupt  dem  Rumpfe  wieder: 
Du  berührest  mit  dem  Schwerte, 
Und  lebendig  folgt  sie  dir. 

Eilend  athemlos  erblickt  er 
Staunend  zweier  Frauen  Körper 
Ueberkreuzt  und  so  die  Häupter. 
Welch  Entsetzen!     Welche  Wahl! 


456 


i 


Jahre  lebendig  und  wirksam   im  Innern  erhielt. 

Dann  der  Mutter  Haupt  erfasst  er, 
Küsst  es  nicht,  das  toderblasste. 
Auf  des  nächsten  Rumpfes  Lücke 
Setzt  ers  eilig  —  mit  dem  Schwerte 
Segnet  er  das  fromme  Werk. 

Aufersteht  ein  Riesenbildniss.  — 
Von  der  Mutter  theuren  Lippen 
Göttlich  —  unverändert  —  süssen, 
Tönt  das  grausen  volle  Wort: 
Sohn,  o  Sohn  !     Welch  Uebereilen ! 
Deiner  Mutter  Leichnam  dorten. 
Neben  ihm  das  freche  Haupt 
Der  Verbrecherin,  des  Opfers 
Waltender  Gerechtigkeit ! 
Mich  nun  hast  du  ihrem  Körper 
Eingeimpft  auf  ewige  Tage? 

Weisen  Wollens  —  wilden  Handelns 
Werd  Ich  unter  Göttern  sein. 
Ja,  des  Himmelsknaben  Bildniss 
Webt  so  schön  vor  Stirn  und  Auge    — 
Senkt  sichs  in  das  Herz  herunter, 
Regt  es  tolle  Wuthbegierl 

Immer  wird  'es  wiederkehren, 
Immer  steigen,  immer  sinken, 
Sich  verdüstern,  sich  verklären  — 
So  hat  Brama  dies  gewollt. 


457 


Mir  schien  der  schönste  Besitz^    solche  werthe  Bilder 

Er  gebot  ja  buntem  Fittig, 
Klarem  Antlitz,  schlanken  Gliedern, 
Göttlich  —  einzigem  Erscheinen, 
Mich  zu  prüfen,  zu  verführen. 
Denn  von  oben  kommt  Verführung! 
Wenns  den  Göttern  so  beliebt. 
Und  so  soll  Ich,  die  Bramane, 
Mit  dem  Haupt  im  Himmel  weilend, 
Fühlen,  Paria,  dieser  Erde 
Niederziehende  Gewalt. 

Sohn,  Ich  sende  dich  dem  Vater! 
Tröste!  —  Nicht  ein  traurig  Bussen, 
Stumpfes  Harren  —  stolz  Verdienen 
Halt  euch  in  der  Wildniss  fest! 
Wandert  aus  durch  alle  Welten, 
Wandelt  hin  durch  alle  Zeiten 
Und  verkündet  auch  Geringstem: 
Dass  ihn  Brama  droben  hört! 

Ihm  ist  keiner  der  Geringste  — 
Wer  sich  mit  gelähmten  Gliedern, 
Sich  mit  wild  zerstörtem  Geiste, 
Düster  ohne  Hilf  und  Rettung, 
Sei  er  Brama,  sei  er  Paria, 
Mit  dem  Blick  nach  oben  kehrt, 
Wirds  empfinden,  wirds  erfahren: 
Dort  erglühen  tausend  Augen, 
Ruhend  lauschen  tausend  Ohren, 
Denen  nichts  verborgen  bleibt. 


458 


oft  in  der  Einhildutfgskraft  erneut  zu  sehen. 

Heb  Ich  mich  zu  seinem  Throne, 
Schaut  er  Mich,  die  Grausenhafte, 
Die  er  grässlich  umgeschaffen, 
Muss  er  ewig  Mich  bejammern: 
Euch  zu  Gute  komme  dasl 
Und  Ich  werd  ihn  freundlich  mahnen, 
Und  Ich  werd  ihm  wüthend  sagen  — 
Wie  es  Mir  der  Sinn  gebietet, 
Wie  es  Mir  im  Busen  schwellet. 
Was  Ich  denke   —    was  Ich  fühle  — 
Ein  Geheimniss  bleibe  das. 


459 


Weimar,  Decetnber  1822. 


Dank  des  Paria 

Ijrosser  Bramal     Nun  erkenn  ich, 
Dass  du  Schöpfer  bist  der  Welten! 
Dich  als  meinen  Herrscher  nenn  ich, 
Denn  du  lassest  alle  gelten. 

Und  verschliessest  auch  dem  Letzten 
Keines  von  den  tausend  Ohren, 
Uns,  die  tief  herabgesetzten, 
Alle  hast  du  neu  geboren. 

Wendet  euch  zu  dieser  Frauen, 
Die  der  Schmerz  zur  Göttin  wandelt! 
Nun  beharr  ich  anzuschauen 
Den,  der  einzig  wirkt  und  handelt. 


460 


Auf  der  Fahrt 


Marienbader  Elegie. 

Und  wenn  der  Mensch  in  seiner  Qual  versturnmf, 
Gaö  mir  ein  Gott  zu  sagen^  7vas  ick  leide. 

Was  soll  ich  nun  vom  Wiedersehen  hoften, 
Von  dieses  Tages  noch  geschlossner  Blüthe? 
Das  Paradies,  die  Hölle  steht  dir  offen: 
Wie  wankelmüthig  regt  sichs  im  Gemüthe!  — 
Kein  Zweifeln  mehr  I  Sie  tritt  ans  Himmelsthor, 
Zu  ihren  Armen  hebt  sie  dich  empor. 


So  warst  du  denn  im  Paradies  empfangen, 
Als  wärst  du  werth  des  ewig  schönen  Lebens. 
Dir    blieb    kein   Wunsch,    kein    Hoffen,    kein 

Verlangen, 
Hier  war    das  Ziel    des  innigsten  Bestrebens, 
Und  in  dem  Anschaun  dieses  einzig  Schönen 
Versiegte  gleich  der  Quell  sehnsüchtger  Thränen. 

Wie  regte  nicht  der  Tag  die  raschen  Flügel, 
Schien  die  Minuten  vor  sich  her  zu  treiben  I 
Der  Abendkuss,  ein  treu  verbindlich  Siegel: 
So  wird  es  auch  der  nächsten  Sonne  bleiben. 
Die  Stunden  glichen  sich  in  zartem  Wandern 
Wie  Schwestern   zwar,   doch  keine   ganz   den 

andern. 


461 


von  Karlsbad 


Der   Kuss,    der  letzte,    grausam    süss,    zer- 
schneidend 
Ein  herrlichesGeschlecht  verschlungener  Minnen. 
Nun  eilt,    nun  stockt   der  Fuss,    die  Schwelle 

meidend, 
Als  trieb  ein  Cherub  flammend  ihn  von  hinnen  1 
Dass  Auge  starrt  auf  düstrem  Pfad  verdrossen. 
Es  blickt  zurück.  Die  Pforte  steht  verschlossen. 

Und  nun  verschlossen  in  sich  selbst,  als  hätte 
Dies  Herz  sich  nie  geöffnet,  selige  Stunden 
Mit  jedem  Stern  des  Himmels  um  die  Wette 
An  ihrer  Seite  leuchtend  nie  empfunden  — 
Und  Missmuth,  Reue,  Vorwurf,  Sorgenschwere 
Belastens  nun  in  schwüler  Atmosphäre. 

Ist  denn  die  Welt  nicht  übrig?  Felsen  wände. 
Sind    sie    nicht    mehr    gekrönt    von    heiligen 

Schatten? 
Die  Ernte,  reift  sie  nicht  1     Ein  grün  Gelände, 
Zieht  sichs   nicht  hin    am  Fluss  durch  Busch 

und  Matten? 
Und  wölbt  sich  nicht  das  überweltlich  Grosse, 
Gestaltenreiche,  bald  Gestaltenlose? 

Wie  leicht   und  zierlich,    klar  und  zart  ge- 
woben, 
Schwebt,   Seraph   gleich,    aus  ernster  Wolken 

Chor, 


462 


nach  Eger 

Als  glich  es  ihr,  am  blauen  Aether  droben 
Ein  schlank  Gebild  aus  lichtem  Duft  empor  — 
So  sahst  du  sie  in  frohem  Tanze  walten, 
Die  lieblichste  der  lieblichsten  Gestalten. 

Doch  nur  Momente  darfst  dich  unterwinden, 
Ein  Luftgebild  statt  ihrer  festzuhalten. 
Ins  Herz  zurück!  Dort  wirst  dus  besser  finden, 
Dort  regt  sie  sich  in  wechselnden  Gestalten. 
Zu  Vielen  bildet  Eine  sich  hinüber  — 
So  tausendfach,  und  immer,  immer  lieber. 

Wie  zum  Empfang  sie  an  den  Pforten  weilte 
Und  mich  von  dannauf  stufenweis  beglückte. 
Selbst    nach    dem    letzten    Kuss    mich    noch 

ereilte, 
Den  letztesten  mir  auf  die  Lippen  drückte  — 
So  klar  beweglich  bleibt  das  Bild  der  Lieben 
Mit  Flammenschrift  ins  treue  Herz  geschrieben. 

Ins  Herz,  das,  fest  wie  zinnenhohe  Mauer, 
Sich  ihr  bewahrt  und  sie  in  sich  bewahret, 
Für  sie  sich  freut  an  seiner  eignen  Dauer, 
Nur  weiss  von  sich,  wenn  sie  sich  offenbaret. 
Sich  freier  fühlt  in  so  geliebten  Schranken 
Und  nur  noch  schlägt,  für  alles  ihr  zu  danken. 

War  Fähigkeit  zu  lieben,  war  Bedürfen 
Von  Gegenliebe  weggelöscht,  verschwunden. 


463 


nach  der   Trennung 


Ist  Hoffnungslust  zu  freudigen  Entwürfen, 
Entschlüssen,  rascher That  sogleich  gefunden! 
Wenn  Liebe  je  den  Liebenden  begeistet, 
Ward  es  an  mir  aufs  lieblichste  geleistet: 

Und  zwar  durch  sie  I  —  Wie  lag  ein  innres 

Bangen 
Auf  Geist  und  Körper,  unwillkommner  Schwere : 
Von  Schauerbildern  rings  der  Blick  umfangen 
Im  wüsten  Raum  beklommner  Herzensleere. 
Nun  dämmert  Hoffnung  von  bekannter  Schwelle, 
Sie  selbst  erscheint  in  milder  Sonnenhelle. 

Dem  Frieden  Gottes,  welcher  euch  hienieden 
Mehr  als  Vernunft  beseliget  —  wir  lesens  — 
Vergleich  ich  wohl  der  Liebe  heitern  Frieden 
In  Gegenwart  des  allgeliebten  Wesens  — : 
Da  ruht  das  Herz  und  Nichts  vermag  zu  stören 
Den  tiefsten  Sinn,  den  Sinn,  ihr  zu  gehören  1 

In  unsers  Busens  Reine   wogt  ein  Streben, 
Sich  einem  Höhern,  Reinern,  Unbekannten 
Aus  Dankbarkeit  freiwillig  hinzugeben, 
Enträthselnd  sich  den  ewig  Ungenannten  — 
Wir  heissens :  fromm  sein  I . —  Solcher  seligen 

Höhe 
Fühl  ich  mich  theilhaft,  wenn  ich  vor  ihr  stehe. 

Vor  ihrem  Blick,  wie  vor  der  Sonne  Walten, 
Vor  ihrem  Athem,  wie  vor  Frühlingslüften, 


464 


von   Ulrike  von  Levetzow 


Zerschmilzt,  so  längst  sich  eisig  starr  gehalten, 
Der  Selbstsinn  tief  in  winterlichen  Grüften. 
Kein  Eigennutz,  kein  Eigenwille  dauert  — 
Vor  ihrem  Kommen  sind  sie  weggeschauert. 

Es  ist,  als  wenn  sie  sagte:  »Stund  um  Stunde 
Wird  uns  das  Leben  freundlich  dargeboten, 
Das  Gestrige  Hess  uns  geringe  Kunde, 
Das  Morgende  zu  wissen  ist  verboten  — 
Und  wenn  ich  je  mich  vor  dem  Abend  scheute. 
Die  Sonne  sank,  und  sah  noch,  was  mich  freute. 

Drum  thu  wie  ich  und  schaue,  froh  verständig. 
Dem  Augenblick  ins  Auge  l  Kein  Verschieben ! 
Begegn  ihm  schnell  I  Wohlwollend  wie  lebendig. 
Im  Handeln  seis,  zur  Freude  —  seis  dem  Lieben ! 
Nur  wo  du  bist,  sei  alles  immer  kindlich. 
So  bist  du  Alles  —  bist  unüberwindlich.« 

Du  hast  gut  reden,  dacht  ich.  Zum  Geleite 
Gab  dir  ein  Gott  die  Gunst  des  Augenblickes, 
Und  jeder  fühlt  an  deiner  holden  Seite 
Sich  Augenblicks  den  Günstling  des  Geschickes. 
Mich  schreckt  der  Wink,  von  dir  mich  zu  ent- 
fernen, 
Was  hilft  es  mir,  so  hohe  Weisheit  lernen. 

Nun  bin  ich  fern!     Der  jetzigen  Minute, 
Was  ziemt  denn  der  ?  Ich  wüsst  es  nicht  zu  sagen. 


Ilartleben,  Gocthc-Brcvicr. 

465  30 


am  5,  bis  7.  September  1823 


Sie  bietet  mir  zum  Schönen  manches  Gute, 
Das  lastet  nur,  ich  muss  mich  ihm  entschlagen. 
Mich  treibt  umher  ein  unbezwinglich  Sehnen, 
Da  bleibt  kein  Rath  als  grenzenlose  Thränen. 

So  quellt  denn  fort  und  fliesset  unaufhaltsam ! 

Doch  nie  gelängs,  die  innre  Glut  zu  dämpfen  I 

Schon  rasts    und    reisst  in   meiner  Brust   ge- 
waltsam, 

Wo  Tod  und  Leben  grausend  sich  bekämpfen. 

Wohl  Kräuter  gäbs,  des  Körpers  Qual  zu  stillen, 

Allein    dem  Geist  fehlts    am  Entschluss    und 

Willen. 
Fehlts    am   Begriff:    wie   sollt    er    sie   ver- 
missen I 

Er  wiederholt  ihr  Bild  zu  tausend  Malen. 

Das  zaudert  bald,   bald  wird   es  weggerissen, 

Undeutlich  jetzt  und  jetzt  im  reinsten  Strahlen. 

Wie  könnte  dies  geringstem  Tröste  frommen? 

Die    Ebb    und    Fluth,    das   Gehen    wie    das 

Kommen  1 


Verlasst  mich  hier,  getreue  Weggenossen  1 
Lasst  mich  allein  am  Fels,  in  Moor  und  Moos  1 
Nur  immer  zu !  Euch  ist  die  Welt  erschlossen, 
Die  Erde  weit,  der  Himmel  hehr  und  gross! 
Betrachtet,  forscht,  die  Einzelheiten  sammelt, 
Naturgeheimniss  werde  nachgestammelt  1 


466 


gedichtet. 

Mir   ist  das  All,    ich   bin    mir   selbst  ver- 
loren, 
Der  ich  noch  erst  den  Göttern  Liebling  war. 
Sie  prüften  mich,  verliehen  mir  Pandoren, 
So  reich  an  Gütern  —  reicher  an  Gefahr. 
Sie  drängten  mich  zum  gabeseligen  Munde, 
Sie  trennen  mich,  und  richten  mich  zu  Grunde. 


467  30* 


Weimar 


Bei  Betrachtung  von  Schillers  Schädel. 

Im  ernsten  Beinhaus  wars,  wo  ich  beschaute, 
Wie  Schädel  Schädeln  angeordnet  passten. 
Die  alte  Zeit  gedacht  ich,  die  ergraute. 

Sie  stehn  in  Reih  geklemmt,  die  sonst  sich 

hassten, 
Und  derbe  Knochen,  die  sich  tödtlich  schlugen, 
Sie  liegen  kreuzweis,  zahm,  allhier   zu  rasten. 

Entrenkte  Schulterblätter !  Was  sie  trugen, 
Fragt   niemand  mehr  —  und   zierlich  thätige 

Glieder, 
Die  Hand,  der  Fuss,  zerstreut  aus  Lebensfugen. 

Ihr  Müden  also  lagt  vergebens  nieder: 
Nicht  Ruh  im  Grabe   Hess  man  euchl     Ver- 
trieben, 
Seid  ihr  herauf  zum  lichten  Tage  wieder. 

Und  Niemand  kann  die  dürre  Schale  lieben, 
Welch  herrlich  edlen  Kern  sie  auch  bewahrte. 
Doch  mir  Adepten  war  die  Schrift  geschrieben, 

Die  heiligen  Sinn  nicht  jedem  offenbarte, 
Als  ich  inmitten  solcher  starren  Menge 
Unschätzbar  herrlich  ein  Gebild  gewahrte, 


46S 


2S'  und  26.  September  1826. 


Dass  in  des  Raumes  Moderkält    und  Enge 
Ich  frei  und  wärmefühlend  mich  erquickte, 
Als  ob  ein  Lebensquell  dem  Tod  entspränge. 

Wie    mich    geheimnissvoll    die    Form    ent- 
zückte ! 
Die  gottgedachte  Spur,  die  sich  erhalten! 
Ein  Blick,  der  mich  an  jenes  Meer  entrückte. 

Das  fluthend  strömt  gesteigerte  Gestalten. 
Geheim  Gefass,  Orakelsprüche  spendend ! 
Wie   bin    ich    werth,    dich    in    der  Hand    zu 

halten  ? 

Dich   höchsten    Schatz    aus    Moder   fromm 

entwendend 
Und  in  die  freie  Luft,  zu  freiem  Sinnen, 
Zum  Sonnenlicht  andächtig  hin  mich  wendend. 

Waskannder  Mensch  imL eben  mehr 

gewinnen, 
AI  s  dass  sich  Gott-Natur  ihm  offenbare. 
Wie  sie  dasFeste  lässt  zuGeist  verrinnen, 

Wi  esie  dasGeisterzeugte  fest  bewahre. 


469 


Gartenhaus^  Juni  1827. 


Uämmmng  senkte  sich  von  oben. 
Schon  ist  alle  Nähe  fem, 
Doch  zuerst  emporgehoben 
Holden  Lichts  der  Abendstem! 
Alles  schwankt  ins  Ungewisse, 
Nebel  schleichen  in  die  Höh  — 
Schwarzvertiefte  Finsternisse 
Widerspiegelnd  ruht  der  See. 

Nur  am  östlichen  Bereiche 
Ahn  ich  Mondenglanz  und  -Gluth, 
Schlanker  Weiden  Haargezweige 
Scherzen  auf  der  nächsten  Fluth. 
Durch  bewegter  Schatten  Spiele 
Zittert  Lunas  Zauberschein, 
Und  durchs  Auge  schleicht  die  Kühle 
Sänftigend  ins  Herz  hinein. 


470 


Faust  II.     September  1827. 


Wie  sich  Verdienst  und  Glück  verketten 
Das  fallt  den  Thoren  niemals  ein  — 
Wenn  sie  den  Stein  der  Weisen  hätten, 
Der  Weise  mangelte  dem  Stein. 


471 


Lynceus^  Faust  ii.     Afai  1831. 


Zum  Sehen  geboren, 
Zum  Schauen  bestellt, 
Dem  Thurme  geschworen. 
Gefällt  mir  die  Welt. 
Ich  blick  in  die  Ferne, 
Ich  seh  in  die  Näh, 
Den  Mond  und  die  Sterne, 
Den  Wald  und  das  Reh. 
So  seh  ich  in  allen 
Die  ewige  Zier, 
Und  wie  mirs  gefallen 
Gefall  ich  auch  mir. 
Ihr  glücklichen  Augen 
Was  je  ihr  gesehn, 
Es  sei  wie  es  wolle, 
Es  war  doch  so  schön! 


472 


Alphabetisches  Register 


der 


Titel  und  Vers-Anfänge 


Die  Titel  sind  durch  gesperrte  Schrift 
ausgezeichnet 


I 


J 


Seite 

Achy  dass  die  innre  Schöpf tingskraft      ...  97 

Ach^  mein  Hals  ist  ein  wenig  geschwollen   .     .  297 

Achy  tnein  Mädchen  verreist/ 295 

Ach^  mit  diesen  Seelen^  was  macht  er?    .     .  278 

Ach^  neige ^  du  Schmerzenreiche 112 

Achy  sie  neiget  das  Haupt 300 

Ach,  um  deine  feuchten  Schwingen     ....  436 

Ach!   Unaufhaltsam  strebet  das  Schiff    .  322 

Acht  w/4f  sehn  ich  mich  nach  dir 22 

AUxander  und  Cäsar  und  Heinrich    ...  230 

Argerts  Jemand^  dass  es  Gott  gefallen  422 

Alexis  und  Dora 322 

Alle  FreiheitS' Apostel  sie  waren 281 

Alle  neun^  sie  winkten  mir  oft 270 

Alle  sagen  tnir^  Kind        302 

Alles  erklärt  sich  wohl 290 

Alles  gehen  die  Götter ^  die   Unendlichen       .     .  145 

Alles  kündet  dich  an! 395 

Alles  seh  ich  so  gerne  von  dir 279 

Alles,  was  ihr  wollt 300 

All-Leben 404 

Als  ich  in  Saarbriic k 20 

Als  ich  still  und  ruhig  spann 315 

Als  noch,  verkannt  und  sehr  gering  ....  339 

Amor  als  Landschaftsmaler       ....  203 

Amor  bleibt  ein  Schalk  und  wer  ihm,  vertraut  234 

Amyntas •     .     .     .  360 

An  Auguste  Gräfin  zu  Stolberg      .     .  145 

3 


Seite 

An  Charlotte  Kestner 6i 

An  dem  reinsten  Frühlingsmorgen      ....  320 

An  den  Geist  des  Johannes  Secundus  .  142 

An  den  Herzog 132 

An  den  Mond 162 

An  den  Schlaf 2 

An  die  Schwestern  Marie  und  Friederike  24 
An  ein  goldenes  Kreuz,  das  er  am  Halse 

trug 127 

An  Frau  von  Stein 170 

An  Fried erike  Oeser 8 

An  Gotter 53 

Anklage 408 

An  Lili 131,  134 

An  Lotte 185 

An  meine  Mutter    ....           ....  i 

An  Mignon 335 

An  Schwager  Kronos •     ,  98 

^ln  vollen  Büschelzweigen 430 

Angedenken  du  verklungner  Freude    .     .     .      .  127 

Anklang 446 

Anmuthig  Thal!     Du  immergrüner  Hain  .     .  186 

Antwort  Gotters  an  Goethe      ....  55 

Arm  am  Beutel^  krank  am  Herzen          .     .  337 

Arm  und  kleiderlos  war  das  Modelten  296 

Auf  dem  See I17 

Auf  Christiane  R,       .           86 

Aus  einem  Briefe  an  Kestner  ....  5* 

Ausklang 452 

Bauern  unter  der  Linde 106 

Der  Becher 183 

Bedecke  deinen  Himmel,  Zeus lOO 

Behandelt  die  Frauen  mit  Nachsicht!      .     .     .  425 

Bei  Betrachtung  von  Schillers  Schädel  468 

Bei  dem  Glänze  der  Abendrot  he 301 

Beim  Mondenschein  im  Paradeis 423 

4 


Seite 

Beifn  Zeichnen 137 

Die  Bekehrte 321 

JBergschloss .  365 

Der  Besuch 212 

Böcke f  zur  Linken  mit  euch! 280 

Die  Braut  von  Cor  int  h 346 

Brief 103 

Buch  des  Paradieses 444 

Cäsarn  war  ich  wohl  nie 238 

Chloe  schwörety  iie  liebt  mich 284 

Cupido 206 

CupidOf  loser^  eigensinniger  Knabe      ....  206 

AJa  drohen  auf  jenem  Berge      ....     364,  365 

Da  hatt  ich  einen  Kerl  zu  Gast 58 

Dämmerung  senkte  sich  von  oben 470 

Dämon 440 

Das  Gemeine  lockt  Jeden        302 

Das  ist  dein  eignes  Kind  nicht 272 

Das   Wasser  rauscht^  das   Wasser  schwoll    .     .  164 

Dass  ich  schweige^  verdriesst  dich?     ....  293 

Deine  Liebe^  dein  Kuss  mich  entzückt/   ,     .     .  448 

Dem  Geier  gleich 158 

Dem  Herzog  von  Weimar  zum  Geburtstag  186 

Dem  Schicksal 138 

Dem  Schnee,  dem  Regen        136 

Den  Einzigen f  Lotte,  welchen  du  lieben  kannst  185 

Denn  der  Körper  verlangt  und 313 

Derb  und  tüchtig 402 

Der  Deutsche  dankt 410 

Der  du  mit  deinem  Mohne 2 

Der  du  von  dem  Himmel  bist 135 

Der  Schäfer  putzte  sich  zum   Tanz    ,          .     .  106 

Des  Menschen  Seele  gleicht  dem    Wasser      .     .  167 

Dichten  ist  ein  lustig  Handwerk    .....  280 

Dichten  ist  ein  Übermuth 402 

5 


Seite 

Die  Königin  steht  im  hohen  Saal       .  377 

Die  Nebel  zerreissen 319 

Die  schön  geschriebenen 428 

Diese  Gondel  vergleich  ich     .......  264 

Diesem  Ambos  vergleich  ich 266 

Diner  zu  Koblenz 91 

Draussen  am.   Orte 446 

Dreistigkeit 416 

Du  erstaunest  und  zeigst  mir  das  Meer       .      .  295 

Du  hast  uns  oft  im   Traum  gesehen  .           .     ,  6 

Du  mit  deinen  braunen  Locken 411 

Durch  Feld  und  Wald  zu  schweifen  ....  88 

Edel  sei  der  Mensch 179 

Mhrett  wen  ihr  auch  wollt/        2 16 

Eigenthum 397 

Ein  Jeder  hat  sein    Ungemach 170 

Ein  Meister  einer  ländlichen  Schule  .                 .  375 

Ein    Veilchen  auf  der   Wiese  stand      ....  62 

Eine  einzige  Nacht  an  deinem  Herzen     .           .  292 

Eine  Liebe  halt  ich 264 

Eine  Liebe  wünscht  ich 299 

Einen  wohlgeschnitzten  vollen  Becher     .     .     .  183 

Eines  ist  mir  verdriesslich  vor  allen  Dingen  .  244 

Eines  Menschen  Leben^  was  ists? 275 

Ein  las s 444 

Einst  ging  ich  meinem  Mädchen  nach    ...  3 

Ein  zärtlich  jugendlicher  Kummer      ....  17 

Eis-LebenS'Lied .     , 133 

Es  ist  gut 423 

Marienbader  Elegie         ' 461 

Röfnische  Elegien 204 

Emsig  wallet  der  Pilger! 268 

Vene tianis che  Epigramme 249 

Epistel 305 

Erlkönig 175 

Ergo  bibamus 379 

6 


Seite 

Es  fähret  die  pöetsche   Wutk 170 

Es  fürchte  die  Götter  das  Menschengeschlecht  .  190 

* S  geschieht  wohl,  dass  man  an  einem   Tag     .  85 

Es  ist  ein  Schnee  gefallen 441 

Es  schlug  mein  Herz,  geschwind  zu  Pferde      .  25 

Es  stand  eine  herrliche  Ceder    .          ....  70 

Es  war  ein  Buhle  frech  genung 68 

Es  war  ein  König  in  ThuU 65 

Es  war  eine  Ratt  im  Kellernest 125 

Es  war  einmal  ein  König 108 

Euch  hedaur  ich^  unglOckselge  Sterne     .     .  182 

Euch,  o  Grazien,  legt 230 

Der  ewige  fude *J2 

Erschaffen  und  Beleben 399 

Feierlich  sehen  wir  neben  dem  Dogen     .     .     .  264 

Feiger  Gedanken  bängliches  Schwanken  .     .     .  139 

Fetter  grüne,  du  Laub 126 

Fetwa 409 

Der  Fischer 165 

Fragment 313 

Frankreichs  traurig  Geschick 282 

Frech  und  Froh 128 

Frech  wohl  bin  ich  geworden 288 

Freisinn 419 

Freudvoll  und  leidvoll 129 

Froh  empfind  ich  mich  nun 222 

Fromm,  sind  wir  Liebende 220 

Füllest  wieder  Busch  und  Thal 162 

Fürchte  nicht,  liebliches  Mädchen 30 1 

Fürsten  prägen  so  oft 283 

Ganymed 59 

Gedichte  sind  gemalte  Fensterscheiben       .     »     .  391 

Gefunden 396 

Gegenwart 395 

Geh/     Gehorche  meinen   Winken 214 

7 


Seite 

Gehab  dick  wohl  bei  den  hundert  Lichtem  132 

Geistes  Gruss 90 

Gern  überschreit  ich  die  Grenze 278 

Gern  verlass  ich  diese  Hütte      .,,.,.  5 

Gesang  der  Geister  über  den   Wassern  167 

Der  Gesang  von  der  Ceder 70 

Giesse  nur,  tränke  nur  fort 269 

Glänzen  sah  ich  das  Meer 295 

Ein  Gleichniss          64 

Das  Glück 6 

Glückliche  Fahrt 319 

Gott  segne  dich,  junge  Frau      ..,•..  31 

Der  Gott  und  die  Bajadere 354 

Götter,  wie  soll  ich  euch  danken 294 

Das  Göttliche 179 

Göttlicher  Orpheus^  umsonst 291 

Grabschrift 164 

Grenzen  der  Menschheit 177 

Gretchen       . iio,  112 

Grosser  Brama,  Herr  der  Mächte      .     .     .     .  453 

Grosser  Brama!  Nun  erkenn  ich 460 

Gross  ist  die  Diana  der  Epheser   .     .     .  392 

Gut!  Brav  mein  Herr 66 

Guter  Rath 85 

Ha!  Ich  kenne  dich^  Amor 292 

Hab  oft  einen  dumpfen,  düstern  Sinn    ...  86 

Halte!  Halt  einmal^   Unselige!       .     «...  147 

Hans  Adam  war  ein  Erdenkloss 399 

Hafis  Dichterzüge^  sie  bezeichnen     .....  409 

Harzreise  im   Winter 158 

Hatem 426 

Hast  du  Bajä  gesehen  f 269 

Hast  du  nicht  gute  Gesellschaft  gesehen      .     .  288 

Hat  der  alte  Hexenmeister 342 

Hegire 417 

HeidenrÖslein 30 

8 


Seite 

Heilger  Eübusuud^  hasts  getroffen      .     .     .     .  410 

Heilige  Leute^  sagt  man^  sie  wollten  ....  287 

Heiss  mich  nicht  reden,  heiss  mich  schweigen  .  334 

Herbstgefühl  .     .     ; '.  ii6 

Herbstlich  leuchtet  die  Flamme 229 

HerZy  mein  HerZy  was  soll  das  geben      ,     .     .  114 

Heute  steh  ich  meine   fVacJie 444 

Hier  bildend  nach  der  reinen,  stillen  Natur    .  237 

Hier  sind  wir  versammelt  zu  löblichem   Ihun  379 

Hoch  auf  dem  alten   Thurme  steht     ....  90 

Hochzeitslied        4 

Holde  Lili,  warst  so  lang 13 1 

Hörest  du,  Liebchen,  dcu  muntre  Geschrei  ,     .  231 


Ja/  Die  Augen  warens!    Ja!  der  Mund  . 
Ja!  in  der  Schenke  hab  ich  auch  gesessen    . 

Jägers  Abendlied 

Ich  bin  der  wohlbekannte  Sänger  .... 
Ich  denke  dein,  wenn  mir  der  Sonne  Schimmer 
Ich  führt  ein*n  Freund  zum  Maidel  jung  . 
Ich  gedachte  in  der  Nacht     .... 
Ich  ging  im   Walde  so  für  mich  hin 
Ich  hab  euch  einen  Tempel  baut    .     . 
Ich  komme  bald^  ihr  goldnen  Kinder 
Ich  schon  bis  an  den  neunten  Tag    . 
Ich  war  ein  Knabe  warm  und  gut     . 
Ich  weiss,  dass  mir  nichts  angehört  . 
Je  gemeiner  es  ist,  je  näher  dem  Neide 
Jeder  Edle   Venedigs  kann  Doge  werden 
Jeglichen  Schwärmer  schlagt  mir  ans  Kreuz 
„Jene  Menschen  sind  toll^*,  so  sagt  ihr   ,     . 

Jetzt,  da  Jeglicher  liest 

Jetzt  fühlt  der  Engel,  was  ich  fühle/     .     . 
Ihr  naht  euch  wieder,  schwankende  Gestalten 
Im  ernsten  Beinhaus  wars,  wo  ichs  beschaute 
Im  Felde  schleich  ich  still  und  wild  '.     .     . 
Im  Gegenwärtigen   Vergangenes    ,     . 

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443 
420 

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374 
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283 

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468 

130 

400 


Seite 

Im  holden   Thal,  auf  schneebedeckten  Höhen     .  134 

Im  Schla/gemachi  entfernt  vom  Feste      ...  4 

Im  spielenden  Bache 7 

Immer  halt  ich  die  Liebste 261 

In  der  Dämmerung  des  Morgens 294 

In  der   Wüsten  ein  heiliger  Mann      ....  144 

Ist  denn  so  gross  das  Geheimniss 285 

Ist  doch  keine  Menagerie I19 

Ist  es  dir  Er?tst,  so  zaudre  nicht  länger     .     .  292 

Ist  es  möglich/  Stern  der  Sterne  .....  432 

Der  ewige  Jude 72 

Jupiter  PluviuSy  heut  erscheinst  du    .     .     ,     ,  269 

Kannst  du,  0  Grausamer 224 

Kaum  erblickt  ich  den  blaueren  Himmel          .  261 

Kehre  nicht,  liebliches  Kind^  die  Beinchen   .     .  276 

Kenner  und  Künstler 66 

Kennst  du  den  Ort^  wo  die  Citronen  blühn     .  199 

Klein  ist  unter  den  Fürsten  Germaniens     .     .  273 

Kleine  Blupien,  kleine  Blätter 29 

Knabe  sass  ich,  Fischerknabe 439 

Knaben  liebt  ich  wohl  auch 302 

Der  König  in   Thule 65 

Künstlers  Abendlied 97 

Künstlers  Morgenlied 47 

Lange  haben  die  Grossen  der  Fronten  Sprache 

gesprochen        283 

Lange  sucht  ich  ein   Weib  mir 300 

Lange  Tag  und  Nächte  stand  mein  Schiff       .  140 

Längst  schon  hält  ich  euch  gern 285 

Lass  dich,   Geliebte^  nicht  reun 218 

Lass  regnen,  wenn  es  regnen  will       ....  93 

Lasset  Gelehrte  sich  zanken  und  streiten      .     .  2lo 

Lasst  mich  nur  auf  meinem  Sattel  gelten  .     .  419 

Lasst  mich  weinen  i  Umschränkt  von  Nacht     .  438 

Legende 144 

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Seite 

Legende  vom  Hufeisen 339 

Liehe  flössest  du  ein   und  Begier         ....  292 

Lieber^  heiliger^  grosser  Küsser 142 

Lied  des  Brander 125 

Lied  des  Mephistopheles         108 

Die  Lieder  des  Harfners 197 

Lilis  Park        119 

Locken^  haltet  mich  gefangen 437 

Lust  und  Qual         439 

jSlache  der  Schwärmer  sich  Schüler              .     .  265 

Mache  zum  Herrscher  sich  der 267 

Mahadöy  der  Herr  der  Erde 354 

Mahomets  Gesang 44 

Mai  fest         .     .           27 

Mailied         381 

Mamsell/  so  launvich  wie  ein  Kind        ...  8 

Manche   Töne  sind  mir  zuwider      .      .     .•    .     .  243 

März         441 

Meeres  Stille 319 

Mehr,  als  ich  ahnde te^  schön 254 

Mein  altes  Evangelium 103 

Meine  Göttin 171 

Meine  Liebste  wollt  ich  heut  beschleichen      .     .  212 

Meine  Ruh  ist  hin        HO 

Mephistopheles  singt  zur  Zither  ,     .     .     .  109 

Mignon 199,  334 

Mit  Botanik  giebst  du  dich  abf 289 

Mit  des  Bräutigams  Behagen          371 

Mit  einem  gemalten  Band 29 

Mit  Mädeln  sich  vertragen 128 

Mit  Pfeilen  und  Bogen 63 

Mitternachts  weint  und  schluchzt  ich       .     .     .  424 

Morgenklagen 207 

Müde  war  ich  geworden         275 

Der  Musensohn        88 


11 


Seite 

Nach  Corinthus  von  Athen  gezogen        .     .     .  346 

Nach  Sesenheim 23 

Die  Nacht 5 

Nachtgedanken        182 

Nackend  willst  du  nicht  neben  mir  liegen  .     .  301 

Nähe iio 

Nähe  des  Geliebten 314 

Natur  und  Kunst^  sie  scheinen 370 

Nennen  dich  den  grossen  Dichter 413 

Neue  Liebe y  neues  Leben I14 

Nicht  Gelegenheit  macht  Diebe 427 

Niemand  liebst  du^  und  mich         285 

NikiaSf  trefflicher  Mann 360 

Nimmer  will  ich  dich  verlieren  / 437 

Noch  ist  Italien^  wie  ichs  verliess !     ....  262 

Nord  und  Süd  und   JVest  zersplittern     .           .  417 

Noth  lehrt  beten 267 

Nun  sitzt  der  Ritter  an  dem  Ort       ....  24 

Nur^  wer  die  Sehnsucht  kennt 200 

ijb  ein  Epigratnm.  wohl  gut  sei?      ....  284 

Ob  erfüllt  sei,  was  Moses 301 

Obgleich  kein  Gruss,  obgleich  kein  Brief  von  mir  I 

Ob  ich  dich  lieber  weiss  ich  nicht         ....  21 

O  du  los  es f  leidigliebes  Mädchen 207 

Offen  stehet  das  Grab! 303 

Oft  erklärtet  ihr  euch  als  Freunde  des  Dichters  272 

Oftmals  hob  ich  geirrt 296 

Oy  gieb  vom  weichen  Pfühle 373 

O,  wie  achtet  ich  sonst  auf  alle  Zeiten    .     .     .  293 

O,  wie  fühl  ich  in  Rom  mich  so  froh    .     .     .  226 

Parabel 375 

Parin        453 

Das  Parzenlied 201 

Prometheus      , lOO 


12 


Seite 

Der  Prophet  spricht 422 

Proserpina 147 

Itastlo se  Liebe 136 

Der  Rattenfänger 374 

Ritter  Curts  Brautfahrt 371 

Römische  Elegien        .     .     ,     .     .     .       215,  254 

Ros  und  Lilie  morgenthaulich 400 

Ruhig  am  Arsenal 268 

Ruhig  gelehnt  in  der  Gondel  durchfuhr  ich    .  263 

^S  gschieht  wohl^  dass-  man  an  einem   Tag     .  85 

Sage,  thun  wir  nicht  recht? 282 

Sage^   wie  lebst  du?  Ich  lebe! 294 

Sagety  Steine y  mir  an,  o  sprecht          .     .     .     •  215 

Sagt  es  niemand,  nur  den   Weisen      .     .     .     .  37^ 

Sah  ein   Knab  ein  Röslein  siehn 30 

Sämmtliche  Künste  lernt 272 

,,Sanct  Johannes  im  Koth** 269 

Der  Sänger 195 

Sarkophagen  und  Urnen            260 

Sass  ich  früh  auf  einer  Felsenspitze       .     .  203 

Der  Schäfer  putzte  sich   zum    Tanz         .     .     .  106 

Schäfers  Klagelied         364 

Der  Schatzgräber ,  337 

Schenke  spricht 411  412  413 

Schicke  dir  hier  den  alten  Götzen!     ....  53 

,,Schläfst  du  noch  immer?**     ' 270 

Schlechter  Trost       ...           424 

Schon  entrunzeln  sich  alle  Gesichter       .     .     .  279 

Schöne  Kinder  tragt  ihr 271 

Das  Schreien 3 

Schüler  macht  sich  der  Schwärmer  genug       .  266 

Schwarzer  Schatten  ist  über  dem  Staub      .     .  434 

Schwer  erhalten  wir  uns  den  guten  Namen  245 

Seefahrt 140 


13 


Seite 

Seh  ich  den  Pilgriniy  so  kann  ich  mich  nie      .  264 

Seht  den  Felsenquell .  44 

„Seid  doch  nicht  so  /rech,  Epigramme i^*-     .     .  284 

Seitwärts  neigt  sich  dein  Hälschen      .     .     .     .  277 

Selige  Sehnsucht 406 

Sitz  ich  allein,  wo  kann  ich  besser  sein?     .     .  411 

Sonett 370 

Sorglos  über  die  Fläche  weg 133 

So  verwirret  mit  dumpf 277 

Die  Spinnerin 315 

Die  Spröde 320 

Spute  dich,  Kronos 98 

Staub  ist  eins  der  Elemente       ......  404 

Suleika 448 

Suleika    Von  Marianne  von  Willemer  427  436  437 

Süss,  den  sprossenden  Klee 265 

Das  Tagebuch    . 382 

Thoricht  war  es,  ein  Brot  zu  vergotten       .     .  303 

TKut  ein  Schilf  sich  doch  Jiervor 407 

Tiefe  Stillt  herrscht  im    Wasser 319 

Tolle  Zeiten  hab  ich  erlebt 282 

Traurig,  Midas,  war  dein  Geschick    ....  296 

Trost  in   Thränen 3^^ 

Trunken  müssen  wir  alle  sein! 422 


TJeber  allen   Gipfeln  ist  Ruh     . 
Uebcr  die   Wiese,  den  Bach  herab  . 
Ueber   Thal  und  Fluss  getragen     . 
Uebers  Niederträchtige  Niemand  sich 

Um  Mitternac ht 

Um  Mitternacht  wohl  fang  ich  an 

Unbes  tändigkeit 

Und  frische  Nahrung,  neues  Blut 
Und  ich  gehe  meinen  alten  Gang  . 
Und  so  tändelt  ich  mir     .     .     .     • 


bekluge 


169 

64 

335 
414 

442 

72 

7 
117 

146 

298 


14 


Der  unverschämte  Gast 
Der  untreue  Knabe      .     .     . 


Seite 

58 
6S 


Das   Veilchen 62 

Venetianische  Epigramme 260 

Versunken 3 

Viele  folgten  dir  gläubig 302 

Vieles  hob  ich  versucht,  gezeichnet  271 

Vieles  kann  ich  ertragen 285 

Volk  und  Knecht  und  Ueberwinder    .     .     .     .  435 

Voll  Locken  kraus  ein  Haupt  so  rund         .     .  398 

Vom  Berge 118 

Vom  Himmel  sank  in  wilder  Meere  Schauer  .  415 

Von  allen  schönen   Waaren 317 

Von  wem,  ich  es  habe,  das  sag  ich  euch  nicht  105 

Vor  Gericht .  105 


fVahrha/tes  Märchen     , 
Wanderers  Gemütsruhe 
Wanderers  Nachtlied     , 
Wanderers  Sturmlied    . 
Der  Wandrer      .... 
War  üh  ein  häusliches   Weib  und  hätte 
Wären  der   Welt  die  Augen  zu  öffnen 
Warum  bist  du,  Geliebter     .... 
Warum  leckst  du  dein  Mäulchen  .     . 
Warum,  treibt  sich  das^  Volk  so  und  schreit 
Warum  ziehst  du  mich  unwiderstehlich 

Was^auch  Helden  gethan 

Was  frommt  die  glühende  Natur       .     . 

Was  hat  foseph  gewollt 

Wa^hÖr  ich  draussen  vor  dem  Thor 
Was  machst  du  mir  vor  Liebchens  Thür 
Was  mit  mir  das  Schicksal  gewollt  .     . 
Wasser  holen  geht  die  Reine      .... 
Was  soll  ich  nun  vom  Wiedersehen  hoffen 


94 
414 

169 

39 

31 

287 

302 
242 
272 
265 

"5 

303 
96 

281 

195 
109 

289 

454 
461 


/ 


15 


Seite 

Was  Spelunke  nun  sei,  verlangt  ihr  zu  wissen  287 

Was  vom  Christenthum  gilt 304 

Wca  war  ein  Goti^  der  nur  von  aussen  stiesse  394 

Was  weiss  ich,  was  mir  hier  gefällt  .      ...  138 

Weiss  hat  Newton  gemacht  aus  allen  Farben  .  289 

Weit  und  schön  ist  du  Welt 299 

Welch  ein  heftig  Gedränge  nach  diesem  Laden  267 

Welch  ein  lustiges  Spiel 293 

Welch  ein  Mädchen  ich  wünsche  mu  haben .     .  270 

Welch  ein   Wahnsinn  ergriff  dich 280 

Welch  ein  Zustand/  Herr .  412 

Welche  Hoffnung  ich  habe 299 

Welcher  Unsterblichen  soll  der  höchste  .     .     .  171 

Wen  du  nicht  verlassest,   Genius 39 

Wende  die  FOsschen  »um  Himmel                .     .  277 

Wenn  auf  beschwerlichen  Reisen 290 

Wenn  dem  Papa  sein  Pfeifchen  schmeckt     .     .  51 

Wenn  der  uralte^  heilige  Vater 177 

Wenn  du  mir  sagst,  du  habest  als  Kind     .     .  228 

Wenn  einen  seligen  Biedermann 61 

Wenn  ich,  liebe  Lih\  dich  nicht  liebte     .     .     .  118 

Wenn,  in  Dunst  und  Wolken  verhüllt  .     .     .  291 

Wer  kauft  Liebesgötter? 317 

Wer  Lacerten  gesehn 286 

Wer  nie  sein  Brod  mit  Thränen  ass      .     .     .  197 

Wer  reitet  so  spät  durch  Nacht  und  Wind     .  175 

Wer  sich  der  Einsamkeit  ergiebt 198 

Westwind^      Von  Marianne  van  Willtmtr  436 

Wie  an  dem  Tag,  der  dich  der  Welt  verliehen  440 

Wie  dem  hohen  Apostel  ein  Tuch       ....  284 

\                         Wie  die  Winke  des  Mädchens 290 

Wie  du  mir  oft,  geliebtes  Kind 116 

Wie  herrlich  leuchtet  mir  die  Natur     ...  27 

Wie  im  Morgenglanae 59 

Wie  kommts,  dass  du  so  traurig  bist      .     .     .  368 
Wie  sich   Verdienst  und  Glück  verketten     ,     .471 

Wü  sie  klingeln,  du  Pfaffen 265 

16 


\ 


Sehe 

Wü  van  der  künstlichen  Hand  geschnitzt  .     .  276 

Wieder  einen  Finger  schlägst  du  mir  ein   .     .  452 

Wiederfinden 432 

Willkomm  und  Abschied 25 

WilUt  du  die  Freuden  der  Liebe 291 

Wir  hörens  oft  und  glaübens  wohl  am  Ende  .  382 

Wirkung  in  die  Ferne 377 

Wisst  Ihr  denn,  auf  wen  die  Teufel  lauem    .  408 

Wisst  ihr,  wie  ich  gewiss  euch  Epigramme  281 

Wo  bist  du  itzt,  mein  unvergesslich  Mädchen  20 

Wonniglich  ists^  die  Geliebte  verlangend      .     .  297 

Worauf  kommt  es  überall  an 416 

Wundem  kann  es  mich  nicht 288 

Der  Zauberlehrling  ,          342 

Züret  Stärke  den  Mann 251 

Zu  Ephesus  ein  Goldschmied  sass       ....  392 

Zueignung  zum  Faust     . 358 

Zum  Erdulden  ists  gut,  ein  Christ  sein      .     .  304 

Zum  Sehen  geboren 472 

Zünde  mir  Licht  an,  Knabe 238 

Zwei  Bass-  Arien  zum  Grosskophta    .     .     .  210 

Zwei  der  feinsten  Lacerten 287 

Zwei  gefährliche  Schlangen 256 

Zwischen  Lavater  und  Basedow 91 

Zwischen   Weizen  und  Korn 381 


17 


Gedruckt  tn  zweitausend  Exem- 
plaren IN  Franz  Steins  Buch- 
druckerei MÖNCHEN  IM.  Sommer 
UND  Herbst  1905      00000 


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